Urteil des OLG Hamm vom 12.05.2005

OLG Hamm: rechtliches gehör, verfolgungsverjährung, versendung, ordnungswidrigkeit, meinung, erlass, halter, verjährungsfrist, form, verwaltungsbehörde

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 312/05
12.05.2005
Oberlandesgericht Hamm
2. Senat für Bußgeldsachen
Beschluss
2 Ss OWi 312/05
Amtsgericht Witten, 18 OWi 600 Js 903/04 (361/04)
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des
Betroffenen verworfen.
Gründe: I. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des
vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Lkw gemäß §§ 4 Abs. 3, 49
StVO, 24 StVG mit einer Geldbuße in Höhe von 65,-- € belegt. Dagegen richtet sich der
Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag zu verwerfen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zwar rechtzeitig gestellt und form-
und fristgerecht begründet worden, hat in der Sache aber keinen Erfolg haben.
Da die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 € beträgt, richten sich die Voraussetzungen
für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Danach ist die
Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den so genannten weniger bedeutsamen Fällen
nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §
80 Abs. 2 OWiG) oder wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs
aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Soweit der Betroffene die Verletzung formellen Rechts gerügt hat, kann er - abgesehen
davon, dass diese Rüge nicht näher ausgeführt worden ist - damit keinen Erfolg haben. Die
Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen formeller Rechtsfehler scheidet aus.
Die Rechtsbeschwerde war auch nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen.
Eine Zulassung aus diesem Grund kommt nur in Betracht, wenn der Einzelfall
Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des
materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl.
OLG Hamm, VRS 56, 42 f.). Dafür ist vorliegend kein Anlass ersichtlich. Die nur in
allgemeiner Form erhobene Sachrüge zeigt solche Rechtfehler nicht auf.
Soweit sich der Betroffene darauf berufen hat, dass bereits vor Erlass des angefochtenen
Urteils Verfolgungsverjährung eingetreten sei, ist auf § 80 Abs. 5 OWiG zu verweisen.
Danach ist der Einwand der Verfolgungsverjährung bereits vor Erlass des angefochtenen
Urteils im Zulassungsverfahren nur dann zu prüfen, wenn es geboten ist, die
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Rechtsbeschwerde zuzulassen, um zur Frage der Verjährung ein klärendes Wort zu
sprechen (Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80 Rn. 24 mit weiteren Nachweisen).
Klärungsbedürftige Fragen der Verjährung ergeben sich jedoch - worauf die
Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist - aus dem Antragsvorbringen nicht, In der
obergerichtlichen Rechtsprechung ist nämlich hinreichend geklärt, wann bei so genannten
Kennzeichenanzeigen durch die Versendung eines Anhörungsbogens die Verjährung
unterbrochen wird (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Senats DAR 1999, 85
= VRS 96, 225 = NZV 1999, 261= zfs 1999, 265; DAR 2000, 81 = NZV 2000, 179 = VM
2000, 60 (Nr. 69) = VRS 98, 443; DAR 2000, 83 = VRS 98, 209; DAR 2000, 83 = VRS 98,
209 = DAR 2000, 83 = VRS 98, 209; siehe auch OLG Zweibrücken DAR 2003, 193 = VRS
104, 307 = zfs 2002, 596; OLG Dresden DAR 2004, 535, jeweils mit weiteren Nachweisen
aus der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung).
Die Rechtsbeschwerde war schließlich auch nicht wegen Verkürzung des
verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör zuzulassen (§ 80 Abs. 1
Nr 2 OWiG; vgl. dazu zuletzt auch Senat im Beschluss 28. Februar 2005, 2 Ss OWi 123/05
und 2 Ss OWi 185/05). Diese Rüge hat der Betroffene nicht erhoben.
III. Der Senat weist darauf hin, dass im Übrigen das Amtsgericht aber auch zutreffend
davon ausgegangen ist, dass Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.
Die Verjährungsfrist beträgt bei einem Verstoß gegen die StVO nach §§ 24, 26 Abs. 3 StVG
grundsätzlich drei Monate, beginnend mit dem Vorfallstag. Die Verfolgungsverjährung der
am 21. Juni 2004 begangenen Ordnungswidrigkeit nach den §§ 4, 49 StVO wäre demnach
am 21. September 1998 eingetreten, wenn sie bis dahin nicht gem. § 33 OWiG
unterbrochen worden wäre.
Vorliegend ist der Lauf der Verjährungsfrist aber, wovon auch das Amtsgericht
ausgegangen ist, durch eine Untersuchungshandlung der Bußgeldbehörde, nämlich die
Versendung des Anhörungsbogens vom 07. September 2004 an den Betroffenen,
unterbrochen worden. Nach einhelliger Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung
(vgl. dazu die o.a. Rechtsprechung des Senats mit den weiteren Nachweisen und OLG
Dresden und OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.) wird die Verjährung durch die
Übersendung eines sog. Anhörungsbogen gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gegenüber
einem noch unbekannten - Betroffenen nur dann unterbrochen, wenn sich auf ihn die
Übersendung des Anhörungsbogens auch bezieht (§ 33 Abs. 4 OWiG). Insoweit ist
vorliegend anzumerken, dass schon fraglich ist, ob der Betroffene bei Versendung des
Anhörungsbogens noch "unbekannt" in dem Sinne gewesen ist. Denn seine Personalien
und seine Eigenschaft als Fahrer waren auf Veranlassung der zuständigen
Verwaltungsbehörde bei seiner Arbeitgeberin am 3. September 2004 ermittelt worden.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Zusendung
des Anhörungsbogen noch unbekannt war, ist Verfolgungsverjährung nicht eingetreten. Die
Voraussetzung für den Eintritt der Unterbrechung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG liegen
vielmehr vor. Nach allgemeiner Meinung muss sich die Unterbrechungshandlung gegen
eine bestimmte Person richten (so die o.a. Rechtsprechung des OLG Hamm, die der
übereinstimmenden Rechtsprechung der übrigen Obergerichte entspricht; vgl. OLG
Zweibrücken und OLG Dresden, jeweils a.a.O.). Demgemäss ist die Übersendung eines
Anhörungsbogens als Bekanntgabe im Sinn von § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur ausreichend,
wenn daraus für den Adressaten unmissverständlich hervorgeht, dass die Ermittlungen
gegen ihn als Betroffenen geführt werden (Göhler, a.a.O., § 33 OWiG Rn. 10; Senat, a.a.O.).
