Urteil des OLG Hamm vom 20.09.1999
OLG Hamm: einziehung, verfügung von todes wegen, gesellschaftsvertrag, erbe, gesellschafterversammlung, geschäftsführer, tagesordnung, abfindung, nominalbetrag, stimmrecht
Oberlandesgericht Hamm, 8 U 12/99
Datum:
20.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 U 12/99
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 14 O 104/98
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 29. Oktober 1998 ver-
kündete Urteil der 14. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des
Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500,00 DM abwenden, falls nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Das Urteil beschwert die Beklagte mit mehr als 60.000,00 DM.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der in der Gesellschafterversammlung der
Beklagten vom 31.07.1998 gefaßten Beschlüsse, die die Einziehung der von dem
Kläger gehaltenen Geschäftsanteile zum Gegenstand hatten.
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Der Kläger ist Alleinerbe seines am 05.11.1997 verstorbenen
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Vaters P.
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Die Beklagte wurde im Jahr 1979 als eine Familien-GmbH gegründet.
Gründungsgesellschafter waren der derzeitige Geschäftsführer der Beklagten, seine
damalige Ehefrau und sein Sohn, der verstorbene Vater des Klägers.
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Zuletzt hielt der Vater des Klägers vom Stammkapital der Beklagten in Höhe von
50.000,00 DM Geschäftsanteile in Höhe von 23.200,00 DM und 1.800,00 DM; weitere
Geschäftsanteile im Wert von insgesamt ebenfalls 25.000,00 DM hielt der jetzige
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Gesellschaftergeschäftsführer W.
Im Jahr 1984 heiratete P die Mutter des Klägers. Im zeitlichen Zusammenhang mit
dieser Eheschließung schlossen der Geschäftsführer der Beklagten, W, und sein Sohn
P am 04.09.1984 einen Erbvertrag vor dem Notar Dr.O in R (UR-Nr. ), in dem sie sich
gegenseitig zu Alleinerben einsetzen.
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Im Jahr 1994 reichte die Mutter des Klägers die Scheidung ein.
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Nach dem Tod des Vaters des Klägers am 05.11.1997 schlug der Geschäftsführer der
Beklagten, W, die Erbschaft aus, weil er wegen der Zugewinnauseinandersetzung eine
Überschuldung des Nachlasses vermutete. Erbe seines Vaters wurde sodann der
Kläger.
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Auf Betreiben des Gesellschaftergeschäftsführers der Beklagten wurde am 31.07.1998
eine Gesellschafterversammlung abgehalten.
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Punkt 5) der Tagesordnung lautete:
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Einziehung der von dem Gesellschafter J im Erbgang nach seinem Vater P
nunmehr gehaltenen Geschäftsanteile im Nominalbetrag von 23.200,00 DM und
1.800,00 DM unter Bezugnahme auf § 11 Abs.3 in Verbindung mit § 5 des
Gesellschaftervertrages gegen eine nach § 13 des Gesellschaftervertrages zu
ermittelnde Abfindung.
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Die dabei hier interessierende Regelung in § 5 des Gesellschaftsvertrages lautet:
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§ 5
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Einziehung von Geschäftsanteilen Die Gesellschafter können die Einziehung von
Geschäftsanteilen eines Gesellschafters ohne dessen Zustimmung beschließen
wenn a) ... b) der Gesellschafter verstirbt und seine Gesellschaftsrechte kraft
Gesetzes oder durch Verfügung von Todes wegen nicht auf einen anderen
Gesellschafter oder eheliche Abkömmlinge eines Gründergesellschafters
übergehen; c) ... Die Beschlußfassung über die Einziehung erfolgt mit einfacher
Stimmenmehrheit. Der betroffene Gesellschafter hat hierbei kein Stimmrecht. Statt
der Einziehung kann die Gesellschaft nach entsprechender Beschlußfassung der
Gesellschafter verlangen, daß der Geschäftanteil ganz oder teilweise von ihr
erworben oder auf von ihr benannten Gesellschafter oder dritte Personen
übertragen wird.
