Urteil des OLG Hamm vom 10.07.1987

OLG Hamm (ersatzbeschaffung, rückgabe, mietzins, schaden, mitverschulden, kaufpreis, mieter, höhe, vermieter, geschäftsbedingungen)

Oberlandesgericht Hamm, 7 U 49/87
Datum:
10.07.1987
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 49/87
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 8 O 517/86
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Januar 1987 verkündete
Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin vermietete am 11. Januar 1985 an den Beklagten vier Video-Kassetten, die
vereinbarungsgemäß am 12. Januar 1985 zurückgegeben werden sollten. Der Mietzins
für den einen Tag war auf 3,-- DM je Kassette, insgesamt 12,-- DM vereinbart. In den
Geschäftsbedingungen der Klägerin, die auf dem unteren Rand des vom Beklagten
unterzeichneten Bestellzettels abgedruckt sind, heißt es u.a.:
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Bei Beschädigung wird der Kaufpreis + Leihgebühr erhoben. Bei Nichteinhaltung
des Rückgabetermins wird eine Nachgebühr berechnet. Diese richtet sich nach
dem Leihpreis und der Dauer des Überzuges.
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Der Beklagte hat die Kassetten, deren Kaufpreis insgesamt 1.077,30 DM einschließlich
Mehrwertsteuer betrug, bis heute nicht zurückgegeben. Die Klägerin erwirkte gegen den
Beklagten wegen der Überziehung des Rückgabetermins für die Zeit vom 12. Januar
1985 bis 15. März 1985 einen rechtskräftig gewordenen Vollstreckungsbescheid über
einen Betrag von 648,-- DM (3 B 1066/85 xxx). Im vorliegenden Verfahren nimmt die
Klägerin den Beklagten auf Zahlung einer weiteren Entschädigung für die Zeit vom 16.
März 1985 bis 15. Juli 1986 in Anspruch und verlangt auch für diese Zeit je Kassette 3,--
DM pro Tag Entschädigung, insgesamt 5.814,-- DM, ferner den vollen Kaufpreis für die
Kassetten.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.891,30 DM nebst 9,25 % Zinsen seit dem 15.
Juli 1986 und 10,-- DM vorgerichtlicher Kosten zu zahlen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil vom 29. Januar 1987 zur weiteren Darstellung des
Tatbestandes Bezug genommen wird, hat der Klägerin den Kaufpreis für die Kassetten
in Höhe von 1.077,30 DM zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Es hat
gemeint, eine weitere Nutzungsentschädigung als die bereits rechtskräftig titulierte
stehe der Klägerin nicht zu. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, nach zwei Monaten
zur Verhinderung eines höheren Schadens eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen.
Wenn sie das nicht getan habe, habe sie schuldhaft gegen ihre
Schadensminderungspflicht verstoßen und könne eine weitere Nutzungsentschädigung
nicht verlangen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die meint, sie könne auch
über den Zeitraum von zwei Monaten hinaus Nutzungsentschädigung in Höhe des
Mietzinses verlangen. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die
Berufungsbegründung vom 14. Mai 1987 (Bl. 60 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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in Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie
unter Einbeziehung des bereits ausgeurteilten Betrages insgesamt 6.921,30 DM
nebst 9,25 % Zinsen seit dem 15. Juli 1986 sowie 10,-- DM vorgerichtliche Kosten
zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
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Die Klägerin ist nicht berechtigt, über die ihr bereits zuerkannten 648,-- DM hinaus
Mietzins für die Zeit nach Vertragsablauf vom Beklagten zu verlangen. Dem
grundsätzlich bestehenden Anspruch der Klägerin, bei verspäteter Rückgabe aufgrund
ihrer Geschäftsbedingungen oder nach § 557 BGB Schadensersatz in Form der
Fortzahlung des Mietzinses verlangen zu können, steht - wie das Landgericht zutreffend
angenommen hat - § 254 BGB entgegen. Die Klägerin hat einen Schaden, der ihr
möglicherweise dadurch entstanden ist, daß sie die vom Beklagten einbehaltenen
Kassetten nach dem 16. März 1985 nicht anderweitig vermieten konnte, selbst
verschuldet und kann deshalb vom Beklagten nicht die Zahlung weiteren Mietzinses
verlangen.
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1.)
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Der nach § 557 BGB fortzuzahlende Mietzins kann grundsätzlich nach § 254 BGB
wegen Mitverschuldens des Vermieters begrenzt werden. Gleiches gilt auch für die nach
den Geschäftsbedingungen der Klägerin zu zahlende "Nachgebühr", denn die in den
Geschäftsbedingungen getroffene Regelung entspricht der gesetzlichen Regelung des
§ 557 BGB.
