Urteil des OLG Hamm vom 28.02.2008

OLG Hamm: rechtsschutzversicherung, anspruch auf rechtliches gehör, mandat, geldanlage, weisung, zugehör, kausalität, vergleich, anlagevertrag, gespräch

Oberlandesgericht Hamm, 28 U 138/07
Datum:
28.02.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
28. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 U 138/07
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 12 O 467/06
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 09. August 2007 verkündete
Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
G r ü n d e
1
A.
2
Wegen der Anträge der Parteien und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die
Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, die nachfolgend mit den
notwendigen Änderungen und Ergänzungen dargestellt sind (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Die Klägerin nimmt die Beklagte mit dem Vorwurf auf Schadensersatz in Anspruch,
diese habe den Verlust von Schadensersatzansprüchen gegen die D wegen
pflichtwidriger Vermögensanlagen zu verantworten, weil sie nicht fristgerecht
Widerspruch gegen übersandte Depotauszüge erhoben, bzw. dazu geraten habe.
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Die Klägerin hat behauptet, sie und ihr Ehemann hätten im Jahre 1994 bei der D in C
ein Wertpapierdepot-Oderkonto eröffnet und mit dem Bankangestellten vereinbart, dass
eingezahltes Geld ausschließlich für konservative/sichere Anlagen zu verwenden sei
und unsichere/riskante Spekulationsgeschäfte zu unterbleiben hätten. Auf dieses Konto
seien aus ihrem Verdienst als Küchenhilfe und dem Verdienst ihres Mannes als
Schlosser ersparte Gelder und zwar am 08. Juli 1994 der Betrag von 110.000,00 DM
und am 26. Juli 1995 ein weiterer Betrag von 356.000,00 DM – eingezahlt und dann von
der D entsprechend den erteilten Weisungen zunächst in festverzinslichen
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der D entsprechend den erteilten Weisungen zunächst in festverzinslichen
Wertpapieren angelegt worden. Dadurch habe das Depotkonto gemäß dem
Jahresabschluss 1998 (Bl. 11 ff.) einen Wert von 404.267,00 CHF (Schweizer Franken)
erreicht. Ab dem 01. Januar 2000 habe die D die Anlagestrategie weisungswidrig und
eigenmächtig geändert und Spekulationsgeschäfte getätigt. Dies sei ihr, der Klägerin,
verborgen geblieben, da die D ab diesem Zeitpunkt keine Depotauszüge mehr
übersandt habe. Darum habe sie sich zunächst nicht gekümmert, weil sie schwer
erkrankt gewesen sei. Nachdem sie im Jahre 2004 wieder genesen sei, habe sie bei der
Bank angerufen, sich erkundigt und verlangt, dass ihr die Unterlagen zugeschickt
würden. Darauf hin seien ihr am 08. November 2004 in zwei insgesamt rd. 1,1 kg
wiegenden Paketen sämtliche bis dahin zurückgehaltene Benachrichtigungen der Bank
zugestellt worden. Nach dem letzten zum 20. Oktober 2004 erstellten Auszug habe der
Depotwert nur noch 139.871,00 CHF betragen.
Mit den gesamten Unterlagen sei sie mit ihrer Tochter W am 15. November 2004 zu der
Beklagten gegangen und habe diese mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt.
Diese habe flüchtig die ausgehändigten Unterlagen durchblättert und erklärt, sie
benötige Zeit, sich in die schwierige Materie einzuarbeiten. Sie würde sich wieder
melden. Dies sei nicht geschehen. Die Beklagte habe sich vielmehr erstmals am
15. Dezember 2004 an die bestehende Rechtsschutzversicherung gewandt und dann
kommentarlos deren Schreiben vom 23. Dezember 2004 übersandt. Als dann wiederum
nichts von der Beklagten veranlasst worden sei, sei dieser das Mandat im Januar 2005
gekündigt worden. Sie habe dann Anfang des Jahres 2006 Schweizer Anwälte mit der
Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, die sich mit Schreiben vom 06. April 2006
(Anl. K22) an die D gewandt hätten. Es habe dann auch eine Besprechung in den
Räumen der Bank stattgefunden. Die Bank habe zwar die weisungswidrige und
eigenmächtige Änderung der Anlagestrategie nicht ausräumen können, sich aber
erfolgreich auf den Ablauf der Widerspruchsfrist berufen.
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Wenn die Beklagte daher fristgerecht und substanziiert Einwände gegen die
weisungswidrige und (über Jahre verschwiegene) Geldanlage erhoben hätte, dann
wäre die Bank verpflichtet gewesen, die zwischen dem 31. Dezember 1999 und
21. Oktober 2004 erlittenen Anlageverluste von 176.264,00 € zu ersetzen. Eine
entsprechende Verpflichtung treffe nunmehr die Beklagte.
