Urteil des OLG Hamm vom 11.05.2010

OLG Hamm (prostitution, förderung der prostitution, stgb, prostituierte, fortsetzung, zimmer, aufnahme, bordell, strafbarkeit, hinreichender tatverdacht)

Oberlandesgericht Hamm, III-2 Ws 86/10
Datum:
11.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-2 Ws 86/10
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 1 KLs 47 Js 74/09
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die den
Beschwerdegegnern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen
hat, als unbegründet verworfen.
Gründe:
1
I.
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Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft den Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 14.
Januar 2010 vor, in C in der Zeit von Mai 2009 bis 10. Juli 2009 gemeinschaftlich
gewerbsmäßig Personen unter 21 Jahren zur Fortsetzung der Prostitution gebracht zu
haben.
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Der Anklagesatz enthält folgende Ausführungen:
4
"Ihnen wird folgendes zur Last gelegt:
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Die Angeschuldigten X und X2 sind Geschäftsführer bzw. Gesellschafter der "T2
GmbH", H in C. Unabhängig von ihrem gesellschaftsrechtlichen Status sind sie
weisungsabhängig von dem Angeschuldigten X3. In dieser Eigenschaft betreiben
die Angeschuldigten durch die "T2 GmbH" das Laufhaus bzw. Bordell "K", H-
Straße.
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Seit Mai 2009, zumindest bis zum 10.07.2009 gingen in diesem Bordell die
Zeuginnen U alias "Julia", geb. am ####1990, U2 alias "Christina", geb. am
####1988, und U3 alias "Ani", geb. am ####1989, der Prostitution nach.
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Die Angeschuldigten handelten, um sich durch die Vermietung der Zimmer an
diese Prostituierten eine dauerhafte Einkommensquelle von nicht unerheblichem
Umfange zu verschaffen."
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Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift ist u.a. ausgeführt,
Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB sei allein das
Alter des Opfers, das dessen Schutzwürdigkeit begründe. Darauf, ob sich das Opfer in
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einer Schwächesituation befinde oder sexuell noch unerfahren ist, komme es nicht an.
Unter Berücksichtigung dieses Schutzzweckes sei zur Erfüllung des Tatbestandes jede
Handlung ausreichend, die es Prostituierten unter 21 Jahren ermögliche, der Prostitution
nachzugehen. Die Vermietung der Zimmer ermögliche den Zeuginnen, dort der
Prostitution nachzugehen, was für die Verwirklichung des Tatbestands ausreichend sei.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 22. März 2010 hat die 1. Strafkammer des
Landgerichts Bochum die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen
abgelehnt. In den Gründen des Beschlusses heißt es:
10
"I.
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Den Angeschuldigten wird mit der im Tenor genannten Anklage zur Last gelegt, in
der Zeit von Mitte Mai 2009 bis 10.07.2009 gemeinschaftlich gewerbsmäßig
Personen unter 21 Jahren zur Fortsetzung der Prostitution gebracht zu haben,
Verbrechen gem. §§ 232 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Nr. 3, 25 Abs. 2 StGB. Sie sollen
gemeinsam ein Bordell in C betrieben haben und dort in der Tatzeit Zimmer an drei
seinerzeit noch nicht 21 Jahre alte Prostituierte ausländischer Herkunft vermietet
haben. Diese sollen dann dort der Prostitution nachgegangen sein.
12
II.
13
Die Entscheidung beruht auf §§ 203, 204 StPO. Die Anklage war aus rechtlichen
Gründen nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen. Das aktenkundige Ergebnis der
Ermittlungen erfüllt keinen Straftatbestand. Die Angeschuldigten haben die drei
oben genannten Prostituierten nicht im Sinne von § 232 StGB zur Aufnahme oder
Fortsetzung der Prostitution gebracht.
