Urteil des OLG Hamm vom 13.03.2017

OLG Hamm (versicherungsnehmer, tätigkeit, rechtskräftiges urteil, reparatur, haftpflichtversicherung, versicherungsvertrag, höhe, versicherungsschutz, antrag, entgelt)

Oberlandesgericht Hamm, 20 W 29/77
Datum:
09.12.1977
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 W 29/77
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 9 O 425/76
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über das
Armenrechtsgesuch des Klägers an das Landgericht Bielefeld
zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung
außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Gründe:
1
I)
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Der Kläger ist Nachlaßverwalter über das Vermögen der am 8. Januar 1975
verstorbenen Eheleute ... und .... Der verstorbene Ehemann ... hatte bei der Beklagten
eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Auf dem von ihm am 10. September 1965
unterzeichneten Versicherungsantrag heißt es:
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Hiermit wird Versicherungsschutz als Privatperson nach Maßgabe der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung und der sonstigen
gesetzlichen Bestimmungen im Umfange der auf der Rückseite abgedruckten
Erläuterungen beantragt.
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In den Erläuterungen zum Versicherungsantrag heißt es unter Ziff. I:
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Die Versicherung umfaßt - mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes, eines Berufs,
eines Amts (auch Ehrenamts), einer verantwortlichen Betätigung in Vereinigungen
aller Art oder einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung - die gesetzliche
Haftpflicht des Versicherungsnehmers 1) als Privatperson aus den Gefahren des
täglichen Lebens ...
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Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die
Haftpflichtversicherung (AHB) zugrunde.
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Der Versicherungsnehmer war gelernter Musikinstrumentenbauer und in diesem Beruf
bis Anfang 1956 tätig. Er war sodann bis zu seinem Tode als Dreher bei der Firma ... in
... beschäftigt. Seit dem 13. Dezember 1967 war er im Besitz eines
Wandergewerbescheines, der sich auf das "Feilbieten und den Ankauf von
Musikinstrumenten und Zubehör, Elektrogeräten und Schallplatten" erstreckte. Weiter
war der Versicherungsnehmer Mitglied der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr ....
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Der Versicherungsnehmer wohnte bis zu seinem Tode in einer Mietwohnung in .... Im
Keller dieses Hauses, dessen Eigentümer sein Schwager war, hatte er sich einen
"Bastelraum" eingerichtet. Dort reparierte er nicht nur seine eigenen Musikinstrumente,
sondern auch Instrumente - vorwiegend Blasinstrumente - seiner Kameraden von der
Feuerwehrkapelle. Wenigstens gelegentlich reparierte er auch gegen Entgelt
Instrumente Dritter, mit denen er in Ausübung des nebenberuflichen Wandergewerbes
in Kontakt gekommen war. Zur Reparatur der Blasinstrumente waren häufig Lötarbeiten
erforderlich, die der Versicherungsnehmer mit Hilfe einer an eine Propan-Gasflasche
angeschlossenen Lötpistole vornahm.
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Am 8. Januar 1975 gegen 0.50 Uhr kam es in dem vom Versicherungsnehmer
bewohnten Hause zu einer Explosion, durch die das gesamte Haus fast vollständig
zerstört wurde. Von den 5 Hausbewohnern kamen drei ums Leben, nämlich der
Versicherungsnehmer, seine Ehefrau und seine Schwiegermutter. Der 14-jährige Sohn
des Versicherungsnehmers sowie der Hauseigentümer, der sein Schwager war, kamen
mit Verletzungen davon. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ..., der im
Ermittlungsverfahren 46 (5) Js 79/75 StA Bielefeld mit der Untersuchung der
Unglücksursache beauftragt war, ist die Explosion darauf zurückzuführen, daß aus der
im Bastelkeller befindlichen Propan-Gasflasche, und zwar durch das Ventil der daran
angeschlossenen Lötpistole, Gas ausgeströmt und durch den Kontaktfunken einer
elektrischen Schalteinrichtung (Ölfeuerungsanlage oder Radiator mit automatischer
Temperaturschaltung im Bastelkeller) gezündet worden ist.
