Urteil des OLG Hamm vom 10.06.1999
OLG Hamm (besondere härte, höhe, fahrverbot, verbotsirrtum, annahme, fahren, irrtum, vorschrift, ordnungswidrigkeit, verhalten)
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 486/99
Datum:
10.06.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 486/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Lüdenscheid, 10 OWi 516 Js 1702/98 (410/98)
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, daß gegen den
Betroffenen unter Wegfall des Fahrverbots wegen fahrlässigen
Nichtbeachtens des Rotlichts einer Lichtzei-chenanlage eine Geldbuße
in Höhe von 100,00 DM festgesetzt wird. Die Kosten des Rechtsmittels
hat der Betroffene zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um 1/2 ermäßigt; in
diesem Umfang hat die Staatskasse die dem Betroffenen im
Rechtsbeschwer-deverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
G r ü n d e :
1
I.
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Das Amtsgericht Lüdenscheid hat gegen den Betroffenen durch das angefochtene Urteil
wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit nach den §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Ziffer 2
StVO, 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM und ein einmonatiges Fahrverbot
festgesetzt. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:
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"Der Betroffene, der am 18.12.1942 in M geboren wurde, ist von Beruf Landwirt. Der
Verkehrszentralregisterauszug des Betroffenen weist keine zu berücksichtigenden
Eintragungen auf.
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Am 18.06.1998 befuhr der Betroffene um ca. 13.10 Uhr in I die E- Straße aus Richtung
E1- Straße kommend. An der Lichtzeichenanlage Einmündung S- Straße hielt er sein
Fahrzeug hinter einem weiteren Pkw auf der Linksabbiegerspur an. In derselben
Fahrspur hielten die Polizeibeamten und Zeugen Q und H ihren Pkw einige Pkw hinter
dem Betroffenen an. Nachdem der Pkw der Zeugen Q und H sich zehn Sekunden in der
Kolonne befand, fuhren der erste Pkw und der Betroffene trotz Rotlicht in den
Einmündungsbereich ein, nachdem sie ca. drei Minuten an der Lichtzeichenanlage
gestanden hatten. Der Betroffene fühlte sich vor allem durch Zurufe von dem hinter ihm
befindlichen Pkw-Fahrer zum Überfahren der Haltelinie aufgefordert. Nachdem der
Betroffene mit seinem Pkw die Haltelinie passiert hatte, sprang die vollfunktionsfähige
Lichtzeichenanlage, bei der es sich um eine Phasenschaltanlage handelt, auf "Grün"
um."
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Das Amtsgericht hat dazu weiter folgendes ausgeführt:
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"Nach diesen Feststellungen hat der Betroffene einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß
gem. §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Ziffer 2 StVO i.V.m. § 24 StVG begangen, da er die
Haltelinie bei "Rot" überquerte, obwohl die Lichtzeichenanlage jedenfalls länger als
zehn Sekunden "Rot" zeigte. Durch das "Rot" der Lichtzeichenanlage wurde "Halt" vor
der Kreuzung angeordnet. Dieses Gebot hat der Betroffene in besonders grober Weise
verletzt. Lediglich bei einem Dauerrot bei Ampeldefekten liegt ein absolutes
Weiterfahrverbot nicht vor. Da die Lichtzeichenanlage jedoch wie vorstehend festgestellt
nicht defekt war, galt für den Betroffenen das absolute Gebot, mit seinem Pkw
stehenzubleiben. Auch das Fahren des Vordermanns des Betroffenen und das Zurufen
des Hintermannes kann den Betroffenen nicht entlasten. Selbst wenn der Betroffene
davon ausging, daß die Lichtzeichenanlage defekt und er daher zum Fahren berechtigt
sei, so war dieser Verbotsirrtum für ihn vermeidbar, da ein durchschnittlicher und
besonnener Verkehrsteilnehmer jedenfalls länger als drei Minuten an einer
Lichtzeichenanlage ausharren muß, bevor er diese einfach bei "Rot" überfährt."
