Urteil des OLG Hamm vom 17.06.2004

OLG Hamm: zustellung, schutzwürdiges interesse, einzahlung, anfechtungsfrist, einforderung, verfügung, sicherstellung, anforderung, kostenvorschusspflicht, ruhe

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 415/03
Datum:
17.06.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 415/03
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 9 T 50/03
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde werden der angefochtene
Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Hattingen vom 27.
Januar 2003 auf-gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über
die Kosten des Verfahrens der ersten und der weiteren Beschwerde an
das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Verfahren dritter Instanz wird auf 5.000,- €
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Beteiligten zu 1) und 2) bilden die im Betreff näher bezeichnete
Wohnungseigentumsanlage, die von dem Beteiligten zu 3) verwaltet wird. In der
Eigentümerversammlung vom 25. Juni 2002 fasste die Eigentümergemeinschaft zu den
Tagesordnungspunkten 1 und 2 Beschlüsse zu den Jahresabrechnungen 2000 und
2001 und erteilte zu Tagesordnungspunkt 3 dem Verwalter insoweit Entlastung.
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Mit der am 25. Juli 2002 bei dem Amtsgericht eingegangenen Antragsschrift ihrer
Verfahrensbevollmächtigten vom selben Tage haben die Antragsteller beantragt, die zu
den TOP 1, 2 und 3 der Eigentümerversammlung vom 25. Juni 2002 gefassten
Beschlüsse für ungültig zu erklären, hilfsweise, festzustellen, dass zu den
Tagesordnungspunkten 1 und 2 der vorgenannten Versammlung keine Beschlüsse
gefasst worden seien.
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Mit Verfügung vom 26. Juli 2002 forderte das Amtsgericht von den
Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller ausgehend von einem in der
Antragsschrift angegebenen Gegenstandswert von 5.000,- € einen Kostenvorschuss
von 47,62 € ein. Mit am 29. August 2002 bei dem Amtsgericht eingegangenen
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Schreiben überreichte der Rechtsschutzversicherer der Antragsteller einen
Verrechnungsscheck über den eingeforderten Kostenvorschuss. Am 3. September 2002
verfügte das Amtsgericht die Zustellung der Antragsschrift an die Antragsgegner und
den Beteiligten zu 3). Die Verfügung wurde am 18. September 2002 ausgeführt.
Durch Beschluss vom 27. Januar 2003 hat das Amtsgericht den Hauptantrag mit der
Begründung zurückgewiesen, die Zustellung der am letzten Tag der Monatsfrist des §
23 Abs. 4 WEG bei Gericht eingegangenen Antragsschrift an die Antragsgegner sei aus
von den Antragstellern zu vertretenden Gründen nicht als demnächstige Zustellung
i.S.d. § 167 ZPO anzusehen, weil der Kostenvorschuss erst 5 Wochen nach dessen
Einforderung bei Gericht eingegangen sei. Den Hilfsantrag hat das Amtsgericht als
unbegründet zurückgewiesen.
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Gegen diesen Beschluss haben die Antragsteller mit Anwaltsschriftsatz rechtzeitig
sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht durch den angefochtenen
Beschluss zurückgewiesen hat.
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Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten rechtzeitig
eingelegte sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller. Die Antragsgegner
beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
8
II.
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Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist nach den §§ 45 Abs. 1, 43
Abs. 1 WEG, 27, 29 Abs. 2 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die
Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) folgt bereits daraus, dass ihre sofortige erste
Beschwerde erfolglos geblieben ist. Ihre dadurch bedingte Beschwer übersteigt den
nach § 45 Abs. 1 WEG erforderlichen Mindestbetrag von 750,- Euro.
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In der Sache führt das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1) zu einem vorläufigen Erfolg,
weil die Entscheidung des Landgerichts zu ihrem Nachteil auf einer Verletzung des
Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Insoweit führt das Rechtsmittel unter Aufhebung
der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Zurückverweisung der Sache an das
Amtsgericht.
