Urteil des OLG Hamm vom 16.12.2010

OLG Hamm (gesellschaft, bestellung, aufsichtsrat, ablauf der frist, arbeitnehmervertreter, subjektives recht, beschwerde, gegenstand des verfahrens, ergänzung, rechtsstellung)

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 538/10
Datum:
16.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 538/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bad Oeynhausen, HRB 6771 Bad Oeynhausen
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 3) wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) werden zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 2) bis 5) haben als Teilschuldner zu je 1/4 die der
betroffenen Gesellschaft im Beschwerdeverfahren entstandenen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 €
festge-setzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Gegenstand des Verfahrens ist die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der F AG in
F2. Die Gesellschaft ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Sie ist mit dem
Unternehmensgegenstand Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Werkstoffen aller
Art sowie Herstellung und Vertrieb von elektrotechnischen und sonstigen
Industrieerzeugnissen im Handelsregister des Amtsgerichts Bad Oeynhausen zu HRB
6771 eingetragen.
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Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus sechs Mitgliedern, von denen vier von der
Hauptversammlung gewählt werden. Zwei Mitglieder des Aufsichtsrats werden von den
Arbeitnehmern gewählt (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 DrittelbG). Die Bestellung der
Aufsichtsratsmitglieder erfolgt gemäß § 11 Ziff. 2 der Satzung für die Zeit bis zur
Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des Aufsichtsrats für das
vierte Geschäftsjahr (Kalenderjahr) nach Beginn der Amtszeit entscheidet. Das
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Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. § 11 Ziff. 4 der
Satzung sieht vor, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Amt durch eine an den
Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder an den Vorstand zu richtende schriftliche Erklärung
ohne Angabe von Gründen unter Einhaltung einer Frist von einem Monat niederlegen
können.
Zuletzt hatte der Aufsichtsrat der Gesellschaft folgende Struktur: Durch
Hauptversammlungsbeschluss vom 21.06.2005 wurden Dr. I (Aufsichtsratsvorsitzender)
und K I2 in den Aufsichtsrat bestellt. Der Beteiligte zu 2) wurde durch Beschluss des
Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 29.01.2009 zum Mitglied des Aufsichtsrats bestellt,
nachdem das Aufsichtsratsmitglied Dr. I2 sein Amt fristgemäß zum 30.09.2008
niedergelegt hatte. Weiteres gewähltes Aufsichtsratsmitglied ist H Q, der durch
Hauptversammlungsbeschluss vom 01.07.2009 in den Aufsichtsrat bestellt wurde. In
dieser Hauptversammlung wurde auch der Beteiligte zu 2) im Anschluss an seine
gerichtliche Bestellung in den Aufsichtsrat der Gesellschaft gewählt. Auf Seiten der
Arbeitnehmervertreter waren letztmalig aufgrund Wahl der Arbeitnehmer am 20.05.2005
Mitglieder des Aufsichtsrats S T und E X. Dessen Eratzmitglied war B X1, der nach dem
Ausscheiden des Aufsichtsratsmitglieds X zum 31.03.2007 in den Aufsichtsrat
nachrückte. Am 07.06.2010 wurde der Arbeitnehmervertreter X1 erneut in den
Aufsichtsrat gewählt. Der Arbeitnehmervertreter T wurde nicht wiedergewählt.
Stattdessen wurde T I1 in den Aufsichtsrat gewählt. Ein Beschluss der
Hauptversammlung über die Entlastung der bisherigen Arbeitnehmervertreter ist noch
nicht gefasst worden.