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Die Beklagte hat bestritten, von der Klägerin mit der Wahrnehmung von Ansprüchen
gegen die D beauftragt worden zu sein. Am 04. November 2004 sei laut ihrer
Telefonliste für den 15. November 2004 ein Besprechungstermin in einer neuen
Angelegenheit "N" vereinbart worden. Die Klägerin sei zu diesem Termin allein und
ohne jegliche Unterlagen in ihrem Büro erschienen, habe einen recht ungeordneten
Sachverhalt bezüglich einer Geldanlage in der Schweiz und umfangreicher
Veruntreuungen durch einen Bankangestellten geschildert und vordringlich wissen
wollen, ob sie mit einem Steuerstrafverfahren zu rechnen habe, wenn sie die Bank in
Anspruch nehme und durch Indiskretionen Dritter die Steuerbehörde von der
Geldanlage erfahre. Nach Hinweis, dass ohne entsprechende Unterlagen zu diesen
Fragen nichts gesagt werden könne und auch beträchtliche Kosten zu erwarten seien,
habe die Klägerin zwar erklärt, dass eine Rechtsschutzversicherung bestehe, sie sich
aber die Sache noch einmal überlegen wolle. Dementsprechend sei auf dem
Mandantenbogen zwar die Nummer der Rechtsschutzversicherung notiert, gleichzeitig
aber auch vermerkt worden "zunächst nicht in Anspruch nehmen". Erst am
09. Dezember 2004 sei dann laut einem Vermerk der Kanzleikraft telefonisch das
Mandat erteilt worden, doch eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung
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einzuholen, und auch erst dann seien Unterlagen eingereicht worden. Als die
Rechtsschutzversicherung mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 zur Prüfung der
Deckungszusage insbesondere auch die Vorlage des Anlagevertrages angefordert
habe und dies der Klägerin mitgeteilt worden sei, habe diese nicht etwa die
angeforderten Unterlagen eingereicht, sondern das Mandat gekündigt und die
eingereichten Unterlagen am 11. Januar 2005 abgeholt.
Hinsichtlich sämtlicher Vereinbarungen und Vorgänge in Zusammenhang mit der
Geldanlage in der Schweiz hat sich die Beklagte mit Nichtwissen erklärt und
insbesondere bestritten, dass die Bank zum einen weisungswidrig die Anlagestrategie
geändert und dies der Klägerin erst im November 2004 mitgeteilt habe. Ferner hat die
Beklagte auf die Steuerpflichtigkeit der Anlagen in der Schweiz verwiesen und
insgesamt die Höhe des Schadens bestritten. Der Vermögensverlust könne nicht
einfach durch den Vergleich zweier Kontenabschlüsse ermittelt werden. Zum einen
seien zwischenzeitliche Abhebungen nicht auszuschließen. Zum anderen hätten sich
die Kurse inzwischen auch erholt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne dahin stehen, ob die Beklagte
von der Klägerin mit der Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber der D beauftragt
worden sei und daraus folgende Mandatspflichten verletzt habe. Die Kläger habe einen
durch etwaige Pflichtverletzungen bewirkten Schaden weder ausreichend dargelegt,
noch unter Beweis gestellt. Es fehle schon an der Vorlage des mit "haarsträubenden
Gründen verweigerten" Anlagevertrages. Darüber hinaus habe die Klägerin nicht
konkret vorgetragen und unter Beweis gestellt, welche einzelnen Transaktionen nicht
der getroffenen Risikovereinbarung entsprochen hätten und welcher konkrete Schaden
dadurch bewirkt worden sei. Der Schaden könne nicht allein durch den Vergleich zweier
Depotkontenstände belegt werden, da allein daraus nicht zu erkennen sei, ob die
Unterschiede allein auf Kursverlusten beruhen würden. Darauf sei die Klägerin schon
durch die Klageerwiderung hingewiesen worden. Dennoch habe sie ihren Klagevortrag
nicht nachgebessert.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches
Klagebegehren weiter verfolgt und hilfsweise die Aufhebung des Urteils wegen
wesentlicher Verfahrensfehler und Zurückverweisung des Verfahrens an das
Landgericht begehrt. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und
rügt, dass das Landgericht unter Verstoß gegen seine Aufklärungs und Hinweispflichten
aus § 139 ZPO und unter Verkennung entscheidungserheblichen Vorbringens die
Anforderungen an die Substanziierungspflichten überspannt habe. Sie meint im
Übrigen, entsprechend ihren Möglichkeiten ausreichend zu dem durch die
Pflichtverletzungen eingetretenen Kursverlusten vorgetragen und Beweis angetreten zu
haben. Da das Landgericht nicht auf die vermeintlichen Defizite hingewiesen habe, sei
es ihr nicht verwehrt, dazu – wie geschehen – im Berufungsverfahren ergänzend
vorzutragen und Beweis anzubieten.
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Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie rügt verspäteten Vortrag
durch die Replik auf ihre Klageerwiderung und meint, dass der diese Replik vertiefende
Vortrag in der Berufungsbegründung neu und nicht zuzulassen sei, weil die
Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorlägen. Im Übrigen wiederholt und
vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie meint, der Ablauf der Widerrufsfrist sei
unerheblich. Bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verstoß gegen Vertragspflichten
sei eine im Voraus getroffene Haftungsbeschränkung gemäß Art. 100 OR (Schweizer
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Obligationenrecht) nichtig. Ferner ist sie der Ansicht, dass etwaige Ansprüche auf Ersatz
der Anlageverluste unabhängig von der Widerrufsfrist – teilweise verjährt gewesen
seien, bevor sie von der Klägerin mandatiert worden sei.
Der Senat hat zu dem Inhalt des am 15. November 2004 erfolgten Gesprächs die
Parteien gemäß § 141 ZPO angehört und die Zeugin N vernommen. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung der Parteien und der Vernehmung der Zeugin wird auf den
Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 28. Februar 2008 verwiesen.
13
B.
14
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Zwar hat das Landgericht, das
sowohl den zwischen den Parteien streitigen Inhalt und Umfang des Mandates, als auch
etwaige Pflichtverletzungen der Beklagten offengelassen hat, verfahrensfehlerhaft
hinreichenden Vortrag und Beweisantritt der Klägerin zur – gegebenenfalls nur durch
eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme zu klärenden
haftungsausfüllenden Kausalität vermisst (I.). Dennoch sieht der Senat davon ab,
entsprechend dem Antrag der Klägerin das Urteil gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
aufzuheben. Das Urteil beruht nicht auf diesem Verfahrensmangel. Das Landgericht hat
die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin gegen die Beklagte kein
Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Zahlung von 176.264,00 €
zusteht (II.).
