Urteil des OLG Hamm vom 06.10.2009

OLG Hamm (wiedereinsetzung in den vorigen stand, stpo, ladung, öffentliche urkunde, die post, briefkasten, termin, zpo, stand, wiedereinsetzung)

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 425/09
Datum:
06.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 425/09
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 4 Ns 104/09
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungshauptverhandlung; ordnungsgemäße Ladung des
Angeklagten; Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde
Normen:
§§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO, § 37 StPO i.V.m. §§ 180, 182, 418 ZPO
Leitsätze:
1. In entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO ist
auch dem nichtsäumigen Angeklagten die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung
zu gewähren, wenn ein Ladungsmangel vorliegt, dieser kausal für sein
Nichterscheinen ist und er fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag
mit den gemäß §§ 44, 45 Abs. 2 StPO erforderlichen Tatsachenangaben
stellt. Der Angeklagte hat hierzu einen Sachverhalt vorzutragen und
glaubhaft zu machen, dem sich das Fehlen einer ordnungsgemäßen
Ladung ebenso wie deren Ursächlichkeit für sein Ausbleiben in der
Hauptverhandlung ohne Weiteres entnehmen lässt.
2. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Postzustellungsurkunde ist
substantiiert anzutreten und kann nur durch die vollständige Entkräftung
ihres Inhalts geführt werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der
urkundlichen Feststellungen ist dieser noch nicht erbracht.
3. Ein Zustellungsempfänger, der ein Schriftstück nicht erhalten haben
will, muss in aller Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen,
aus denen sich ergeben kann, dass aufgrund der konkreten Umstände
ein Abhandenkommen der Sendung möglich erscheint (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 14. Oktober 1987 - 2 BvR 1007/97).
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Revision wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten beider Rechtsmittel trägt der Angeklagte einschließlich der
dem Nebenkläger in den Rechtsmittelverfahren entstandenen
notwendigen Ausla¬gen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht Detmold hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 23. Februar 2009
wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf die dagegen gerichtete Berufung des
Angeklagten hat der Vorsitzende der II. kleinen Strafkammer des Landgerichts Detmold
Termin zur Hauptverhandlung zunächst auf den 24. Juni 2009 bestimmt, diesen Termin
aufgrund der Verhinderung eines Zeugen auf Mittwoch, den 15. Juli 2009, 9.00 Uhr
verlegt. Ausweislich der in der Akte befindlichen Postzustellungs- urkunde vom 13. Mai
2009 ist dem Angeklagten an diesem Tag die Umladung durch Einlegen in den
Briefkasten zugestellt worden. Nachdem der Verteidiger des Angeklagten am Morgen
des Hauptverhandlungstermins telefonisch mitgeteilt hatte, nicht aufzutreten und in der
Berufungshauptverhandlung weder der Verteidiger noch der Angeklagte erschienen
waren, hat das Landgericht die Berufung durch Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO
verworfen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass der Angeklagte zwar
rechtzeitig Berufung eingelegt habe, in dem Termin zur Hauptverhandlung aber
ungeachtet der durch die Urkunde vom 13. Mai 2009 nachgewiesenen Ladung ohne
genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten
worden sei.
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Gegen dieses ihm am 21. Juli 2009 zugestellte Verwerfungsurteil hat der Angeklagte mit
Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. Juli 2009 Revision eingelegt und zugleich die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs-
hauptverhandlung beantragt. Unter Vorlage einer von ihm selbst und von seiner Ehefrau
abgegebenen eidesstattlichen Versicherung hat er sein Wiedereinsetzungs-gesuch
damit begründet, eine Ladung zu dem Hauptverhandlungstermin am 15. Juli 2009 nicht
erhalten zu haben. Entweder sei die Niederlegung in einen "falschen Postkasten" erfolgt
oder es sei davon auszugehen, dass die Post aus dem Brief- kasten von unbekannten
Personen entfernt worden sei.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. September 2009 hat das Landgericht den
Wiedereinsetzungsantrag verworfen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
sofortigen Beschwerde.
