Urteil des OLG Hamm vom 16.10.2003

OLG Hamm (abschiebung, in angemessener weise, abschiebungshaft, beschwerde, vorschrift, bundesrepublik deutschland, persönliche freiheit, anordnung, haft, haftgrund)

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 399/03
Datum:
16.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 399/03
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 9 T 513/03
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass die sofortige Erstbeschwerde hinsichtlich des
Feststellungsantrags zu Ziffer 2) als unzulässig verworfen wird.
G r ü n d e :
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I.
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Der Betroffene reiste am 11. Dezember 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Das nach Durchführung des Asylverfahrens von dem Betroffenen durchgeführte
verwaltungsgerichtliche Verfahren blieb erfolglos. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt
des seit Oktober 2002 vollziehbar zur Ausreise verpflichteten Betroffenen geduldet, da
dieser über keine Ausweispapiere verfügte und zunächst ein Verfahren zur Beschaffung
von Passersatzpapieren eingeleitet werden mußte. Nach Vorlage entsprechender
Papiere war die Abschiebung des Betroffenen auf dem Luftwege für den 4. Juli 2003
vorgesehen. Am 30. Juni 2003 wurde der Betroffene in den Diensträumen des
Beteiligten zu 2) festgenommen, als er dort um die Verlängerung seiner Duldung
nachsuchte.
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Der Beteiligte zu 2) hat mit Schreiben vom 30.06.2003 bei dem Amtsgericht beantragt,
gem. § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG gegen den Betroffenen im Hinblick auf seine beabsichtigte
Abschiebung auf dem Luftweg die Abschiebungshaft für die Dauer von zwei Wochen
anzuordnen. Das Amtsgericht hat am 30.06.2003 den Betroffenen unter Zuziehung
eines Dolmetschers persönlich angehört und durch Beschluß vom selben Tag die
Abschiebungshaft bis zum 13.07.2003 angeordnet. Das Amtsgericht hat in den Gründen
seine Entscheidung auf die Vorschrift des § 57 Abs. 3 AuslG sowie in tatsächlicher
Hinsicht darauf gestützt, es bestehe die Gefahr, dass der Betroffene untertauchen
werde.
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Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene mit Schriftsatz seines
Verfahrensbevollmächtigten vom 03.07.2003 rechtzeitig sofortige Beschwerde
eingelegt, mit der geltend gemacht hat, die Voraussetzungen für die Anordnung der
Abschiebungshaft lägen nicht vor, da sein Aufenthaltsort dem Beteiligten zu 2) bekannt
gewesen sei.
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Der Betroffene ist am 4. Juli 2003 aus der Haft entlassen und in sein Heimatland
abgeschoben worden. Er hat im Erstbeschwerdeverfahren daraufhin beantragt
festzustellen, (1.) dass die gegen ihn angeordnete Abschiebungshaft rechtswidrig
gewesen sei und (2.) er für die erlittene Haft zu entschädigen sei. Mit Beschluss vom 29.
August 2003 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des
Betroffenen, die er mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 25.09.2003
rechtzeitig bei dem Landgericht eingelegt hat.
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II.
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Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 103 Abs. 2 AuslG, 7 Abs. 1, 3 S. 2
FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die
Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt bereits daraus, dass seine sofortige erste
Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
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In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts
nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht in Bezug auf den
Feststellungsantrag zu Ziffer 1) zu Recht von einer zulässigen sofortigen
Erstbeschwerde des Betroffenen ausgegangen. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels
steht insoweit nicht entgegen, dass sich durch den Vollzug der Abschiebung das
Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG
(NJW 2002, 2456) muß im Hinblick auf das Gebot der Gewährung eines effektiven
Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) ein Rechtsschutzinteresse für eine nachträgliche
feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer
Abschiebungshaftmaßnahme unabhängig davon bejaht werden, ob nach dem Inhalt der
Maßnahme typischerweise der Rechtsschutz des Betroffenen unter Ausschöpfung des
vorgesehenen Instanzenzugs vor ihrer sachlichen Erledigung gewährt werden kann.