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Das Tatbestandsmerkmal des "dazu Bringens" des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB ist
einschränkend auszulegen. Für eine Strafbarkeit wegen Menschenhandels zum
Zwecke der sexuellen Ausbeutung nach § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB genügt nicht
schon jedes Angebot, die Prostitution ausüben zu können. Es genügt
dementsprechend nicht, gewerblich Zimmer zur Vermietung an Prostituierte
anzubieten; vielmehr muss der Täter ein solches Angebot an eine bestimmte, unter
21 Jahre alte Person herantragen. Erfolgt dies, entfällt die Strafbarkeit aber
dennoch, wenn die Person schon vor Unterbreiten des Angebotes zur Ausübung
der Prostitution entschlossen war und diesen Entschluss frei getroffen hatte.
15
1.
16
In der Literatur wird vereinzelt die Auffassung vertreten, das Merkmal des "dazu
Bringens" im Sinne des § 232 Absatz 1 Satz 2 StGB sei einschränkend dahin
auszulegen, dass eine mit einer gewissen Hartnäckigkeit erfolgte Veranlassung
des Opfers im Wege "kommunikativer Beeinflussung" erforderlich sei (Renzikowski
in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Bd., 2006, § 232 Rz. 24 f.).
17
Das obige Tatbestandsmerkmal wird in der Literatur überwiegend unter Hinweis
auf die Gesetzgebungsgeschichte in einem weiten Sinne verstanden. Jede Art
kausaler Veranlassung soll ausreichen, auch ein Bestimmen aufgrund zutreffender
Information und freier Entscheidung (Fischer, Strafgesetzbuch, 57. Aufl. 2010, §
232 Rz. 16, 8; Eisele in Schönke/Schröder, StGB,
18
27. Auflage 2006, § 232 Rz. 20, 18 f. jeweils m. w. N.). Teilweise wird dahin
eingeschränkt, dass das Opfer dann kein taugliches ist, wenn es – ver-
19
gleichbar der Anstiftung - bereits im Zeitpunkt der Einflussnahme und unabhängig
davon zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution entschlossen war
(Wolters/SK, Rn 13 zu § 232).
20
2.
21
Dem Wortsinne nach ist jedes Verhalten, das irgendwie ursächlich ist für Aufnahme
oder Fortsetzung der Prostitution, und damit auch das gewerbliche Anbieten von
Zimmern zur Ausübung der Prostitution ein "dazu Bringen" im Sinne von § 232
Abs. 1 Satz 2 StGB. Eine etwa einengende Legaldefinition besteht nicht.
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Auch der Gesetzgeber des § 232 StGB hatte ein weites Verständnis dieses
Tatbestandsmerkmals. So führt der Gesetzesentwurf bezüglich des
Tatbestandsmerkmals des "dazu Bringens" Folgendes aus (BT-Drucks. 15/3045 5.
8 zu § 232— neu -):
23
"Grundlage des neuen § 232 ist der bisherige § 180b (Menschenhandel), der
hinsichtlich des Tatbestandes vereinheitlicht und vereinfacht sowie
hinsichtlich der Strafdrohungen anders ausgestaltet werden soll.
24
Absatz 1 Satz 1 fasst den bisherigen § 180b Abs. 1 Satz 1 und 2 mit einem
Teilbereich des § 180b Abs. 2 (Einwirken zur Aufnahme oder Fortsetzung der
Prostitution) zusammen. Dabei sind drei sachliche Änderungen
hervorzuheben.
25
….…
26
Die zweite Änderung besteht darin, dass die Tathandlung des "Bestimmens"
durch die Tathandlung des "Bringens" (zu sexuellen Handlungen oder zur
Prostitution) ersetzt wird.