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II.
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Der gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaften sofortigen Beschwerde des Angeklagten ist in
der Sache kein Erfolg beschieden.
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Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht verworfen.
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In der Rechtsprechung ist überwiegend anerkannt, dass ein zum Termin nicht
ordnungsgemäß geladener Angeklagter dem Säumigen gleichzustellen ist, obgleich ein
Fall der Säumnis nicht gegeben ist. Danach ist auch dem Nichtsäumigen in ent-
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sprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Ladungsmangel vorliegt, dieser kausal für sein
Nichterscheinen ist und er fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag mit den nach §§
44, 45 Abs. 2 StPO erforderlichen Tatsachenangaben stellt (zu vgl. Meyer-Goßner,
StPO, 52. Aufl., § 329, Rn. 41 m.w.N.; OLG Köln in NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm in
NStZ 1982, 521 f.; Senatsbeschlüsse vom 31. Juli 2008 – 3 Ss 288/08 m.w.N. und vom
15. Juli 2009 – 3 Ws 231/09). Der Antragsteller hat hierzu einen Sachverhalt
vorzutragen und glaubhaft zu machen, dem sich das Fehlen einer ordnungsgemäßen
Ladung ebenso wie deren Ursächlichkeit für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung
ohne Weiteres entnehmen lässt. Erforderlich ist eine genaue Darstellung sämtlicher
Umstände, die für die Nichtteilnahme an dem Hauptverhandlungstermin relevant
gewesen sind.
Diesen Begründungsanforderungen wird das Wiedersetzungsgesuch nicht gerecht. Der
Angeklagte hat nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass er zu der
Berufungshauptverhandlung am 15. Juli 2009 nicht geladen worden ist. Ausweislich der
gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 182 Abs. 1 S. 2 ZPO formell ordnungsgemäß
ausgestellten und unterzeichneten Zustellungsurkunde vom 13. Mai 2009 ist dem
Angeklagten an diesem Tag die Umladung – im Wege der Ersatz-zustellung gemäß §
37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO – durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden.
Als öffentliche Urkunde begründet diese gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis
der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich demzufolge auch darauf,
dass der Postzusteller die Sendung am 13. Mai 2009 in den Briefkasten des
Angeklagten eingeworfen hat. Aufgrund der Postzustellungsurkunde ist daher von einer
ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen.
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Nach den §§ 418 Abs. 2, 415 Abs 2 ZPO ist zwar bei öffentlichen Urkunden der
Gegenbeweis grundsätzlich zulässig. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der
urkundlichen Feststellungen ist dieser indes noch nicht erbracht (zu vgl. Zöller, ZPO, 24.
Aufl., § 418, Rn. 4 m.w.N.). Ebenso kann der Gegenbeweis nicht durch die bloße
Behauptung geführt werden, die zugestellte Sendung nicht erhalten zu haben, weil es
für die Wirksamkeit der Zustellung gerade nicht darauf ankommt, ob und wann der
Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur
Kenntnis genommen hat. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Postzustellungs-urkunde
ist vielmehr substantiiert anzutreten und kann nur durch die vollständige Entkräftung
ihres Inhalts geführt werden. Erforderlich ist, dass ein Sachverhalt vorgetragen und
glaubhaft gemacht wird, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der
Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen ausschließt (zu vgl. KG Berlin, Beschluss vom
25. Mai 2000 – 2 Ss 47/00; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 1994 – 3 Ws 192,
193/94). Die Richtigkeit der Behauptung muss dabei in einem nach Lage der Sache
vernünftigerweise zu verlangenden Grad von Wahrscheinlichkeit dargetan werden. So
muss ein Zustellungsempfänger, der ein Schriftstück nicht erhalten haben will, in aller
Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich ergeben kann,
dass aufgrund der konkreten Umstände ein Abhandenkommen der Sendung möglich
erscheint (zu vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1997 – 2 BvR 1007/97; OLG
Hamm, Beschluss vom 18. September 2001 – 2 Ws 233/01; KG Berlin, a.a.O.; OLG
Düsseldorf, a.a.O.).