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Diese Beurteilung trifft indessen nicht für den weiteren Antrag des Betroffenen zu
festzustellen, dass er für die erlittene Abschiebungshaft zu entschädigen sei. Etwaige
Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche aus nach Ansicht des Betroffenen zu
Unrecht erlittener Abschiebungshaft auf der Grundlage des Art. 5 EMRK oder § 839
BGB sind vor den ordentlichen Gerichten der Zivilgerichtsbarkeit geltend zu machen
(Gollwitzer in Loewe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., MRK, Art. 5, Rdnr. 138;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., MRK, Art. 5, Rdnr. 14). Diese prüfen in
eigener Verantwortung das Vorliegen der Voraussetzungen eines Schadensersatz -
oder Schmerzensgeldanspruches. Diese Prüfung ist somit den Gerichten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit entzogen. Deren Prüfungskompetenz beschränkt sich auf die
Rechtmäßigkeit der Anordnung oder Verlängerung der Abschiebungshaft (OLG Hamm
FGPrax 2003, 98). Dementsprechend hat der Senat in diesem Punkt die sofortige
weitere Beschwerde mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass bereits die
sofortige erste Beschwerde als unzulässig verworfen wird (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FG,
15. Aufl., § 27, Rdnr. 55 m.w.N.).
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In der Sache hat die Kammer im Kern ausgeführt, die Anordnung der Abschiebungshaft
sei gem. § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG rechtmäßig erfolgt, da der Betroffene vollziehbar
ausreisepflichtig und aufgrund der Flugbuchung die Abschiebung für den 4. Juli 2003
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vorgesehen gewesen sei. Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht das ihm durch §
57 Abs. 2 S. 2 AuslG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, seien nicht
ersichtlich.
Den eher kursorischen Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung lässt sich
allerdings nicht entnehmen, dass das Amtsgericht die Anordnung der Abschiebungshaft
auf die Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG hat stützen wollen und es sich somit des
ihm zukommenden Ermessens nach der vorgenannten Vorschrift bewusst gewesen ist.
Die insoweit gegebene Begründung legt eher den Schluss nahe, dass das Amtsgericht
auf den Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Ziff. 5 AuslG hat abstellen wollen, wenn es ohne
nähere Begründung ausführt, es bestehe der begründete Verdacht, der Betroffene
werde sich der bevorstehenden Abschiebung entziehen.
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Indessen war das Landgericht verfahrensrechtlich nicht gehindert, im Rahmen seiner
Entscheidung über die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung auf einen
anderen Haftgrund abzuheben und dazu zugleich erforderliche Ermessenerwägungen
nachzuholen (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen). Das BVerfG hat in seiner
genannten Entscheidung den Fachgerichten nicht näher vorgegeben, nach welchen
verfahrensrechtlichen Kriterien sie die feststellende Entscheidung über die
Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftmaßnahme zu treffen haben. Tritt - wie hier - eine
Erledigung der Hauptsache bereits nach Erlass der erstinstanzlichen Haftanordnung
ein, so kann Verfahrensgegenstand der zu treffenden feststellenden Entscheidung nur
die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung des Amtsgerichts sein. Dadurch tritt jedoch keine
Bindung des Landgerichts an die rechtlichen Erwägungen der amtsgerichtlichen
Entscheidung in dem Sinne ein, dass nur das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Haftgrundes in der vom Amtsgericht vorgenommenen Einordnung überprüft werden
könnte. Vielmehr kann und muss das Erstbeschwerdegericht bezogen auf den
Sachverhalt, der Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung war, die
Voraussetzungen der Haftanordnung unter allen rechtlich in Betracht kommenden
Gesichtspunkten prüfen. Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der erwähnten
Entscheidung des BVerfG geboten, die lediglich eine Anwendung des Verfahrensrechts
sicherstellen will, die dem Betroffenen nachträglich eine sachliche Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der Haftanordnung eröffnet. Damit verbunden ist jedoch nicht eine
Verschiebung der sachlichen Prüfungsbefugnis des Erstbeschwerdegerichts. Hätte sich
der Betroffene zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung weiterhin in Haft
befunden, wäre das Landgericht nicht gehindert gewesen, anstelle des vom Amtsgericht
bejahten Haftgrundes einen anderen Haftgrund anzunehmen. Eine andere Beurteilung
ist deshalb auch dann nicht veranlaßt, wenn nach Eintritt der Erledigung der
Hauptsache die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung im Rahmen einer feststellenden
Entscheidung zu überprüfen ist.