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Im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung hat das Amtsgericht dargelegt, daß hier nach
den Bestimmungen der BKatV eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM und ein Fahrverbot
von einem Monat zu verhängen sei. Die Verhängung des Fahrverbots hat das
Amtsgericht wie folgt begründet:
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"Soll entgegen der Indizienwirkung des § 2 Abs. 1 BKatVO von der Verhängung eines
Fahrverbotes ausnahmsweise abgesehen werden, so muß ein besonders gelagerter
Einzelfall vorliegen.
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Vorliegend ist von einem solchen besonders gelagerten Einzelfall nicht auszugehen.
Wie festgestellt, hat der Betroffene die Ordnungswidrigkeit unter grober Verletzung der
Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen, so daß gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG
ein Fahrverbot verhängt wird.
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Ein besonders gelagerter Einzelfall liegt auch nicht deshalb vor, da das Fahrverbot für
den Betroffenen eine besondere Härte darstellen würde (vgl. OLG Düsseldorf, NZV
1996, S. 463). Ein Absehen vom Fahrverbot kommt grundsätzlich nur bei Vorliegen
einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, wie sie etwa im Verlust des Arbeitsplatzes
oder der sonstigen wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, in Betracht. Diesbezüglich
liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Dem Betroffenen ist es durchaus zuzumuten, für
die Zeit der Geltung des Fahrverbots damit einhergehende Unbequemlichkeiten oder
Mehrkosten in Kauf zu nehmen. Dies belastet den Betroffenen auch nicht
unverhältnismäßiger Art und Weise.
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Von der Verhängung eines Fahrverbotes zur Erzielung des notwendigen Warneffektes
konnte nicht abgesehen werden, auch nicht durch Erhöhung der verhängten Geldbuße."
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Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner rechtzeitig eingelegten
Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und seinen
Freispruch anstrebt. Er vertritt die Auffassung, daß er sich bei seiner Annahme, die
Lichtzeichenanlage sei defekt, in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe.
Zumindest läge hier aber keine grobe Pflichtverletzung vor, so daß von der Verhängung
eines Fahrverbots abzusehen sei.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit näheren Ausführungen, das angefochtene
Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen
aufzuheben und den Betroffenen unter Wegfall des Fahrverbots zu einer Geldbuße in
Höhe von 250,- DM zu verurteilen.
14
II.
15
Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
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1.
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Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils tragen die Verurteilung des Betroffenen
wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes nicht. Entgegen der Auffassung des
Amtsgerichts stellt die irrige Annahme einer Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage
keinen Verbotsirrtum im Sinne der Vorschrift des § 11 Abs. 2 OWiG, sondern einen
Tatbestandsirrtum nach Abs. 1 dieser Vorschrift dar.
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Ein Tatbestandsirrtum setzt eine Unkenntnis der in Wirklichkeit vorhandenen Umstände
(vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 16 Rdnr. 6; Göhler, OWiG, 12. Aufl.,
§ 11 Rdnr. 2), der Verbotsirrtum hingegen eine falsche rechtliche Wertung des
Betroffenen voraus (vgl. Göhler, a.a.O., Rdnr. 30).
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Der Irrtum des Betroffenen, die Ampel zeige Dauerrot und sei daher defekt, liegt hier im
tatsächlichen Bereich und beruht nicht auf einer unzutreffenden rechtlichen Wertung.
Denn hätte eine derartige Funktionsstörung tatsächlich vorgelegen, wäre das von der
roten Lichtzeichenanlage ausgehende Gebot nicht verbindlich gewesen (vgl. OLG Köln
VRS 59, 454; Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 50), sondern
der Betroffene wäre - unter Beachtung äußerster Vorsicht - berechtigt gewesen, die
Lichtzeichenanlage zu passieren.
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Die durch das angezeigte Lichtzeichen gegebene Allgemeinverfügung beruht dann
nämlich offensichtlich nicht mehr auf dem vom menschlichen Willen getragenen
Schaltplan (der Programmierung durch die Verkehrsbehörde), der die eigentliche
Allgemeinverfügung darstellt, sondern auf einem technischen Fehler (vgl. OLG Köln
a.a.O. S. 455).
