Urteil des OLG Hamm vom 15.06.2010

OLG Hamm (rechtskräftiges urteil, bedingte entlassung, höhe, freiheitsstrafe, sache, gutachten, strafe, beschwerde, stellungnahme, stpo)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 118/10
Datum:
15.06.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 118/10
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, III StVK 100/09
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
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I.
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Der Verurteilte ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. Mai
2002 (KLs 162 Js 702/01 14 IX B 2/02) wegen gemeinschaftlicher sexueller Nötigung in
Tateinheit mit gemeinschaftlichem schweren Raub, gefährlicher Körperverletzung,
gemeinschaftlicher Nötigung, gemeinschaftlicher Bedrohung und gemeinschaftlicher
Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sieben Jahren und sechs
Monaten verurteilt worden. Durch weiteres Urteil des Amtsgerichts Unna vom 15. Januar
2002 (9 Ls 102 Js 47/01 (38(01)) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 13. Januar 2003 (Ns 102 Js 47/01 14 (XVII) B 6/02) ist gegen ihn wegen
gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit versuchter Erpressung, wegen versuchter
räuberischer Erpresssung und wegen Freiheitsberaubung eine Gesamtfreiheitsstrafe in
Höhe von zwei Jahren verhängt worden. Das Landgericht Dortmund führte diese Strafen
unter Auflösung der in dem Urteil des Landgerichts Dortmund vom 13. Januar 2003
gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe mit Beschluss vom 29. Oktober 2003 nachträglich auf
eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von neun Jahren zurück.
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Der Verurteilte befindet sich in vorliegender Sache und zur Verbüßung einer weiteren
Freiheitsstrafe von neun Monaten, die vom 06. Dezember 2007 bis zum 05. September
2008 vollstreckt wurden, seit dem 05. Dezember 2001 in Haft, zuletzt in der
Justizvollzugsanstalt Bochum. Zwei Drittel der vorliegenden Strafe waren am 05.
Dezember 2007 vollstreckt, das Strafende ist auf den 05. September 2011 notiert.
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Mit Beschluss vom 07. Mai 2009 holte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
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Bochum gemäß § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO ein sozial- und kriminalprognostisches
Gutachten insbesondere zu der Frage ein, ob und ggf. mit welcher Wahrscheinlichkeit
die Gefahr besteht, dass der Verurteilte erneut, insbesondere einschlägig straffällig wird.
Als Sachverständigen hatte die Kammer Dr. C2 aus E benannt, der das schriftliche
Gutachten unter dem 17. Juni 2009 erstellte. Mit weiterem Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 09. Dezember 2009 wurde
der Sachverständige Dr. C2 vor dem Hintergrund des – positiven – Berichts der
Anstaltspsychologin X der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 23. November 2009
insoweit um ergänzende Stellungnahme gebeten, die er unter dem 16. Februar 2010
erstellte. Der Sachverständige kommt hierin zu dem Ergebnis, dass unter näher von ihm
ausgeführten Voraussetzungen eine bedingte Entlassung des Verurteilten verantwortbar
erscheint.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum setzte nach mündlicher
Anhörung des Verurteilten und nach Anhörung der Staatsanwaltschaft sowie der
Anstaltspsychologin der Justizvollzugsanstalt mit Beschluss vom 26. April 2010 die
Vollstreckung des mit Ablauf des 06. Mai 2010 nicht verbüßten Restes der "durch Urteil
des Landgerichts Dortmund vom 29.5.2002 verhängten Freiheitsstrafe von 7 Jahren und
6 Monaten" zu Bewährung aus. Hierbei stützte sich die Kammer auf das Gutachten des
Sachverständigen Dr. C2 vom 17. Juni 2009 und dessen Ergänzung vom 16. Februar
2010, die Einschätzung der Anstaltspsychologin und insbesondere den persönlichen
Eindruck des Verurteilten in den Anhörungen vom 19. Oktober 2009 und 26. April 2010.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerechte sofortige Beschwerde der
Staatsanwaltschaft Dortmund vom 26. April 2010, der die Generalstaatsanwaltschaft in
Hamm beigetreten ist.
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Die Generalstaatsanwaltschaft stützt ihren Antrag auf Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft
Dortmund u.a. darauf, dass die Kammer in dem angefochtenen Beschluss von einer
Freiheitsstrafe in Höhe von sieben Jahren und sechs Monaten ausging und nicht die
durch nachträgliche Gesamtstrafenbildung erhöhte Strafe von neun Jahren
berücksichtigt hat. Wegen der weiteren Beanstandungen wird auf die Stellungnahme
der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 14. Mai 2010 Bezug genommen.
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Der Verteidiger beantragt die Zurückweisung der Beschwerde unter Hinweis auf die
Ausführungen des Sachverständigen und der Anstaltspsychologin.
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II.
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Die gem. § 454 Abs. 3 StPO, § 57 Abs. 1StPO statthafte und fristgerecht (§ 311 StPO)
eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest
vorläufig – Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und
Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten
Behandlung und Entscheidung.
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Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss die Vollstreckung
des Restes der Freiheitsstrafe in Höhe von sieben Jahren und sechs Monaten aus dem
Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. Mai 2002 zur Bewährung ausgesetzt. Diese
Entscheidung ist rechtsfehlerhaft, da die genannte Strafe in den
Gesamtstrafenbeschluss vom 29. Oktober 2003 eingeflossen ist und demzufolge über
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die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der insoweit gebildeten
Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren zu befinden gewesen wäre.
Der Senat kann nicht sicher ausschliessen, dass die Strafvollstreckungskammer über
ein bloßes Fassungsversehen hinaus die zutreffende Höhe der zu vollstreckenden
Strafe und die dem zugrundeliegende weitere Verurteilung des Amtsgerichts Unna vom
15. Januar 2002 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Dortmund vom 13.
Januar 2003 tatsächlich unberücksichtigt gelassen hat. Weder aus den Gründen des
Beschlusses vom 26. April 2010 noch aus dem Verfahrensgang, insbesondere den
Anhörungsprotokollen vom 19. Oktober 2009 und 26. April 2010, ergeben sich
hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer die zutreffende Strafhöhe und
damit auch das der weiteren Verurteilung zugrundeliegende Tatgeschehen erkennbar in
den Blick genommen hat.
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Der Senat vermag auch nicht sicher festzustellen, dass dieser Fehler sich im Ergebnis
nicht ausgewirkt hat. Der Sachverständige Dr. C2 hat sowohl in seinem schriftlichen
Gutachten vom 17. Juni 2009 als auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.
Februar 2010 allein das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. Mai 2002 mit der dort
verhängten Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten zugrundegelegt.
Nachdem sich der angefochtene Beschluss der Kammer neben dem persönlich von
dem Verurteilten gewonnenen Eindruck - auch - auf die Ausführungen des
Sachverständigen stützt, hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass die
unterbliebene Berücksichtigung der weiteren Verurteilung, die ein eigenständiges Bild
von der Persönlichkeit des Angeklagten zeichnet, Einfluss auf die
Entscheidungsfindung der Kammer genommen hat.
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Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Bochum zurückzuverweisen, da hier ein Verfahrensmangel vorliegt,
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den das Beschwerdegericht nicht beheben kann.
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