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§ 11 des Gesellschaftsvertrages lautet demgegenüber auszugs-
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weise:
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§ 11 Erbfolge
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Geht der Gesellschaftsanteil eines Gesellschafters von Todes wegen über, so ist
der Erwerber des Geschäftsanteils verpflichtet, innerhalb von 6 Monaten seit Erbfall
alle Gesellschafter schriftlich von diesem Erwerb zu unterrichten. Der bzw. die
Erben/Vermächtnisnehmer sind verpflichtet, den übergegangenen Geschäftsanteil
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den verbleibenden Gesellschaftern zu einem nach § 13 des Gesellschaftsvertrages
zu ermittelnden Preis zum Kauf anzubieten. Erfüllt der Gesellschafter, welcher
seinen Geschäftsanteil von Todes wegen erworben hat, die vorstehende
Verpflichtung nicht binnen einer durch die Gesellschaft schriftlich gesetzten Frist
von 2 Monaten, so wird sein Geschäftsanteil eingezogen. Die Einziehung erfolgt
gemäß § 5 des Gesellschaftsvertrages. Das Erwerbsrecht steht den
Gesellschaftern in dem Verhältnis zu, in welchem die Nennbeträge der von ihnen
gehaltenen Geschäftsanteile zueinander stehen. Falls mehrere Erwerbsberechtigte
ihr Erwerbsrecht ausüben, so ist der Geschäftsanteil entsprechend zu teilen. ... Der
Geschäftsanteil gewährt kein Stimmrecht, solange das Erwerbsverfahren nicht
abgeschlossen ist.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die als Anlage 2 zur Klage eingereichte Kopie des
Gesellschaftsvertrages(Bl.12 bis 23 GA) sowie auf die als Anlage 3 eingereichte Kopie
der Tagesordnung der Gesellschafterversammlung per 31.Juli 1998 (Bl.24 f GA)
verwiesen.
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In der Gesellschafterversammlung am 31.07.1998 wurden der
Gesellschaftergeschäftsführer W von Rechtsanwalt Dr. R aus M und der Kläger von
Rechtsanwalt Dr.G aus R vertreten; Rechtsanwalt Dr.R stimmte für die Einziehung der
Geschäftsanteile des Klägers, Rechtsanwalt Dr.G stimmte als Vertreter des Klägers
dagegen.
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Mit Schreiben vom 07.08.1998 zeigte der Geschäftsführer der Beklagten dem Vertreter
des Klägers, Rechtsanwalt Dr.G, an, daß er als alleinvertretungsberechtigter
Geschäftsführer der Beklagten die Einziehung der Geschäftsanteile des Klägers erkläre.
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Der Kläger hat sich mit der am 26.08.1998 eingegangenen Klage gegen die im
Zusammenhang mit der Einziehung seiner Geschäftsanteile gefaßten
Gesellschafterbeschlüsse gewendet. Er hat die Ansicht vertreten, es fehlte an einer
rechtlichen Grundlage für die Einziehung seiner Geschäftsanteile. Als ehelicher
Abkömmling seines Vaters, eines Gründungsgesellschafters, sei eine Einziehung nach
§ 5 des Gesellschaftsvertrages nicht möglich. § 11 des Gesellschaftervertrages gelte nur
für Erben, die nicht eheliche Abkömmlinge von Gründungsgesellschaftern seien.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, daß in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom
31.07.1998 die Anträge des Gesellschafters W, die folgenden Beschlüsse zu
fassen, abgelehnt worden seien:
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1. Einziehung der von dem Gesellschafter J im Erbgang nach seinem Vater P
nunmehr gehaltenen Geschäftsanteile im Nominalbetrag von 23.200,00 DM und
1.800,00 DM unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 5 des
Gesellschaftervertrages gegen eine nach § 13 des Gesellschaftervertrages zu
ermittelnde Abfindung (TOP 5 der Tagesordnung);
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2. Beauftragung des Geschäftsführers W, dem Gesellschafter J gegenüber die
Einziehung seiner Geschäftsanteile schriftlich zu erklären (TOP 6);
3. Beauftragung des Geschäftsführers W, entsprechend § 13 des
Gesellschaftervertrages in der geltenden Fassung das vorgesehene
Einziehungsentgelt zu ermitteln und die im Gesellschaftervertrag vorgesehenen
Raten zu Lasten der offenen Rücklagen für den gesellschaftsvertraglich
fstgelegten Fälligkeitstermin an den Gesellschafter J zu zahlen oder im Wege der
Verhandlung andere Zahlungsmodalitäten zu vereinbaren (TOP 7);
4. Aufstockung des Nennbetrages der Geschäftsanteile des Gesellschafters W
entsprechend, d.h. Aufstockung des von Herrn W gehaltenen Geschäftsanteils im
Nominalbetrag von 4.200,00 DM um 1.800,00 DM auf 6.000,00 DM sowie
Aufstockung des weiteren von Herrn W gehaltenen Geschäftsanteils im
Nominalbetrag von 5.800,00 DM um 23.200,00 DM auf 29.000,00 DM (TOP 8);
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hilfsweise zu Ziffer 1.festzustellen, daß die zu verstehenden Ziffern 1.1 bis 1.4.
