Urteil des OLG Hamm vom 04.02.1980
OLG Hamm (faires verfahren, verteidiger, hauptverhandlung, verhandlung, verspätung, wartezeit, rechtsfrage, ausdrücklich, abwesenheit, befragung)
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 2755/79
Datum:
04.02.1980
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 2755/79
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 33 OWi 41 Js 202/79
Tenor:
1) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2) Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.Die
Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht ... zurückverwiesen.
Gründe:
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Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer Zuwiderhandlung nach §§ 37,
49 StVO eine Geldbuße von 150,- DM festgesetzt.
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Die Rechtsbeschwerde rügt die Verletzung formellen Rechts. Sie beanstandet, daß das
Gericht nicht auf das Erscheinen des Verteidigers gewartet hat. Der Termin war auf 9.45
Uhr anberaumt. Als der Verteidiger, der von auswärts anreisen mußte, um 9.55 Uhr
erschien, war das Urteil bereits verkündet.
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Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 OWiG zugelassen.
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Die Verfahrensrüge greift durch.
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In der Rechtsprechung ist eine Rechtspflicht des Gerichts, das Erscheinen des
Verteidigers abzuwarten oder auch eine Hauptverhandlung wegen Ausbleibens des
Verteidigers zu vertragen, in den Fällen anerkannt worden, in denen rechtliche oder
tatsächliche Schwierigkeiten oder Besonderheiten in der Person des Betroffenen dies
geboten erscheinen ließen, ferner ist auch darauf abgestellt worden, ob der Verteidiger
sein Erscheinen oder eine unvorhergesehene Verspätung besonders angekündigt hatte.
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Diese Voraussetzungen lagen hier, soweit ersichtlich, nicht vor. Der Senat hat jedoch
bereits in einer Entscheidung vom 11.4.1978 (veröffentlicht in JMBl. NRW 1978, Seite
168; VRS Band 55 Seite 368) ausgeführt, daß auch ohne jene Voraussetzungen ein
Verfahrensfehler dann vorliegen könne, wenn durch Verkündung des Urteils einem
Verteidiger schon bei einer Verspätung bis zu 15 Minuten die Möglichkeit genommen
werde, auf den Gang der Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts Einfluß zu
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nehmen. Der Sachverhalt, der der Senatsentscheidung vom 11.4.1978 zugrunde lag,
nötigte nicht zu einer abschließenden Entscheidung der Rechtsfrage, weil der
Verteidiger noch vor der Urteilsverkündung erschienen war. Im vorliegenden Fall ist die
Rechtsfrage entscheidungserheblich. Der Sitzungsniederschrift kann auch nicht
entnommen werden, daß der Betroffene ausdrücklich befragt worden ist, ob und
inwieweit er mit einer Verhandlung in Abwesenheit des Verteidigers einverstanden sei.
Der Tatrichter hat eine solche Befragung auch weder beim Erscheinen des Verteidigers
in der Hauptverhandlung noch in seinem. Schreiben an den Verteidiger vom 26.7.1979,
das sich mit den Folgen der Verspätung des Verteidigers befaßt, angeführt. Der Senat
kann daher davon ausgehen, daß eine ausdrückliche Befragung versäumt worden ist
und der Betroffene sich auch nicht ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat, daß die
Verhandlung in Abwesenheit des Verteidigers begonnen und zu Ende geführt wurde.
Dann liegt aber darin, daß mit der Verkündung des Urteils seit dem angesetzten
Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht einmal 15 Minuten auf das Erscheinen des
Verteidigers gewartet wurde, eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht. Der
Senat folgert dies, wie bereits in der Entscheidung vom 11.4.1978 angeführt, aus dem
Rechtsstaatsprinzip, dem daraus sich ergebenden Recht des Betroffenen auf ein faires
Verfahren und der Erwägung, daß eine Wartezeit bis zu 15 Minuten die Interessen
anderer Verfahrensbeteiligter und Zeugen im anstehenden und in den anderen, später
angesetzten Verfahren nicht unangemessen beeinträchtigt. Wesentlich für die geringe
Bedeutung einer solchen Wartezeit erscheint dem. Senat dabei vor allem, daß sie sich,
auch wenn sie in mehreren Verfahren am selben Tage beachtet werden muß, nicht
summiert. Demgegenüber können sich unvermeidbare Terminsverschiebungen, die sich
dadurch ergeben, daß die Verhandlungsdauer nicht richtig eingeschätzt wurde, zumal
wenn sie mehrfach auftreten, wesentlich schwerwiegender auswirken und müssen
gleichwohl von pünktlich erschienenen Betroffenen und Verteidigern hingenommen
werden.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Tatrichter zu einer anderen Entscheidung
gekommen wäre, wenn der Verteidiger in der Hauptverhandlung noch Gelegenheit zur
Stellungnahme gehabt hätte. Deshalb nötigt der aufgezeigte Verfahrensfehler zur
Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache.
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