Urteil des OLG Hamm vom 08.05.2007

OLG Hamm: unter drogeneinfluss, strafzumessung, drogenkonsum, verkehr, trunkenheit, fahrzeug, rauschmittel, anzeichen, fahrtüchtigkeit, morphin

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss 159/07
Datum:
08.05.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss 159/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Münster, 20 Ds 719/06
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
auf-gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über
die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe :
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I.
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Das Amtsgericht – Strafrichterin – Münster hat den Angeklagten am 24.01.2007 wegen
fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30
EUR verurteilt, die Fahrerlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland entzogen und
eine Sperre für die Wiedererteilung von 6 Monaten verhängt. Die Verurteilung stützt sich
auf folgende Feststellungen zur Tat:
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"Am 20.10.2006 befuhr der Angeklagte gegen 14.50 Uhr in fahruntüchtigem Zustand mit
einem Personenkraftwagen der Marke O (Kennzeichen NT-FY ###) unter anderem die
C ## in Fahrtrichtung C1BC1 ## mit überhöhter Geschwindigkeit auf dem linken
Fahrstreifen. Dabei missachtete er [die] durch Schraffierung kenntlich gemachte
Sperrung des linken Fahrstreifens infolge der einspurigen Auffahrt zur C2BC2 ###
[Anm. des Senats: wohl C2 ###]. Am Autobahnkreuz N1 wurde er von dem Zeugen N2
und B1 angehalten. Dabei wurde von dem Beamten eine verwaschene Sprache des
Angeklagten, deutlich verengte Pupillen, die nicht auf Lichteinfall reagierten, sowie ein
provokatives und aggressives Verhalten festgestellt. Die ihm um 16.10 Uhr entnommene
Blutprobe hat ergeben, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter
akuter Morphinwirkung infolge Heroinkonsums stand. Die Fahruntüchtigkeit hätte er
erkennen können und müssen. Aus dieser Tat ergibt sich die Ungeeignetheit zum
Führen von Kraftfahrzeugen."
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In der rechtlichen Würdigung dieses Sachverhalts heißt es dann:
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"Hier wurden neben der Geschwindigkeitsüberschreitung, die auch bei nüchternen
Fahrern eine übliche Erscheinung ist und daher für sich allein einen Rückschluss auf
Drogenkonsum und eine dadurch bedingte Fahruntüchtigkeit nicht zulässt, weitere
erhebliche Fahrfehler festgestellt worden. So hat der Angeklagte, ohne verkehrsbedingt
dadurch gezwungen zu sein, die schraffierte Sperrfläche beim Auffahren auf die C1BC1
## überfahren und ist zudem in einem Zuge auf die linke Spur der Autobahn
aufgefahren. Dies stellt eine besonders auffällige und regelwidrige sowie sorglose und
leichtsinnige Fahrweise dar, die rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit
zweifelsohne erkennen lässt. Zudem hat der vernommene Polizeibeamte ausgeführt,
dass der Angeklagte neben der verwaschenen Sprache auch dem Ansprechen der
Polizeibeamten nicht zu folgen vermochte."
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Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil wendet sich der Angeklagte mit
dem noch unbestimmten Rechtsmittel vom 31.01.2007, das am selben Tag beim
Amtsgericht eingegangen ist. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am
15.02.2007 hat der Verteidiger mit dem dem Gericht am selben Tage zugegangenen
Schriftsatz vom 13.03.2007 das Rechtsmittel der Revision gewählt und beantragt, das
Urteil aufzuheben. Gerügt wird der Verletzung materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Rechtsmittel des Angeklagten als
offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Der gemäß den §§ 333, 335 StPO statthaften sowie form- und fristgerecht erhobenen
(Sprung-) Revision ist ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen.
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1.
11
Das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 24.01.2007 ist aufzuheben, weil die
getroffenen Feststellungen den Schuldspruch der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr
nicht tragen.
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Eine Verurteilung des Angeklagten setzt nach § 316 StGB hier voraus, dass er
drogenbedingt "nicht in der Lage (war), das Fahrzeug sicher zu führen" (sog.
Fahruntüchtigkeit; vgl. dazu BGHSt 13, 83, 90; 21, 157, 160; 37, 89, 92). Die Annahme
der drogenbedingten Fahruntüchtigkeit muss an dieselben Voraussetzungen
anknüpfen, die die Rechtsprechung für die Anwendung des § 316 StGB auf das Führen
von Fahrzeugen unter Alkoholeinfluss entwickelt hat (BGH MDR 1999, 91).