wiedergegebenen Gesellschafterbeschlüsse zu TOP 5 bis 8 der Tagesordnung der
Gesellschafterversammlung vom 31.07.1998 nichtig seien; äußerst hilfsweise zu
Ziffer 1. die vorstehend bezeichneten Gesellschafterbeschlüsse für nichtig zu
erklären;
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2. festzustellen, daß er Gesellschafter der Beklagten mit Geschäftsanteilen in
Nennwerten von 23.200,00 DM und 1.800,00 DM sei.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, dem Klageantrag zu Ziff. 2 fehle das
Feststellungsinteresse, da diese Feststellung schon die Folge einer positiven
Formulierung des Antrags zu 1) sei.
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Im übrigen sei die Einziehung wirksam. Sie basiere auf § 11 des Gesellschaftsvertrages,
der die Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten sanktioniere. Die
Geschäftsanteile seien unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Vorschriften wirksam
eingezogen worden.
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§ 11 gelte für alle Erben, somit auch für die ehelichen Abkömmlinge der
Gründungsgesellschafter.
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Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen dem Hilfsantrag des Klägers
entsprochen und den Beschluß zu Ziff. 1.1 des Klageantrags (TOP 5 der Tagesordnung)
für nichtig gehalten. Die Regelung des § 11 des Gesellschaftsvertrages gelte für den
Kläger als ehelichen Abkömmling eines Gründungsgesellschafters nicht.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung
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Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abweisung
der Klage insgesamt erreichen möchte.
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Die Beklagte behauptet, es sei der übereinstimmende Wunsch der Gesellschafter W
und P gewesen, die Aufnahme unerwünschter weiterer Gesellschafter zu verhindern.
Das habe seinen Niederschlag auch in den Regelungen des Gesellschaftsvertrages
gefunden. Erste unangenehme Erfahrungen hätten die Gesellschafter mit der
Vermögensauseinandersetzung anläßlich der Scheidung des Gesellschafters W schon
im Jahre 1981 gemacht. Aus diesen Erfahrungen heraus sei am 13.12.1982 § 4 des
Gesellschaftsvertrages neu gefaßt worden, und bei dieser Fassung sei ausdrücklich von
einer Privilegierung ehelicher Abkömmlinge von Gründungsgesellschaftern abgesehen
worden.
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Anlaß für die Regelung in § 11 des Gesellschaftervertrages in der derzeit geltenden
Fassung sei das Scheidungsverfahren der Eltern des Klägers gewesen; auch hier habe
derselbe Wunsch bestanden, einen "closed shop" bei den Gesellschaftern zu
gewährleisten. Die Neuregelung des § 11 habe nach dem Willen der Gesellschafter
auch eine Änderung des § 5 bedeuten sollen. Eheliche Abkömmlinge hätten nicht
privilegiert werden sollen, sondern die Regelung des § 11 habe für alle Erben
gleichermaßen Geltung. Zum Beweis für den tatsächlichen Willen der Gesellschafter bei
der Abfassung des § 11 beruft sich die Beklagte auf die eidliche Parteivernehmung ihres
Geschäftsführers.
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Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er wiederholt seine Auffassung, der
Gesellschaftsvertrag sei dahin auszulegen, daß § 11 für eheliche Abkömmlinge eines
Gründungsgesellschafters keine Geltung habe.
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Einer Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei zum Beweis für die
Motivation der Gesellschafter bei der Neuregelung des § 11 widerspricht er.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt
der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Das Landgericht hat der hilfsweise erhobenen Nichtigkeitsklage zu Recht stattgegeben
und die Einziehung der Geschäftsanteile des Klägers für nichtig gehalten.
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Der Gesellschaftsvertrag bietet keine rechtliche Grundlage für die Einziehung der
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Geschäftsanteile des Klägers.
Eine zwangsweise Einziehung von Geschäftsanteilen ist nur zulässig, wenn deren
Voraussetzungen in der Satzung hinreichend bestimmt geregelt sind (so Baumbach-
Hueck, GmbHG, 16.Aufl. § 34, Rn.6; Scholz/Westermann, GmbHG, 8.Aufl. § 34, Rn.13;
Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8.Aufl., § 34, Rn.38). Insbesondere bei einer Einziehung
ohne eine volle Abfindung, wie sie hier nach § 13 des Gesellschaftsvertrages stattfinden
sollte, müssen die Voraussetzungen klar umschrieben sein, damit sich jeder
Gesellschafter darauf einstellen kann (Baumbach-Hueck, aaO., BGH, Urt.v.19.09.1977 -
II ZR 11/76 - in NJW 1977, S.2316).
