Urteil des OLG Hamm vom 29.11.1999

OLG Hamm: täuschung, betrug, versicherungsvertrag, prämie, anfechtung, berufungssumme, obsiegen, vag, krankenversicherung, behandlung

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 231/98
Datum:
29.11.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 231/98
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 12 O 29/98
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 25. August 1998 ver-kündete
Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird als unzulässig
verworfen.
Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 DM abzu-
wenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten um den Bestand einer Berufsunfähigkeitsversicherung, konkret um
die Frage, ob eine von der Beklagten erklärte Arglistanfechtung wirksam ist.
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Am 12.12.1993 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rentenversicherung mit
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Versicherungsbeginn sollte Februar 1994 sein.
Die Beklagte sollte aus der Versicherung ab dem 01.02.2019 eine monatliche
Altersrente in Höhe von 485,10 DM zahlen oder wahlweise eine einmalige
Kapitalabfindung in Höhe von 89.882,00 DM. Der monatliche Beitrag des Klägers betrug
300,00 DM. Davon entfielen 292,20 DM auf die Rentenversicherung und 7,80 DM auf
die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Falle der Berufsunfähigkeit sollte keine
eigenständige Rente gezahlt werden, sondern als Leistung aus der
Berufsunfähigskeitszusatzversicherung war nur die Beitragsbefreiung in der
Hauptversicherung vereinbart. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Versicherungsschein vom 12.01.1994, Bl. 4 d.A., und die Ablichtung des
Antragsformulars, Bl. 30 und 31 d.A., verwiesen.
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Mit Abschluß der Versicherung wurde auch ein "Dynamikmodell" vereinbart. Infolge
dieser Dynamisierung, die der Kläger nicht in jedem Jahr wünschte, stiegen die Prämien
für die Hauptver-
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sicherung und für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für den Zeitraum ab dem
01.02.1995 und ein weiteres Mal für den Zeitraum ab dem 01.02.1997. Zuletzt belief sich
die monatliche Prämie für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung auf monatlich
9,40 DM. Vom 01.02.1995 bis zum 31.01.1997 betrug sie 8,60 DM.
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Mit Schreiben vom 23.01.1997 machte der Kläger bei der Beklagten "vorsorglich"
Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend. Er hatte einen
Autounfall erlitten, sich dabei einen Arm verletzt und besorgte, daß er seinen Beruf als
selbständiger Installateur künftig nicht mehr wie zuvor werde ausüben können. Diese
Verletzung ist zwischenzeitlich aber ausgeheilt. Der Kläger berühmt sich deswegen
keiner Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gegen die Beklagte.
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Die Beklagte ist aufgrund des Schreibens vom 23.01.1997 aber in die Leistungsprüfung
eingetreten. Im Rahmen dieser Prüfung hat sie festgestellt, daß der Kläger in der Zeit
von Juni bis November 1993 wegen Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig ge-
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wesen war und sich vom 03. bis zum 12.09.1993 wegen einer
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Lumboischialgie in stationärer Behandlung befunden hatte. Dazu fanden sich im
Antragsformular vom 12.12.1993 aber keine An-
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gaben. Die Beklagte nahm dies zum Anlaß, mit Schreiben vom 01.07.1997, wegen
dessen Einzelheiten auf die Ablichtung Bl. 7 d.A. verwiesen wird, gegenüber dem
Kläger die Anfechtung des Vertrages über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
wegen arglistiger Täuschung zu erklären. Gleichzeitig lehnte sie die Leistung aus
diesem Vertrag ab und belehrte den Kläger gemäß § 12 Abs. 3 VVG.
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Die darin gesetzte Frist verlängerte sie später bis zum 27.02.1998.
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Innerhalb dieser Frist hat der Kläger vor dem Landgericht Klage auf Feststellung
erhoben, daß der Vertrag über die Berufsun-
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fähigkeitszusatzversicherung nicht durch die Anfechtung vom 01.07.1997 aufgehoben
wurde. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, der Kläger habe die Beklagte durch Verschweigen seiner
Rückenbeschwerden bei der Beantragung der Versicherung arglistig getäuscht.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, das
Rechtsmittel sei zulässig. Die Berufungssumme sei erreicht. Maßgeblich sei das
Interesse des Klägers am Fortbestand der Versicherung. Insoweit sei darauf
abzustellen, was er aus der Versicherung erlangen könne. Insoweit sei auf den Betrag
von zuletzt 98.312,00 DM abzustellen, den der Kläger bei Ablauf der Hauptversicherung
als Einmalzahlung beanspruchen könne. Im übrigen bestreitet er die
Tatbestandsmerkmale einer arglistigen Täuschung.