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I. Das Landgericht hat in mehrfacher Hinsicht gegen die ihm gemäß § 139 ZPO
obliegenden Aufklärungs und Hinweispflichten zu den zwischen den Parteien streitigen
Fragen verstoßen, ob der Klägerin durch den verspäteten Widerspruch gegen die von
der D übersandten Jahresabschlüsse ein Vermögensnachteil erwachsen ist.
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1. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, es fehle zum einen trotz ausdrücklicher Rüge
der Beklagten – nicht nur an jedem substanziierten Sachvortrag zu einer
schadenskausalen Pflichtverletzung der Angestellten der D, sondern zum anderen auch
an einem Beweisangebot für die behauptete Weisung zur sicheren/konservativen
Geldanlage, zu der die Klägerin zudem die Vorlage der "sicher vorhandenen"
schriftlichen Unterlagen verweigert habe, rügt hier die Klägerin zu Recht, dass das
Landgericht unter Verstoß gegen § 139 ZPO die Anforderungen an die Darlegungs und
Konkretisierungslast der Klägerin überspannt, entscheidungserhebliches Vorbringen
nicht zur Kenntnis genommen und deshalb angebotenen und erforderlichen Beweis
nicht erhoben hat.
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a. Es trifft zwar zu, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in seiner Replik auf
die noch persönlich durch die Beklagte formulierte Klageerwiderung zunächst mit dem
Argument des Rechtsmissbrauchs die Vorlage "des" Anlagevertrages als zur Darlegung
der Schlüssigkeit entbehrlich bezeichnet und grundsätzlich verweigert hat. Dennoch hat
er aber am Schlusse ausdrücklich um einen richterlichen Hinweis gebeten, falls die
Kammer anderer Auffassung sein sollte. Ein solcher Hinweis ist aber entgegen der
Anordnung des § 139 Abs. 4 ZPO nicht und insbesondere nicht so frühzeitig erfolgt,
dass die Klägerin die Gelegenheit hatte, ihre Prozessführung auf diese Auffassung des
Landgerichts einzurichten und rechtzeitig – auch für eine Stellungnahme der Beklagten
für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag – etwa entsprechend ihrem
Vortrag im Berufungsverfahren (Bl. 259) zu ergänzen und die danach erforderlichen
Beweise anzutreten (vgl. dazu BGH in NJW-RR 2007, 412 [Rdn. 4] = MDR 2007, 353).
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Zumindest ist ein solcher Hinweis nicht – mit der Beweisregel des § 139 Abs. 4 S. 2
ZPO in den Akten dokumentiert. Ob er während der mündlichen Verhandlung erfolgt ist,
ergibt sich ebenfalls nicht aus dem Protokoll, das nur pauschal auf eine Erörterung der
Sach und Rechtslage verweist. Dies reicht zur Erfüllung der Anforderungen des § 139
Abs. 4 S. 1 ZPO nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine zwar nicht wörtliche, aber doch
den Inhalt des Hinweises konkretisierende Dokumentation (vgl. Zöller-Greger, 26. Aufl.,
ZPO § 139 Rdn. 13; sieh auch BGH in NJW 2006, 60 [62 zu bb.]; NJW-RR 2005, 1518
[zu II.1.]).
Ein solcher richterlicher Hinweis war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil schon
sowohl die Beklagte persönlich als auch ihre Prozessbevollmächtigten eine
unterlassene Vorlage des Anlagevertrages gerügt und insoweit die "Unschlüssigkeit"
der Behauptung einer Pflichtverletzung des Mitarbeiters der Bank geltend gemacht
haben. Nach § 139 Abs. 2 ZPO darf ein Gericht seine Entscheidung auf einen
Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat
oder den das Gericht anders beurteilt als eine Partei, nur stützen, wenn es darauf
hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Die Hinweispflicht dient
vor allem der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und besteht auch
gegenüber der anwaltlich vertretenen Partei, wenn der Prozessbevollmächtigte der
substanziierungspflichtigen Partei ersichtlich darauf vertraut, dass sein schriftlicher
Vortrag ausreicht (BGH in NJW-RR 2006, 524 [525 sub Rdn. 10,11]; NJW 2006, 60 [62
sub b.cc.]; NJW 2002, 3317 [unter II 2a]; NJW 1995, 399; NJW-RR 1994, 1085 [unter 3b];
BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Anwaltsprozess 3 m.w. Nachw.). Gerade wenn es die
Argumentation des Prozessbevollmächtigten als "haarsträubend" ansah, hatte das
Landgericht ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es – wie die Beklagte – eine
Pflichtverletzung des Bankangestellten als nicht ausreichend schlüssig vorgetragen
erachtete, wenn der Anlagevertrag nicht vorgelegt wurde, um den "ersichtlichen" Irrtum
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auszuräumen.
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Die Parteien sind kein bloßes Objekt des Verfahrens, sondern sie sollen vor einer
Entscheidung, die ihre Rechte betreffen, zu Wort kommen, um Einfluss auf das
Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfG in NJW 2007, 204 [205
sub IV.1.a. zum Strafverfahren]; BVerfG in NJW 2002, 1334 f.). Insoweit gewährleistet
der sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör den
Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden
Sachverhalt und auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG in NJW 2002, 1334 f.;
NJW-RR 2002, 69 f.; VIZ 1992, 401 [402]; NJW 1989, 3007 [3008]; NJW 1983, 2762
[2763]). Dies setzt aber voraus, dass der Betroffene von dem Sachverhalt, der verwertet
werden soll, und den vom Gericht auf dieser Grundlage beabsichtigten rechtlichen
Schlussfolgerungen Kenntnis erhält (BVerfGE 101, 397 [405] = NJW 2000, 1709).
