Urteil des OLG Hamm vom 17.04.1985

OLG Hamm (gegen die guten sitten, abweisung der klage, kläger, verhältnis zwischen, ehefrau, sittenwidrigkeit, annahme, vertrag, gesetz, umstände)

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 251/84
Datum:
17.04.1985
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 251/84
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 2 O 249/84
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 18. Juni 1984 verkündete Urteil
der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 8.000,-- DM.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem
Feststellungsbegehren des Klägers mit Recht nicht stattgegeben. Denn der zwischen
der Rechtsvorgängerin der Beklagten einerseits und dem Kläger und seiner Ehefrau
andererseits geschlossenen Ratenkreditvertrag ist wirksam zustande gekommen. Er ist
insbesondere nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Gegenüber
dem Anspruch der Beklagten auf Darlehnsrückzahlung (§ 607 Abs. 1 BGB) kann der
Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, ihm stehe wegen Verletzung vorvertraglicher
Aufklärungspflichten ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß
zu.
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I.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, ist ein
Darlehnsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB),
wenn zwischen den Leistungen des Darlehnsgebers und den durch einseitige
Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehnsnehmers ein auffälliges
Mißverhältnis besteht und der Darlehnsgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des
Darlehnsnehmers, dessen Unterlegenheit, bei der Festlegung der
Darlehnsbedingungen bewußt zu seinem Vorteil ausnutzt. Dem steht es gleich, wenn
sich der Darlehnsgeber als objektiv sittenwidrig Handelnder zumindest leichtfertig der
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Einsicht verschließt, daß sich der Darlehnsnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich
schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehnsbedingungen einläßt. Das
Landgericht hat zutreffend angenommen, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden
Falle nicht gegeben sind.
1. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt entgegen
der Ansicht der Berufung nicht vor. Ohne Berücksichtigung der Kosten der
Restschuldversicherung (Prämie, anteilige Kreditkosten), die des besseren Vergleichs
wegen auszuscheiden sind, errechnet sich nach der sog. Annuitätenmethode anhand
der Gillardon-Tabelle ein effektiver Jahreszins von 27,82 %. Demgegenüber betrug der
marktübliche effektive Jahreszins zur damaligen Zeit - Juli 1981 -, wenn man die
Annuitätenmethode anwendet, 17,2 %. Der vereinbarte effektive Jahreszins übersteigt
also den Marktzins um rd. 62 %. Das Ergebnis ist nicht wesentlich anders, wenn man für
die Vergleichsrechnung die sog. Uniformmethode zugrundelegt. Dann ergibt sich ein
effektiver Vertragszins von 28,26 % und ein Marktzins von 17,45 %. Danach liegt eine
Marktzinsüberschreitung von 61,95 % vor. Diese rechtfertigt nicht die Annahme eines
auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Damit fehlt eine
wesentliche Voraussetzung, um ein wucherähnliches Rechtsgeschäft annehmen zu
können.
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2. Sonstige gravierende Umstände, die dem Darlehnsvertrag ein sittenwidriges Gepräge
geben, sind weder dargetan noch sonst erkennbar.
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a) Insbesondere reicht es nicht aus, daß möglicherweise einzelne in den
Darlehnsbedingungen enthaltene Klauseln einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz
nicht standhalten. Grundsätzlich rechtfertigt auch die Unwirksamkeit einer einzelnen
oder einiger vertraglicher Regelungen noch nicht die Annahme einer Gesamtnichtigkeit
des Vertrages (§ 6 Abs. 1 AGB-Gesetz). Nur wenn zahlreiche Vertragsbestimmungen
unwirksam sind und der Vertrag durch entsprechende Auslegung und Fortfall dieser
Bestimmungen einen wesentlich anderen Inhalt erhielte, kann der gesamte Vertrag
nichtig sein (BGH NJW 1985, 53, 54 mit weiteren Nachweisen). Letzteres ist hier nicht
der Fall.