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Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 15.09.2010 beantragte die
Beteiligte zu 4), die Aktionärin der Gesellschaft ist, die gerichtliche Ergänzung des
Aufsichtsrats nach § 104 Abs. 1 AktG. Denn die Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 seien
mit Ablauf ihrer Amtszeit zum 31.08.2010 aus dem Aufsichtsrat ausgeschieden. Sie
beantragte, den Wertpapierhändler G T1 und den Rechtsanwalt M als Aufsichtsräte der
Gesellschaft gerichtlich zu bestellen. Unter dem 21.09.2010 beantragte die Beteiligte zu
4) den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Begehren, dass sich Dr. I und I2
nicht als Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft gerieren sollten. Dem trat das
Aufsichtsratsmitglied Q im Wege der Nebenintervention bei. Der Beteiligte zu 3),
Aktionär der Gesellschaft, vertrat mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom
16.09.2010 ebenfalls die Ansicht, dass die Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 mit Ablauf
ihrer Amtszeit zum 31.08.2010 aus dem Aufsichtsrat ausgeschieden seien.
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In dem bei dem Landgericht C3, Kammer für Handelssachen, anhängigen einstweiligen
Verfügungsverfahren (12 O 145/10) erklärten Dr. I und I2 am 27.09.2010, dass sie die für
den 28.09.2010 anberaumte Hauptversammlung der Gesellschaft nicht leiten werden
und bis zur Neuwahl eines Aufsichtsrats an keiner Aufsichtsratssitzung teilnehmen
werden. Daraufhin erklärte die Beteiligte zu 4) das Verfahren in der Hauptsache für
erledigt.
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Am 28.09.2010 fand die vorgenannte ordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft
statt, in der nach dem Inhalt der Einladung vom 18.08.2010 zu TOP 5 die Neuwahl zum
Aufsichtsrat vorgesehen war. An der Hauptversammlung nahmen das
Aufsichtsratsmitglied Q und der Beteiligte zu 2) sowie der Vorstand und eine nicht näher
festgestellte Anzahl von Aktionären und Aktionärsvertretern teil. Die
Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 nahmen im Hinblick auf das vorgenannte
einstweilige Verfügungsverfahren an der Versammlung nicht teil. Ferner lagen
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schriftliche Erklärungen der Arbeitnehmervertreter X1, I1 und T vom 28.09.2010 vor,
nach denen diese wegen rechtlicher Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat an
der Hauptversammlung nicht als Aufsichtsratsmitglieder teilnehmen und in dieser
Funktion keine Erklärungen abgeben. Der Beteiligte zu 2) ließ sich daraufhin mit der
Stimme des Aufsichtsratsmitglieds Q zum Versammlungsleiter wählen. Der
beurkundende Notar wies im Hinblick auf § 108 AktG auf Bedenken gegen die
Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats (§ 15 der Satzung) hin. Nachdem der Beteiligte zu
2) auf seiner Wahl zum Versammlungsleiter bestand und eine Einigung nicht erzielt
werden konnte, wurde die Hauptversammlung ohne Beschlussfassung durch den
Vorstand beendet.
Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 29.09.2010 beantragte der
Beteiligte zu 1), die bisherigen Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 sowie die
Arbeitnehmervertreter X1 und I1 als Aufsichtsräte der Gesellschaft gerichtlich zu
bestellen. Denn nach der Rechtsauffassung der Beteiligten zu 3) und 4) seien die
Aufsichtsräte Dr. I und I2 bereits mit Ablauf des 31.08.2010 aus dem Aufsichtsrat
ausgeschieden. Auch bestehe Unklarheit über die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat,
da nicht eindeutig sei, wann die Amtszeit der zuletzt gewählten Arbeitnehmervertreter
X1 und I1 beginne sowie ob und wann der Arbeitnehmervertreter Scheiding aus dem
Aufsichtsrat ausgeschieden sei. Der Aufsichtsrat sei deshalb nach § 104 Abs. 2 S. 1
AktG gerichtlich zu ergänzen. Es liege ein dringlicher Fall im Sinne von § 104 Abs. 2 S.
2 AktG vor, da eine neue Hauptversammlung der Gesellschaft einberufen und ein
Aufsichtsratsvorsitzender bestellt werden müsse. Der Aufsichtsrat habe dringend über
die Bestellung eines Abschlussprüfers zu entscheiden, um eine ordnungsgemäße
Durchführung der Abschlussprüfung zu gewährleisten. Ferner bedürfe das operative
Geschäft der Gesellschaft aufgrund der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter
Rechtsgeschäfte eines beschlussfähigen Aufsichtsrats. Schließlich sei auch im Hinblick
auf die derzeitige krisenhafte Situation eine gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats
dringend erforderlich, um weiteren Imageschaden von der Gesellschaft abzuwenden.