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Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten läßt eine klare Regelung der
Einziehungsvoraussetzungen und auch des Einziehungsverfahrens jedenfalls für den
Fall der Rechtsnachfolge im Erbgang vermissen. Der Gesellschaftsvertrag enthält dazu
unterschiedliche Bestimmungen, die nicht ohne weiteres miteinander zu vereinbaren
sind:
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Nach § 11 des Gesellschaftsvertrages hat bei isolierter Betrachtung dieser Vorschrift
jeder Erbe ohne Ausnahme den übrigen Gesellschaftern seinen ererbten
Geschäftsanteil innerhalb näher bestimmter Fristen zum Kauf anzubieten. Jeder der
übrigen Gesellschafter kann das Angebot annehmen oder auch ausschlagen; machen
mehrere Gesellschafter von ihrem Erwerbsrecht Gebrauch, erfolgt eine Teilung des
ererbten Geschäftsanteils, und die Erwerber erwerben den Anteil in dem Verhältnis, in
welchem die Nennbeträge der von ihnen jeweils gehaltenen Geschäftsanteile
zueinander stehen. Bei diesem Verfahren ist eine Einziehung in der Regel nicht
vorgesehen; diese erfolgt allenfalls als Sanktion, wenn der Erbe seiner
Andienungspflicht nicht nachkommt. Kommt der Erbe seiner Andienungspflicht jedoch
nach und nimmt keiner der übrigen Gesellschafter sein Angebot an, ist für eine
Einziehung kein Raum mehr. Der Erbe bleibt Gesellschafter.
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Nach § 5 des Gesellschaftsvertrages kann die Gesellschaft die Einziehung von
Geschäftsanteilen beschließen, wenn ein Gesellschafter verstirbt und seine
Gesellschaftsrechte nicht auf einen anderen Gesellschafter oder eheliche Abkömmlinge
eines Gründergesellschafters übergehen. Die Einziehung betrifft also nicht jeden,
sondern nur nicht privilegierte Erben; sie kann dann aber unabhängig davon erfolgen,
ob der Erbe seiner Andienungspflicht nach § 11 nachgekommen ist oder nicht. Die
Beschlußfassung über die Einziehung erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit, wobei der
betroffene Gesellschafter kein Stimmrecht hat. Statt der Einziehung kann verlangt
werden, daß der Geschäftsanteil auf die Gesellschaft, auf einen von ihr benannten
Gesellschafter oder auf einen von ihr benannten Dritten übertragen werde. Die
Verfügungsgewalt über den ererbten Geschäftsanteil steht in diesem Fall also der
Mehrheit der Gesellschafter zu; ein Minderheitsgesellschafter hätte danach keine
Chance, sein ihm in § 11 eingeräumtes Erwerbsrecht gegen die Stimmmen der Mehrheit
auszuüben.
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Die Regelungen in den §§ 5 und 11 des Gesellschaftsvertrages sind von ihrem bloßen
Wortlaut her demnach unvereinbar sowohl hinsichtlich der Stellung der betroffenen
Erben als auch hinsichtlich der Rechte der übrigen Gesellschafter. Hinsichtlich der
Erben enthält § 5 eine ausdrückliche Privilegierung anderer Gesellschafter sowie
ehelicher Abkömmlinge der Gründungsgesellschafter, deren Anteile nach § 5 nicht
eingezogen werden dürfen. Für sonstige nach § 5 nicht privilegierte Erben bleibt unklar,
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ob eine Einziehung ihrer Anteile auch erfolgen kann, wenn sie ihrer Andienungspflicht
nach § 11 nachgekommen sind. Die Andienungspflicht des § 11 geht in Ansehung des §
5 praktisch ins Leere, da die Gesellschafter nach § 5 mit Mehrheitsbeschluß auch ohne
Andienung durch die nichtprivilegierten Erben und ohne Fristen deren Anteile entweder
erwerben oder einziehen können.
