Urteil des OLG Hamm vom 10.04.2002

OLG Hamm: rückstellung, gesellschaft, bilanz, rechtskraft, liquidation, unterlassen, rechtsberater, verschulden, entschuldigung, auskunft

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 180/01
Datum:
10.04.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 180/01
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 8 O 97/01
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. September 2001
verkündete Urteil des Landgerichts Detmold abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.158,09 Euro nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12. Februar 2001 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus
§ 26 Abs. 3 Satz 1 InsO auf Erstattung des Vorschusses für das Insolvenzverfahren in
Höhe von 14.000 DM gleich 7.158,09 EUR.
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I.
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Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils Bezug genommen. Zu ergänzen ist Folgendes:
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In der Bilanz der Fa. C GmbH per 31.10.1996, von deren Steuerberatern erstellt am
09.05.1997, wurde eine Rückstellung in Höhe von 150.000 DM wegen der hier in Rede
stehenden Forderung der Klägerin ausgewiesen. Ende 1996 wurden 1.400.000 DM als
Gewinn an den Nachfolger des Beklagten in der Gesellschafterstellung ausgekehrt. In
der Bilanz per 30.04.1997, erstellt am 30.09.1997, ist die Rückstellung ohne Angabe
von Gründen nicht mehr enthalten; freies Kapital wird in Höhe von 7.009,60 DM
ausgewiesen. Mit Schriftsatz der Klägerin vom 11.07.1997 war der Gesellschaft zuvor -
wegen der genannten Forderung - der Streit verkündet worden. Auch in der so
genannten Liquidationsschlussbilanz per 31.10.1998, erstellt am 02.02.1999 ist die
Rückstellung nicht enthalten. Diese Bilanz weist sonstige Vermögensgegenstände im
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Wert von rund 41.000 DM und einen Kassenbestand von 7.500 DM aus.
Wegen des Schreibens des Rechtsanwalts N vom 21.09.1998 an den Beklagten, eines
weiteren Schreibens vom 29.07.1998 an das Registergericht und des Schreibens der
Steuerberaterin K vom 01.10.1998 an den Beklagten wird auf die zu den Akten
gereichten Kopien (Bl. 15 f., 119 und 116 = 17 d.A.) Bezug genommen.
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II.
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Hiernach sind die Voraussetzungen des - gemäß Art. 104 EGInsO anwendbaren - § 26
Abs. 3 InsO für einen Vorschusserstattungsanspruch gegeben.
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Spätestens zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Titels der Klägerin gegen die
Gesellschaft (September 1999) hat der Beklagte es pflichtwidrig und schuldhaft
unterlassen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Jedenfalls muss der Senat gemäß § 26
Abs. 3 Satz 2 InsO hiervon ausgehen, da der Beklagte sich nicht hinreichend entlastet
hat.
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1.
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Die Gesellschaft war - jedenfalls - zu diesem Zeitpunkt, wie unstreitig ist und sich auch
aus den oben erwähnten Bilanzen ergibt, überschuldet.
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2.
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Der Beklagte war als Liquidator gemäß §§ 64 Abs. 1, 71 Abs. 4 GmbHG verpflichtet,
Insolvenzantrag zu stellen.
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Soweit er, was die Klägerin jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
bestritten hat, behauptet, zu dem Zeitpunkt der Urteilsrechtskraft sei bereits "alles
verteilt" und die Liquidation beendet gewesen, hat der Beklagte für diese Behauptung -
auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - keinen Beweis angetreten. Er hat
auch nicht einmal erklärt, wie die o.g., in der letzten Bilanz ausgewiesenen
Vermögensgegenstände im Wert von 41.000 DM und 7.500 DM verwandt worden sein
sollen. Auf einen etwaigen Anspruch der Gesellschaft wegen der Ausschüttung von
1.400.000 DM und auf die Frage, ob auch nach Beendigung der Liquidation eine
Antragspflicht bestehen kann, kommt es hiernach nicht an.
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3.
15
Der Beklagte hat einen Insolvenzantrag auch schuldhaft unterlassen.
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a)
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Als "ordentlicher Kaufmann" (§§ 43 Abs. 1, 71 Abs. 4 GmbHG) durfte der Beklagte sich
auf die nicht näher begründeten Auskünfte des Rechtsanwalts N und der
Steuerberaterin K, welche ohnehin im Wesentlichen nur die Erklärungen des
Rechtsanwalts N weitergegeben hat, nicht dahingehend verlassen, dass er keinen
Insolvenzantrag stellen müsse.
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Schon vor Urteilsrechtskraft waren diese Auskünfte, wie der Beklagte hätte erkennen
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müssen, nicht tragfähig. Der Beklagte hätte erkennen müssen, dass die Rückstellung,
deren Billigung durch ihn zeigt, dass er die Forderung der Klägerin nicht für
aussichtslos hielt, nicht - und erst recht nicht nach erfolgter Streitverkündung - hätte
aufgelöst werden dürfen (vgl. §§ 249 Abs. 1 Satz 1, 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Wie der
Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, hatte er nicht
etwa die Vorstellung, dass die Rückstellung nur "aus steuerlichen Gründen" erfolgt
wäre. Er hätte somit nach der Ausschüttung von 1.400.000 DM jedenfalls ernsthaft in
Betracht ziehen müssen, dass die Gesellschaft - unter Berücksichtigung der zu Unrecht
aufgelösten Rückstellung - überschuldet sei. Mit der kurzen Auskunft des Rechtsanwalts
N vom 21.09.1998 hätte er sich keineswegs zufrieden geben dürfen, zumal diese
ausweislich ihres Textes auf ganz unsicherer Grundlage erstellt worden war. Er hätte
zumindest einem Rechtsberater sämtliche Tatsachen unterbreiten und eine eingehende
Stellungnahme fordern müssen.
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Erst recht durfte der Beklagte nach Rechtskraft des Urteils nicht ohne eine
entsprechende eingehende Stellungnahme eines Rechtsberaters annehmen, dass er
auch weiterhin zu einem Insolvenzantrag nicht verpflichtet sei. Das Schreiben des
Rechtsanwalts N vom 21.09.1998 bezieht sich ausdrücklich auf die Zeit vor einer rechts-
kräftigen Entscheidung. Im Übrigen ist schon oben ausgeführt, dass der Senat nicht
davon ausgehen kann, dass die Liquidation beendet gewesen sei oder dass auch nur
der Beklagte solches ohne Verschulden hätte annehmen dürfen; der Beklagte hat dazu
nichts Hinreichendes vorgetragen.
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Soweit der Beklagte in der Verhandlung vor dem Senat behauptet hat, er habe
Rechtsanwalt N nach Rechtskraft des Urteils gefragt, ob etwas zu unternehmen sei, und
Rechtsanwalt N habe dies verneint, genügt dies zur Entschuldigung des Beklagten
nicht. Vielmehr hätte der Beklagte, wie gesagt, eine fundierte, auf Kenntnis aller
Tatsachen beruhende Stellungnahme einfordern müssen.
22
III.
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Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
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IV.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 543 f., 708 Nr. 11, 709, 713 ZPO. Die
Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für eine Zulassung der Revision sind
nicht gegeben.
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