Die von der Beteiligten zu 4) in ihrem Antrag vom 15.09.2010 vorgeschlagenen
Personen seien aufgrund eines drohenden Interessenkonflikts nicht geeignet, Ämter im
Aufsichtsrat der Gesellschaft wahrzunehmen.
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Der Beteiligte zu 2) beantragte mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom
01.10.2010 bei dem Landgericht C3, Kammer für Handelssachen, den Erlass einer
einstweiligen Verfügung mit dem Begehren, dass den gewählten Arbeitnehmervertretern
X1 und I1 es untersagt wird, die Mitwirkung an den Beschlussfassungen des
Aufsichtsrats zu verweigern, insbesondere zu ordnungsgemäß einberufenen Sitzungen
des Aufsichtsrats nicht zu erscheinen und zu behaupten, nicht Mitglieder des
Aufsichtsrats zu sein.
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Die Beteiligte zu 5), die Aktionärin der Gesellschaft ist, beantragte mit Schriftsatz vom
05.10.2010, ihr Vorstandsmitglied Rechtsanwältin L in den Aufsichtsrat der Gesellschaft
gerichtlich zu bestellen.
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Die Beteiligten zu 2) bis 4) traten dem Antrag mit Schriftsätzen ihrer
Verfahrenbevollmächtigten vom 05., 08. und 09.10.2010 im Wesentlichen mit der
Begründung entgegen, eine lediglich rechtliche Unsicherheit über die Besetzung des
Aufsichtsrats rechtfertige eine gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats nicht. Im
Übrigen sei die wirksame Bestellung der Arbeitnehmervertreter X1 und I1 nicht in
Zweifel zu ziehen. Danach sei der Aufsichtsrat mit Dr. E2, Q, X1 und I1 beschlussfähig
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besetzt, so dass eine Ergänzung nach § 104 Abs. 1 AktG nicht in Betracht komme. Nach
§ 104 Abs. 2 AktG könne eine gerichtliche Bestellung nicht erfolgen, da die
Dreimonatsfrist (Satz 1) nicht abgelaufen und ein dringlicher Fall (Satz 2) nicht gegeben
sei, zumal der Vorstand die ordnungsgemäße Neubestellung von Mitgliedern des
Aufsichtsrats in der Hauptversammlung am 28.09.2010 treuwidrig verhindert habe.
Durch Beschluss vom 11.10.2010 bestellte das Amtsgericht die bisherigen
Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 sowie die Arbeitnehmervertreter X1 und I1
entsprechend dem Antrag des Beteiligten zu 1) als Aufsichtsräte der Gesellschaft. Die
Anträge der Beteiligten zu 4) vom 15.09.2010 sowie der Beteiligten zu 5) vom
05.10.2010 wies das Amtsgericht zurück. Ferner ordnete das Amtsgericht an, dass dem
Beteiligten zu 2) die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Aufwendungen des
Beteiligten zu 1) zur Last fallen und im Übrigen eine Kostenerstattung nicht stattfinde.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom
12.10.2010, der zur Begründung ausführt, dass die von dem Amtsgericht
herangezogene Vorschrift des § 104 Abs. 3 AktG hier nicht einschlägig sei. Aber auch
die Voraussetzungen des § 104 Abs. 2 AktG seien nicht gegeben. Die
Arbeitnehmervertreter X1 und I1 seien zweifelsfrei Mitglieder des Aufsichtsrats der
Gesellschaft, der Arbeitnehmervertreter X1 überdies schon im Hinblick auf seine
bisherige Mitgliedschaft im Aufsichtsrat. Für eine gerichtliche Bestellung der
Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat sei daher von vorneherein kein Raum.