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Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts
ihre rechtliche Grundlage in § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG findet. Danach kann ein Ausländer
für die Dauer von längstens zwei Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn
die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt
werden kann. Diese Voraussetzungen lagen ersichtlich vor, nachdem der Betroffene
nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Asylverfahrens seit Oktober 2002 zur
Ausreise verpflichtet war, der Behörde Heimreisedokumente vorlagen und für ihn ein
Flug von E nach T für den 4. Juli 2003 gebucht war.
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Nach den weiteren zutreffenden Ausführungen des Landgerichts setzt der Haftgrund
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nach § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde nicht
den begründeten Verdacht voraus, dass sich der Betroffene seiner Abschiebung
entziehen will. Dies folgt bereits aus der systematischen Stellung der Bestimmung des
Abs. 2 S. 2 innerhalb der Vorschrift des § 57 AuslG, die die Sicherungshaft nach dieser
Vorschrift unterscheidet von den Haftgründen nach § 57 Abs. 2 S. 1 der Vorschrift, die,
sei es in der Form gesetzlicher Vermutungen (Ziff. 1 bis 4), sei es in der Form des
allgemeinen Haftgrundes der Ziff. 5, den begründeten Verdacht voraussetzen, dass sich
der Ausländer seiner Abschiebung entziehen will. Dieselbe Schlußfolgerung ergibt sich
mit Deutlichkeit aus der Begründung der gesetzlichen Vorschrift (BT-Drucksache
12/2062 S. 45 f.), "vor allem bei Sammelabschiebungen und in sonstigen Fällen, in
denen die Abschiebung einen erheblichen organisatorischen Aufwand erfordert oder
nur - z.B. im Hinblick auf die Gültigkeitsdauer der Reisedokumente - in einem
begrenzten Zeitraum möglich ist, den Vollzug der Abschiebung zu sichern."
Die Anordnung der Haft ist in § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG allerdings durch das Wort "kann" in
das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Diese Ermessensausübung hat
unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots im Hinblick auf den Eingriff in
die persönliche Freiheit des Betroffenen unter Abwägung mit dem Zweck der
gesetzlichen Vorschrift zu erfolgen, im Allgemeininteresse eine zügige Durchführung
der vollziehbaren Abschiebung des Betroffenen zu sichern (vgl. den vom Landgericht
bereits herangezogenen Beschluss des OLG Naumburg vom 13.03.2000 - 10 Wx 25/99
-). Einen Ermessensfehlgebrauch in dieser Hinsicht läßt die Entscheidung des
Landgerichts nicht erkennen. Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung
entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG in
angemessener Weise berücksichtigt, dass die organisatorischen Vorbereitungen für die
für den 4. Juli 2002 bevorstehende Abschiebung des Betroffenen auf dem Luftwege
bereits abgeschlossen waren. Der Betroffene hat demgegenüber bei seiner
persönlichen Anhörung sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet damit
begründet, er könne nicht in sein Heimatland zurückkehren, da sich in seinem Dorf
Soldaten aufhielten und ihm der Aufenthaltsort seiner Eltern nicht bekannt sei. Wenn
das Landgericht unter Berücksichtigung vorgenannter Umstände die Anordnung der
Abschiebungshaft für erforderlich gehalten hat, so lässt diese Entscheidung einen
Rechtsfehler nicht erkennen. Die gegenteilige Auffassung der weiteren Beschwerde, die
die Haftanordnung unter den geschilderten Umständen als unzulässige "Schutzhaft"
ansieht, übersieht, dass diese Haft von dem bereits geschilderten Zweck der
gesetzlichen Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG ausdrücklich gedeckt ist.
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