Urteil des OLG Hamm vom 17.01.2000
OLG Hamm: schmerzensgeld, widerklage, beschädigung, zahnbrücke, notwehr, behandlung, ausstellung, schlägerei, gesundheit, vollstreckbarkeit
Oberlandesgericht Hamm, 13 U 124/99
Datum:
17.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 124/99
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 3 O 552/98
Tenor:
Die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung des Beklagten
gegen das am 29. April 1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Bochum werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen - insoweit unter
Abänderung der Kostenentscheidung des Landgerichts - von den
Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten der
Kläger 80 % und der Beklagte 20 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) trägt der
Beklagte.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser 90 %
selbst, weitere 10 % der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 13.549,26 DM und den Beklagten
um 1.501,00 DM.
Tatbestand
1
Der Kläger ging am 19. November 1997 gegen 18.15 Uhr mit seiner Ehefrau, der
Widerbeklagten zu 2), und dem Schäferhund der Tochter in I in der Nähe der
Gesamtschule spazieren. Der Beklagte, der Hausmeister der Schule ist, befuhr mit
seinem Pkw den zur Gesamtschule führenden Fuß- und Radweg. Er überholte den
Kläger und dessen Ehefrau, hielt dann an und stieg aus. Anschließend kam es zu einer
verbalen Auseinandersetzung, die zu gegenseitigen Tätlichkeiten führte. Der Kläger und
der Beklagte berufen sich jeweils auf Notwehr.
2
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn angegriffen und ins Gesicht geschlagen.
Dabei sei seine Zahnbrücke irreparabel beschädigt worden. Eine neue Brücke koste
10.992,73 DM. Der Kläger verlangt einen Vorschuß in dieser Höhe sowie Ersatz der
Kosten für die provisorische Befestigung der Brücke (36,53 DM) und eine ärztliche
Bescheinigung (20,00 DM). Daneben begehrt er ein angemessenes Schmerzensgeld,
wobei er sich einen Betrag von 2.000 DM vorstellt.
3
Der Beklagte bestreitet, dem Kläger einen Faustschlag ins Gesicht versetzt zu haben. Er
behauptet, er habe sich verteidigt, nachdem der Kläger ihn angegriffen habe. Die
Ehefrau des Klägers habe den Hund auf ihn gehetzt. Er sei zu Fall gekommen, habe
Bißwunden am linken Bein davongetragen sowie Prellungen, Hämatome und
Schürfungen erlitten. Er begehrt (nunmehr) ein Schmerzensgeld von insgesamt 2.001
DM.
4
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen E und
T. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Klage abgewiesen und der Widerklage in
Höhe von 500 DM stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben der Kläger Berufung und
der Beklagte - gegen den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) - unselbständige
Anschlußberufung eingelegt.
5
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
6
Der Senat hat die Parteien persönlich gehört. Wegen des Ergebnisses der
Parteianhörung wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.
7
Entscheidungsgründe
8
I.
9
Die Anschlußberufung des Beklagten ist, soweit sie sich gegen die Widerbeklagte zu 2)
richtet, unzulässig. Die Anschlußberufung ist nur Antragstellung innerhalb einer fremden
Berufung und kann sich deshalb nur gegen den Berufungsführer richten, nicht gegen
Dritte (st. Rspr., vgl. BGH NJW 1991, 2569 m.w.N.). Die Widerbeklagte zu 2) ist nicht
Berufungsklägerin und deshalb nicht Prozeßbeteiligte des Berufungsverfahrens. Einer
Umdeutung in eine selbständige Berufung steht entgegen, daß sie nicht fristgerecht
eingelegt worden ist und deshalb unzulässig wäre (§§ 516, 519 b Abs. 1 ZPO).
10
Über die gegen die Widerbeklagte zu 2) gerichtete Anschlußberufung kann nicht vorab
entschieden werden, und zwar weder durch Beschluß noch durch Teilurteil. Die
unselbständige Anschlußberufung des Beklagten zeichnet sich durch ihre Abhängigkeit
von der Berufung des Klägers aus. Nach § 522 Abs. 1 ZPO verliert die
Anschlußberufung ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder als
unzulässig verworfen wird. Die Möglichkeit, daß die Berufung des Klägers mit
Einwilligung des Beklagten (§ 515 Abs. 1 ZPO) zurückgenommen wird, ist - zumindest
theoretisch - gegeben. Solange dies der Fall ist, ist das rechtliche Schicksal der
unselbständigen Anschlußberufung in der Schwebe mit der Folge, daß eine
abgesonderte Entscheidung über sie nicht ergehen darf. Das gilt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch dann, wenn die unselbständige
Anschlußberufung - wie hier - unheilbar unzulässig ist (BGH NJW 1994, 2235, 2236;
str.). Das bedeutet, daß die Widerbeklagte zu 2) nicht als Zeugin vernommen werden
11
kann. Diese Folge ist in Kauf zu nehmen, da die Widerbeklagte zu 2) gem. § 141 ZPO
als Partei gehört werden kann, wobei ihren Erklärungen im Rahmen der tatrichterlichen
Überzeugungsbildung die ihnen zukommende Bedeutung beizumessen ist (vgl. BGH,
a.a.O).
II.
12
Die Berufung des Klägers und die gegen ihn gerichtete Anschlußberufung des
Beklagten sind zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
13
1. Zur Berufung des Klägers:
14
a)
15
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten aufgrund des Vorfalls
vom 19. November 1997 keine Ansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld
gem. §§ 823 Abs. 1, 847 BGB.