Hinsichtlich der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 fehle es an der
Dringlichkeit einer gerichtlichen Bestellung vor Ablauf der dreimonatigen Frist des § 104
Abs. 2 S. 1 AktG. Insbesondere ermögliche die Vorschrift keine klarstellende
gerichtliche Entscheidung über die Besetzung des Aufsichtsrats; etwaige Zweifel seien
im Rahmen eines Statusverfahrens nach § 98 AktG zu klären. Die Beschlussfähigkeit
des Aufsichtsrats sei gewahrt. Die hierzu erforderliche Teilnahme der
Arbeitnehmervertreter X1 und I1 an den Sitzungen und Beschlüssen des Aufsichtsrats
sei Gegenstand des vorgenannten, bei dem Landgericht C3 (12 O 153/10) anhängigen
einstweiligen Verfügungsverfahrens. Ihm, dem Beteiligten zu 2), seien zu Unrecht die
Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auferlegt worden, weil sein Verhalten in der
Hauptversammlung vom 28.09.2010 Gesetz und Satzung entsprochen habe.
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Durch Beschluss vom 13.10.2010 hat das Amtsgericht der Beschwerde des Beteiligten
zu 2) nicht abgeholfen.
15
Ebenfalls gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11.10.2010 wendet sich die
Beteiligte zu 4) mit ihrer Beschwerde vom 14.10.2010. Sie hält an ihrer
Rechtsauffassung fest und stimmt in der Sache im Wesentlichen mit dem Vorbringen
des Beteiligten zu 2) überein. Dem tritt auch der Beteiligte zu 3) mit seiner Beschwerde
vom 19.10.2010 bei.
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Die Beteiligte zu 5) begehrt mit ihrer Beschwerde vom 17.10.2010 die gerichtliche
Bestellung der von ihr vorgeschlagenen Rechtsanwältin L in den Aufsichtsrat. Im
Übrigen tritt sie dem Vorbringen des Beteiligten zu 2) im Wesentlichen bei. Eine
Veranlassung zu einer gerichtlichen Bestellung der Arbeitnehmervertreter habe nicht
bestanden. Die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 vor Ablauf der
Dreimonatsfrist des § 104 Abs. 2 S. 1 AktG sei nicht gerechtfertigt, da eine besondere
Dringlichkeit nicht geben sei.
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Der Beteiligte zu 1) verteidigt den angefochtenen Beschluss und beantragt die
Zurückweisung der Rechtsmittel.
18
Das Amtsgericht hat der Beschwerde des Beteiligten zu 3) durch Beschluss vom
21.10.2010 nicht abgeholfen. Durch Beschluss vom 05.11.2010 hat es auch den
Beschwerden der Beteiligten zu 4) und zu 5) nicht abgeholfen.
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Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 08.12.2010 hat der Beteiligte zu
2) die Rücknahme der gestellten Anträge erklärt.
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II.
21
Das Verfahren zur Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG zur
Wiederherstellung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats oder zur Ergänzung des
Aufsichtsrats auf seinen vollen gesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestand ist ein
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – unternehmensrechtliches Verfahren – nach
den §§ 375 Nr. 3, 376 f. FamFG. Es kommen deshalb die allgemeinen
Rechtsmittelvorschriften der §§ 58 ff. FamFG zur Anwendung. Gegen die gerichtliche
Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 104
Abs. 1 S. 5, Abs. 2 S. 4 AktG die Beschwerde statthaft. Der erforderliche
Beschwerdewert in der hier vorliegenden vermögensrechtlichen Angelegenheit (§ 61
Abs. 1 FamFG) ist nach dem erkennbaren wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten zu
3) bis 5) erreicht. Die Beschwerden sind frist- und formgerecht gemäß §§ 63 Abs. 1, 64
FamFG eingelegt.
22
1.
23
Die Beschwerde des Beteiligten zu 3) ist jedoch unzulässig, weil es an der
erforderlichen Beschwerdeberechtigung (§ 59 Abs. 1 FamFG) fehlt.