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§ 557 BGB regelt seinem rechtlichen Charakter nach einen Schadensersatzanspruch,
wenn auch der Anspruch in den Voraussetzungen vereinfacht und seinem Umfang nach
pauschaliert ist. Daß es sich in § 557 BGB um einen Schadensersatzanspruch handelt,
folgt schon daraus, daß nach Abs. 1 S. 2 die Geltendmachung eines "weiteren
Schadens" nicht ausgeschlossen ist, d.h. in § 557 BGB wird ein Mindestschaden in
Höhe des Mietzinses fingiert. Wenn der Höhe nach ein Mindestschaden unterstellt wird,
so schließt dies nicht aus, ein Mitverschulden des Vermieters bei der
Schadensverursachung zu berücksichtigen, ihm also einen Anspruch zu versagen,
wenn er es überwiegend selbst zu vertreten hat, daß ein Schaden überhaupt entstanden
ist. Von Instanzgerichten mehrfach angenommen worden ist ein Mitverschulden des
Vermieters in Fällen, in denen die Mietsache untervermietet war und der Untermieter
den Besitz nicht aufgab. Dem Vermieter ist dann als Mitverschulden angelastet worden,
wenn er es unterlassen hatte, den Untermieter auf Rückgabe zu verklagen, obwohl er
die Möglichkeit dazu hatte, der Hauptmieter indessen vertraglich gebunden war und
nicht mit Aussicht auf Erfolg klagen konnte (vgl. die Nachweise bei Erman/Schopp,
BGB, § 557 Rz. 2; a. A. i. E. BGH NJW 1984, S. 1527, ohne aber den Ansatz des § 254
BGB in Frage zu stellen; vgl. auch Salje DB 1983 S. 2454). Der Anwendbarkeit von §
254 BGB steht auch nicht entgegen, daß § 557 BGB selbst ein Verschulden des Mieters
nicht voraussetzt. § 254 BGB findet schon nach seinem klaren Wortlaut nicht nur auf
Schadensersatzansprüche Anwendung, die ein Verschulden erfordern.
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2.)
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Im vorliegenden Fall trifft die Klägerin zwar kein Verschulden daran, daß sie die
Kassetten nicht zurückbekommen hat. Ihr ist aber als Mitverschulden anzulasten, daß
sie nicht in angemessener Zeit für eine Ersatzbeschaffung gesorgt und dadurch den
durch die Nichtrückgabe entstandenen Schaden -ein solcher hier unterstellt -
unverhältnismäßig in die Höhe getrieben hat. Auch bei dieser Fallgestaltung handelt es
sich um ein Mitverschulden bei der Schadensentstehung, so daß im Ansatz § 254 BGB
anwendbar ist. Es kann bei der Vermietung beweglicher Sachen nicht hingenommen
werden, daß bei nicht rechtzeitiger Rückgabe auf Jahre hinaus weiter Mietzins gezahlt
werden muß und somit ein Schaden verursacht wird, der - wie hier - den Wert der
Mietsache um ein Vielfaches übersteigt. Der Vermieter ist in einem solchen Fall und bei
einem sich derart abzeichnenden unverhältnismäßig hohen Schaden gehalten, sich
einen Ersatz zu beschaffen (so im Ergebnis auch OLG Hamm - 4. Zivilsenat - ZMR 1977
S. 372). Die Klägerin hätte aus diesen Erwägungen heraus spätestens nach zwei
Monaten - bis dahin ist ihr bereits Mietzins zuerkannt - eine Ersatzbeschaffung auf
Kosten des Beklagten vornehmen müssen. Der Zeitraum, nach dem eine
Ersatzbeschaffung vernünftigerweise zu erfolgen hat, läßt sich nicht generell festlegen,
sondern bestimmt sich vor allem nach dem Mietgegenstand. Video-Kassetten, wie sie
hier vermietet worden sind, dienen regelmäßig nur einer kurzen Nutzung durch den
Mieter. So war auch hier die Mietdauer - wie schon zuvor in mehreren Fällen - auf einen
Tag vereinbart. Wer eine Video-Kassette über einen längeren Zeitraum nutzen will, wird
diese in der Regel erwerben und nicht mieten, weil der Kaufpreis gewöhnlich niedriger
ist als der über eine längere Zeit zu zahlende Miete. Der Vermieter von Video-Kassetten
muß deshalb nach Ablauf einer Zeit, nach der ein vernünftiger Mieter für die Kassette
keine Verwendung mehr hat und aus diesem Grunde anzunehmen ist, daß der
Rückgabe dauernde Hindernisse entgegenstehen, den Mieter mahnen, wie es z.B. bei
Öffentlichen Bibliotheken regelmäßig nach Überschreiten der Mietzeit geschieht. Er
muß, falls keine Reaktion auf die Mahnung erfolgt, eine Frist zur Rückgabe setzen und
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nach deren fruchtlosem Ablauf eine Ersatzbeschaffung vornehmen. Die Kosten dafür
einschließlich eventueller Kreditkosten hat im Ergebnis gemäß § 286 Abs. 2 BGB der
Mieter zu tragen, die Kosten der Mahnung nach § 286 Abs. 1 BGB desgleichen. Nur
durch eine solchermaßen rechtzeitige Ersatzbeschaffung kann der Vermieter seiner
Verpflichtung nachkommen, den Schaden nicht unverhältnismäßig anwachsen zu
lassen, nachdem mit einer Rückgabe vernünftigerweise nicht mehr zu rechnen ist.
Der Senat konnte offenlassen, nach welcher Zeit bei der Art der vermieteten Kassetten
im vorliegenden Fall ein vernünftiger Mieter dafür keine Verwendung mehr haben
konnte. Zumindest nach Ablauf eines Monats hätte vernünftigerweise die Rückgabe
angemahnt werden müssen, nach allerspätestens zwei Monaten hätte die
Ersatzbeschaffung erfolgt sein können, so daß der Klägerin über diese Zeit hinaus kein
Schadensersatz - auch nicht in Form von Mietzins - zusteht.
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Die Berufung der Klägerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 2 ZPO
zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich §
708 Ziff. 10 ZPO. Die gem. § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer beträgt 5.844,--
DM.
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