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Mit Schreiben vom 19. Februar 1976 lehnte die Beklagte die Übernahme des
Versicherungsschutzes für den durch das Explosionsunglück entstandenen Schaden ab
mit der Begründung, die geltend gemachten Ansprüche seien auf eine Tätigkeit des
Versicherungsnehmers zurückzuführen, die mit seinem nebenberuflich betriebenen
Wandergewerbe im Zusammenhang stünden. Dadurch verursachte Schäden fielen
nicht unter den Versicherungsschutz der Privathaftpflichtversicherung.
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Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben, zunächst mit dem Antrag auf Zahlung von
110.000 DM. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1977 hat er den Antrag angekündigt,
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die Beklagte zu verurteilen, ihn von einer Inanspruchnahme durch
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a) den geschädigten Hauseigentümer ... in Höhe von 79.474,20 DM,
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b)
die Betriebskrankenkasse ... in Höhe von 30.525,80 DM durch Zahlung zu
befreien.
Er begehrt für diese Klage das Armenrecht. Das Landgericht hat die Bewilligung des
Armenrechts abgelehnt mit der Begründung, die beabsichtigte Rechtsverfolg biete keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Haftpflichtfall sei auf die Gefahren eines Betriebs
des Versicherungsnehmers zurückzuführen und deshalb vom Versicherungsschutz
nicht umfaßt. Die explodierte Gasflasche nebst Lötkolben habe der
Versicherungsnehmer nämlich zur Reparatur von Musikinstrumenten benutzt, mit der er
sich auch im Rahmen seines Wandergewerbes beschäftigt habe.
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II)
16
Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde des Klägers ist begründet.
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1)
18
Nach dem bisherigen Sachstand, insbesondere dem Inhalt der Ermittlungsakten, lassen
sich sichere Feststellungen dazu, ob die Gefahr, die sich durch die Explosion des
Propangases realisierte, dem privaten oder beruflichen und gewerblichen
Lebensbereich des Versicherungsnehmers zuzuordnen ist, nicht treffen. Die
Propangasflasche im "Bastelkeller" mit der daran angeschlossenen Lötapparatur wurde
vom Versicherungsnehmer in erster Linie zur Reparatur von Musikinstrumenten benutzt.
Jedenfalls ist von einem anderen Verwendungszweck auch den schon vernommenen
Zeugen nichts bekannt gewesen. Aus den Ermittlungsakten ergibt sich ebenfalls kein
Anhalt für eine andere Verwendung. Bei den Musikinstrumenten, die der
Versicherungsnehmer reparierte, kann es sich einmal um seine eigenen, über deren Art
und Anzahl nichts bekannt ist, zum anderen um diejenigen seiner Kameraden von der
Feuerwehrkapelle und schließlich um solche gehandelt haben, die er im Rahmen
seines nebenberuflichen Wandergewerbes instandsetzte oder beschädigt aufkaufte und
wiederherstellte. Worauf dabei das Schwergewicht lag, ist nicht bekannt. Insbesondere
ist nicht feststellbar, ob die Reparaturarbeiten, die er im Rahmen seines
Wandergewerbes ausführte, einen nennenswerten Umfang einnahmen. Auch nach
Darstellung der Beklagten ist bei dem Explosionsunglück, soweit feststellbar, nur ein
einziges Instrument beschädigt worden, das der Versicherungsnehmer seinerzeit im
Rahmen seines Wandergewerbes zur Reparatur angenommen hatte. Es ist also
möglich, daß der Schwerpunkt der Benutzung der Lötapparatur auf der Reparatur der
Instrumente der Feuerwehrkapelle einschließlich der eigenen Instrumente des
Versicherungsnehmers lag. Angesichts dieser auf tatsächlichem Gebiet liegenden
Zweifel ist jedenfalls nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht abschließend zu klären,
ob die Tätigkeit des Versicherungsnehmers, die zu dem Unglück führte, dem vom
Versicherungsvertrag gedeckten privaten oder dem nicht abgesicherten beruflichen und
gewerblichen Bereich zuzuordnen ist.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zunächst nicht jede Tätigkeit eine berufliche,
die bestimmte Fertigkeiten erfordert, die der Versicherungsnehmer im Rahmen seines
beruflichen Werdeganges erworben hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob der
Versicherungsnehmer etwaige in seinem Beruf erworbene Fähigkeiten in einem
Rahmen einsetzt, der bei vernünftiger Betrachtung in den beruflichen Tätigkeitsbereich
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einzuordnen ist. Repariert z.B. ein Ingenieur auf einer Abendgesellschaft ein defekt
gewordenes Radio, um weiter tanzen zu können, so wird er, auch wenn er dabei seine
beruflich erworbenen Fertigkeiten einsetzt, privat als Gast und nicht beruflich tätig (so
Wussow AHB, §4 Anm. 51, 3). Andererseits wird allgemein die Auffassung vertreten,
daß eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Sinne der Haftpflichtversicherung
auch dann vorliegt, wenn sie im Einzelfall aus privaten oder freundschaftlichen Motiven
ausgeübt wird (z.B. handelt ein Radiomonteur, der seinem Freund abends aus
Gefälligkeit einen Radioapparatausbessert, im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit,
vgl. Wussow a.a.O. Anm. 50).