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Die Beschwerde steht nach § 59 Abs. 1 FamFG demjenigen zu, der durch den
angefochtenen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Zulässigkeit der
Beschwerde setzt daher auch im unternehmensrechtlichen Verfahren voraus, dass der
Rechtsmittelführer in diesem Sinne durch die angefochtene Entscheidung materiell
beschwert ist. Beschwerdeberechtigt ist danach, wer durch die Entscheidung in seiner
Rechtsstellung unmittelbar (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) nachteilig betroffen ist und deshalb
ein rechtliches Interesse an ihrer Beseitigung hat (vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 865;
NJW 1997, 1855; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 59, Rdnr. 9).
25
Durch die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist der Beteiligte zu 3)
grundsätzlich im vorgenannten Sinne in seiner materiellen Rechtsstellung betroffen.
Denn dem einzelnen Aktionär der Gesellschaft steht gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 AktG ein
auf die Ergänzung des Aufsichtsrats gerichtetes Antragsrecht zu. Die Bestellung einer
Person in den Aufsichtsrat durch das Gericht betrifft den antragsberechtigten Aktionär
der Gesellschaft (OLG Schleswig FGPrax 2004, 244 = BB 2004, 1187; Keidel/Meyer-
Holz, a.a.O., Rdnr. 88) daher in dieser ihm gesetzlich zugewiesenen Rechtsstellung.
Eine die Rechtsbeeinträchtigung begründende materielle Beschwer setzt darüber
hinausgehend jedoch einen unmittelbar nachteiligen Eingriff voraus. Der
Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung muss deshalb das Recht des
Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder
gefährden, die Ausübung des Rechts stören oder dem Beschwerdeführer eine mögliche
26
Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren (BGH, a.a.O.;
Keidel/Meyer-Holz, a.a.O., Rdnr. 9 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Der Beteiligte zu 3) beanstandet nicht, dass der Aufsichtsrat der betroffenen
Gesellschaft nicht im Sinne von § 104 Abs. 2 S. 1 AktG unterbesetzt ist. Denn auch nach
seinem Vorbringen sind die Aufsichtsräte Dr. I und I2 mit Ablauf des 31.08.2010 aus
dem Aufsichtsrat ausgeschieden. In der Sache wendet sich der Beteiligte und 3) in
diesem Zusammenhang nicht gegen die mit dem angefochtenen Beschluss
angeordnete Rechtsfolge. Seine in dem Antragsrecht nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG
begründete Rechtsstellung wird insoweit nicht beeinträchtigt, denn dem Grunde nach ist
der Aufsichtsrat wegen seiner nicht gesetz- und satzungsmäßigen Besetzung auch nach
Ansicht des Beteiligten zu 3) gerichtlich zu ergänzen.
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Eine Rechtsbeeinträchtigung ist nicht mit der Einwendung gegeben, dass die
Arbeitnehmervertreter X1 und I1 bereits wirksam bestellte Aufsichtsratsmitglieder sind
und deshalb eine gerichtliche Bestellung nicht erforderlich war. Denn der für die Frage
der materiellen Beschwer maßgebliche Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen
Entscheidung enthält keinen unmittelbar nachteiligen Eingriff in eine etwaige
schutzwürdige Rechtsposition. Rechtsfolge des angefochtenen Beschlusses ist die
Bestellung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat. Das gerichtlich bestellte
Aufsichtsratsmitglied hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein ordentliches
Aufsichtsratsmitglied. Die Satzung der Gesellschaft kann nicht danach differenzieren, ob
es sich um ein gerichtlich bestelltes Aufsichtsratsmitglied handelt (Spindler/Stilz, a.a.O.,
Rdnr. 3 m.w.N.). Die Rechtsfolge der mit der Beschwerde angegriffenen gerichtlichen
Bestellung der Arbeitnehmervertreter deckt sich insoweit materiellrechtlich mit der
Rechtslage, welche der Beteiligte zu 3) als zutreffend erachtet. Allein der abweichende
Berufungsgrund – gerichtliche Bestellung, ordentliche Wahl – begründet keine zur
Beschwerde berechtigende Beeinträchtigung der Rechtsstellung als Aktionär.