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a) Da es bislang an Erfahrungswissen, um die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit
nach Konsum anderer Rauschmittel im Sinne einer Festlegung "absoluter"
Wirkstoffgrenzen festzustellen, fehlt (BGHSt 44, 219; NStZ-RR 2001, 173; OLG
Düsseldorf NZV 99, 174; OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 18, OLG Saarbrücken VRS 102
121, OLG Zweibrücken StV 2003, 624; 2004, 322), kommt daher hier eine strafrechtliche
Ahndung des Fahrens unter Drogeneinfluss nur unter den Voraussetzungen der
relativen Fahruntüchtigkeit in Betracht, bei der im Einzelfall der Nachweis erbracht
werden muss (BGH a.a.O.), dass der Angeklagte im konkreten Fall aufgrund der
Wirkung berauschender Mittel zur sicheren Verkehrsteilnahme nicht in der Lage war
(Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 316 Rdnr. 6 m.w.N.). Dazu
müssen spezifische Anknüpfungstatsachen – Ausfallerscheinungen oder
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Fehlleistungen (OLG Köln NJW 1990, 2945) – festgestellt werden, die unter
Berücksichtigung der Drogenbelastung nach Überzeugung des Gerichts auf
Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Anhaltspunkte dafür liefert zunächst das
Verkehrsverhalten, etwa ein Fahrfehler, der in symptomatischer Weise auf die nach
einem Drogenmissbrauch typischerweise auftretenden physiologischen oder
psychischen Folgen (z.B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und
Selbstüberschätzung) hinweist, oder z.B. eine anders als durch kurz zuvor erfolgte
Drogeneinnahme nicht erklärbare verspätete Reaktion auf ein polizeiliches
Anhaltegebot (OLG Düsseldorf NJW 1994, 2390; OLG Frankfurt NZV 1995, 116).
Dagegen reichen allgemeine Merkmale des Drogenkonsums nicht aus (BGHSt 44, 219;
OLG Zweibrücken a.a.O.), wie: gerötete Augen, erweiterte Pupillen, "verwaschene"
Sprache u.ä. (hierzu: Mettke, NZV 2000, 199, 201 m.w.N.). Hierbei handelt es sich nur
um die typischen Anzeichen des Drogenkonsums, aus denen eine Beeinträchtigung der
Fahrsicherheit nicht zwingend gefolgert werden kann.
b) Zwar lassen die Urteilsgründe erkennen, dass sich das Amtsgericht der
obergerichtlichen Rechtsprechung bewusst war und sich hieran orientieren wollte. Denn
es zieht in seiner Begründung neben der akuten Rauschmittelintoxikation – an anderer
Stelle des Urteils wird die Konzentration mit 91 mg/g Morphin im Blut des Angeklagten
(nach dem in der Akte befindlichen schriftlichen Gutachten wohl 91
ng/g
zwei Fahrfehler heran, die der Angeklagte begangen haben soll. So wirft es ihm vor,
zum einen über eine schraffierte Straßenfläche als auch zum anderen mit überhöhter
Geschwindigkeit gefahren zu sein. Ein solches Fahrverhalten, das durch erhöhte
Risikobereitschaft geprägt ist, kann geeignet sein, die drogenbedingte Fahruntüchtigkeit
anzunehmen. Es bedarf aber genauerer Feststellung zu der Art und Weise der
Verkehrsverstöße, die das Amtsgericht unterlassen hat festzustellen. Denn es muss
feststehen, dass dem Angeklagten, wäre er drogenfrei gewesen, diese Fehler nicht
unterlaufen wären. Allgemeine, nicht durch Tatsachen belegte Redewendungen, wie
vom Amtsgericht verwendet, reichen insoweit nicht aus. Hier hätte es aufzeigen müssen,
wie die Verkehrslage- bzw. dichte zur Tatzeit war, mit welcher Geschwindigkeit der
Angeklagte annähernd fuhr, ob die einschreitenden Polizeibeamten einen
Funkstreifenwagen führten oder nur in einem Zivilfahrzeug unterwegs waren und wie
der Angeklagte auf die Anhalteaufforderung reagierte. Hinzu kommt, dass das
Amtsgericht allgemeine Merkmale des Drogenkonsum unzulässigerweise zur Bejahung
der Fahruntüchtigkeit herangezogen hat.
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c) Das vorliegende Verfahren nimmt der Senat zudem zum Anlass, um erneut darauf
hinzuweisen, dass die zunehmende Praxis, Ausdrucke aus dem Bundeszentralregister
in die Urteilsgründe einzukopieren, den Begründungsanforderungen nicht genügt
(BGHR StPO § 267 Darstellung 1). Sie ist abzulehnen und "belastet die Justiz in nicht
zumutbarer Weise" (BGHR StPO § 267 Abs. 3 S. 1 Strafzumessung 13), da die bloße
Aufzählung der Vorverurteilungen in der Regel wenig sagt und der Eindruck entstehen
kann, das Gericht habe sich mit der Eigenart der Vorverurteilungen nicht genügend
wertend auseinandergesetzt (BGH a.a.O.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung,
3. Auflage 2001, Rdnr. 782).
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d) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin. Sollte das Amtsgericht
nach der erneut durchzuführenden Beweisaufnahme zu dem gleichen Schuldspruch
kommen, so dürfte es wegen der beim Angeklagten festgestellten
Rauschmittelintoxikation unumgänglich sein, sich mit der Frage einer erheblichen
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit auseinanderzusetzen.
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2.
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Das Amtsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden
haben. Eine eigene Kostenentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil eine
verfahrensabschließende Entscheidung noch nicht getroffenen worden ist.
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