Urteil des OLG Hamm vom 13.07.2004

OLG Hamm: besonderer gerichtsstand, gerichtsstand des erfüllungsortes, bezirk, entscheidungsbefugnis, bedürfnis, gesellschaft, willkür, feststellungsklage, kaufpreis, basel

Oberlandesgericht Hamm, 1 Sbd 37/04
Datum:
13.07.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Sbd 37/04
Tenor:
Zum gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand für die Klage wird
Frankfurt bestimmt.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Klägerin mit Sitz in Essen kaufte durch in Basel notariell beurkundeten Vertrag vom
16.11.1993 von den drei Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern zum Kaufpreis von
etwa 1,6 Milliarden DM die Geschäftsanteile der I GmbH mit Sitz in Frankfurt und Berlin.
Zum Zeitpunkt des Vertrages hatten die Verkäufer ihren Wohnsitz bzw. Sitz in den
Landgerichtsbezirken Frankfurt, Traunstein und München II. Das erworbene
Unternehmen wurde zwischenzeitlich mit der Klägerin verschmolzen.
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Die Klägerin begehrt nun von den Beklagten, die zum wesentlichen Zeitpunkt der
Klageerhebung ihren allgemeinen Gerichtsstand bei den Landgerichten Frankfurt sowie
München II hatten, die Feststellung, dass sie - die Klägerin - berechtigt sei, unter
bestimmten Bedingungen vom Kaufvertrag zurückzutreten. Sie hat die Klage beim
Landgericht Essen anhängig gemacht und insoweit die Auffassung vertreten, es sei dort
der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes gegeben, weil im Falle ihres Rücktritts
vom Unternehmenskauf das Rückgewährschuldverhältnis aufgrund der vollzogenen
Unternehmensverschmelzung in Essen abzuwickeln sei. Hilfsweise hat sie Verweisung
an das zuständige Gericht des Erfüllungsortes, weiter hilfsweise Vorlage an das
Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts beantragt.
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Das Landgericht Essen hat die Parteien darauf hingewiesen, ein besonderer
Gerichtsstand des Erfüllungsortes sei nach Auffassung der Kammer nicht gegeben, weil
zweifelhaft sei, worin die streitige primäre Erfüllungspflicht der Beklagten liege, so dass
nur am allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten geklagt werden könne. Es hat sodann
die Akten dem OLG Hamm zur Entscheidung über den
Zuständigkeitsbestimmungsantrag der Klägerin vorgelegt.
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II.
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1.
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Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
liegen vor, weil die Klägerin gegenüber den Beklagten als Streitgenossen eine
einheitliche Feststellung begehrt, weil die Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand
nach §§ 12, 13 ZPO bei verschiedenen Gerichten haben und weil schließlich ein
gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand für die Feststellungsklage jedenfalls nicht
zuverlässig feststellbar ist.
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a)
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Der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO steht zunächst nicht
entgegen, dass die Klage bereits erhoben worden ist. Abweichend vom Wortlaut der
Regelung sind der entsprechende Antrag sowie die Bestimmung auch nach
Rechtshängigkeit noch möglich (vgl. BGH in NJW 1978, 321; OLG Karlsruhe in OLGR
1999, 381; BayObLG in NJW-RR 1994, 890; Zöller, ZPO-Kommentar, 24. Aufl., Rn. 16
zu § 36 m.w.N.).
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b)
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Das Vorliegen eines - seitens der Klägerin in erster Linie geltend gemachten -
besonderen Gerichtsstandes schließt vorliegend eine Zuständigkeitsbestimmung durch
den Senat im ausgesprochenen Umfang nicht aus. Die Bestimmung des
Gerichtsstandes nach § 36 Abs.1 Nr. 3 ZPO setzt zwar generell voraus, dass die
Streitgenossen keinen gemeinsamen besonderen Gerichtsstand an einem deutschen
Gericht haben (vgl. BGH in NJW 2000, 1871; BayObLG in NJOZ 2003, 145; Zöller,
a.a.O., Rn. 15 zu § 36 ZPO; Musielak, ZPO-Kommentar, 3. Aufl., Rn. 16 zu § 36). Ist für
die beabsichtigte Klage ein einheitlicher besonderer Gerichtsstand zuverlässig
feststellbar, so fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte
Entscheidung. Eine Zuständigkeitsbestimmung ist dann ausgeschlossen (Zöller, ZPO-
Kommentar, a.a.O., Rn. 18 zu § 36). Vorliegend bedarf es allerdings keiner
Entscheidung des Senates, ob und ggf. wo ein besonderer Gerichtsstand des
Erfüllungsortes für die Klage gegeben ist. Für die begehrte Gerichtsstandsbestimmung
ist vielmehr ausreichend, dass das Vorliegen eines gemeinsamen besonderen
Gerichtsstandes zwischen den Parteien umstritten sowie rechtlich zumindest fraglich ist
und seitens des von der Klägerin angerufenen Landgerichts zur Zeit unter
Berücksichtigung des bisherigen Vortrages der Parteien verneint wird. Da die Klage
bereits rechtshängig ist, muss die Entscheidung darüber, ob der von der Klägerin
geltend gemachte besondere Gerichtsstand besteht, grundsätzlich dem angegangenen
Prozessgericht, somit dem LG Essen, vorbehalten bleiben. Insoweit fehlt eine originäre
Entscheidungsbefugnis des Senates. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend -
die mögliche Entscheidung des Prozessgerichts, ein besonderer Gerichtsstand sei nicht
gegeben, nicht von vornherein, unabhängig von der noch nicht vorliegenden