Ihm muss deutlich werden, dass ihm die festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit als
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Betroffener vorbehaltlos zur Last gelegt wird (OLG Hamm NZV 1998, 340, 341).
Handlungen, die demgegenüber nur das Ziel haben, den noch unbekannten
Tatverdächtigen zu ermitteln, erfüllen diese Voraussetzungen nicht
Diesen Anforderungen wird der Anhörungsbogen vom 07. September 2004 gerecht. Die
dem Betroffenen zur Last gelegte Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes
war durch eine Videomessung festgestellt und fotografisch festgehalten worden. Danach
war der Arbeitgeber des Betroffenen als Halter des von ihm geführten Lkw ermittelt worden.
Dort hatte die Verwaltungsbehörde nachfragen lassen und den Namen des Betroffenen als
Fahrer zum Vorfallszeitpunkt erfahren. Nach Inhalt und Ausgestaltung des Schreibens vom
07. September 2004 hat sich das Verfahren zum Zeitpunkt der Anordnung der Versendung
auch bereits konkret gegen den Betroffenen, und nicht etwa noch gegen "Unbekannt"
gerichtet. Das Schreiben lässt nämlich erkennen, dass dem Betroffenen persönlich der
festgestellte Verkehrsverstoß zur Last gelegt werden soll. Zwar ist - ähnlich wie in dem vom
Senat im Verfahren 2 Ss OWi 1034/99 (DAR 2000, 83 = VRS 98, 209) entschiedenen Fall -
der Anhörungsbogen nur überschrieben mit "Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr ..".
Anders als im Verfahren 2 Ss OWi 1105/99 (DAR 2000, 81 = NZV 2000, 179) ist der
eigentliche Vorwurf dann aber nicht lediglich neutral beschrieben. Vielmehr enthält der
Anhörungsbogen vorliegend zusätzlich auch den persönlich an den Empfänger des
Schreibens gerichteten Vorwurf: "Sie hielten als Führer ...". Das Schreiben vom 07.
September 2004 ist zudem auch nur mit "Anhörungsbogen" überschrieben (anders im Fall
OLG Hamm NZV 1998, 340 und bei OLG Zweibrücken DAR 2003, 184) und enthält auch
den Hinweis auf § 55 OWiG mit der Belehrung über die Rechte des Betroffenen im
Ordnungswidrigkeitenverfahren. Dies alles konnte der Betroffene nur so verstehen, dass
gegen ihn als Täter der Verkehrsordnungswidrigkeit ermittelt wurde und seine Täterschaft
nicht mehr offen war.
Etwas anderes folgt nach Auffassung des Senats - abweichend von der Auffassung der
Rechtsbeschwerde - nicht daraus, dass im Anhörungsbogen vom 07. September 2004 der
Betroffene gebeten wird, die Personalien des verantwortlichen Fahrers mitzuteilen, falls er
die Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben sollte. Denn vorliegend ist teilweise anders
als in den übrigen in der Vergangenheit vom Senat entschiedenen Fällen (vgl. dazu z.B. 2
Ss OWi 1105/99, a.a.O.) der Anhörungsbogen vor dieser Stelle so unzweifelhaft und
bestimmt formuliert, dass der Betroffene eindeutig erkennen konnte, dass er als Fahrer und
Täter der Ordnungswidrigkeit belangt werden sollte. Der Hinweis auf die Zeugenbelehrung
schadet, worauf der Senat in der Vergangenheit bereits hingewiesen, dann nicht (vgl.
Senat in DAR 2000, 81 = NZV 2000, 179; so auch OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 347).
Soweit der Betroffene auf die Entscheidung des OLG Zweibücken in DAR 2003, 184 =
VRS 104, 307 und auf die des OLG Dresden in DAR 2004, 535 verweist, ergibt sich darauf
für den vorliegenden Fall keine andere Entscheidung. Der Senat setzt sich mit seiner
Auffassung nicht in Widerspruch zu diesen Entscheidungen, die dazu kommen, dass die
Verjährung nicht unterbrochen worden ist. Diesen Entscheidungen liegen nämlich andere
Gestaltungen der in den Bußgeldverfahren versandten Anhörungsbögen zu Grunde. Im
Verfahren des OLG Zweibrücken war das Schreiben überschrieben mit
"Anhörungsbogen/Zeugefragebogen" und der Adressat wurde als "Beschuldigter/Zeugen"
bezeichnet. Im Verfahren des OLG Dresden war der Adressat als Halter bzw. Fahrer des
Fahrzeugs zum Vorfallszeitpunkt angeschrieben worden. Damit war in beiden Fällen nicht
unmissverständlich klar, dass konkret gegen den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeugs
zum Vorfallszeitpunkt ermittelt wurde.
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IV.
Nach alledem war der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit der sich aus § 473
Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.