Urteil des OLG Hamm vom 18.10.2004
OLG Hamm: verfügung, geschäftsbetrieb, auflage, herausgabe, zivilprozessordnung, zugang, schweigen, vertretung, unterzeichnung, einwendung
Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 217/04
Datum:
18.10.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 217/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 177 FH 7/04
Normen:
§§ 648, 652 ZPO
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Amtsgericht - Familiengericht - Dortmund
über die Einwendungen des Antragsgegners vom 6.5.2004 gegen den
Antrag auf Fest-setzung von Unterhalt zu entscheiden hat.
Gründe:
1
I.
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Die Antragstellerin hat unter dem 17.3.2004 Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten
Verfahren beantragt. Mit Verfügung vom 19.4.2004 hat das Amtsgericht - Familien-
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gericht - Dortmund dem Antragsgegner eine Abschrift des Antrags zur Stellungnahme
zustellen lassen.
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Unter dem 4.6.2004 hat die Rechtspflegerin des Familiengerichts die Fertigung des
Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses gemäß anliegendem Muster, die Wiedervorlage des
Beschlusses zur Unterschrift und die Zustellung der Entscheidung nebst Vordrucksatz
an den Antragsgegner verfügt. Ausweislich des Erledigungsvermerkes ist der Beschluss
vom 4.6.2004 am 8.6.2004 von der Rechtspflegerin unterzeichnet worden.
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Auf der Verfügung befindet sich kein Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
darüber, wann die Beschlussausfertigung gefertigt und zur Post gegeben worden ist.
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Am 11.6.2004 ist beim Amtsgericht Dortmund der Vordruck für Einwendungen gem. §
648 ZPO des Antragsgegners vom 6.5.2004 eingegangen. In der Rubrik "freiwillige
Angaben" ist kenntlich gemacht, dass der Antragsgegner von den Rechtsanwälten I und
Partner beraten worden ist.
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Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist der Beschluss vom 4.6.2004 dem
Antragsgegner am 14.6.2004 zugestellt worden.
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Unter dem 15.6.2004 hat die Rechtspflegerin bei den Rechtsanwälten I angefragt, ob mit
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den Einwendungen vom 6.5.2004 Beschwerde eingelegt werde.
Mit Verfügung vom 30.7.2004 hat sie die Rechtsanwälte I an die Begründung der
Beschwerde erinnern lassen.
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Eine Reaktion durch die Rechtsanwälte ist nicht erfolgt.
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Hierauf verfügte die Rechtspflegerin unter dem 24.9.2004 die Übersendung der Akten
an das Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung über "die als sofortige Beschwerde
geltenden Einwendungen gem. § 652 ZPO".
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II.
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Nicht der Senat, sondern das Familiengericht hat über die Einwendungen des
Antragsgegners vom 6.5.2004 zu entscheiden.
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Denn es lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsgegner gegen den Beschluss vom
4.6.2004 sofortige Beschwerde gem. § 652 ZPO eingelegt hat.
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1.
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Der Wille des Antragsgegners kann sich zum Zeitpunkt der Formulierung und
Absendung seiner Einwendungen nicht darauf bezogen haben, die Rechtswirkungen
des Beschlusses vom 4.6.2004 zu beseitigen.
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Denn der Antragsgegner hat die Einwendungen gem. § 648 ZPO erhoben, bevor ihm
der Beschluss vom 4.6.2004 zugestellt worden ist.
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2.
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Es entspricht auch nicht der Interessenlage des Antragsgegners, seine Einwendungen
als sofortige Beschwerde auszulegen.
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a)
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Eine Beschwerde kann erst wirksam eingelegt werden, wenn die angefochtene
Entscheidung existent geworden ist, also nicht vorsorglich gegen die zu erwartende
Entscheidung (Zöller-Gummer, ZPO, 24. Auflage, Rnr. 14 zu § 567 ZPO).
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Nicht zu verkündende Beschlüsse werden wirksam, wenn sie mit Willen des Gerichts
aus dem inneren Geschäftsbetrieb heraustreten (Zöller-Vollkommer, Rnr. 18 zu § 329
ZPO).
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Aus dem Inhalt der Akten lässt sich mangels Abvermerks nicht ersehen, wann der
Beschluss aus dem inneren Geschäftsbetrieb gelangt ist. Es ist also möglich, dass der
Beschluss zum Zeitpunkt des Eingangs der Einwendung als beschwerdefähige
Entscheidung noch gar nicht existent war.
