Urteil des OLG Hamm vom 23.07.2003

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Oberlandesgericht Hamm, 13 U 49/03
Datum:
23.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 49/03
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 2 O 355/02
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24. Januar 2003 verkündete
Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die Berufung ist begründet, mit der Folge, daß die Klage abzuweisen ist. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Ersatz des Schadens an ihrem Pkw Typ Jaguar, der am
13. Januar 2002 durch herabfallenden Schnee verursacht wurde.
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Der Anspruch ist schon dem Grunde nach nicht gegeben.
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Eine Haftung der Beklagten nach § 836 BGB kommt nicht in Betracht, da diese
Bestimmung auf Dachlawinen nicht anwendbar ist (BGH VersR 1955, 300; OLG Hamm
NJW-RR 1987, 412). Öffentlich-rechtliche Schutzgesetze, gegen die die Beklagte
verstoßen haben könnte, sind nicht ersichtlich. Unstreitig ist es im Gebiet der Stadt E
ordnungsbehördlich nicht vorgeschrieben, zum Schutz gegen herabfallenden Schnee
und Eis bauliche Vorrichtungen an Gebäuden (Schneefanggitter) anzubringen. Die
ordnungsbehördliche Verordnung vom 16.04.1992 sieht vor (§ 11 Abs. 1), daß
Schneeüberhang und Eiszapfen an Gebäuden zu entfernen sind, wenn Personen oder
Sachen ansonsten gefährdet werden könnten. Solche Gefahren haben sich im Streitfall
jedoch nicht verwirklicht. Jedenfalls hat die Klägerin dies nicht bewiesen.
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Die Klägerin kann den Beklagten auch nicht wegen Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB in Anspruch nehmen. Es fehlt schon
an der Verletzung einer Rechtspflicht.
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In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, daß einen Hauseigentümer
grundsätzlich nicht die Pflicht trifft, Dritte durch spezielle Maßnahmen vor Dachlawinen
zu schützen, wenn diese – wie hier – nicht vorgeschrieben sind (vgl. OLG Celle, VersR
82, 979; OLG Düsseldorf, OLGR 93, 119; OLG Hamm NJW-RR 87, 412). Es ist zunächst
Aufgabe eines jeden selbst, sich vor solchen Gefahren zu schützen. Eine Rechtspflicht
besteht erst dann, wenn besondere Umstände Sicherungsmaßnahmen zum Schutze
Dritter gebieten. Solche können nach der allgemeinen Schneelage des Ortes, der
Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, den konkreten Schneeverhältnissen und der
Art und des Umfangs des gefährdeten Verkehrs gegeben sein (vgl. OLG Dresden, r + s
1997, 369).
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Nach keinem dieser Aspekte war die Beklagte gehalten, zur Vermeidung des Schadens
der Klägerin Maßnahmen zu ergreifen. Schneefanggitter auf der Dachfläche waren nicht
erforderlich. Dies meint auch der Geschäftsführer der Klägerin, der an seinem Haus auf
dem unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstück selbst keine solchen Vorrichtungen
angebracht hatte und nach seinen Erklärungen vor dem Senat weder nach der
Dachneigung, der Lage des Garagendaches der Beklagten und den allgemeinen
Schneeverhältnissen in E solche für erforderlich hält. Der Geschäftsführer der Klägerin
hat auch nicht erwartet, daß die 72-jährige Beklagte, die ihm als Nachbarin bekannt war,
vorsorglich dafür gesorgt hätte, Schnee von dem Dach zu kehren. Er meint aber, die
Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn vor der Gefahr zu warnen. Dem ist jedoch aus
mehreren Gründen nicht zu folgen. Die Beklagte mußte nicht damit rechnen, daß der
Kläger gerade an der Stelle parken würde, an der der Pkw durch den Überhang des
Daches durch Schnee gefährdet werden konnte. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt
sich nämlich, daß der Pkw in der Regel gerade nicht dort abgestellt wird und am
Schadenstage nur ausnahmsweise diese Fläche benutzt wurde, weil wegen einer
Baustelle und wegen geräumten Schnees andere Flächen in der Nähe nicht frei waren.
Die vorausschauende Einschätzung einer Gefahr musste die Beklagte auch deshalb
nicht zu einer Warnung veranlassen, weil sie sich bei vernünftiger Betrachtungsweise
darauf verlassen durfte, daß der Geschäftsführer der Klägerin davon absehen würde,
seinen wertvollen Pkw unter dem Überhang des Daches abzustellen. Denn ihm war
bekannt, daß es an den Tagen zuvor heftig geschneit hatte und dies eine gewisse
Gefahrträchtigkeit mit sich brachte, die sogar dazu geführt hatte, daß das Dach des
städtischen Hallenbades unter der Schneelast eingebrochen war. Selbst wenn die
Beklagte an die Möglichkeit eines Schadens gedacht hätte, durfte sie sich darauf
verlassen, daß der Geschäftsführer der Klägerin gerade hier nicht parken würde, zumal
er die konkrete Gefahrenlage vor Augen hatte und erkennen konnte, daß der Wagen
unter dem mit hohem Schnee bedeckten Garagendach stand. Die Beklagte musste nach
alledem die Gefahr einer Beschädigung des Pkw vorausschauend nicht in ihre
Vorstellung aufnehmen und für eine Warnung vor der Gefahr, die sich hier realisierte,
sorgen.
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Selbst wenn man das anders sähe, ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen der
Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil
den Geschäftsführer der Klägerin ein weit überwiegendes, haftungsausschließendes
Verschulden trifft, § 254 Abs. 1 BGB. Aus den oben dargelegten Gründen hatte er die
Gefahr konkret vor Augen, war mit den örtlichen Verhältnissen und den
Witterungsbedingungen vertraut und erst durch sein außergewöhnliches Verhalten, mit
dem die Beklagte nicht rechnen mußte, kam es zu der Gefährdung des Pkw. Es ist
schon zweifelhaft, ob eine zusätzliche Warnung den Geschäftsführer der Klägerin davon
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abgehalten hätte, seinen Pkw gerade hier zu parken. Denn er begründet sein Verhalten
gerade damit, daß andere Freiflächen nicht zur Verfügung standen. Entscheidend ist
jedoch, daß er durch sein völlig gedankenloses Verhalten die konkrete
Gefährdungssituation primär verursachte und deshalb gehalten war, für den Pkw einen
Platz zu suchen, bei dem eine Gefährdung dieser Art nicht bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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