Insoweit ist es im Rahmen des § 139 ZPO geboten, den Verfahrensbeteiligten auf eine
Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zu Grunde legen will,
damit sie bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen
vermögen, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Ein
solcher Hinweis ist nicht erfolgt.
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b. Die Auffassung des Landgerichts, dass der Inhalt der "Anlageanweisung" nicht allein
durch die von der Klägerin behaupteten und unter Beweis gestellten mündlichen
Anweisungen bei Abschluss des Vertrages schlüssig dargelegt werden konnte, sondern
auch die Vorlage schriftlicher Unterlagen, "die es sicher geben muss", erforderte, besitzt
weder eine zutreffende Rechts noch eine ausreichende Tatsachengrundlage. Ob mit
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den von der Klägerin benannten Zeugen der Beweis gelingen konnte, ist eine Frage der
Beweiswürdigung und nicht der Schlüssigkeit des Vortrages, dessen
Wahrscheinlichkeit für die Frage seiner Schlüssigkeit keine Bedeutung hat (vgl. BVerfG
in NJW 2003, 2976 [2977 zu 2.c.]; BGH in BeckRS 2007 01084 [Rdn. 9]; NJW-RR 2006,
993 [994 Rdn. 20]; NJW-RR 2003, 491; NJW-RR 1991, 888 [890 zu 2.b.]; NJW 1972,
249 [250 zu bb.]; NJW 1960, 1950 [1951 zu 2]).
Außerdem hat das Landgericht nicht zur Kenntnis genommen, dass dem mit Schriftsatz
vom 31. Juli 2007, der am 01. August 2007 beim Gericht eingegangenen war und im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 09. August 2007 bereits seit rd. einer
Woche vorlag, als Anlage K 21 (Bl. 148) vorgelegten Vertrag über die Errichtung eines
Kontos und Depots auch eine – wohl eher nur eine Vollmacht als einen
Geschäftsbesorgungsvertrag darstellende – Erklärung der Klägerin und ihres
Ehemannes vom 08. Juli 1994 (Bl. 150) beigefügt war, die die Bank zur Verfügung über
das Depot berechtigte. Dass und mit welchem Inhalt darüber hinaus noch ein
gesonderter Anlagevertrag mit einer ausdrücklich vereinbarten Anlagestrategie
abgeschlossen worden ist, ist so nicht behauptet worden. Zumindest wäre daher eine
Nachfrage geboten gewesen, ob und gegebenenfalls welche weiteren schriftlichen
Vereinbarungen über die Anlageart getroffen worden sind. Dann wäre aber die nunmehr
im Berufungsverfahren erfolgte Klarstellung, dass die Klägerin diese Unterlage als "den"
Anlagevertrag angesehen hat, schon in erster Instanz vorgenommen worden
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Wenn auch die Urkunde, die die D zur Verfügung über das Depot berechtigte, als solche
keine konkreten Einschränkungen der Anlagestrategie enthielt, sondern im Gegenteil
der Bank erlaubte, nach eigenem Gutdünken in ihrem Verständnis der bestmöglichen
Vertretung der Interessen der Klägerin und ihres Ehemannes zu handeln, so enthielt sie
doch die Möglichkeit des Widerrufs und damit auch die Möglichkeit einer von vornherein
anders lautenden mündlichen Weisung, die die Klägerin schlüssig behauptet und nach
ihrem Inhalt unter Beweis gestellt hat. Insoweit hat das Landgericht erheblichen Vortrag,
schlicht nicht zur Kenntnis genommen und den ausdrücklich für die mündlichen
Absprachen angebotenen Beweis übergangen. Dies stellt aber einen wesentlichen
Verfahrensfehler dar (vgl. BGH in BeckRS 2007 01776 [Rdn. 7]; NJW 2001, 1500 [1501
zu II.1.]; NJW 93, 538 ff; NJW 1990, 1500; NJW 1986, 2436; NJW 1984, 306 [307]).
23
2. Soweit das Landgericht schließlich eine ausreichende Substanziierung der
Schadensentwicklung vermisst hat; hat es auch diesbezüglich die Anforderungen an die
konkrete Darlegung der Schadensentwicklung durch die Klägerin völlig überspannt und
auch wesentlichen Vortrag übergangen. Die Klägerin besitzt keinerlei Börsenkenntnisse
und hatte keinen eigenen Einblick in den tatsächlichen Ablauf der Anlagegeschäfte.