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Auch soweit der Beteiligte zu 3) die gerichtliche Bestellung mit der Einwendung
beanstandet, dass die nach § 104 Abs. 2 S. 1 AktG vorgesehene dreimonatige Vakanz
der Aufsichtsratsämter nicht abgelaufen ist und die Voraussetzungen des § 104 Abs. 2
S. 2 AktG für eine gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats vor Ablauf dieser Frist nicht
gegeben seien, liegt ein unmittelbarer nachteiliger Eingriff in seine Rechtsposition nicht
vor. Aus dem Antragsrecht nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG folgt kein subjektives Recht
dahin, dass eine gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats vor Ablauf der Dreimonatsfrist
zu unterbleiben hat, wenn nicht ein Fall besonderer Dringlichkeit gegeben ist. Denn mit
§ 104 AktG soll die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats im Wege der
gerichtlichen Bestelllung von Mitgliedern sichergestellt werden (Spindler/Stilz, AktG, 2.
Aufl., § 104, Rdnr. 1). Dem Aufsichtsrat obliegt die Vertretung der Gesellschaft
gegenüber dem Vorstand und letztlich dessen Kontrolle, § 112 AktG (OLG Dresden
NJW-RR 1998, 830 f.). Der Schutzzweck des § 104 AktG ist auf diese Weise über die
unmittelbare Gewährleistung eines handlungs- und funktionsfähigen Aufsichtsrats
hinausgehend darauf gerichtet, die beachtlichen rechtlichen und wirtschaftlichen
Belange der Gesellschaft zu wahren. Daran orientiert sich § 104 Abs. 2 S. 2 AktG, der
für den Begriff der Dringlichkeit maßgeblich auf die Belange der Gesellschaft abstellt.
Ein dringender Fall im Sinne der Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung gegeben,
wenn für eine gerichtliche Entscheidung zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der
Gesellschaft ein dringendes Bedürfnis besteht. Maßgeblich sind die Umstände des
Einzelfalles, aus denen sich gewichtige Gründe ergeben müssen, die einem weiteren
Zuwarten entgegen stehen, was insbesondere dann anzunehmen, wenn
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Entscheidungen anstehen, die erhebliches Gewicht für die Zukunft des Unternehmens
haben und von wesentlicher Bedeutung für Bestand oder Struktur der Gesellschaft sind
(MünchKomm/Habersack, AktG, 3. Aufl., § 104, Rdnr. 27; Schmidt/Lutter/Drygala, AktG,
2008, § 104, Rdnr. 14; Hüffner, AktG, 9. Aufl., § 104, Rdnr. 7; Spindler/Stilz, a.a.O., Rdnr.
30, jeweils m.w.N.). Mit diesem Schutzzweck des § 104 AktG im Allgemeinen und des §
104 Abs. 2 S. 2 AktG im Besonderen lässt sich ein schutzwürdiges Recht eines
einzelnen Aufsichtsratsmitglieds und eines einzelnen Aktionärs nicht mit dem Inhalt
annehmen, die gesetzes- bzw. satzungswidrige Unterbesetzung des Aufsichtsrats solle
bis zur Vollendung der Dreimonatsfrist fortbestehen. Ein solches Begehren berechtigt
jedenfalls dann nicht zur Beschwerde, wenn der Beschwerdeführer – wie hier – die
Unterbesetzung des Aufsichtsrats erkannt hat und selbst vorträgt.
Die mitgliedschaftsrechtliche Befugnis des Beteiligten zu 3) als Aktionär, in der
Hauptversammlung an der Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder nach Maßgabe seines
Stimmgewichts mitzuwirken, wird durch die gerichtliche Bestellung von
Aufsichtsratsmitgliedern nicht beeinträchtigt. Denn nach § 104 Abs. 5 AktG erlischt das
auf der gerichtlichen Bestellung beruhende Amt automatisch mit der Neubestellung
eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung. Die Vervollständigung des
Aufsichtsrats durch die gerichtliche Entscheidung dient vielmehr insbesondere auch der
Durchführung einer Hauptversammlung, in der der Mangel durch ordnungsgemäße
Neuwahl zu beheben ist.