Im vorliegenden Fall befaßte sich der Versicherungsnehmer, von Beruf Dreher, im
Nebenberuf mit dem "Feilbieten und dem Ankauf von Musikinstrumenten und Zubehör,
Elektrogeräten und Schallplatten" (so der Inhalt des Wandergewerbescheines). Es liegt
nahe, daß sich unter den angekauften Instrumenten auch gelegentlich
reparaturbedürftige befanden. Die Reparatur solcher Instrumente fiel ebenso in den
beruflichen Bereich des Versicherungsnehmers wie die Reparatur im Auftrage Dritter,
auch wenn es sich bei dieser Tätigkeit nur um eine nebenberufliche handelte. Hätte der
Versicherungsnehmer dann, wenn das Schwergewicht seiner Tätigkeit auf diesem
nebenberuflichen Gebiet lag, aus Gefälligkeit in seinem Werkstattraum auch einmal ein
Instrument eines Kollegen von der Feuerwehrkapelle repariert, so wäre dies seiner
beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzuordnen, denn er hätte seine beruflichen
Fertigkeiten und die zum Zwecke der Berufsausübung angeschafften Geräte und
Werkzeuge eingesetzt, wenn auch aus privaten Motiven und ohne die Absicht, einen
Gewinn zu erzielen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn, was hier möglich erscheint,
das Schwergewicht der Basteltätigkeit des Versicherungsnehmers darauf lag, daß er die
Instrumente der Mitglieder der Feuerwehrkapelle in Ordnung brachte, ohne dafür ein
Entgelt zu erhalten, wobei belohnende Geschenke der Eigentümer im üblichen Rahmen
(Flasche Schnaps, Zigaretten o.ä.) wohl als Entgelt anzusehen wären. Dann wurde die
Tätigkeit des Versicherungsnehmers, für die er seine ursprünglich beruflich erworbenen
Fähigkeiten und die gekauften Geräte, einsetzte, in der Hauptsache aus privaten
Motiven und zu privaten Zwecken ausgeführt. Eine solche Tätigkeit kann dann nicht
mehr dem beruflichen Bereich zugeordnet werden, da nicht dort, sondern in der privaten
Sphäre als Mitglied der Feuerwehrkapelle das Schwergewicht des Tätigkeitsbereichs
des Versicherungsnehmers bei seinen Arbeiten an Musikinstrumenten lag. Zumindest
bedarf diese Rechtsfrage der Klärung im ordentlichen Verfahren mit der Möglichkeit der
vollen Ausschöpfung des Instanzenzuges.
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2)
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Besteht die Möglichkeit, daß das Schwergewicht der Verwendung der Lötapparatur im
privaten Bereich lag, ohne daß dies - wie es nach dem gegenwärtigen Sachstand der
Fall ist - eindeutig abzuklären ist, so ist die Beklagte verpflichtet, aus dem
Versicherungsvertrag Deckungsschutz zu gewähren. Nach den Erläuterungen zum
Versicherungsantrag, auf die im Antrag zur Bestimmung des Inhalts des Vertrages
ausdrücklich Bezug genommen wird, und die daher Vertragsinhalt geworden sind (vgl.