27
Dieses bereits in § 180b Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 verwendete Merkmal reicht
weiter, weil es auch den Fall erfasst, dass das Opfer durch Täuschung zu
sexuellen Handlungen oder zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution
veranlasst wird (zum Unterschied zwischen "bestimmen" und "dazu Bringen
vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/ Schröder, StGB, 26. Auflage, § 180b
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Rn. 13). Die Änderung führt dazu, dass in dem neuen § 232 und auch in dem
neuen § 232a (vgl. außerdem die neuen §§ 233 und 233a) auf das engere
Merkmal des "Bestimmens" durchweg verzichtet und einheitlich auf das weiter
reichende Merkmal des "Dazubringens" abgestellt wird. Damit wird die
Ungereimtheit des geltenden Rechts beseitigt, dass es in den bisherigen §§
180b und 181 ohne überzeugenden Grund zwischen den Merkmalen des
"Bestimmens" und des "Dazubringens‘ wechselt.
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Der Vergleich der nach der alten Gesetzeslage für die unterschiedlichen Varianten
(§ 180b Absatz 2 StGB a.F.) verwendeten Begriffe des "Einwirkens, um zu
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bestimmen" und des "dazu Bringens" zeigt, dass für die Eigenständigkeit der
Variante des "dazu Bringens" keine besonderen Voraussetzungen daran zu stellen
waren, wie der Erfolg, das Opfer zur Ausübung der Prostitution zu veranlassen,
vom Täter verursacht wurde. Die 2. Variante des § 180b Absatz 2 StGB a.F. hatte
ihren eigenständigen Anwendungsbereich dort, wo es an einer unmittelbaren
Beeinflussung oder an der für das Einwirken erforderlichen Intensität gerade fehlte
(vgl. dazu BGH Beschluss vom 07.04.2005 — 2 StR 524/04 -‚ NStZ-RR 2005, 234;
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 180b Rz. 13, 18f.).
3.
31
Der Bundesgerichtshof stellt maßgebend darauf ab, ob die Person unabhängig von
der Einwirkung durch den Täter bereits zur Prostitution entschlossen war oder
nicht.
32
In seiner Entscheidung vom 07.04.2005 (2 StR 524/04) hat der Bundesgerichtshof
die Strafbarkeit nach § 232 bejaht für einen Täter, der eine noch nicht endgültig zur
Prostitutionsausübung entschlossene, unter 21 Jahre alte Frau, die lediglich mit
dem Gedanken spielte, in einem Club der Prostitution nachzugehen, an einen
Prostitutionsbetrieb vermittelte. Danach setzt die Tatbestandsalternative des
"Dazu-Bringens" nicht die für ein "Einwirken" erforderliche Hartnäckigkeit im Sinne
von § 180 Abs. 4 StGB a. F. voraus; vielmehr reicht ein schlichtes Angebot, die
Prostitution ausüben zu können.
33
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 18.04.2007 (2 StR 571/06)
die Auffassung vertreten, im Falle einer Frau, die zuvor schon freiwillig der
Prostitution nachgegangen war, sei Voraussetzung für eine Strafbarkeit, dass die
Frau den Willen hatte, die Prostitution dauerhaft oder auch nur vorübergehend
aufzugeben. Im Umkehrschluss verneint der 2. Senat danach die Eignung solcher
Frauen als Tatopfer, die auch ohne Einwirkung des Täters aus freien Stücken
entschlossen sind, sich zu prostituieren. In seiner Entscheidung vom 07.07.2009 (3
StR 132/09) hat der 3. Senat des Bundesgerichtshofs ausgeführt, das
Tatbestandsmerkmal des "Dazu-Bringens" setze voraus, dass der Erfolg der
Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution auf die Einflussnahme des Täters
zurückzuführen sei, der Täter also den bislang nicht vorhandenen Entschluss der
Frauen, der Prostitution nachzugehen, erst hervorruft, oder die Geschädigten von
dem von ihnen gefassten Entschluss, die Prostitution aufzugeben oder in
geringerem Maße auszuüben, abbringt.
34
4.