30
2.
31
Den Beteiligten zu 4) und 5) fehlt aus den vorgenannten Gründen die erforderliche
Beschwerdeberechtigung im Sinne von § 59 Abs. 1 AktG insoweit, als sich ihre
Beschwerden gegen die gerichtliche Bestellung der Arbeitnehmervertreter sowie
dagegen richten, dass die Ergänzung des Aufsichtsrats durch den angefochtenen
Beschluss bereits vor Ablauf der dreimonatigen Frist des § 104 Abs. 2 S. 2 AktG
vorgenommen worden ist.
32
Die Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) sind aber zulässig, soweit sie sich gegen
die gerichtliche Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2 richten. In diesem
Umfang fehlt es nicht an der erforderlichen Beschwerdeberechtigung. Denn durch die
gerichtliche Bestellung einer von ihm nicht vorgeschlagenen Person kann der nach §
104 Abs. 1 S. 1 AktG Antragsbefugte in seinem subjektiven Antragsrecht beeinträchtigt
sein (OLG Dresden, a.a.O.; OLG Schleswig, a.a.O., MünchKomm/Habersack, a.a.O.,
Rdnr. 41; Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., § 104, Rdnr. 10; Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., §
104, Rdnr. 26).
33
Die mit dieser Maßgabe zulässigen Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) sind
jedoch nicht begründet.
34
§ 104 Abs. 1 S. 1 AktG lässt die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern für
die Wiederherstellung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats zu. Gehören dem
Aufsichtsrat länger als drei Monate weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder
Satzung festgelegte Zahl an, so hat ihn das Gericht gemäß § 104 Abs. 2 S. 1 AktG auf
Antrag auf diese Zahl zu ergänzen, in dringenden Fällen auch bereits vor Ablauf der
Frist, § 104 Abs. 2 S. 2 AktG.
35
Der nach dieser Vorschrift auf die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern
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gerichtete Antrag des Beteiligten zu 1) vom 29.09.2010 ist zulässig. Der Vorstand ist
nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG antragsbefugt und nach Maßgabe des § 104 Abs. 1 S. 2
AktG auch verpflichtet, den Antrag unverzüglich zu stellen.
Der Antrag des Beteiligten zu 1) ist auch begründet.
37
Zulässiger Beschwerdegegenstand, und deshalb an dieser Stelle allein zu prüfen, ist
die mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Auswahl der bestellten
Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2.
38
Die gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds nach § 104 Abs. 2 AktG erfolgt
grundsätzlich ohne Bindung an den Antrag eines Beteiligten nach pflichtgemäßem
Ermessen des Gerichts (OLG München WM 2009, 1748; OLG Schleswig FGPrax 2004,
244). Bei der zu treffenden Auswahl ist vor allem die hinreichende Qualifikation des zu
Bestellenden zur pflichtgemäßen Mandatsausübung sowie das Fehlen eines
Interessenkonflikts zu berücksichtigen. Insbesondere dürfen der Bestellung keine
überwiegenden Belange der Gesellschaft entgegen stehen (Hüffer, a.a.O., Rdnr. 5;
Spindler/Stilz, a.a.O., Rdnr. 21). Bedenken gegen die zur Ausübung des
Aufsichtsratsmandats erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen sind im
vorliegenden Fall nicht gegeben und werden von den Beteiligten zu 4) und 5) auch nicht
erhoben. Das Amtsgericht hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nicht zu
beanstandend berücksichtigt, dass die bisherigen Aufsichtsratsmitglieder Dr. I und I2
bereits über langjährige Erfahrungen im Aufsichtsrat der betroffenen Gesellschaft
verfügen und ihre gerichtliche Bestellung insgesamt dem Wohl der Gesellschaft
entspricht. Dass die von den Beteiligten zu 4) und 5) vorgeschlagenen Personen nach
den maßgeblichen Auswahlkriterien besser geeignet und deshalb vorrangig zu berufen
sind, ist nicht vorgetragen und dargelegt worden.