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b) Auch der Umstand, daß ein zinsgünstigerer Kredit der Kreissparkasse xxx aus der
Darlehnsvaluta umgeschuldet werden sollte, rechtfertigt - auch in Verbindung mit der
aufgezeigten Marktzinsüberschreitung - nicht die Annahme der Sittenwidrigkeit des
Darlehnsvertrages. Das geht schon deshalb nicht an, weil die Ablösesumme nur 28,84
% der Darlehnssumme ausmachte. Darüber hinaus kann die Umschuldung nicht als ein
so schwerwiegender Umstand angesehen werden, der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit
des Darlehnsvertrages stützen könnte.
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c) Schließlich können auch die bei dem Kläger zur Zeit des Vertragsschlusses
bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse den Vorwurf der Sittenwidrigkeit des
Darlehnsvertrages nicht rechtfertigen. Wie der von der Beklagten vorgelegten
"Bestätigung über telefonische Rückfrage beim Arbeitgeber" zu entnehmen ist, hat die
Kreditvermittlerin vor Vertragsschluß die Einkommensverhältnisse des Klägers geklärt.
Danach war, wie der Kläger im Darlehnsantrag auch selbst angegeben hat, mit
monatlichen Nettoeinkünften von DM 1.900,-- zu rechnen. Die wirtschaftlichen
Umstände waren zwar beengt, gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, daß
dem Kläger (und seiner Ehefrau) von vornherein die Aufbringung der laufenden Raten
unmöglich war. Entscheidend ist insofern auch die eigene Einschätzung der
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Leistungsfähigkeit des Kreditbewerbers.
II.
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Entgegen der Ansicht der Berufung kann dem Anspruch der Beklagten auf
Darlehnsrückzahlung auch nicht ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei
Vertragsschluß entgegengesetzt werden. Denn hier fehlt jeder hinreichende Anhalt
dafür, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten oder die Kreditvermittlerin Aufklärungs-
und Hinweispflichten gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau verletzt hat. Zwar
können einem Darlehnsgeber unter bestimmten Voraussetzungen vorvertragliche
Aufklärungspflichten gegenüber dem Darlehnsbewerber obliegen, deren Inhalt und
Umfang sich nach der Art des Darlehns und nach dem Aufklärungs- und
Schutzbedürfnis des Darlehnsbewerbers richten (BGH WM 1979, 1035, 1037; vgl. auch
neuerdings BGH WM 1985, 221, 224). Hier bestand aber für den Kläger kein
Aufklärungsbedürfnis, als er das Darlehn beantragte und später in Anspruch nahm.
Welche finanziellen Belastungen für ihn und seine Ehefrau mit der Darlehnsaufnahme
verbunden waren, ergab sich zweifelsfrei aus dem Darlehnsantrag, von dem die beiden
eine Durchschrift erhalten haben. Insbesondere war dem Darlehnsantrag eindeutig zu
entnehmen, daß sie eine erste Rate von DM 306,-- und Folgeraten von monatlich DM
443,-- aufbringen mußten. Ferner waren sie sich bewußt, daß der Vorkredit bei der
Kreissparkasse xxx abgelöst werden würde. Zwar war die vorgesehene Umschuldung
wirtschaftlich nicht sinnvoll, weil der Sparkassenkredit wesentlich zinsgünstiger als der
neue Kredit war. Es würde jedoch eine Überspannung der vorvertraglichen Pflichten
bedeuten, würde man verlangen, daß der Darlehnsgeber oder der Kreditvermittler den
Kreditbewerber vor solchen Umschuldungen warnen müßte.
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III.
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Nach alledem sind der Kläger und seine Ehefrau verpflichtet, das Gesamtdarlehn nach
Maßgabe des Darlehnsantrages zurückzuzahlen. Die begehrte Feststellung kann
deshalb nicht getroffen werden. Es muß bei der Abweisung der Klage verbleiben. Die
Berufung war somit mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 Satz 1
ZPO.
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