35
Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Wertungen des Gesetzgebers, wie
sie mit der Einführung des ProstG zum Ausdruck gekommen sind. Schon nach §
180a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. war wegen Förderung der Prostitution nicht strafbar,
wer in üblichem Umfang und mit den üblichen Nebenleistungen einer Person zum
Zwecke der Prostitutionsausübung Unterkunft gewährte. Nach § 180a Abs. 2 Nr. 1
StGB ist dieses nur strafbar, wenn es unter 18 Jahre alte Personen betrifft. Die hier
maßgebliche Altersgrenze von bis zu 21 Jahren hat der Gesetzgeber weder in
jener Strafbestimmung noch im ProstG gezogen. § 3 ProstG setzt vielmehr ein -
wenn auch eingeschränktes - Weisungsrecht des Bordellbetreibers gegenüber dort
beschäftigten Prostituierten voraus. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber damit den
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Bordellbetrieb legalisiert, ohne eine Altersgrenze für die dort tätigen Prostituierten
gezogen zu haben. Dementsprechend sind Handlungen gegen die freie
Willensentschließung hier im Grundsatz nur dann strafbar, wenn sie die
Nötigungsschwelle überschreiten. Für die hier in Rede stehende Gruppe der 18 bis
21-jährigen Frauen hat der Gesetzgeber allerdings ein erhöhtes Schutzbedürfnis
anerkannt, so dass auch Handlungen unterhalb der Nötigungsschwelle dem
Tatbestand unterfallen; Voraussetzung muss allerdings stets sein, dass sie einen
Bezug zum geschützten Rechtsgut haben, mithin die freie sexuelle
Selbstbestimmung einschränken (vgl. Steens, StV 07, 667).
5.
37
Danach kommt hier eine Strafbarkeit nicht in Betracht.
38
a)
39
Die Prostituierte U2 arbeitete nach dem Inhalt ihrer Zeugenaussage vom
14.07.2009 schon seit zwei Jahren als Prostituierte. Sie ließ sich dann von einer in
Deutschland als Prostituierte arbeitenden Freundin in ein Bordell nach P
vermitteln, weil ihr dort die Verdienstmöglichkeiten besser erschienen. Als diese
Freundin in das C Bordell der Angeschuldigten wechselte, ging die U2 mit und
arbeitete seitdem dort als Prostituierte. Für ihr dortiges Zimmer zahlte sie monatlich
mindestens 1.700 €. Ausschließlich die genannte Freundin, nicht aber einer der
Angeklagten brachte die U2 auf die Idee, in C im Bordell zu arbeiten; die
Angeschuldigten haben die U2 nicht darauf angesprochen, in ihrem Bordell zu
arbeiten.
40
b)
41
Die Prostituierte U arbeitete nach dem Inhalt ihrer Zeugenaussage vom 14.07.2009
schon ab Ende Oktober 2008 als Prostituierte in einem Club in Heidenheim. Im
Februar 2009 begann sie, als Prostituierte in einem Bordell in C zu arbeiten. Dabei
soll es sich um das Haus Nr. 12 gehandelt haben. Als dann im Mai 2009 das so
genannte Kleine Laufhaus, das die Angeschuldigten betreiben sollen, eröffnet
wurde, wechselte sie gemeinsam mit einer Freundin dorthin und unterschrieb einen
Mietvertrag über ein dortiges Zimmer. Die Wochenmiete betrug danach 425 €.
Dass einer der Angeschuldigten sie angesprochen hätte, im Kleinen Laufhaus zu
arbeiten, lässt sich der Zeugenaussage nicht entnehmen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ein gewisser Müco, bei dem es
sich mutmaßlich um den Angeschuldigten X handelt, den im Kleinen Laufhaus
arbeitenden Prostituierten bei Problemen mit Freiern hilft oder die Mietzahlung
stundet, wenn die Einnahmen nicht ausreichen. Auch insoweit fehlt es schon an
einer generellen Einwirkung auf die Prostituierten, um diese zur Fortsetzung der
Prostitution zu bewegen. Abgesehen davon ist bezogen auf die U ihrer
Zeugenaussage nicht zu entnehmen, dass ihr die Miete gestundet wurde, um sie
dadurch zur Fortsetzung der Prostitution zu bewegen.
