Urteil des OLG Hamm vom 22.02.2007

OLG Hamm: stadt, tierschutz, verminderung, gewissensfreiheit, grundrecht, verordnung, eingriff, konkurrenz, wissenschaftsfreiheit, schächten

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 836/06
Datum:
22.02.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 836/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des
Betroffenen verworfen.
G r ü n d e:
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I.
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Das Amtsgericht Hagen hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 11. August 2006
wegen unerlaubter Taubenfütterung gemäß §§ 9, 22 GebietsO der Stadt I eine
Geldbuße in Höhe von 20,00 EURO verhängt.
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Nach den Feststellungen des Urteils fütterte der Betroffene am 07. November 2005
gegen 16.35 Uhr sowie am 08. Dezember 2005 gegen 10.15 Uhr Tauben auf dem C-
Platz in I. Diesen vom Betroffenen eingeräumten Sachverhalt würdigte das Gericht als
Verstoß gegen § 9 der Gebietsordnung der Stadt I vom 24. Oktober 1985, wonach
"Wildtauben und verwilderte Haustauben nicht gefüttert werden dürfen". Dem Einwand
des Betroffenen, die Bestimmung der Gebietsordnung sei unwirksam bzw. nichtig, da
sie gegen Art. 2 Abs. 1, 4 Abs. 1, 20 a GG verstoße, folgte das Amtsgericht nicht. Es
vertrat vielmehr die Auffassung, das Taubenfütterungsverbot diene einem legitimen
Zweck und liege auch im Interesse der durch Taubenkot geschädigten Anwohner.
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Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Betroffenen, mit dem er beantragt, gegen
das Urteil die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, da er frist- und
formgerecht angebracht worden ist, kann in der Sache aber keinen Erfolg haben.
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Da die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100,00 Euro beträgt, richten sich die
Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG.
Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den sogenannten weniger
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bedeutsamen Fällen nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1
Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 OWiG) oder, wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen
Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Zur Fortbildung des Rechts ist eine Rechtsbeschwerde dann zuzulassen, wenn der
Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen
des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken
rechtsschöpferisch zu schließen. Die Fortbildung des Rechts kommt danach nur bei
entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfragen in Betracht (vgl.
hierzu den Beschluss des erkennenden Senats vom 14. März 2006 in 2 Ss OWi 402/06).
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1. Daran, dass das Taubenfütterungsverbot nach § 9 GebietsO der Stadt I
verfassungsrechtlich unbedenklich ist, bestehen keine Zweifel, die eine Zulassung
gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG hätten begründen
können (vgl. zur prinzipiellen Anwendbarkeit in dieser Fallgruppe OLG Hamm NJW
1974, 2098 f.; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80 Rdnr. 3). So hat das
Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 23. Mai 1980 – 2 BvR
854/79 – entschieden, dass kommunale Taubenfütterungsverbote hinzunehmen sind. In
der Entscheidung (BVerfGE 54, 143, 146 f.) heißt es hierzu u.a.:
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"Ein ortsrechtliches Taubenfütterungsverbot verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG oder
sonstiges Verfassungsrecht. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gewährt zwar die
allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne (vgl. BVerfGE 6, 32, 36),
jedoch ist dieses Grundrecht von vornherein nur unter dem Vorbehalt der
verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet (BVerfGE 34, 384, 395). Beschränkungen
der allgemeinen Handlungsfreiheit anhand von formell und materiell der Verfassung
gemäßen Vorschriften verletzen daher Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Das gilt auch für
Landesrecht (vgl. BVerfGE 7, 111, 119; 41, 88, 116) und ebenso für Vorschriften
ortsrechtlicher Verordnungen, denen die angegriffene Bestimmung zuzurechnen ist.
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Die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit schließt auch das Füttern der
Tauben auf Straßen und Anlagen als Äußerungsform von Tierliebe mit ein. Allerdings ist
diese Ausformung der Handlungsfreiheit nicht zum absolut geschützten Kern privater
Lebensgestaltung zu rechnen, welche der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen
ist. Ist aber der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt,
muß jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger
staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit
unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen.
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Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 der Verordnung (Taubenfütterungsverbot, d.V.) wahrt
diesen Rahmen. Verwilderte Tauben können, wo sie in großen Scharen auftreten, nicht
nur Schäden an Gebäuden verursachen, sondern auch durch Verunreinigungen zu
persönlichen Beeinträchtigungen von Menschen führen. Nach der Stellungnahme der
Stadt N haben verwilderte Haustauben und Wildtauben starke Verschmutzungen der
Gehwege und Straßen sowie Schäden an Hausfassaden, Dachabdeckungen und
Dachrinnen, an parkenden Fahrzeugen, Grabmalen und anderen Gegenständen
herbeigeführt. In Anbetracht solcher durch Tauben ausgelöster Beeinträchtigungen ist
von einem erheblichen Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung dieser
Beeinträchtigungen auszugehen. Das zur Erreichung dieses Zwecks in § 3 Abs. 4 der
Verordnung gewählte Mittel des Fütterungsverbots auf Straßen und Anlagen im
Stadtgebiet N stellt demgegenüber einen nur sehr begrenzten Eingriff in die Freiheit der
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Ausübung von Tierliebe dar. Das insoweit überwiegende Interesse der Allgemeinheit
rechtfertigt diesen Eingriff, der sich überdies als das mildeste Mittel zur Verminderung
der durch Tauben ausgelösten Beeinträchtigungen darstellt. ...Die Untauglichkeit eines
Fütterungsverbotes für den erstrebten Zweck der Verminderung der durch Tauben
verursachten Beeinträchtigungen ist nicht evident. Das Mittel des Fütterungsverbotes
erscheint nicht schlechthin ungeeignet. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden,
dass bereits das Fütterungsverbot zu einer Abwanderung der Tauben oder aber einer
Verminderung der Taubenzahl und damit zu einer Verringerung der Verunreinigungen
von Straßen und Anlagen durch Tauben führt."