39
3.
40
Eine Entscheidung über die im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten ist
nicht veranlasst, denn die Kostenpflicht ergibt sich insoweit aus dem Gesetz.
41
Die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 84 FamFG. Nach
dieser Vorschrift sind die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels
grundsätzlich dem Beteiligten aufzuerlegen, der es eingelegt hat. Danach ist es
gerechtfertigt, die Beteiligten zu 3) bis 5), deren Beschwerde ohne Erfolg geblieben
sind, mit den der betroffenen Gesellschaft im Beschwerdeverfahren entstandenen
außergerichtlichen Kosten anteilig zu belasten. Ein Anhaltspunkt, der zu einem
Abweichen von der regelmäßigen Kostenfolge Anlass geben könnte, liegt nicht vor
42
Die anteilige Kostenbelastung des Beteiligten zu 2) ist gerechtfertigt, weil das von ihm
zurück genommene Rechtsmittel unzulässig war.
43
Der Senat legt die Erklärung des Beteiligten zu 2) vom 08.12.2010 dahingehend aus,
dass seine Beschwerde insgesamt zurückgenommen sein soll. Diese war unzulässig.
Denn dem Beteiligten zu 2) steht als Mitglied des Aufsichtsrats der betroffenen
Gesellschaft zwar ein eigenes Antragsrecht nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG zu. Die
gerichtliche Bestellung einer Person in den Aufsichtsrat durch das Gericht betrifft das
antragsberechtigte Mitglied des Aufsichtsrats in dieser ihm gesetzlich zugewiesenen
Rechtsstellung (OLG Dresden, a.a.O.). Der Beteiligte zu 2) ist in dieser Rechtsstellung
44
jedoch nicht unmittelbar nachteilig betroffen, weshalb aus den genannten Gründen (Ziff.
1) eine die materielle Beschwer begründende Rechtsbeeinträchtigung im Sinne von §
59 Abs. 1 FamFG nicht gegeben ist. Insbesondere steht ihm in seiner Funktion als
Aufsichtsratsmitglied kein subjektives Recht auf Fortbestand der Unterbesetzung des
Aufsichtsrats bis zum Ablauf der Frist des § 104 Abs. 2 S. 1 AktG und dem durch die
Unterbesetzung bewirkten Zuwachs seines Simmengewichts bei Entscheidungen des
Ausichtsrats während einer Vakanz zu.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens beruht auf den §§
131 Abs. 4, 30 Abs. 2 KostO. Im Verfahren der gerichtlichen Bestellung von
Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 Abs. 2 AktG bestimmt sich der Geschäftswert nach
§ 30 Abs. 2 KostO (BayObLGZ 1997, 262, 266). Er beträgt in Ermangelung genügender
tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung im Regelfall 3.000 € (§ 30 Abs. 2 S. 1
KostO), kann nach Lage des Falles aber niedriger oder höher, jedoch nicht über
500.000 € angenommen werden (§ 30 Abs. 2 S. 2 KostO). "Nach Lage des Falles"
bedeutet, dass das wirtschaftliche Gewicht des Geschäfts für die Beteiligten,
Auswirkung, Zweck und Wichtigkeit des Geschäfts, die Vermögenslage der Beteiligten
sowie die Mühewaltung des Gerichts daraufhin abzuwägen sind, ob und inwieweit eine
Über- oder Unterschreitung des Regelwertes innerhalb der durch Mindest- und
Höchstwert gegebenen Grenzen angebracht erscheint. Als Anhaltspunkt ist § 99 Abs. 6
S. 7 AktG anzunehmen, der einen Regelwert von 50.000 € vorsieht (BayObLG a.a.O.
sowie BayObLGZ 2000, 87). Dieser Wert erscheint im vorliegenden Fall angemessen.
45
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, denn die gesetzlichen Voraussetzungen
des § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG liegen nicht vor. Die Rechtssache ist nicht von
grundsätzlicher Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts nicht.
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