Urteil des OLG Hamm vom 22.04.2004

OLG Hamm: unfall, fahrzeug, golf, anhörung, fahrbahn, kollision, führer, gefährdung, verschulden, datum

Oberlandesgericht Hamm, 6 U 240/03
Datum:
22.04.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 240/03
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 3 O 704/02
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.10.2003 verkündete Urteil
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum - unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
2.939,19 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
04.01.2003 zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
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Die Beklagten sind gemäß §§ 7, 17 StVG, § 823 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG verpflichtet, den
der Klägerin beim Unfall vom 09.08.2002 entstandenen Schaden auf der Basis hälftiger
Schadensteilung zu ersetzen. Denn der Unfall war für keine der beteiligten Fahrerinnen
unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG n.F.); vielmehr fällt beiden ein Verschulden zur Last,
wobei der Senat die Verantwortungs- und Verursachungsbeiträge auf beiden Seiten
gleich hoch gewichtet.
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Der Beklagten zu 1) ist vorzuwerfen, dass sie mit einem den Umständen nach zu
geringen seitlichen Passierabstand an dem Pkw der Klägerin vorbeigefahren ist,
welcher rechts neben der Fahrbahn auf einem Parkstreifen abgestellt war. Die
Sachverständigen Dipl.-Ing. C und Prof. Dipl.-Ing. T sind übereinstimmend mit
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überzeugender Begründung aufgrund einer Auswertung der Schadensbilder zu dem
Ergebnis gelangt, dass die Fahrzeugflanken während des Passierens einen
Seitenabstand von 0,8 bis 0,9 m hatten. Zwar gibt es zum Seitenabstand beim
Passieren eines parkenden Fahrzeugs keine starren Regeln (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, § 6 StVO, Rdn. 11). Der festgestellte Seitenabstand war aber
unter den gegebenen Umständen entgegen der Auffassung des Landgerichts
keineswegs völlig ausreichend, sondern zu gering. Wenn schon die Möglichkeit in
Betracht gezogen werden muss, dass beim Vorbeifahren an einem haltenden Pkw
dessen Tür geöffnet wird (vgl. BGH DAR 81, 148), so muss erst recht damit gerechnet
werden, dass sich der Öffnungswinkel einer bereits teilweise geöffneten Tür vergrößert,
wenn – wie hier – die Führerin des haltenden Fahrzeugs neben diesem steht und sich in
die teilweise geöffnete Fahrertür hineinbeugt.
Dass dies der Fall war, steht zur Überzeugung des Senats fest. Die Polizeibeamten, die
den Unfall aufgenommen haben, haben in ihren vom Senat gemäß § 377 Abs. 3 ZPO
eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen bestätigt, dass die Klägerin ihnen den Unfall
bereits an der Unfallstelle in dieser Weise geschildert hat. Zu diesem Zeitpunkt hat die
Beklagte zu 1) den Unfall auch nicht abweichend in der Weise geschildert, dass
während ihres Vorbeifahrens die zuvor geschlossene Fahrertür am parkenden Fahrzeug
der Klägerin geöffnet worden wäre. Der Senat glaubt deswegen die Darstellung der
Klägerin; er schließt es nach Anhörung der beiden unmittelbar am Unfall beteiligten
Parteien aus, dass die Klägerin bereits an der Unfallstelle diese Version lediglich
erfunden und dann den Polizeibeamten präsentiert hat.
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Im Übrigen stand der Beklagten zu 1) angesichts der gesamten Fahrbahnbreite von
11 m und ihrer Fahrstreifenbreite von 5,50 m genügend Raum zur Verfügung, um ohne
Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot mit ihrem Pkw Opel Corsa den neben der
Fahrbahn auf dem Parkstreifen abgestellten Pkw VW Golf der Klägerin mit einem
ungefährlichen Seitenabstand zu passieren. Es kann offenbleiben, ob – wie es die
Beklagte zu 1) bei ihrer Anhörung vor dem Senat angegeben hat – die vor ihr fahrenden
Fahrzeuge einen ebenso geringen Abstand von den parkenden Fahrzeugen
eingehalten haben und sie sich lediglich in der Reihe der fahrenden Fahrzeuge bewegt
hat; denn das entlastet sie nicht.