Mangels eigener tatsächlicher und fachlicher Kenntnisse durfte sie ihre – angesichts der
außerordentlich hohen Wertdifferenzen zwischen den Depotauszügen zum
31. Dezember 1998 und zum 24. Oktober 2004 – auf einer gewissen tatsächlichen
Wahrscheinlichkeit beruhende und nicht ersichtlich ins Blaue hinein geäußerte
Vermutung in die Form einer bestimmten Behauptung – zum Verlust führende
Spekulationsgeschäfte – kleiden und unter Beweis stellen (vgl. zur entsprechenden
ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung: BGH in NJW 2007, 2043 [2044 Rdn. 15];
NJW-RR 2004, 337 [338 zu II.1.]; NJW 2000, 2812 [2813]; NJW-RR 1999, 361; NJW-RR
1997, 116). Von der Klägerin zu verlangen, jede einzelne Transaktion konkret als ein zu
einem bestimmten Verlust führendes, weisungswidriges Spekulationsgeschäft
darzulegen, überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast einer Partei bei
weitem. Dazu wäre die Klägerin allenfalls dann in der Lage gewesen, wenn sie zuvor
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ein entsprechendes fachkundiges Privatgutachten eingeholt hätte, wozu sie nicht
verpflichtet war (vgl. BGH in NJW-RR 2003, 69 [71], FamRZ 1993, 950 [951]). Dabei hat
das Landgericht zudem völlig außer Acht gelassen, dass sich die Klägerin nicht nur auf
den bloßen Vergleich zweier Abschlusssalden beschränkt, sondern schon mit
Schriftsatz vom 23. Februar 2007 (Bl. 76) auch eine konkrete "Transaktionsaufstellung"
der Sparkasse E (Bl. 109) vorgelegt hat, die Rückschlüsse über die spekulativen
Kontenbewegungen erlaubte. Da das Landgericht unter Verstoß gegen § 139 ZPO die
Klägerin weder nach Eingang der Klage, noch nach deren Ergänzung durch den
Schriftsatz vom 23. Februar 2007 auf eine von ihm (im Urteil) angenommene
Unschlüssigkeit der Klage in Bezug auf die Schadenshöhe hingewiesen hat, liegt nicht
nur ein Fehler der materiellen Rechtsanwendung bei der Prüfung der Schlüssigkeit vor,
sondern das Landgericht hat durch den unterlassenen Hinweis nach § 139 ZPO und die
unterlassene Beachtung entscheidungserheblichen Vortrages wiederum
verfahrensfehlerhaft den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs
verletzt.
3. Zur Klärung der streitigen Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität wäre eine
aufwändige Beweisaufnahme zu erwarten. Es steht nicht nur die Vernehmung der von
der Klägerin zur Frage der erteilten Anlageweisungen benannten Zeugen im Raume,
sondern auch die Vernehmung des von der Beklagten gegenbeweislich benannten
Mitarbeiters der D. Wenn sich dieser nicht mit einer Vernehmung in Deutschland
einverstanden erklärt, steht eine komplizierte Vernehmung im Rechtshilfeverfahren an.
Außerdem hängt die Beurteilung, wie ein gegen die D in der Schweiz geführter
Rechtsstreit "richtiger Weise" zu entscheiden gewesen wäre, davon ab, wie sich zum
einen die materielle Rechtslage nach dem schweizerischen Obligationenrecht (etwa
auch wegen der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede und der
Unwirksamkeit der "Haftungsbeschränkung" bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigen
Pflichtenverstoß) im allgemeinen und nach dem schweizerischen Bankenrecht unter
Berücksichtigung der Wirksamkeit und Geltung von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen im besonderen beurteilt, und wie sich das dazu erforderliche
Erkenntnisverfahren nach dem schweizerischen Prozessrecht gestaltet (Beweisführung,
Beweislastregeln). Da insoweit im vorliegenden Regressverfahren nicht etwa der
Beibringungsgrundsatz gilt, sondern sich das Regressgericht die entsprechenden
Rechtskenntnisse selbst beschaffen muss (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., § 293
Rdn. 14, 15; BGH in NJW-RR 2007, 574 [575 Rdn. 18]) steht deshalb auch noch die
Einholung von Rechtsgutachten in Frage. Schließlich kann sich auch noch die
Notwendigkeit zur Einholung eines Gutachtens über die Schadenshöhe ergeben.
25
II. All diesen aufklärungsbedürftigen Fragen zur haftungsausfüllenden Kausalität muss
jedoch nicht nachgegangen werden. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch schon dem Grunde nach nicht zu. Nach dem Ergebnis der
Anhörung der Parteien und der Vernehmung der Zeugin N vermag der Senat weder
festzustellen, dass die Beklagte umfassend beauftragt war (1.), etwaige
Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die D geltend zu machen, noch dass sie
im Rahmen des übernommenen Auftrages pflichtwidrig gehandelt hätte (2.).
26
1. Der Anwalt ist grundsätzlich nur innerhalb der Grenzen des erteilten Mandats,
welches das zu erreichende Ziel und somit die Maßnahmen bestimmt, die zur
Erreichung desselben zu treffen oder anzuraten sind (BGH NJW 1988, 1079; NJW 1993,
2045; NJW 1996, 2648), zu einer insoweit umfassenden Beratung und Betreuung des
Mandanten verpflichtet (vgl. BGH in NJW 2007, 2485 [2486 Rdn. 9, 10]; NJW-RR 2007,
27
569 [570 Rdn. 10]; NJW 2002, 1413 ff.; VIZ 1998, 571 [572]; NJW 1997, 2168 [2169];
Zugehör in "Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl., Rdn. 494; Fahrendorf in
Rinsche/Fahrendorf/Terbille, "Die Haftung des Rechtsanwalts", 7. Aufl. 2005, Rdn. 377).