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Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen aber für die
Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs aus, so daß der Schuldspruch wie
geschehen abzuändern war. Zeigt die Lichtzeichenanlage an einem
Einmündungsbereich circa drei Minuten Rot, darf der betroffene Verkehrsteilnehmer
nämlich nicht ohne weiteres von einer Funktionsstörung ausgehen, sondern ist
verpflichtet, die Lichtzeichenanlage über einen erheblich längeren Zeitraum zu
beobachten. Der Irrtum des Betroffenen beruhte daher auf Fahrlässigkeit, so daß er sich
eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes schuldig gemacht hat (vgl. dazu Cramer a.a.O.
Rdnr. 12).
22
2.
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Auch der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts konnte keinen Bestand haben.
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Die vom Amtsgericht festgesetzte Geldbuße entspricht zwar in ihrer Höhe der lfd. Nr.
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3.4.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV. Auch geht die BKatV gemäß § 2 Abs. 1 bei der
Bestimmung der Regelsätze von einer fahrlässigen Begehensweise aus. Die
Besonderheiten des Falles, erstens das Warten des Betroffenen vor einer mit circa drei
Minuten ungewöhnlich lange Rot zeigenden Lichtzeichenanlage, sowie zweitens das
den Irrtum des Betroffenen bestärkende Verhalten seines Vorder- und Hintermannes
rechtfertigen es aber, nicht von einem Regelfall auszugehen.
Insoweit bedurfte es nicht der Zurückverweisung an den Tatrichter, da weitere
Feststellungen nicht zu treffen waren. Gemäß
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§ 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat daher in der Sache selbst entscheiden können und
unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesichtspunkte die Verhängung einer
Geldbuße in Höhe von 100,- DM für angemessen erachtet.
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Das vom Amtsgericht festgesetzte Fahrverbot konnte ebenfalls keinen Bestand haben.
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Zwar liegt ein Regelfall für die Anordnung eines Fahrverbots nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m.
der Anlage zu § 1 Abs. 1 lfd. Nr. 3.4.2 BKatV vor. Das besondere objektive Gewicht
einer Ordnungswidrigkeit vermag indes die Annahme einer groben Pflichtverletzung für
sich allein nicht zu tragen. Es muß vielmehr hinzukommen, daß der Täter subjektiv
besonders verantwortungslos handelt (vgl. BGH NStZ 1997, 3252 (3253(), seine
Zuwiderhandlung muß subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder
Gleichgültigkeit zurückgehen (BVerfG, DAR 1996, 196 (197(, BGH a.a.O. m.w.N.).
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Dies gilt auch für den Fall des Vorliegens eines Regelbeispiels der in § 2 Abs. 1 BKatV
aufgeführten Katalogtaten, die zwar das
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Vorliegen einer groben Pflichtwidrigkeit indizieren (vgl. BGHSt 38, 125 (134(), aber das
gesetzliche Merkmal des § 25 StVG nicht ersetzen oder abändern. Alleinige
Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbots wegen einer
Verkehrsordnungswidrigkeit ist nämlich auch in diesen Fällen die Vorschrift des § 25
Abs. 1 S. 1 StVG (BGH NJW 1997, 3252; BGHSt, 125 (127(). Eine besondere subjektive
Verantwortlichkeit des Betroffenen kann hier angesichts der besonderen Umstände des
Einzelfalls nicht angenommen werden. Der Betroffene hat durch sein Halten vor der
Lichtzeichenanlage gezeigt, daß er gewillt war, das von der roten Lichtzeichenanlage
ausgehende Gebot zu beachten. Seine irrige Annahme, die Lichtzeichenanlage sei
defekt, ist durch das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, die ihrerseits bei Rot
gefahren oder ihn zum Fahren aufgefordert haben, bestärkt worden. Der Fall weist
damit, vergleichbar den Fällen des Rotlichtverstoßes durch den sogenannten
Mitzieheffekt (vgl. dazu OLG Hamm VRS 1996, 64 (65 f(; OLG Hamm
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NZV 1995, 82; OLG Karlsruhe NZV 1996, 206), einen vom Regelfall abweichenden
deutlich geringeren Handlungsunwert und eine nicht als "grob" einzustufende
Pflichtwidrigkeit auf.
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Da somit die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 StVG nicht vorliegen, scheidet die
Verhängung eines Fahrverbots aus.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO, § 46 OWiG.
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