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Der Kläger beantragt,
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in Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) zum Ver-
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sicherungsschein mit der Versicherungsnummer ##### unbeschadet der
Anfechtungserklärung der Beklagten vom 01.07.1997 fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Rechtsmittel für unzulässig. Im übrigen wiederholt sie unter näherer
Darlegung ihre Ausführungen hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale einer arglistigen
Täuschung aus erster Instanz.
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Entscheidungsgründe:
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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Die Berufung war gemäß § 519 b ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil der Wert des
Beschwerdegegenstandes 1.500,00 DM nicht übersteigt, § 511 a ZPO.
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Die Parteien streiten um den (Fort-)Bestand des Vertrages über die
Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Bestand der Hauptversicherung, der gleichzeitig
abgeschlossenen Rentenversicherung, die die Beklagte ausdrücklich nicht angefochten
hatte,
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ist nicht im Streit. Hinsichtlich der Streitwertbemessung ist deshalb allein auf die
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abzustellen und dort auf das Interesse des
Klägers an einer antragsgemäßen Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
Dieses Interesse bemißt der Senat gemäß § 3 ZPO entsprechend der Regelung in § 9
ZPO in Höhe des Prämieninteresses des Versicherers, weil nur der Bestand des
Vertrages im Streit ist. Ein Versicherungsfall, der ein höheres Interesse des Klägers am
Obsiegen begründen könnte, ist weder eingetreten noch besteht derzeit die begründete
Erwartung, daß er demnächst eintreten wird. Hinsichtlich des mit Schreiben vom
23.01.1997 der Beklagten gemeldeten Schadenfalls nämlich berühmt sich der Kläger
keiner Ansprüche mehr. Die Verletzung ist folgenlos verheilt. Vor diesem Hintergrund
kommt dem Umstand, daß der Kläger, wenn er auch heute noch Ansprüche aus dem am
23.01.1997 gemeldeten Schadensfall verfolgen wollte, durch die vorliegende Klage die
von der Beklagten gesetzte Frist zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs
gemäß § 12 Abs. 3 VVG wohl nicht gewahrt haben dürfte, keine eigenständige
Bedeutung zu. Soweit künftige Versicherungsfälle betroffen sind, ist deren Eintritt nicht
absehbar. Ein künftiger Versicherungsfall ist derzeit ebenso gewiß oder ungewiß wie
regelmäßig bei Abschluß eines Versicherungsvertrages. Es erscheint deshalb
angemessen, hinsichtlich der Bemessung des Interesses des Klägers an einer
antragsgemäßen Entscheidung dieselben Grundsätze anzuwenden, wie sie
zugrundezulegen sind, wenn zwischen den Parteien eines Versicherungsvertrages der
Bestand der Versicherung streitig wird. Insoweit ist grundsätzlich das Interesse beider
Parteien am Bestand eines Vertrages gleich zu bewerten. Beim Versicherungsvertrag
entspricht demgemäß das Prämieninteresse des Versicherers dem Interesse des
Versicherungsnehmers am Versicherungsschutz. Denn die Prämie, die ein Versicherer
beansprucht, ist aufgrund einer Kalkulation des versicherten Risikos
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zustandegekommen, § 11 VAG.
Dies zugrundegelegt, bemißt sich das Interesse des Klägers am Obsiegen im konkreten
Fall und damit der Streitwert entsprechend § 9 ZPO nach dem 3 1/2-fachen
Jahresprämienwert. Die vom Bundesgerichtshof für den Fall, daß der Bestand einer
Krankenversicherung streitig war, aufgestellten Grundsätze (r+s 1996, 332) gelten hier
in gleicher Weise. Bei einer Monatsprämie von 9,40 DM errechnet sich bei dreieinhalb
Jahren nach alledem ein Streitwert, der die Berufungssumme von 1.500,00 DM nicht
erreicht, so daß die Berufung mit den sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ergebenden
Nebenfolgen als unzulässig zu verwerfen war.
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Das Urteil beschwert keine der Parteien mit mehr als 60.000,00 DM.
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