Ob die Beklagte unbedingt und umfassend beauftragt war, Schadensersatzansprüche,
deren sich die Klägerin gegenüber der D berühmt, geltend zu machen ist zwischen den
Parteien streitig. Den ihr insoweit obliegenden Beweis hat die Klägerin nicht erbracht.
a. Ob einem Anwalt ein unbeschränktes Mandat zur umfassenden Wahrnehmung der
Interessen seines Mandanten erteilt worden ist, hat grundsätzlich der Mandant
darzulegen und zu beweisen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein Auftraggeber
einem Anwalt in der Regel ein unbeschränktes Mandat erteilt (Zugehör, a.a.O.,
Rdn. 505; BGH in NJW 2006, 3496 [sub Rdn. 7]; NJW 1997, 2168 [2169]; NJW 1996,
2929 [2931]; siehe auch Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 395 ff.). Zwar weiß der nicht
fachkundige Mandant in der Regel nicht, wie eine Angelegenheit umfassend in seinem
Interesse geregelt werden kann, und begibt sich gerade deswegen in die Beratung
eines Fachmannes. Deshalb trifft den Anwalt auch zunächst einmal die grundlegende
Pflicht, das Rechtschutzziel des Auftraggebers sorgfältig abzuklären (vgl. Zugehör,
a.a.O., Rdn. 507 ff.; Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 433, 434; BGH in NJW 2002, 1413) und ihn
aufgrund des geschilderten Sachverhaltes und vorliegender sonstiger
Erkenntnisquellen so umfassend zu belehren, dass dieser eine eigenverantwortliche
Entscheidung zu treffen vermag (vgl. BGH NJW 2002, 292; BGH NJW – RR 2000, 791;
BGH NJW – RR 1999, 641 [642]; NJW 1996, 2648 [2649]; NJW 1995, 449 [450]; NJW
1992, 1159 [1160]; Zugehör, a.a.O.; Rdn. 558; Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 509). Nur wenn
dann der Mandant nicht ausdrücklich erklärt, dass er der fachlichen Hilfe des Anwaltes
nur in einer bestimmten Art, Richtung und Reichweite bedarf, kann grundsätzlich von
einem umfassenden und unbeschränkten Mandat ausgegangen werden (vgl. Sieg in
"Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl.; Rdn. 43 ff.).
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Insoweit hat die Beklagte aber zunächst einmal in sich stimmig und nachvollziehbar
behauptet, dass die Klägerin am 15. November 2004 ohne jegliche Unterlagen in ihrer
Kanzlei erschienen sei, lediglich ungeordnet und pauschal von einer Geldanlage in der
Schweiz und deren Veruntreuung durch einen Bankangestellten gesprochen habe und
nur allgemein über die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Bank, vordringlich
aber über die Gefahr eines Steuerstrafverfahrens bei der Verfolgung solcher Ansprüche
aufgeklärt werden wollte. Nach Hinweis auf die mangels prüfbarer Urkunden (noch)
nicht mögliche rechtliche Prüfung und die durch eine solche voraussichtlich anfallenden
hohen Gebühren habe die Klägerin sich die Sache noch einmal überlegen und dann
melden wollen. Dies sei gemäß einem von einer Mitarbeiterin gefertigten Vermerk dann
erst auf die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung beschränkt
telefonisch am 09. Dezember 2004 erfolgt. Dann seien auch erst die Unterlagen
eingereicht worden. Dies stellt eine ausreichende Darlegung eines überschlägigen
Erstberatungsmandates auf – hingewiesener – unzureichender Sachverhaltsgrundlage
dar, die der Klägerin den vollen Beweis für das von ihr – allerdings ebenso in sich
stimmig – behauptete umfassende und unbeschränkte Mandat zur Geltendmachung von
Ansprüchen gegen die D auferlegt.
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b. Dieser Beweis ist der Klägerin nicht gelungen. Zwar hat die Zeugin N in vollem
Umfang die Angaben ihrer Mutter bestätigt, dass der Beklagten schon am 15. November
2004 sämtliche von der D am 08. November 2004 übersandten Unterlagen
ausgehändigt worden sind und diese etwas unternehmen sollte und wollte, weil die
Klägerin nicht verstand, dass nach den Kontenauszügen zum Schluss weniger Geld
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vorhanden war, als es angelegt worden war. Sie hat ferner bekundet, dass der
Beklagten die bestehende Rechtsschutzversicherung mitgeteilt worden sei, an die sich
die Beklagte wegen ihrer Bezahlung wenden sollte. Dass dies zunächst nicht
geschehen solle, davon sei keine Rede gewesen. Sie habe auch später nicht bei der
Beklagten angerufen und nachträglich für ihre Mutter die Weisung erteilt, nunmehr doch
die Deckungsschutzzusage der Rechtsschutzversicherung einzuholen. Dem stehen
aber die abweichenden und bei ihrer Anhörung durch den Senat ergänzten Angaben
der Beklagten zum Inhalt und Ablauf des Vier-AugenGesprächs vom 15. November
2004 entgegen, denen im Rahmen der gemäß § 286 ZPO erforderlichen
Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlung und der Beweisaufnahme
grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie der Aussage der Zeugin beizumessen ist (vgl.
Zöller-Greger, 26. Aufl., ZPO § 448 Rdn. 2a; Lange, Parteianhörung und
Parteivernehmung, NJW 2002, 476 ff.; Noethen in NJW 2008, 334; BGH in NJW-RR
2006, 61 [63 sub b.]; NJW-RR 2003, 1212 [1213 sub 3.a.]; NJW 1999, 363 [364], NJW
1998, 306 ff.; NJW-RR 1990, 1061 ff.; BVerfG in NJW 2001, 2531 f.).
Hinsichtlich der persönlichen Glaubwürdigkeit der Zeugin N ist zu berücksichtigen, dass
sie als Tochter der Klägerin keine unbeteiligte Dritte ist, sondern als so nahe
Familienangehörige nicht nur wegen der engen persönlichen Bindung, sondern auch
wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Familie ein eigenes
Interesse am Ausgang des Rechtsstreites besitzt, das den Inhalt ihrer Aussage
beeinflussen könnte. Die Zeugin zeigte sich denn auch auf die Frage des Senates, ob
die Rechtsschutzversicherung zunächst nicht in Anspruch genommen werden sollte, bei
dem lauten Zuruf ihrer Mutter ("Nein") deutlich verunsichert.