43
c)
44
Die Prostituierte U3 arbeitete nach dem Inhalt ihrer Zeugenaussage vom
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14.07.2009 schon vor fünf Monaten als Prostituierte. Sie fragte dann von sich aus
die U2, die seinerzeit schon in Deutschland war, nach Arbeit und Einkommen als
Prostituierte in Deutschland. Nachdem die U2 ihr von guten
Verdienstmöglichkeiten berichtet hatte, fuhr die U3 dann von Bulgarien aus direkt
nach C. Hier suchte sie sofort das von den Angeschuldigten betriebene Bordell K
auf und unterschrieb einen Mietvertrag über ein dortiges Zimmer, um der
Prostitution nachgehen zu können.
Dass einer der Angeschuldigten sie angesprochen hätte, damit sie als Prostituierte
arbeitet, ist danach nicht festzustellen; vielmehr war sie bereits entschlossen, als
Prostituierte zu arbeiten, als sie nach Deutschland einreiste.
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Etwas anderes ergibt sich daraus, dass sie einen Spezialpreis für ihr Zimmer
erhielt nicht. Dieser spezielle - besonders günstige - Preis von 435 €/Woche folgt
nicht daraus, dass sie besonders jung ist, sondern daraus, dass sie die ganze
Woche durchgängig arbeitete und dementsprechend ihr Zimmer durchgängig und
nicht nur tageweise mietete."
47
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft
Bochum vom 31. März 2010, die mit näheren Ausführungen unter dem
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12. April 2010 begründet worden ist. Die Staatsanwaltschaft ist – wie schon im
wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in ihrer Anklageschrift - u. a. der Auffassung,
dass Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB allein das
Alter des Opfers sei. Dieses Alter allein begründe dessen Schutzbedürftigkeit. Darauf,
ob sich das Opfer in einer Schwächesituation befinde oder sexuell noch unerfahren sei,
komme es nicht an. Insoweit sei es für die Frage, ob die Angeschuldigten die Zeuginnen
U, U2 und U3 dazu "gebracht" haben, der Prostitution nachzugehen, ohne Belang, dass
diese Zeuginnen bereits beabsichtigten, die Gewerbsunzucht auszuüben. Dies habe die
Strafkammer verkannt.
49
In diesem Kontext sei die Rechtsprechung des BGH zu sehen, dass ein "Dazu-Bringen"
nicht die für ein "Einwirken" erforderliche Hartnäckigkeit voraussetzt. Es muss also jede
Handlung ausreichen, die es einer jungen Frau unter 21 Jahren ermögliche, der
Prostitution nachzugehen, sollte der Schutzzweck der Norm nicht völlig ausgehöhlt
werden. Dass die Angeschuldigten hier entgeltlich Räumlichkeiten zur Verfügung
gestellt haben, sei außer Streit. Ohne die Vermietung der Zimmer im Bordellbereich
wären die Zeuginnen aber nicht der Prostitution nachgegangen."
50
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
51
Der Angeschuldigte X3 hat mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 29. April 2010
beantragt, die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu
verwerfen und hierzu nähere Ausführungen gemacht.
52
II.
53
Die gem. § 210 Abs. 2 StPO statthafte, sowie in zulässiger Weise form- und fristgerecht
eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum kann in der Sache
keinen Erfolg haben.
54
1.
55
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum ist zu Recht nicht zur Hauptverhandlung
zugelassen worden.
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Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt aus rechtlichen Gründen kein
hinreichender Tatverdacht dafür vor, dass die Angeschuldigten die Zeuginnen im Sinne
des § 232 StGB zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht haben.