24
b)
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Nach dem derzeitigen Sachstand hat das Familiengericht inhaltlich auch deshalb über
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die Einwendungen zu entscheiden hat, weil nicht auszuschließen ist, dass der
Festsetzungsbeschluss zum Zeitpunkt des Eingangs der Einwendungen noch nicht im
Sinne von § 648 Abs. 3 ZPO verfügt worden war.
Der Senat schließt sich hinsichtlich der Streitfrage, wann ein Festsetzungsbeschluss i.S.
§ 648 Abs. 3 ZPO verfügt ist, der Auffassung an, wonach eine Verfügung erst dann
gegeben ist, wenn der Beschluss aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgelangt ist
(so auch OLG Frankfurt, FamRZ 2001, 109; Zöller-Philippi, Rnr. 12 zu § 648 ZPO;
Musielak-Borth, ZPO, 4. Auflage, Rnr. 9 zu § 648 ZPO; a.A. - schon mit Unterzeichnung
des Beschlusses: OLG Hamm - 5. Senat für Familiensachen - FamRZ 2000, 901; OLG
Brandenburg, FamRZ 2001, 1078).
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Dieses Verständnis der Vorschrift befindet sich in Übereinstimmung mit der Auslegung
des § 694 Abs. 1 ZPO durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, in welchem das
Gesetz ebenfalls auf den Zeitpunkt der Verfügung einer gerichtlichen Entscheidung (des
Vollstreckungsbescheides) als Grenze für die Zulässigkeit des Widerspruchs im
Mahnverfahren abstellt; nach Auffassung des BGH (NJW 1982, 888, 889; NJW 1983,
633) ist eine Verfügung entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für die Wirksamkeit
gerichtlicher Entscheidungen erst dann gegeben, wenn die gerichtliche Entscheidung
zur Kenntnis von Personen außerhalb des Gerichts hinausgegeben wird.
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Der Gesetzgeber hat sich nicht für eine feste Einwendungsfrist entschieden, sondern
dem Antragsgegner die Möglichkeit gelassen, bis zur Verfügung des Gerichts wirksam
seine Einwendungen geltend zu machen. Hierdurch soll offenbar das aufwändige
Abänderungsverfahren gem. § 654 ZPO vermieden werden. Dieser Intention des
Gesetzgebers wird nur eine Auslegung gerecht, die in Übereinstimmung mit anderen
Vorschriften der Zivilprozessordnung und den allgemeinen Grundsätzen für das
Wirksamwerden gerichtlicher Entscheidungen auf den letzten Akt gerichtlichen
Handelns abstellt, der in der Herausgabe des Beschlusses in den äußeren
Geschäftsgang besteht (vgl. hierzu auch BGH, FamRZ 2004, 1368).
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Das Familiengericht wird zu überprüfen haben, ob die Verfügung des Beschlusses im
oben genannten Sinne vor dem Zugang der Einwendungen erfolgt ist.
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Sollte die zeitliche Reihenfolge nicht festgestellt werden können, geht die Ungewissheit
zu Lasten des Antragsgegners. Denn er hatte die Möglichkeit, innerhalb der Frist des §
647 Abs. 1 ZPO seine Einwendungen vorzubringen. Wenn er sich an diese zeitliche
Grenze nicht hält, erscheint es sachgerecht, es zu seinen Lasten wirken zu lassen,
wenn die Rechtzeitigkeit seiner Einwendungen nicht mehr aufgeklärt werden kann (so
auch zu § 694 ZPO: BGH NJW 1982, 888, 889).
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c)
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Sollten die Einwendungen nicht rechtzeitig erfolgt sein, spricht das im Übrigen nicht für
ein Interesse des Antragsgegners, diese als sofortige Beschwerde aufzufassen. Denn
die vom Antragsgegner erhobenen Einwendungen gem. § 648 Abs. 2 ZPO könnten
dann gem. § 652 Abs. 2 ZPO auch nicht mehr im Beschwerdeverfahren geltend
gemacht werden, die sofortige Beschwere wäre also unzulässig.
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3.
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Schließlich lässt sich auch nichts für die Auffassung des Familiengerichts daraus
herleiten, dass die Rechtsanwälte I auf die Verfügungen des Gerichts nicht reagierten.
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Dem Schweigen kommt nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich keine
Erklärungsbedeutung zu. Darüber hinaus haben die Rechtsanwälte in dem Verfahren
nicht die Vertretung des Antragsgegners angezeigt, sondern lediglich kundgetan, dass
der Antragsgegner von ihnen beraten worden sei, so dass gerichtliche Anfragen an den
Antragsgegner persönlich hätten gerichtet werden müssen.
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