Begründung als rechtlich willkürlich erscheint. Die nach den gesetzlichen Regelungen
der §§ 36 , 281 ZPO in erster Linie dem Prozessgericht obliegende Entscheidung ist nur
in einem eventuellen Rechtsmittelverfahren - Berufung gegen ein klageabweisendes
Prozessurteil - oder im Falle eines eventuellen späteren negativen Kompetenzkonfliktes
zwischen zwei Landgerichten (§ 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO) durch das Oberlandesgericht zu
überprüfen. Im letzten Fall ist sie zudem unabhängig von ihrer Richtigkeit gemäß § 281
Abs. 2 S. 4 ZPO - auch für das bestimmende Gericht im Sinne des § 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO
- bindend, soweit sie nicht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs oder auf (objektiver)
Willkür beruht (vgl. etwa BGH vom 10.06.2003, X ARZ 92/03, BGH in NJW 2002, 3635;
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NJW 1993, 1273; Zöller, a.a.O., Rn. 16 zu § 281; Vossler in NJW 2003, 1164; Endell in
DRiZ 2003, 133; Fischer in MDR 2002, 1402).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich vorliegend ein Bedürfnis für eine
Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs.1 Nr. 3 ZPO schon aus den formalen
Erfordernissen des § 281 ZPO. Die Klägerin kann einen Antrag auf Verweisung gemäß
§ 281 ZPO nämlich nur dann stellen, wenn eines der Landgerichte, in denen die
Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als für alle Beklagten zuständig
erklärt wird (vgl. auch BayObLG in NJW- RR 1994, 891). Nur dann kann auch das LG
Essen als Prozessgericht in einem eventuellen Verweisungsbeschluss das
aufnehmende Landgerichts konkret bestimmen.
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2.
14
Das OLG Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO für die Gerichtsstandsbestimmung
zuständig, weil das zu seinem Bezirk gehörende Landgericht Essen zuerst mit der
Sache befasst war. Hier wurde die Klage erhoben und der Bestimmungsantrag der
Klägerin gestellt.
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Gemäß § 36 Abs.2 ZPO wird die Zuständigkeitsbestimmung auch dann durch das OLG
vorgenommen, wenn der allgemeine Gerichtsstand der (künftigen) Beklagten in
verschiedenen OLG-Bezirken liegt. Nach dem Wortlaut der Regelung setzt die
Zuständigkeitsbestimmung durch ein OLG voraus, dass zu dessen Bezirk "das zuerst
mit der Sache befasste Gericht gehört". Dies ist vorliegend allein deshalb der Fall, weil
die Klage bereits beim LG Essen, somit im Bezirk des OLG Hamm, rechtshängig ist.
Unerheblich ist dabei, dass keiner der Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand im
Bezirk dieses Oberlandesgerichts hat. Soweit für die Zuständigkeit des bestimmenden
Oberlandesgerichts verlangt wird, dass zumindest einer der Beklagten seinen
allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk dieses Gerichts hat, gilt dies nur für den typischen,
vorliegend nicht gegebenen Bestimmungsantrag vor Klageerhebung. Nur dann ist
Voraussetzung für die Anrufung eines vom Antragsteller auszuwählenden OLG, dass
zumindest einer der künftigen Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk
dieses OLG hat, um so eine willkürliche Anrufung eines in keinerlei räumlicher
Beziehung zu einem Anknüpfungspunkt der künftigen Klage stehenden OLG zu
verhindern (vgl. Zöller, a.a.O., Rn. 4 zu § 36 ZPO; Kemper in NJWE 1998, 3552; OLG
Karlsruhe in OLGR 1999, 380; wohl auch BayObLG in NJW-RR 1999, 1296; OLG
Koblenz in MDR 1998, 1305).
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3.
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Die Entscheidung über die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1
Nr. 3 ZPO ist nach Zweckmäßigkeitserwägungen zu treffen. Hier erscheint es unter
Berücksichtigung der in Betracht kommenden allgemeinen Gerichtsstände - Frankfurt
und München II - zweckmäßig, Frankfurt zum gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand
zu bestimmen. Hier befindet sich der Sitz der Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3b), während
allein die inzwischen verstorbene Beklagte zu 3a) zum maßgeblichen Zeitpunkt der
Klageerhebung einen anderen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Zudem besaßen die in
Frankfurt ansässigen Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger mehr als 95 % des
Stammkapitals der an die Klägerin verkauften Gesellschaft. Dass der Beklagten zu 3a) -
bzw. nun ihren Rechtsnachfolgern - eine Rechtsverteidigung vor dem LG Frankfurt
unzumutbar sein könnte, ist weder dargetan, noch unter Berücksichtigung der
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wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits nach Lage der Akten anzunehmen.
4.
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Nur klarstellend weist der Senat darauf hin, dass die Bestimmung nur den allgemeinen
Gerichtsstand der Beklagten betrifft und demgemäß nur rechtliche Bedeutung erlangen
kann, wenn das Landgericht Essen unter Berücksichtigung des aktuellen Vortrages aller
Parteien das Vorliegen eines besonderen Gerichtsstandes des Erfüllungsortes verneint
und die Klägerin jedenfalls hilfsweise Verweisung an das Gericht des allgemeinern
Gerichtsstandes beantragt. Die diesbezüglich noch ausstehende Entscheidung der
Kammer bleibt somit durch die Senatsentscheidung unberührt.
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