Urteil des OLG Hamm vom 22.06.2010

OLG Hamm (gesetzliche grundlage, anordnung, gläubiger, nachlass, beschwerde, vergütung, erbe, kündigung, bestellung, nachlassgericht)

Oberlandesgericht Hamm, I-15 W 308/10
Datum:
22.06.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-15 W 308/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 13 VI 113/10
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Es wird eine Nachlasspflegschaft mit dem Wirkungskreis der Vertretung
der unbe-kannten Erben bei der Beendigung und Abwicklung des
Mietverhältnisses mit dem Gläubiger angeordnet.
Zur Auswahl und Bestellung des Nachlasspflegers wird die Sache zur
erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Gründe
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Die Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft sowie frist- und
formgerecht nach §§ 63, 64 FamFG eingelegt. Der Beschwerdewert des § 61 Abs.
1 FamFG ist nach dem erkennbaren vermögenswerten Interesse des Beteiligten
erreicht. Gegen die Ablehnung der Anordnung einer Nachlasspflegschaft steht
dem Nachlassgläubiger, der nach § 1961 BGB die Nachlasspflegschaft beantragt
hat, die Beschwerde gemäß § 59 Abs. 2 FamFG zu. Dies folgt aus der
gesetzlichen Regelung des § 1961 BGB, der die Anordnung der
Nachlasspflegschaft auf seinen Antrag zwingend vorsieht (KG NJWE-FER 2000,
15; OLGZ 1981, 151; OLG Dresden Rpfleger 2010, 215; ebenso zur Aufhebung
einer unter den Voraussetzungen des § 1961 BGB angeordneten
Nachlasspflegschaft: Senat Rpfleger 1987, 416; Keidel/Meyer-Holz, FamFG,
16. Aufl., § 59, Rdnr. 83).
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Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
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Das Amtsgericht hat die Anordnung der Nachlasspflegschaft zu Unrecht von der
Zahlung eines Vorschusses für die Vergütung und Auslagen des
Nachlasspflegers abhängig gemacht.
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Der Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 05.01.2010 (FGPrax 2010, 80 =
Rpfleger 2010, 268) der überwiegenden Rechtsauffassung angeschlossen, dass
die Anordnung der Nachlasspflegschaft bei einem bedürftigen Nachlass nicht
davon abhängig gemacht werden kann, dass der antragstellende Gläubiger die
Gerichtskosten vorschießt. Für die Annahme einer Vorschusspflicht fehlt die
erforderliche gesetzliche Grundlage. § 8 KostO lässt sich nicht heranziehen, denn
der Gläubiger ist nicht Kostenschuldner im Sinne dieser Vorschrift. Vielmehr
haften nach § 6 S. 1 KostO "nur" die Erben für die Kosten der
Nachlasspflegschaft. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob
zu den Kosten, die durch die Anordnung der Nachlasspflegschaft entstehen, auch
die Vergütung und Auslagen des Nachlasspflegers gehören (so OLG Frankfurt
Rpfleger 1993, 284; OLG Düsseldorf Rpfleger 2002, 227; OLG Dresden, a. a. O.).
Denn die Anordnung der Nachlasspflegschaft kann mangels gesetzlicher
Grundlage auch dann nicht davon abhängig gemacht werden, dass der
antragstellende Gläubiger die Vergütung und Auslagen des Nachlasspflegers
vorschießt, wenn diese Kosten nicht dem kostenrechtlichen Begriff der Gebühren
und Auslagen (§§ 1 Abs. 1 S. 1, 136 ff. KostO) unterfallen. Bei § 6 S. 1 KostO
handelt es sich um eine die allgemeinen Reglungen der §§ 2, 3 KostO
verdrängende Vorschrift, die eine Inanspruchnahme eines anderen
Kostenschuldners, der nicht Erbe ist, ausschließt. Es stellt sich deshalb von
vorneherein nicht die Frage nach weiteren Kostenschuldnern gemäß §§ 2, 3
KostO (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 6 KostO, Rdnr. 11;
Korintenberg/Lappe, KostO, Komm., 18. Aufl., § 6, Rdnr. 10), die für solche Kosten
in Vorlage treten müssten.
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Die weiteren Voraussetzungen des § 1961 BGB liegen vor.
6
Der Beteiligte schreibt sich nicht offensichtlich unbegründete Ansprüche gegen
den Nachlass zu. Dies gilt in jedem Fall hinsichtlich der seit dem Ableben des
Erblassers aufgelaufenen Mietraten, denn auch bei diesen handelt es sich um von
dem Erblasser herrührende Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 1967 BGB.
Vor diesem Hintergrund kann auch die Frage, ob dies in gleicher Weise für den
Räumungsanspruch gilt, der in seiner schuldrechtlichen Grundlage zwar schon
angelegt ist, zu seiner Entstehung jedoch noch der Kündigung bedarf,
dahinstehen. Auch bedarf, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, die Frage,
ob die Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB auch zum Zwecke der
Entgegennahme einer materiell-rechtlichen Willenserklärung (hier der Kündigung)
angeordnet werden darf, keiner Vertiefung. Denn liegen die Voraussetzungen des
§ 1961 BGB im Hinblick auf bestehende Nachlassverbindlichkeiten vor, so wird
der Nachlasspfleger durch seine Bestellung zum gesetzlichen Vertreter der
unbekannten Erben in Bezug auf den Nachlass (Staudinger/Marotzke, BGB,
Komm., Neub. 2008, § 1961, Rdnr. 12; Palandt/Edenhofer, BGB, Komm., § 1961,
Rdnr. 3). Er ist danach auch befugt, die Kündigung entgegen zu nehmen und über
die Art und Weise der Räumung –ggf. unter Einsatz einer evtl. vorhandenen
Mietkaution- zu verhandeln. Eine Beschränkung des Aufgabenkreises auf die
Prozessvertretung, die rechtlich zulässig und wirksam wäre (Marotzke a.a.O.
Rdn.13), liegt unter den hier obwaltenden Umständen weder im Interesse der
unbekannten Erben, noch in demjenigen der öffentlichen Hand. Denn beiden
muss daran gelegen sein, das Mietverhältnis kurzfristig zu beenden, damit
wenigstens noch eine schwache Aussicht besteht, dass die aufgelaufenen
Mietrückstände noch durch einen Aktivnachlass abgedeckt werden.
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Wie sich aus der Verweisung auf § 1960 Abs. 1 BGB ergibt, setzt auch eine
Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB weiter voraus, dass die Erben bislang
nicht festgestellt sind. Die Frage, ob der Erbe unbekannt ist, ist aus der Sicht des
Gläubigers zu beurteilen, dessen Schutz § 1961 BGB dient. Dementsprechend gilt
der Erbe bereits dann als unbekannt, wenn die Verhältnisse so weitläufig
und/oder unklar sind, dass dem Gläubiger die Beschaffung derjenigen
Informationen und Unterlagen, die für den Nachweis der Passivlegitimation
notwendig wären, unmöglich oder zumindest unzumutbar ist (Senat FGPrax 2008,
161 = FamRZ 2008, 1636). So liegen die Dinge hier. Denn bisher sind keine
Erben namentlich bekannt geworden. Dem Nachlassgericht liegen keine
Erkenntnisse vor. Der Beteiligte verfügt nach seinen Angaben über keine
Informationen zu den in Betracht kommenden Erben. Danach ist das für die
Bestellung eines Nachlasspflegers notwendige Rechtsschutzbedürfnis gegeben.
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Es ist nach alledem ein Nachlasspfleger zu bestellen, dessen Auswahl dem
Nachlassgericht überlassen bleibt.
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