Angesichts dieser Widersprüche im Gesellschaftsvertrag hat der Senat durch Auslegung
zu beurteilen, wie sich die Vorschriften der §§ 5 und 11 zu einander verhalten und ob
die Satzung der Beklagten danach für die Einziehung von Geschäftsanteilen auch
ehelicher Abkömmlinge von Gründungsgesellschaftern eine Grundlage bietet.
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Aus der Formulierung des § 11 ist nicht ersichtlich, daß damit die Privilegierung der
ehelichen Abkömmlinge von Gründungsgesellschaftern, wie sie in § 5 festgeschrieben
ist, aufgehoben werden sollte. Vielmehr sieht § 11 eigentlich eine Besserstellung der
Erben gegenüber § 5 insoweit vor, als ererbte Anteile danach nur im Fall einer
Verletzung der den Erben auferlegten Andienungspflicht eingezogen werden können.
Daß jedoch die Privilegierung aufgehoben werden sollte dadurch, daß § 11 auf die
Unterscheidung des § 5 hinsichtlich privilegierter und sonstiger Erben nicht eingeht,
erschließt sich dem objektiven Leser des Gesellschaftsvertrages nicht ohne weiteres.
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Auch aus § 4 des Gesellschaftsvertrages folgt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht,
daß eine Privilegierung ehelicher Abkömmlinge der Gründungsgesellschafter, wie sie §
5 noch vorsieht, im Gesellschaftsvertrag insgesamt aufgehoben worden sein sollte.
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§ 4 des Gesellschaftsvertrages betrifft die Übertragung und Veräußerung von
Geschäftsanteilen und lautet:
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Geschäftsanteile an der Gesellschaft dürfen grundsätzlich nur mit Zustimmung aller
Stimmen der Gesellschafter übertragen werden. Ohne Zustimmung aller
Gesellschafter ist eine Geschäftsanteils-Übertragung auch dann nicht zulässig,
wenn der Erwerber ein Gesellschafter oder ein ehelicher Abkömmling eines
Gründungsgesellschafters ist.
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Aus dieser im Jahr 1982 erfolgten Regelung zur Veräußerung von Geschäftsanteilen in
§ 4, die damals den § 5 in der noch heute geltenden Fassung unberührt gelassen hat,
läßt sich im Gegenteil entnehmen, daß zwischen dem Erwerb durch Abtretung von
Geschäftsanteilen und dem Erwerb von Todes wegen klar unterschieden wurde. Die
ausdrückliche Erwähnung von Gesellschaftern und ehelichen Abkömmlingen als
potentiellen Erwerbern weist darauf hin, daß diesen nach dem Gesellschaftsvertrag
grundsätzlich eine besondere Stellung eingeräumt war, denn anders hätte es ihrer
Erwähnung in § 4 nicht bedurft. Der Umstand, daß damals gerade auch unter dem
Eindruck einer scheidungsbedingten Vermögensauseinandersetzung die Privilegierung
der ehelichen Abkömmlinge in § 5 anders als in § 4 nicht aufgehoben worden ist, spricht
gegen ein den gesamten Gesellschaftsvertrag durchziehendes Prinzip eines "closed
shop" der Gesellschafter, wonach jeder Gesellschafter stets die Aufnahme eines
ungeliebten weiteren Gesellschafters sollte verhindern können.
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Aus dem Umstand schließlich, daß die Regelung des § 11 zeitlich später als die in § 5
getroffene Regelung vereinbart worden ist, folgt auch nicht der Vorrang des § 11 und die
Aufhebung des § 5, dies schon deshalb nicht, weil § 11 wegen der Einziehung
ausdrücklich auf § 5 verweist und damit zeigt, daß die Bestimmungen des § 5 nicht etwa
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übersehen worden oder in Vergessenheit geraten waren.
Wenn aber § 5 des Gesellschaftsvertrages fortgelten sollte, so kann ein Nebeneinander
beider Regelungen (§ 5 und § 11) nur widerspruchsfrei dahingehend verstanden
werden, daß § 11 nur Anwendung auf nicht privilegierte Erben findet. Andernfalls würde
die Regelung des § 5 b) ins Leere gehen. Der Sinn des § 11 besteht dann darin, der
nach § 5 möglichen Einziehung das Andienungsverfahren des § 11 mit den dort
genannten Fristen und dem einzelnen Gesellschaftern eingeräumten Erwerbsrecht
vorzuschalten.