BGH VersR 77, 468), umfaßt die Versicherung die gesetzliche Haftpflicht des
Versicherungsnehmers aus den im einzelnen aufgeführten Tatbeständen mit Ausnahme
der Gefahren eines Betriebes eines Berufs usw.. Soweit es sichum die Gefahren eines
Betriebes oder Berufes handelt, liegt nach der ausdrücklichen Formulierung der
Vertragsinhalt gewordenen Erläuterungen also ein Ausnahmetatbestand vor und
handelt es sich nicht um eine primäre Risikobegrenzung. Die Voraussetzungen eines
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Ausnahmetatbestandes sind aber von der Beklagten zu beweisen. Dies wird durch
folgende Überlegung gestützt: Besteht neben einer Privathaftpflichtversicherung bei
einer anderen Versicherungsgesellschaft eine Berufs- oder (und)
Betriebshaftpflichtversicherung, so kann die Unmöglichkeit der Aufklärung der
tatsächlichen Voraussetzungen der Haftung aus einem Versicherungsvertrag nicht dazu
führen, daß der Versicherungsnehmer nunmehr aus keiner Versicherung eine
Entschädigung bekommt, obwohl sicher feststeht, daß ihm jedenfalls aus einem der
Versicherungsverträge eine Entschädigung gebührt. Der Vermeidung derartiger
unbilliger Ergebnisse dient die Regelung in den Erläuterungen zum
Versicherungsantrag, wonach die Gefahren des Berufs und Gewerbes einen - vom
Versicherer zu beweisenden - Ausnahmetatbestand darstellen, so daß dann, wenn sich
tatsächlich nicht aufklären läßt, ob ein Schaden aus dem privaten oder beruflichen
Lebensbereich resultiert, jedenfalls eine Haftung aus der Privathaftpflichtversicherung
besteht. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes, hier der Frage, ob die Lötapparatur
vorwiegend beruflichen oder privaten Zwecken diente, geht dann zu Lasten des
Versicherers.
Der Kläger wird allerdings seinen Klageantrag zu überprüfen haben. Er hat in seinem
bisherigen Antrag Haftpflichtansprüche des Hauseigentümers Leicht und auf die
Betriebskrankenkasse Bertelsmann übergegangene Haftpflichtansprüche gegen den
Ehemann Eser, die nach seiner Ansicht begründet sind, ziffernmäßig festgelegt und
insoweit Freistellung durch Zahlung dieser Beträge verlangt. Der
versicherungsrechtliche Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, der auf
Freistellung von begründeten und Abwehr unbegründeter Ansprüche geht, kann in der
Regel zunächst nur unbeziffert, d.h. zweckmäßigerweise mit der Feststellungsklage
(Feststellung, daß der Versicherer verpflichtet sei, Versicherungsschutz für einen
bestimmten Schadensfall zu gewähren) geltend gemacht werden (OLG Hamm in VersR
75/173). Dieser Versicherungsanspruch wandelt sich erst dann in einen bezifferbaren
Zahlungsanspruch um, wenn der Haftpflichtanspruch durch rechtskräftiges Urteil,
Vergleich oder Anerkenntnis festgestellt ist (§156 Abs. 2 VVG). Entsprechendes könnte
gelten, wenn der Haftpflichtanspruch nach Grund und Höhe zwischen Versicherer und
Versicherungsnehmer unstreitig ist und die Parteien nur darüber streiten, ob der
berechtigte Haftpflichtanspruch unter den Deckungsbereich des Versicherungsvertrages
fällt. Es ist nicht ersichtlich, daß im vorliegenden Fall einer der Haftpflichtansprüche auf
diese Weise festgelegt worden ist. Vor einer solchen Festlegung kann im
Deckungsprozeß kein bezifferter Anspruch geltend gemacht werden. Das würde dem
Trennungsprinzip widersprechen (Prölß-Martin, 21. Aufl., Anm. 5 zu §149 VVG). Im
Deckungsprozeß kann in der Regel nicht entschieden werden, ob und in welcher Höhe
Haftpflichtansprüche gegen den Versicherten begründet sind. Entscheidend ist allein,
daß Haftpflichtansprüche gegen ihn geltend gemacht werden.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§1 GKG i.V.m. Nr. 1271 des
Kostenverzeichnisses, 118 a Abs. 4 ZPO.
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