Urteil des OLG Hamm vom 11.05.2006

OLG Hamm: örtliche zuständigkeit, ratio legis, ausländisches recht, ukraine, staatsangehörigkeit, bezirk, aufenthalt, abgrenzung, genehmigung, adoptiveltern

Oberlandesgericht Hamm, 15 Sbd 8/06
Datum:
11.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Sbd 8/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 76 XVI 5/05
Tenor:
Das Amtsgericht Hamm wird als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.
G r ü n d e :
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I.
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Das betroffene Kind ist aus der ersten Ehe seiner Mutter, der Beteiligten zu 2), mit dem
am 03.03.2001 verstorbenen Herrn G hervorgegangen. Das Kind besitzt wie seine
Mutter die ukrainische Staatsangehörigkeit. Der Beteiligte zu 3), der deutscher
Staatsangehöriger mit polnischer Abstammung ist, hat am 16.01.2002 mit der Beteiligten
zu 2) in F die Ehe geschlossen. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben ihren gemeinsamen
dauernden Aufenthalt in Deutschland, seit deren Eheschließung lebt das betroffene
Kind in ihrem Haushalt. Der Beteiligte zu 3) hat in notarieller Urkunde vom 18.08.2005
(UR-Nr. xxx/2005 Notar R.T. in F) mit Zustimmung der Beteiligten zu 1) und 2) beantragt,
die Annahme der Beteiligten zu 1) als Kind auszusprechen.
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Das Amtsgericht Essen hat die Akten an das Amtsgericht Hamm im Hinblick auf die
Annahme einer dort gegebenen örtlichen Zuständigkeit nach §§ 2 und 5 AdWirkG
abgegeben. Das Amtsgericht Hamm hat durch Beschluss vom 03.04.2006 die
Übernahme der Sache abgelehnt. Der Richter des Amtsgerichts Essen hat daraufhin mit
Verfügung vom 18.04.2006 die Sache dem Senat zur Bestimmung des örtlich
zuständigen Gerichts vorgelegt.
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II.
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Der Senat ist gem. § 5 FGG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Amtsgerichts
berufen. Die Vorlage ist zulässig, weil zwischen den beteiligten Amtsgerichten Streit
darüber besteht, welches von ihnen zur Entscheidung über den Annahmeantrag örtlich
zuständig ist.
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In der Sache ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamm begründet.
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Nach der allgemeinen Vorschrift des § 43 b Abs. 2 S. 1 FGG ist in Angelegenheiten,
welche die Annahme eines Kindes betreffen, das Gericht örtlich zuständig, in dessen
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Bezirk der Annehmende in dem Zeitpunkt, in dem der Antrag eingereicht worden ist,
seinen Wohnsitz hatte. Demnach wäre das Amtsgerichts Essen zuständig, weil der
Annehmende, der Beteiligte zu 3), in F wohnt. Kommen aber ausländische
Sachvorschriften zur Anwendung, dann richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die
Annahme eines Kindes nach § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG i.V.m. § 5 Abs. 1 und 2 des
Adoptionswirkungsgesetzes vom 5.11.2001 (AdWirkG). Die darin vorgesehene
Zuständigkeitskonzentration auf das Amtsgericht, in dessen Bezirk das
Oberlandesgerichts seinen Sitz hat, gilt aber nur dann, wenn auf die Angelegenheit
betreffend die Annahme des Kindes ausländische Sachvorschriften Anwendung finden.
Die vorliegend beantragte Einzeladoption durch nur einen Ehegatten unterliegt gemäß
Art. 22 Abs. 1 Satz 2 EGBGB dem Ehewirkungsstatut nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB. Da
beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung am 16.01.2002 ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland hatten, ist gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB als
Ehewirkungsstatut deutsches Recht berufen.
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Daneben findet nach der ergänzenden kollisionsrechtlichen Sonderregelung des Art. 23
EGBGB für den statusverändernden Rechtsvorgang der Adoption zusätzlich auch
ukrainisches Recht Anwendung (vgl. Palandt/Heldrich BGB 65. Aufl. Art. 23 EGBGB Rn.
1). Denn die Vorschrift Art. 23 EGBGB beruft neben dem Adoptionsstatut zusätzlich das
Personalstatut des betroffenen Kindes für die Notwendigkeit und die Erteilung der
Zustimmung des Kindes oder einer Person, zu dem es in einem familienrechtlichen
Verhältnis steht, insbesondere eines Elternteils; hierher gehören neben der
Erforderlichkeit auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Zustimmung einschließlich
ihrer Ersetzbarkeit und gegebenenfalls ihrer behördlichen und gerichtlichen
Genehmigungsbedürftigkeit (Palandt/Heldrich, a.a.O., Art 23 EGBGB Rn. 3). Das
Zustimmungserfordernis des Kindes sowie seiner Eltern zur Adoption ist daher sowohl
nach dem Adoptionsstatut als auch nach dem Personalstatut des Kindes zu erfüllen, d.h.
es ist kumulativ anzuknüpfen, um so hinkenden Statusveränderungen vorzubeugen.