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Auch die Behauptung der Beklagten, mit der Änderung des § 11 sei entgegen dem
Wortlaut der Regelung eine Änderung des § 5 tatsächlich gewollt gewesen, vermag der
Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Beklagte mit dem Antrag auf Vernehmung
ihres Geschäftsführers als Partei keinen zulässigen Beweis für den von ihr behaupteten
übereinstimmenden Willen aller Gesellschafter bei der Beschlußfassung über § 11
angeboten hat, denn der Kläger hat der Parteivernehmung widersprochen (§ 447 ZPO).
Ein Fall des § 448 ZPO liegt hier nicht vor, denn auch im Fall der Beweisnot setzt die
Anwendung des § 448 ZPO eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der
Behauptung voraus (vgl.Musielak/Huber, ZPO, § 448 Rn.6), die der Senat angesichts
der bereits dargelegten Sonderstellung der ehelichen Abkömmlinge von
Gründungsgesellschaftern im Gesellschaftsvertrag verneint. Auch der Gesichtspunkt der
Waffengleichheit (vgl. EGMR, Urt.v.27.10.1993, in NJW 1995, S.1413) gebietet hier nicht
die Anwendung des § 448 ZPO.
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Von der Beweissituation abgesehen kommt es aus Rechtsgründen auf den
tatsächlichen Willen der beschlußfassenden Gesellschafter hier im Ergebnis aber auch
nicht an.
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Bei der Auslegung von Gesellschaftsverträgen können nach ständiger Rechtsprechung
unterschiedliche Kriterien maßgebend sein, je nachdem ob es sich bei den
auszulegenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages um individualrechtliche
Bestimmungen oder um sogenannte körperschaftliche Bestimmungen handelt.
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Für individualrechtliche Bestimmungen besitzen die §§ 133 und 157 BGB
uneingeschränkte Gültigkeit, wohingegen bei allen körperschaftlichen Bestimmungen
eine normenähnliche Auslegung geboten ist (vgl.Scholz/Emmerich, GmbHG, 8.Aufl. § 2,
Rn.35 m.w.N.; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8.Aufl. § 2 Rn.139).
Gesellschaftsvertragliche Regelungen körperschaftsrechtlicher Art haben nach den
Grundsätzen der sogenannten objektiven Satzungsauslegung zu erfolgen (BGH, Urteil
v. 16.12.1991- II ZR 58/91 - in NJW 1992, S. 892; BGH, Urteil v. 11.10.1993 - II ZR
155/92 - in NJW 1994. S.51; BGH, Urteil v. 17.02.1997 - II ZR 41/96 - in NJW 1997,
S.1510). Zu den körperschaftlichen Bestimmungen rechnen die grundsätzlichen
Regelungen über die Beziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft, Bestimmungen
über die Abfindung beim Ausscheiden sowie auch die über die Veräußerung und
Vererbung von Geschäftsanteilen (Scholz/Priester, GmbHG, 8.Aufl., § 53, Rn.10), um die
es vorliegend geht.
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Bei der Auslegung dieser körperschaftlichen Bestimmungen haben alle Umstände
außer Betracht zu bleiben, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und damit nicht
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allgemein erkennbar sind, wie etwa die Entstehungsgeschichte des
Gesellschaftsvertrages sowie die Vorstellungen, Absichten und Äußerungen von
Personen, die an der Abfassung des Gesellschaftsvertrages mitgewirkt haben (so BGH,
Urteil v. 27.10.1986 - II ZR 240/85 - in NJW 1987, S. 1890 unter Hinweis auf BGHZ 14,
25 (37) = NJW 1954, 1401; BGH, LM § 549 ZPO Nr. 25; RGZ 159, 321 (326); ferner
BGH, Urt.v.16.02.1981 - II ZR 89/79 - in GmbHR 1982, S.129).
Diese Grundsätze gelten auch für personalistische oder Familiengesellschaften, da der
spätere Beitritt anderer Gesellschafter nie auszuschließen ist (Hachenburg/Ulmer,
GmbHG, 8.Aufl. § 2, Rn.139; Scholz/Emmerich, aaO.; BGH, Urt.vom 16.02.1981 - II ZR
89/79 - aaO.; BGH, Urteil v. 17.02.1997 - II ZR 41/96 - aaO.).
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Nach den demnach anzuwendenden Grundsätzen einer objektiven Satzungsauslegung
sind die Motivation und die Vorstellungen der beiden Gesellschafter W und P bei der
Beschlußfassung zum § 11 des Gesellschaftsvertrages für die Auslegung der
Vorschriften ohne Bedeutung, so daß es auch aus diesem Grund einer Vernehmung des
Geschäftsführers der Beklagten als Partei nicht bedurfte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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