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Daran mangelt es hier. Nach Maßgabe der aufgezeigten Grundsätze ist das Vorbringen
des Beschwerdeführers nicht geeignet, die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde
zu erschüttern. Unabhängig davon, dass die eigene eidesstattliche Versicherung des
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Angeklagten als Mittel der Glaubhaftmachung nicht zugelassen und ein – gegenüber
der öffentlichen Urkunde – durchgreifender Beweiswert der eidesstattlichen
Versicherung seiner Ehefrau fraglich erscheint (zu vgl. BVerfG, a.a.O.), erschöpft sich
das Wiedereinsetzungsvorbringen in der bloßen Behauptung, eine Ladung zu dem
Termin nicht erhalten zu haben. Konkrete Umstände, die deren Abhandenkommen
ausnahmsweise als denkbar erscheinen lassen (z.B. defekter Briefkasten), sind weder
dargelegt noch sonst ersichtlich. Soweit der Angeklagte anführt, dass die Niederlegung
in einen "falschen Postkasten" erfolgt oder aber von unbekannten Personen aus dem
Briefkasten entfernt worden sein müsse, handelt es sich um reine Vermutungen, für die
es keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Da die Zustellung der – von dem
Angeklagten empfangenen – Ladung zu dem ursprünglichen Termin am 24. Juni 2009
von derselben Postbe-diensteten ("T") vorgenommen worden ist (Bl. 128 R. d.A.), liegt
ein Versehen des Zustellers infolge Ortsunkenntnis fern. Ebenso ist ein Entwenden der
Ladung durch Dritte angesichts der Beschaffenheit des Briefkastens (Briefeinwurf-schlitz
mit Klappe im oberen Bereich des Postkastens) ohne Hinzutreten weiterer Umstände
nur schwer vorstellbar.
Deshalb muss es bei der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde verbleiben, so dass
der Angeklagte das Fehlen einer ordnungsgemäßen Terminsladung nicht mit Erfolg als
Wiedereinsetzungsgrund reklamieren kann.
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III.
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Nachdem der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen
war, konnte der Senat zugleich über das mit diesem verbundene Rechtsmittel der
Revision entscheiden.
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Die Revision erweist sich gemäß § 349 Abs. 1 StPO bereits als unzulässig, weil der
Angeklagte sein Rechtsmittel nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend
begründet hat, § 344 StPO.
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Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2009 hat der Verteidiger des Angeklagten lediglich
"Revision" eingelegt und die "Aufhebung des Urteils" beantragt, ohne das Rechtsmittel
und den Antrag zu begründen. Es wird weder die Rüge der Verletzung formellen Rechts
(hier des § 329 StPO) oder die Sachbeschwerde erhoben noch lässt sich der
Rechtsmittelschrift im Wege der Auslegung überhaupt eine Angriffsrichtung entnehmen;
das Vorbringen verhält sich allein über die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand. Damit fehlt es indes an der gesetzlich vorgeschriebenen Revisionsbegründung.
Diese war – unbeschadet des mit der Revision verbundenen
Wiedereinsetzungsgesuchs – gemäß § 342 Abs. 2 S. 1 StPO innerhalb der durch die
Zustellung des Verwerfungsurteils am 21. Juli 2009 ausgelösten Monatsfrist des § 345
Abs. 1 StPO bei Gericht anzubringen. Legt ein Angeklagter Revision ein und beantragt
er zugleich gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so darf er die Entscheidung über dieses
Gesuch nicht abwarten, sondern er muss so verfahren, als wäre der
Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt worden und die Revision rechtzeitig begründen
(zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 342, Rn. 1).
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IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den § 473 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StPO.
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