Urteil des OLG Hamm vom 20.04.2006

OLG Hamm: pflichtverteidiger, aufruf, pause, berufsausübung, beratung, kauf, mwst, unterbrechung, verfügung, vergütung

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 47/06
Datum:
20.04.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 47/06
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 23 a KLs 112/04
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu gewährende
Vergütung wird auf weitere 825,92 € festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden
nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG).
G r ü n d e :
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I.
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Der am 14. Dezember 2004 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten F bestellte
Beschwerdeführer hat den genannten Angeklagten im Rahmen seines Strafverfahrens
vor der Jugendkammer des Landgerichts Essen verteidigt. Durch Antrag vom
21.02.2005 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von
Pflichtverteidigervergütung in Höhe von insgesamt 5.362,23 €. Der Rechtspfleger des
Landgerichts hat die Pflichtverteidigervergütung durch Beschluss vom 31.05.2005 auf
lediglich 4.290,67 € unter Kürzung der geltend gemachten Zusatzgebühren gemäß
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Nr. 4122 VV RVG und weiterer Gebühren, die inzwischen - bis auf die vorgenannten
Zusatzgebühren - außer Streit sind, festgesetzt. Die Zusatzgebühren gemäß
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Nr. 4122 VV RVG hat der Beschwerdeführer für die Hauptverhandlungstage am
14.01.2005, 31.01.2005, 16.02.2005 und 18.02.2005 in Höhe von jeweils 178,- €
zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG beantragt.
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Die gegen die Kürzung dieser Gebühren gerichtete Erinnerung des Verteidigers
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vom 10.06.2005 hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom
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2. Dezember 2005 zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde des
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Beschwerdeführers vom 08.12.2005 hat das Landgericht durch Beschluss vom
18.01.2006 nicht abgeholfen.
II.
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Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde ist begründet. Die
Hauptverhandlung hat vor der 3. großen Strafkammer - Jugendkammer - des
Landgerichts Essen am 14.01., 24.01., 31.01., 03.02., 16.02. und 18.02.2005
stattgefunden. Die Hauptverhandlungstermine waren jeweils auf 09.00 Uhr terminiert.
An den vier Verhandlungstagen des 14.01., 31.01., 16.02. und 18.02.2005, für die der
Pflichtverteidiger den Längenzuschlag gemäß Nr. 4122 VV RVG geltend macht, hat die
Hauptverhandlung über fünf bis acht Stunden in Anspruch genommen. Terminiert waren
die Hauptverhandlungen jeweils auf 09.00 Uhr; der Aufruf erfolgte jedoch ausweislich
der Hauptverhandlungsprotokolle jeweils verspätet zwischen 09.15 Uhr und 09.36 Uhr.
Diese Wartezeiten sind nach Auffassung des Senates nicht in Abzug zu bringen, denn
ein Verteidiger, der zur anberaumten Terminsstunde im Gerichtssaal anwesend ist, ist
auch dann durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung seiner
übrigen Geschäfte entzogen, wenn sich der Aufruf verzögert. Der Rechtsanwalt kann die
Wartezeit vor Aufruf der Sache nicht anderweitig nutzen, so dass ihm Verzögerungen,
die nicht aus seiner Sphäre stammen, gebührenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen
dürfen. Dies hat der Senat in mehreren gleichgelagerten Fallgestaltungen inzwischen
wiederholt entschieden, vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. März 2006 - 3 Ws 583 u. 584/05 -
und vom 16. März 2006 - 3 Ws 565/05 - mit zahlr. w. N.). Auf die dortigen Begründungen
im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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Umstände dahingehend, dass der verspätete Beginn der Hauptverhandlungstermine auf
einer Verzögerung durch den Verteidiger beruht, und die geeignet wären, eine andere
Beurteilung zu rechtfertigen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
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Die Frage, ob bei der Feststellung der Dauer eines Hauptverhandlungstermins für die
Gewährung einer Zuschlagsgebühr Pausen in Abzug zu bringen sind, hat der Senat
ebenfalls in den vorgenannten Entscheidungen bereits grundlegend behandelt. Danach
sind Verhandlungspausen grundsätzlich nicht abzuziehen, da sich der Verteidiger auch
während dieser Terminszeiten grundsätzlich zur Verfügung halten muss und deswegen
an der anderweitigen Ausübung seines Berufes gehindert ist. Etwas anderes gilt dann,
wenn der Verteidiger Sitzungspausen anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll
hätte nutzen können, wobei allerdings bei Sitzungsunterbrechungen während der
Mittagszeit dem Verteidiger eine Mittagspause von ca. einer Stunde zuzugestehen ist.