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2.
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Die Klägerin ist für den Unfall mitverantwortlich, weil sie den strengen Anforderungen
nicht genügt hat, die in § 14 Abs. 1 StVO an das Verhalten beim Ein- und Aussteigen
gestellt werden. Sie hätte sich nach dieser Vorschrift so verhalten müssen, dass eine
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.
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Aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht jedoch auch zur Überzeugung
des Senats fest, dass während des Vorbeifahrens der Beklagten zu 1) der
Öffnungswinkel der Fahrertür des auf dem Parkstreifen abgestellten Pkw VW Golf der
Klägerin vergrößert worden ist, d.h. dass die Tür weiter geöffnet worden ist. Entgegen
der Darstellung der Klägerin ist die Beklagte nicht mit der vorderen rechten Ecke ihres
Fahrzeugs gegen die Hinterkante der teilweise geöffneten Fahrertür des Pkw VW Golf
geprallt und hat dadurch deren weitere Öffnung bewirkt; vielmehr ist es erst während der
Vorbeifahrt zu einem Kontakt zwischen den Fahrzeugen gekommen, weil der
Öffnungswinkel der Tür unmittelbar vorher vergrößert worden ist. Das hat dazu geführt,
dass die Hinterkante der Fahrertür den vorbeifahrenden Pkw Opel im Bereich des
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seitlich ausgestellten Radlaufs des rechten Vorderrades getroffen hat, und zwar erst
hinter der Radlaufmitte.
Die Einwendungen, die die Klägerin gegen diese Feststellungen vorbringt, welche
bereits das Landgericht auf der Grundlage der Gutachten der Sachverständigen Dipl.-
Ing. C und Prof. Dipl.-Ing. T getroffen hat, greifen nicht durch. Die lichtbildlich
dokumentierten Schadensbilder des Pkw Opel Corsa (insbesondere Anlage A 6, aber
auch A 7 des Gutachtens C vom 30.04.2003) sind insoweit eindeutig. Wäre die im Laufe
der Kollision bewirkte weitere Öffnung der Fahrertür allein dadurch verursacht worden,
dass deren Hinterkante bei bis dahin unverändertem Öffnungswinkel von dem
vorbeifahrenden Pkw Opel Corsa erfasst worden wäre, so hätten sich an dessen
vorderer rechten Ecke im Frontbereich markante Schadensspuren zeigen müssen.
Solche waren aber eindeutig weder an der kunststoffummantelten Stoßstange
vorhanden noch im Blechbereich der vorderen rechten Ecke und auch nicht am Glas der
Beleuchtungs- und Blinkereinheit. Vielmehr setzen die Kontaktspuren erst seitlich im
Bereich des Radlaufs ein. Damit steht fest, dass während des Vorbeifahrens der
Beklagten zu 1) der Öffnungswinkel der Fahrertür am Fahrzeug der Klägerin vergrößert
worden ist, wobei nicht auszuschließen ist, dass dies durch eine der Klägerin, welche
sich in das Fahrzeug hineingebeugt hatte, nicht bewusst gewordene Bewegung
geschehen ist.
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3.
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Bei der Abwägung der Verursachungsanteile gemäß § 17 StVG hat der Senat zunächst
berücksichtigt, dass der Klägerin gemäß § 14 Abs. 1 StVO die höchste Sorgfaltsstufe
abverlangt wurde. Aufgrund dieser Regelung hat regelmäßig beim Anstoß eines
vorbeifahrenden Fahrzeugs mit einer sich öffnenden Tür der Führer des stehenden
Fahrzeugs den größeren Haftungsanteil zu tragen (vgl. Grünberg, Rdn. 301). Hier
handelt es sich aber um einen Sonderfall, weil feststeht, dass die Fahrertür am
stehenden Fahrzeug bereits vorher geöffnet worden war und die Klägerin sich neben
dem Fahrzeug stehend hineinbeugte. Aufgrund der dadurch gegebenen Signalwirkung
für die Beklagte zu 1) erschien dem Senat hier eine hälftige Schadensteilung
sachgerecht.
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4.
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Die Schadenshöhe ist nicht im Streit.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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