16
aa)
17
Der Beklagte haftet nicht für die Beschädigung der Zahnbrücke. Es läßt sich nicht
feststellen, daß der Beklagte den Schaden herbeigeführt hat. Weshalb die Brücke bei
der tätlichen Auseinandersetzung zu Boden gefallen ist, kann nicht geklärt werden. Daß
der Beklagte dafür verantwortlich ist, hat der Kläger nicht bewiesen. Es steht nämlich
nicht fest, daß der Beklagte den Kläger, wie dieser behauptet, ins Gesicht geschlagen
oder mit dem Kopf gestoßen hat. Allerdings hat die Ehefrau des Klägers, die
Widerbeklagte zu 2), bei ihrer Anhörung durch den Senat ein solches Vorgehen des
Beklagten bestätigt. Gegen die Richtigkeit ihrer Angaben spricht jedoch der Inhalt der
von dem Kläger selbst überreichten ärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 1998. Darin
heißt es nämlich, der Kläger sei am 20. November 1997 in Behandlung gewesen und
habe seinerzeit angegeben, bei einer Schlägerei am rechten Brustkorb verletzt worden
zu sein. Damit stimmt überein, daß der behandelnde Arzt angibt, er habe eine Prellung
am rechten Thorax diagnostiziert. Von einer Verletzung im Gesicht ist in dieser
Bescheinigung keine Rede. Wenn der Kläger bei der Auseinandersetzung einen Schlag
oder Stoß ins Gesicht bekommen hätte und dadurch die Brücke beschädigt worden
wäre, hätten - zumindest geringfügige - Verletzungen im Kiefer- oder Gesichtsbereich
nahegelegen. Jedenfalls wäre zu erwarten gewesen, dem Arzt gegenüber nicht
ausschließlich eine Verletzung am rechten Brustkorb anzugeben, sondern auch einen
Schlag oder Stoß ins Gesicht zu schildern. Der Umstand, daß das unterblieben ist,
spricht dafür, daß der Kläger selbst damals nicht davon ausging, der Beklagte sei für die
Beschädigung der Brücke verantwortlich. Nicht auszuschließen ist, daß sich die Brücke
- möglicherweise, weil sie nicht fest genug im Kiefer verankert war - allein aufgrund
heftiger Bewegungen des Klägers oder durch die von dem Gerangel hervorgerufenen
Erschütterungen ohne Zutun des Beklagten gelöst hat und zu Boden gefallen ist.
18
bb)
19
Der Kläger hat gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf Zahlung eines
Schmerzensgeldes. Bei geringfügigen Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit
ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen (den sog.
Bagatellschäden) kann es der Billigkeit entsprechen, ein Schmerzensgeld zu versagen
20
(BGH, NJW 1992, 1043). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat nur geringfügige
Verletzungen erlitten. Das ergibt sich aus der ärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli
1998, in der lediglich Druckschmerzen an der rechten Thoraxwand und ein geringer
Thoraxkompressionsschmerz attestiert sind. Die damit einhergehenden
Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens sind so gering, daß
sie weder unter dem Blickpunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion ein
Schmerzensgeld als billig erscheinen lassen.
cc)
21
Der Kläger kann von dem Beklagten auch nicht die Erstattung der Kosten für die
ärztliche Bescheinigung verlangen. Die Ausstellung des Attestes war hier unter keinem
Gesichtspunkt notwendig.
22
b)
23
Die Widerklage ist in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang begründet. Der
Beklagte hat gegen den Kläger gem. §§ 823 Abs. 1, 847 BGB einen Anspruch auf
Zahlung eines Schmerzensgeldes von 500,00 DM.
24
aa)
25
Unstreitig hat der Kläger den Beklagten bei der Auseinandersetzung geschlagen. Daß
er in Notwehr (§ 227 BGB) gehandelt hat, ist nicht bewiesen. Die vom Landgericht
vernommenen Zeugen konnten keine Angaben zum Beginn der Auseinandersetzung
machen. Die Ehefrau des Klägers, die Widerbeklagte zu 2), hat bei ihrer persönlichen
Anhörung vor dem Senat allerdings erklärt, sie würde sagen, daß der Beklagte ihren
Mann angegriffen habe; er habe den ersten Schlag geführt. Ob diese Angaben zutreffen,
ist aber zweifelhaft. Die Ehefrau des Klägers war nämlich nicht unbeteiligt, sondern - in
gewissem Umfang - selbst in die Auseinandersetzung verwickelt. Im Hinblick darauf
kann nicht ausgeschlossen werden, daß ihre Schilderung "gefärbt" ist und den
tatsächlichen Geschehensablauf nicht zutreffend wiedergibt.
26
bb)
27
Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung vom 20. November 1997 erlitt der Beklagte -
außer der dem Kläger nicht zuzurechnenden Bißwunde am linken Bein - eine
Kopfprellung mit Ohrhämatom links, eine Prellung mit Schürfungen und ein Hämatom
am linken Auge sowie Schürfungen am linken Unterarm und an der linken Hand. Diese
Verletzungen rechtfertigen ein Schmerzensgeld von 500,00 DM.
28
2. Zur - gegen den Kläger gerichteten - Anschlußberufung des Beklagten:
29
Der Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung eines weiteren
Schmerzensgeldes. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht der
Auffassung, daß unter Berücksichtigung aller Umstände ein Schmerzensgeld von
500,00 DM angemessen, aber auch genügend ist.
30
III.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die
32
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.