2.
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Die Frage der Rechtmäßigkeit eines Taubenfütterungsverbots nach Inkrafttreten der
Novellierung des Art. 20 a GG, wonach der Tierschutz ein Staatsziel ist (vgl. erläuternd
BT/Dr. 14/8860, S. 1 und 3), ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls
bereits hinreichend geklärt (vgl. hierzu insbesondere VGH Mannheim, NVwZ-RR 2006,
398 ff.; BayVerfGH NuR 2005, 388 f.; OLG Saarbrücken VRS 106, 389, 392; ). Mit der
Einfügung des Tierschutzes in das Grundgesetz ist ein absoluter Schutz für Tiere nicht
verbunden. Nach der Entscheidung des VGH Mannheim (a.a.O.) gewährt Art. 20 a GG
verfassungsrechtlich vielmehr nur ein ethisches Mindestmaß im Umgang mit Tieren. Art.
20 a GG soll die Verwirklichung des Tierschutzgesetzes sicherstellen und ein
"Rückschrittsverbot" für den Tierschutz bewirken (vgl. Murswiek in Sachs Grundgesetz,
3. Aufl., Art. 20 a Rdnr. 51 a). Es sollte der bislang fehlende verfassungsrechtliche
Status des Tierschutzes geschaffen, nicht aber eine allgemeine Ausweitung des
Tierschutzes bewirkt werden.
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Gemäß § 1 TierSchG ist das Leben und Wohlbefinden des Tieres zu schützen und
niemand darf einem Tier "ohne vernünftigen Grund" Schmerzen, Leiden und Schäden
zufügen. Über dieses bereits einfachrechtlich garantierte Niveau hinaus wollte der
verfassungsändernde Gesetzgeber den Tierschutz jedoch nicht verbessern. Ziel war
vielmehr, den gesetzlich schon vorhandenen Tierschutz verfassungsrechtlich
aufzuwerten (vgl. BT-Dr 14/8860, S. 3); insoweit ist von einem auf die vorhandenen
tierschutzrechtlichen Kerngehalte bezogenen Rückschrittsverbot auszugehen (vgl.
Kloepfer, in: Dolzer/Vogel/ Graßhof, Art. 20 a Rdnrn. 47, 52). Demnach hat sich durch
die Neufassung des Art. 20 a GG der Gehalt der Normen des Tierschutzgesetzes, die
ohnehin dem Schutz der Tiere dienen, nicht wesentlich geändert (vgl. Murswiek, a.a.O.).
Die verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes ist demgegenüber – worauf
die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – insoweit von rechtlicher
Bedeutung, dass der ethische Tierschutz zum Beispiel bei Konflikten mit vorbehaltlos
gewährleisteten Grundrechten wie der Religionsfreiheit (Schächten) sowie vor allem der
Wissenschaftsfreiheit (Tierversuche) nunmehr als verfassungsimmanente Schranke
herangezogen werden kann (vgl. Murswiek, a.a.O., Art. 20 a Rdnr. 72); diese rechtliche
Dimension ist vorliegend aber nicht tangiert.
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Das Taubenfütterungsverbot genügt den Mindestanforderungen des ethischen
Tierschutzes. Solange sich die Größe der Taubenpopulation dem verringerten
Nahrungsangebot noch nicht angepasst hat, ist ein Fütterungs-verbot zwar auch mit
Leiden für die Tauben verbunden, die sich in der Konkurrenz um das vorhandene Futter
nicht durchsetzen können und deswegen mangels ausreichender Nahrung geschwächt
werden und letztlich verenden. Aber auch diese Folge ist mit dem ethischen
Mindestmaß im Umgang mit Tieren indes zu vereinbaren. Zur Konkretisierung des
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tierschutzrechtlichen Grundanliegens, Tieren vermeidbare Leiden zu ersparen, ist
darauf abzustellen, ob die Leiden nach Maßgabe des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit durch einen "vernünftigen Grund" zu rechtfertigen sind (vgl.
BVerfGE 48, 376, 389 = NJW 1978, 2337 L; BVerwG, Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 10;
v.Loeper, TierSchG, 2002, § 1 Rdnrn. 45, 52 ff.; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 2003, § 1
Rdnr. 28).
Vorstehende Grundsätze hat das Amtsgericht Hagen zutreffend auf die hier konkret zu
beurteilende Gebietsordnung der Stadt I angewendet, die insoweit auch keine
Besonderheiten enthält. Es besteht insofern kein Klärungsbedarf.
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3. Soweit der Antragsteller verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 4 Abs. 1 GG (auch
in Verbindung mit Art. 20 a GG) herleitet, gilt in der rechtlichen Beurteilung nichts
Anderes (vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 2006, 398, 400 f.). Auch hier ist nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Einschränkung kommunaler
Taubenfütterungsverbote zugunsten der Gewissensfreiheit anzuerkennen, da eine
etwaige Einschränkung der Gewissensfreiheit gerechtfertigt wäre und dem Betroffenen
alternative Handlungsmöglichkeiten eröffnet wurden. Zudem ist für den Senat am
Maßstab der ihn bindenden amtsrichterlichen Feststellungen schon nicht hinreichend
erkennbar, dass im konkreten Fall der Schutzbereich der Gewissensfreiheit überhaupt
eröffnet war.
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4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Verletzung
rechtlichen Gehörs kommt ebenfalls nicht in Betracht; eine entsprechende Rüge ist auch
nicht erhoben worden.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1
OWiG.
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