Im Übrigen hängt die Beantwortung der Frage, ob der Verteidiger Sitzungspausen zu
einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit hätte nutzen können, von den Umständen des
Einzelfalles ab. Neben der Dauer der Sitzungspause ist vor allem von Bedeutung, ob es
sich um eine von vornherein zu erwartende und in ihrer Länge absehbare Pause
gehandelt hat, auf die der Verteidiger sich einstellen konnte. Wegen der Begründung
verweist der Senat wiederum auf die Beschlussgründe der vorgenannten
Senatsbeschlüsse, die diese Thematik unter Auseinandersetzung mit den in
Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen mit zahlr. Nachweisen
behandeln.
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Unter Anwendung dieser Kriterien ist der Längenzuschlag gemäß Ziffer 4122 VV RVG
in Höhe von jeweils 178,- € für alle vier geltend gemachten Verhandlungstage
gerechtfertigt. Zwar ergibt sich für den 14.01.2005 insoweit eine Besonderheit,
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als die Hauptverhandlung an diesem Tag für eine nicht nur kurzfristige Pause, sondern
in der Zeit von 10.35 Uhr bis 13.05 Uhr über einen Zeitraum von 2 Stunden 30 Minuten
unterbrochen worden ist. Ein Abzug von der Dauer der Hauptverhandlung ist jedoch
dennoch nicht gerechtfertigt, da unter Berücksichtigung einer Mittagspause von ca. einer
Stunde lediglich ein Unterbrechungszeitraum von
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1 Stunde 30 Minuten verbleibt, der - jedenfalls nach Aktenlage - für den Verteidiger nicht
vorhersehbar war. Bei Würdigung des Umstandes, dass der Verteidiger seine
Anwaltspraxis in N hat und erhebliche Fahrtzeiten für den Hin- und Rückweg in Kauf
nehmen müsste, die insgesamt fast die Dauer der verbleibenden Unterbrechung von
eineinhalb Stunden erreichen würden, verbleibt keine Zeit, in der ihm zugemutet werden
kann, anderweitig seiner Berufsausübung sinnvoll nachzugehen.
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Nichts anderes gilt im Ergebnis auch für den Sitzungstag des 18.02.2005, in dem das
Gericht sich um 09.36 Uhr zur Beratung zurückzog und es (erst) um 14.29 Uhr zur
Urteilsverkündung kam. Aus dem Protokoll geht nicht hervor, dass ein bestimmter
Zeitpunkt für die Urteilsverkündung von der Kammer anberaumt worden war, als sie sich
zur Beratung zurückzog. Die Verfahrensbeteiligten durften sich deshalb nicht aus dem
Sitzungsbereich entfernen; sie mussten vielmehr damit rechnen, dass das Gericht
jederzeit entweder erneut in die Verhandlung eintreten oder das Urteil verkünden werde.
Angesichts dieser Umstände war es dem Verteidiger wiederum nicht möglich, seine
Berufstätigkeit anderweitig sinnvoll auszuüben. Ein Abzug der
Hauptverhandlungsdauer, die insgesamt ab dem auf 09.00 Uhr terminierten Beginn bis
15.45 Uhr dauerte, ist deshalb nicht gerechtfertigt. Über den bereits festgesetzten Betrag
der Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 4.290,67 € ergibt sich folgender weiterer
Vergütungsanspruch:
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zusätzliche Terminsgebühren nach
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Nr. 4122 VV RVG für den 14.01.2005,
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31.01.2005, 16.02.2005 und 18.02.2005 in
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Höhe von jeweils 178,- € = 712,00 €
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+ 16 % MwSt. = 113,92 €
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825,92 €.
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Für den Terminstag des 24.01.2005 hat der Pflichtverteidiger Q einen Längenzuschlag
nicht geltend gemacht.
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