Daher gehört die ergänzende Sonderregelung des Art. 23 EGBGB nicht in den Bereich
von Vorfragen, sondern zur Hauptfrage der Adoption selbst (BayObLGZ 2004, 368 =
FGPrax 2005, 65 = FamRZ 2005, 1694 = StAZ 2005, 297 = BayObLGR 2005, 279).
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Allerdings hat der Senat in seinem Beschluss vom 21.11.2002 (FGPrax 2003, 75 =
FamRZ 2003, 1042) für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit gem. § 43 b Abs. 2 S.
2 AdWirkG ausschließlich darauf abgestellt, ob auf die Annahme im Sinne des Art. 22
EGBGB insgesamt ausländisches Recht Anwendung findet, während er die
Sondernorm des Art. 23 S. 1 EGBGB lediglich als Vorfrage qualifiziert hat, die die
Zuständigkeitskonzentration nicht begründen kann. An dieser Beurteilung hält der Senat
bezogen auf die Sonderanknüpfung in Art. 23 S. 1 EGBGB im Hinblick auf abweichende
Entscheidungen anderer Obergerichte (BayObLG a.a.O.; OLG Stuttgart StAZ 2004, 134;
OLG Zweibrücken FGPrax 2005, 69) nicht mehr fest. Das Bayerische Oberste
Landesgericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 16.12.2004 ausgeführt (a.a.O.):
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"Jedenfalls ist weder dem Gesetzeswortlaut des § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG i.V.m. § 5
Abs. 1 Satz 1 AdWirkG noch den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 14/6011, S.
57 zu Art. 4 Abs. 2) eindeutig zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine
Einschränkung dahingehend beabsichtigt hat, dass eine
Zuständigkeitskonzentration nicht gegeben sein soll, wenn sich Teile der
Hauptfrage nach ausländischem Recht beurteilen (so im Ergebnis auch: OLG
Stuttgart Beschluss vom 2.12.2003 FamRZ 2004, 1124/1125). Eine solche
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einschränkende Auslegung des § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG ist auch nicht durch die
ratio legis veranlasst, da eine Zuständigkeitskonzentration an einem zentralen
Vormundschaftsgericht auch für die Prüfung von Teilen der Hauptfrage – deren
Beantwortung unter Anwendung ausländischer Sachvorschriften durchaus rechtlich
schwierig sein kann - im Ergebnis sinnvoll ist; darüber hinaus könnte eine solche
einschränkende Auslegung zu vielfältigen Zuständigkeitsstreitigkeiten wegen der
dann erforderlichen Abgrenzung von Teil– zu Hauptfragen führen, die möglichst zu
vermeiden sind (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.)."
Nach erneuter Überprüfung kann sich der Senat dieser Argumentation nicht
verschließen und gibt seine bisherige Auffassung auch mit dem Ziel einer
Vereinheitlichung der Rechtsprechung auf.
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Der Ehe- und Familienkodex der Ukraine vom 20.06.1969 in der Fassung vom
30.01.1996 regelt in den Artikeln 104 ff den Kreis der Zustimmungsverpflichteten in die
Adoption von Kindern (abgedruckt bei Bergmann/ Ferid /Henrich, Internationales Ehe-
und Kindschaftsrecht, Länderteil Ukraine; vgl. dort auch Abschnitt III, Ziffern 45, 50 der
Verordnung des Bildungsministeriums der Ukraine über die Freigabe von Kindern mit
ukrainischer Staatsangehörigkeit für die Adoption durch ukrainische und ausländische
Staatsbürger sowie über die Kontrolle ihrer Lebensbedingungen in den Familien der
Adoptiveltern vom 30.07.1996: Danach bedarf die Adoption von Kindern mit
ukrainischer Staatsangehörigkeit und einem Wohnsitz außerhalb der Ukraine durch
ausländische Staatsbürger der Genehmigung oder vorheriger Zustimmung des
Zentrums).
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Da also im vorliegenden Fall auch ausländische Sachvorschriften zur Anwendung
kommen, ist gemäß § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG, § 5 Abs. 1 Satz 1 AdWirkG das
Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - am Sitz des Oberlandesgerichts örtlich zuständig,
in dessen Bezirk der Annehmende seinen Wohnsitz hat, hier also das Amtsgericht
Hamm.
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