31
Zu dem entscheidungserheblichen Kern des vorliegenden Rechtsstreites, ob die
Beklagte schon ein unbedingtes und umfassendes Mandat zur Wahrnehmung der
Interessen der Mutter der Zeugin übernommen hat, kann ihre Aussage keine größere
sachliche Glaubhaftigkeit beanspruchen als die Darstellung der Beklagten zum
streitigen Inhalt und Ablauf des Gesprächs. Es ist zwar nachvollziehbar und
grundsätzlich lebensnah, wenn sich die Mutter der Klägerin wegen der ihr aus den von
der D übersandten Unterlagen unverständlichen großen Diskrepanz zwischen dem
eingezahlten Geld und dem Wert des Depots zum 24. Oktober 2004 an die Beklagte
wandte und angesichts des durch eine Rechtsschutzversicherung grundsätzlich
abgedeckten Kostenrisikos diese mit einer umfassenden Wahrung ihrer Rechte
beauftragen wollte und sie nach der Aussage der Zeugin auch beauftragt hat. Ebenso
nachvollziehbar und lebensnah wäre es dann aber auch gewesen, wenn sich die
Beklagte sofort an die Ausführung eines für sie lukrativen Mandates begeben hätte.
Warum dies nicht geschehen ist, hat die Beklagte aber ebenso nachvollziehbar und
grundsätzlich lebensnah, sowie durch den damals auf den Mandantenbogen wegen der
Rechtsschutzversicherung gesetzten Vermerk "zunächst nicht in Anspruch nehmen"
belegt geschildert: Die Klägerin habe einerseits das kostenträchtige Verfahren nur nach
einer Deckungszusage ihrer Rechtsschutzversicherung betreiben wollen, andererseits
aber befürchtet, dass von dort Meldungen an die Steuerbehörden erfolgen und diese ein
Verfahren wegen Steuerhinterziehungen einleiten könnten. Aus diesem Grunde habe
sich die Klägerin die Angelegenheit noch einmal überlegen und sich später wieder
melden wollen. Ob und inwieweit diese Befürchtungen berechtigt waren, mag dahin
stehen. Sie hatten aber einen realen Hintergrund: Wie dem Senat aus anderen
Berufungsverfahren bekannt ist, befassten sich gerade in der hier fraglichen Zeit
Presseberichte mit der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die aufgrund der ihr
zugespielten "Batliner-CD" umfangreiche Ermittlungsverfahren wegen
32
Steuerhinterziehungen durch Geldanlagen im Ausland betrieb.
Die von der Beklagten im Rahmen ihrer Anhörung durch den Senat wiederholte und
vertiefte schriftsätzliche Darstellung des Inhaltes des Gesprächs wird nicht dadurch
entkräftet, dass sich in anderen Punkten Zweifel an der Richtigkeit ihrer Darstellung
ergeben. Soweit sie bestritten hat, dass die Zeugin N ihre Mutter am 15. November 2004
begleitet und an dem Gespräch teilgenommen hat, hat sie selbst im Berufungsverfahren
einen möglichen Irrtum eingeräumt. Auch ihre Behauptung, die Klägerin habe bei dem
Gespräch noch keine Unterlagen der D vorgelegt und übergeben, steht in Widerspruch
zu ihrem Eingangsstempel vom 15. November 2004 auf einem von der Klägerin
vorgelegten Informationsschreiben der D. Ihr Erklärungsversuch, das Schreiben könnte
ihr von anderer Seite zugesandt und dann versehentlich zu den später eingereichten
Unterlagen der Klägerin hinzugelegt worden sein, überzeugt nicht sonderlich. Beide
Punkte berühren aber zum einen nicht die entscheidungserhebliche Frage, ob die
Klägerin einen unbedingten und umfassenden Auftrag schon erteilt hat oder sich die
Angelegenheit noch einmal überlegen wollte. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass
die Beklagte erst etwa zwei Jahre nach dem einzigen in dieser Angelegenheit geführten
Gespräch vom 15. November 2004 erstmals wieder aufgrund der Regressanmeldung
der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 26. September 2006 mit
den damaligen Vorgängen befasst war, an die sie aufgrund der Überlagerung durch
zwischenzeitliche andere Mandate verständlicherweise keine jede Einzelheit
betreffende Erinnerungen mehr besaß und diese anhand nur spärlich vorhandener
Unterlagen rekonstruieren musste. Insoweit entspricht es aber richterlicher Erfahrung,
dass Parteien ebenso wie auch Zeugen dazu neigen, etwas nicht Erinnertes als
tatsächlich nicht geschehen darzustellen, insbesondere wenn es wenig einprägsame
Randerscheinungen betrifft. Dass sich die Beklagte nicht mehr an die Zeugin und eine
am 15. November 2004 erfolgte Übergabe der Unterlagen, die sie nach Darstellung der
Klägerin und Aussage der Zeugin nur flüchtig durchgeblättert hat, erinnern konnte und
die Übergabe der Unterlagen mit ihrer Auswertung für das Mitte Dezember 2004
verfasste Anschreiben an die Rechtsschutzversicherung verband, verwundert nicht
sonderlich. Diese Nachlässigkeit im Erinnerungsvermögen und Aussageverhalten lässt
aber keinen Rückschluss darauf zu, dass die Beklagte etwa den Vermerk auf den
Mandantenbogen erst nach der Regressanmeldung verfasst hat, sich bewusst
wahrheitswidrig die Befürchtungen der Klägerin ausgedacht hat, möglicherweise wegen
einer Steuerhinterziehung strafrechtlich verfolgt zu werden, um ein Motiv für eine von der
Klägerin gewählte Bedenkzeit zu erfinden, sowie schließlich noch ihre Mitarbeiterin zur
Fertigung eines falschen Telefonvermerkes bewogen hat. Ein solches auf einen
vorsätzlichen Prozessbetrug hinauslaufendes Verhalten mag zwar generell auch bei
einem Anwalt nicht auszuschließen sein. Der Senat hat aber keinen Anlass, der
Beklagten eine solche kriminelle Energie zur Abwehr eines Schadensersatzanspruches
zu unterstellen, der einerseits auch im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität für
die Klägerin hohe Hürden aufwarf und andererseits für die Beklagte wegen ihrer
Berufshaftpflichtversicherung in den wirtschaftlichen Folgen tragbar war. Insoweit ist im
Gegenzug auch zu bedenken, dass einerseits das vorliegend berührte wirtschaftliche
Interesse für die Klägerin und ihre Familie unweit höher war und dies andererseits die
Neigung fördern konnte, bei der Klägerin und der Zeugin wegen des Zeitablaufs
vorhandene Erinnerungslücken mit der unbewussten Vorstellung, dass nicht sein kann,
was nicht sein darf, zu schließen.