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In der Sache hat das mit einer zulässigen Erstbeschwerde befasst gewesene
Landgericht ausgeführt, zu Recht habe das Amtsgericht den Hauptantrag der
Antragsteller als unbegründet zurückgewiesen, weil diese die
Beschlussanfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 WEG nicht gewahrt hätten. Die
Anfechtungsfrist sei nicht bereits allein durch die Anbringung der Antragsschrift
innerhalb der Monatsfrist des § 23 Abs. 4 WEG bei dem Amtsgericht gewahrt. Auf Fälle
der vorliegenden Art, in der der Antrag noch innerhalb der Monatsfrist des § 23 Abs. 4
WEG bei Gericht eingereicht werde, die Zustellung aber erst nach Ablauf dieser Frist
bewirkt werden könne, finde die Regelung des § 167 ZPO entsprechende Anwendung.
Hierdurch werde dem Interesse der Beteiligten, alsbald darüber Gewissheit zu erlangen,
ob gefasste Beschlüsse bestandskräftig geworden seien, in angemessener Weise
Rechnung getragen. Ginge man davon aus, dass nach Zustellung der Antragsschrift das
Verfahren gleichwohl bis zur Einzahlung des eingeforderten Kostenvorschusses ruhe,
so hätte es der Antragsteller in der Hand, das Verfahren beliebig lange zum Ruhen zu
bringen. Den Hilfsantrag der Antragsteller habe das Amtsgericht mit zutreffenden
Ausführungen als unbegründet zurückgewiesen.
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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand.
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Im Ausgangspunkt geht das Landgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs und der neueren Rechtsprechung der Obergerichte davon aus,
dass die materielle Ausschlussfrist des § 23 Abs. 4 WEG mit der Einreichung des
Antrags bei Gericht nur dann gewahrt ist, wenn entsprechend § 167 ZPO die Zustellung
der Antragsschrift "demnächst" erfolgt( BGH NJW 1998, 3648; OLG Köln ZMR 2001,
661; OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 246; vgl. aus der Lit.: Staudinger/Wenzel, WEG,
12. Aufl., § 43 Rdn. 42).
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Nicht gefolgt werden kann hingegen den Ausführungen des Landgerichts, soweit dieses
eine verspätete Zahlung des Kostenvorschusses durch die Antragsteller angenommen
hat mit der Folge, dass die im September 2002 vorgenommene Zustellung der
Antragsschrift nicht mehr als "demnächst" erfolgt im Sinne des § 167 ZPO anzusehen
ist. Die Zurückweisung des Anfechtungsantrags mit der Begründung, dieser sei den
Antragsgegnern wegen der verspäteten Einzahlung des angeforderten
Kostenvorschusses nicht rechtzeitig, weil nicht "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO
zugestellt worden, setzt voraus, dass das Amtsgericht die Zustellung der Antragsschrift
von der Einzahlung eines einzufordernden Kostenvorschusses abhängig machen durfte
und nicht von sich aus verpflichtet war, die Antragsschrift auch ohne Anforderung eines
Kostenvorschusses den weiteren Beteiligten zuzustellen. Entgegen dem Landgericht ist
eine grundsätzliche Kostenvorschusspflicht für Beschlussanfechtungsverfahren nach
dem WEG zu verneinen (BayObLGZ 2000, 340 = NZM 2001, 143 = NJW-RR 2001, 213;
OLG Zweibrücken, FGPrax 2002, 246; OLG Köln ZMR 2001, 661; MDR 2004, 271;
MünchKomm BGB/Engelhardt, § 23 WEG Rdn. 20; Staudinger/Wenzel, a.a.O. § 48 Rdn.
6; offen gelassen von Schl.-Holst. OLG FGPrax 2003, 114 = NJW-RR 2003, 951; a.A.
Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, § 23 Rdn. 194).