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Der Senat nimmt – um Wiederholungen zu vermeiden – zunächst in vollem Umfang
Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses.
58
Der Bundesgerichtshof hat in einer seiner jüngeren Entscheidungen zu diesem
Problemkreis (Beschluss vom 07.07.2009 in 3 StR 132/09) ausgeführt, das
Tatbestandsmerkmal "Dazu-Bringen" setze voraus, dass der Erfolg der Aufnahme oder
Fortsetzung der Prostitution auf die Einflussnahme des Täters zurückzuführen ist, er
also den bislang nicht vorhandenen Entschluss der Frauen, der Prostitution
nachzugehen, erst hervorruft, oder die Geschädigten von dem von ihnen gefassten
Entschluss, die Prostitution aufzugeben oder in geringerem Maße auszuüben, abbringt
(BGH NStZ-RR 2004, 233).
59
Das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals ist von der Strafkammer zu Recht verneint
worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die vorliegend in Rede stehenden
Zeuginnen, die sämtlich schon als Prostituierte tätig waren, im hier maßgeblichen
Zeitpunkt die Absicht hatten, die Prostitution aufzugeben oder jedenfalls nicht mehr in
dem bisherigen Umfang auszuüben.
60
Das bloße "Zur-Verfügung-Stellen" einer Wohnung an eine Person, die der Prostitution
nachgeht, erfüllt nicht den Tatbestand des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB.
61
Das "Dazu-Bringen" im Sinne von § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB erfordert ein intensive-res
Einwirken auf eine Person, die der Prostitution nachgehen oder die Ausübung der
Prostitution nicht aufgeben soll, als das bloße Überlassen einer Wohnung, was eher
passiven Charakter hat. Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, wenn er
ausführt, dass der Gesetzgeber unter Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der/des
Prostituierten die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution (§ 180 a Abs. 1 Nr. 2 a.F.)
aufgehoben habe (vgl. BT-Drucksache 14/5958, S. 4 f.). Dieser Wertung würde es
widersprechen, die bloße Gewährung von Unterkunft an volljährige Prostituierte mit
einer Strafandrohung, zumal einer im Vergleich zu § 180 a a.F. erheblich höheren, zu
ahnden.
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Auch in seiner jüngsten Entscheidung vom 13. Januar 2010 (Az: 3 StR 507/09) legt der
Bundesgerichtshof das Tatbestandsmerkmal des "Dazu-Bringens" im Sinne der §§
232,233 StGB restriktiv aus, dass nämlich eine Beeinflussung des Willens, der
Prostitution nachzugehen oder diesen Beruf aufzugeben, stattfindet. Es heißt dort
nämlich unter Ziffer II. 1. a. aa.:
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"Tatbestandsmäßig ist deshalb nur ein Handeln, das gerichtet ist auf das Ziel, den
Willen des – bereits in der Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigten – Opfers
zu beeinflussen und so den in der Aufnahme oder in der Fortsetzung der
ausbeuterischen Beschäftigung bestehenden Erfolg herbeizuführen (vgl. Renzikowski
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aaO § 180 b Rdn. 51 f.; BTDrucks. 15/3045 S.8). Der Täter muss einen bislang nicht
vorhandenen Entschluss des Opfers, ein solches Beschäftigungs-verhältnis
einzugehen, hervorrufen oder das Opfer von seinem Entschluss, die Beschäftigung
aufzugeben, abbringen (vgl. BGH StraFo 2009, 429,430; NStZ-RR 2004, 233,234).
Hieran fehlt es, wenn für den Erfolg eine vom Opfer unabhängig von seiner Lage
getroffene eigenverantwortliche Entscheidung maßgeblich war (Eisele aaO § 232 Rdn.
18; Renzikowski aaO § 233 Rdn. 19; § 232 Rdn. 26).
2.
65
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war nach alledem mit der sich aus § 473 Abs.
2, Abs. 1 StPO zu verwerfen.
66