33
Insgesamt vermag der Senat aufgrund der Aussage der Zeugin N keine vernünftigen
Zweifeln Schweigen gebietende Überzeugung (siehe zu diesem Beweismaß BGH in
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NJW-RR 2008, 119 [Rdn. 13]; NJW 2004, 777 [778 sub II.1.c.]; NJW 2003, 1116 [1117];
NJW 1998, 2969 [2971 sub II.2.a.]) davon zu gewinnen, dass die Darstellung der
Beklagten in ihrem entscheidungserheblichen Kern falsch und durch das Ergebnis der
Beweisaufnahme widerlegt ist.
2. Im Rahmen der von ihr eingeräumten Erstberatung und der erst auf spätere Weisung
der Klägerin einzuholenden Deckungsschutzzusage der Rechtsschutzversicherung sind
der Beklagten keine Pflichtverletzungen anzulasten. Mit der nach den
Depotbedingungen einzuhaltenden kurzen Widerspruchsfrist musste sich die Beklagte
bei der Erstberatung der Klägerin am 15. November 2004 nur befassen, wenn sich für
sie aus den erteilten Informationen entsprechende Anhaltspunkte für solche Einwände
ergaben (vgl. BGH in NJW 2006, 501 [503 zu bb.(2)]). Dass sich schon aus der
Sachverhaltsschilderung der Klägerin Hinweise auf die Widerspruchsfrist ergaben, hat
diese weder behauptet, noch ist dies sonst ersichtlich. Diese Hinweise fanden sich erst
in den überreichten Unterlagen. Da deren eingehendes Studium bereits in vollem
Umfang mindestens eine 1,3 Geschäftsgebühr nach VV 2300 RVG ausgelöst hätte, die
Klägerin sich aber Bedenkzeit für eine noch zu erteilende Weisung erbeten hatte, die
Angelegenheit nach Einholung der Deckungsschutzzusage zu betreiben, war die
Beklagte nicht einmal zu dem von der Klägerin und ihrer Tochter geschilderten
flüchtigen Durchblättern verpflichtet. Dass schon bei einem solchen flüchtigen Blättern
die Depotbedingungen ins Auge sprangen und von der Beklagten nicht übersehen
werden konnten, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich. Nur in einem solchen Fall einer
für die Beklagte ohne jegliche weitere Sachverhaltsaufklärung und Rechtsprüfung
offenkundigen Gefahr, die die Klägerin erkennbar nicht bedachte, wäre die Beklagte
aber auch außerhalb des ihr übertragenen Mandates verpflichtet gewesen, die Klägerin
zu warnen und auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns hinzuweisen (vgl. insoweit
Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 600 m.w.N.).
35
Nachdem die Beklagte aber nach ihrer unwiderlegten Darstellung erst am 09. Dezember
2004 die Weisung erhalten hatte, die Deckungsschutzzusage der
Rechtsschutzversicherung einzuholen, und nach Abschluss der ihr zuzubilligenden
Einarbeitungszeit in die überreichten Unterlagen hätte erkennen können, dass es
zumindest zur Wahrung des Gebotes des sichersten Weges erforderlich gewesen war,
den der Klägerin am 08. November 2004 zugestellten Depotauszügen innerhalb der in
den Depotbedingungen enthaltenen Frist von 1 Monat zu widersprechen, war diese Frist
bereits abgelaufen und konnte von der Beklagten nicht mehr gewahrt werden. Soweit
sie dennoch von der Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage gefordert und die
Klägerin nicht auf die längst abgelaufene Frist hingewiesen hat, hat dies nicht den von
der Klägerin geltend gemachten Verlust des Anspruchs auf Schadensersatz wegen
einer weisungswidrigen, eigenmächtigen Änderung der Anlagestrategie bewirkt.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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IV. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Abwendungsbefugnis ergeben sich aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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V. Die Voraussetzungen der Zulassung einer Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die der Senat auf der
Grundlage weitgehend vertretener und anerkannter Auffassungen in Rechtsprechung
und Literatur getroffen hat. Die Rechtssache besitzt so weder grundsätzliche Bedeutung,
noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder
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Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.