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Ob das Beschlussanfechtungsverfahren in Wohnungseigentumssachen nach § 8 Abs. 2
S. 1 KostO von der Einzahlung oder der anderweitigen Sicherstellung eines
Kostenvorschusses abhängig gemacht werden kann, wird nicht einheitlich beantwortet
(vgl dazu BayObLG a.a.O.). Nach § 8 Abs. 2 S. 1 KostO soll das Gericht bei Geschäften,
die auf Antrag vorzunehmen sind, die Vornahme des Geschäfts davon abhängig
machen, dass der Vorschuss gezahlt oder sichergestellt ist. Dies gilt allerdings dann
nicht, wenn gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 KostO das Verlangen nach einer vorherigen
Vorschusszahlung nicht angebracht erscheint. Eine solche Fallgestaltung liegt nach
Auffassung des Senats bei den Beschlussanfechtungsverfahren nach dem
Wohnungseigentumsgesetz vor. Die weiteren Beteiligten haben ein schutzwürdiges
Interesse an baldiger Klarheit über den Bestand der von ihnen gefassten Beschlüsse
und mithin daran, durch das Gericht alsbald davon in Kenntnis gesetzt zu werden, dass
ein Anfechtungsantrag gestellt worden ist. Aus diesem Grund ist das Gericht zur
unverzüglichen Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner und die weiteren
Beteiligten verpflichtet und gehalten, von der Anforderung eines Kostenvorschusses
abzusehen. In diesen Verfahren dominiert der mit der Anfechtungsfrist verfolgte Zweck,
für alle Beteiligten eine möglichst schnelle Klärung der Frage der Bestandskraft
gefasster Eigentümerbeschlüsse herbeizuführen, das Interesse der Staatskasse an der
Sicherstellung des Einzugs der durch das Verfahren ausgelösten Gerichtskosten, die
vorliegend mit ca. 50,- € ohnehin eher niedrig bemessen sind. Dem Interesse der
Beteiligten widerspräche es, wenn es dem Antragsteller ermöglicht würde, die
Anfechtung durch Nichtzahlung des Vorschusses auch nur vorübergehend in der
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Schwebe und vor den anderen Wohnungseigentümern geheim zu halten. Durch die
unverzügliche, nicht von einer Kostenanforderung abhängig gemachte Zustellung der
Antragsschrift und die zeitnahe Durchführung des Verfahrens kann den berechtigten
Interessen der Beteiligten hingegen uneingeschränkt Rechnung getragen werden.
Der Umstand, dass der fristgemäß bei Gericht eingereichte Antrag erst Mitte September
2002 zugestellt wurde, hat daher seine Ursache im Geschäftsgang des Gerichts. Hätte
das Amtsgericht nach den obigen Grundsätzen seiner Verpflichtung entsprechend von
der Einforderung des Kostenvorschusses abgesehen, hätte die Zustellung der am
letzten Tag der Frist des § 23 Abs. 4 WEG bei Gericht eingegangenen Antragsschrift
innerhalb einer solchen Frist, die ohne weiteres als "demnächst" im Sinne des § 167
ZPO anzusehen gewesen wäre, vorgenommen werden können.
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Die Zurückweisung des von den Antragstellern gestellten Hauptantrags kann somit mit
der bisherigen Begründung keinen Bestand haben. Der Aufhebung unterlagen die
Beschlüsse der Vorinstanzen aber auch, soweit das Landgericht die Zurückweisung des
Hilfsantrages durch das Amtsgericht bestätigt hat. Eine Entscheidung über diesen
Hilfsantrag ist aus prozessualer Sicht erst nach einer – ablehnenden - Entscheidung
über den Hauptantrag veranlasst.
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Da bisher weder von dem Amtsgericht noch vom Landgericht in eine Sachprüfung der
angefochtenen Eigentümerbeschlüsse eingetreten wurde, ist die Sache unter
Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Dieses wird auch über die Kosten des Erst- und Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
entscheiden haben.
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Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf den § 48 Abs. 3 WEG
und folgt der Wertfestsetzung durch das Landgericht.
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