Urteil des OLG Hamm vom 15.01.2008

OLG Hamm: Schlagworte: Berufung, gesetzlicher Vertreter, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung Normen: JGG § 67 Abs. 2 StPO §§ 298 Abs. 1, 35a, wiedereinsetzung in den vorigen stand, eltern, zustellung

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 10 u. 11/08
Datum:
15.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 10 u. 11/08
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 4 Ns 42 Js 165/07
Schlagworte:
Berufung, gesetzlicher Vertreter, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung
Normen:
JGG § 67 Abs. 2 StPO §§ 298 Abs. 1; 35a
Leitsätze:
Der trotz Benachrichtigung nicht zur Hauptverhandlung erschienene
gesetzliche Vertreter des Jugendlichen kann nicht deshalb
Wiedereinsetzung gergen die Versäumung der Berufungsfrist
beanspruchen, weil ihm das angefochtene Urteil nicht vor Ablauf der
Berufungseinlegungsfrist zugestellt und ihm auch keine
Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist.
Tenor:
Die sofortigen Beschwerden werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
1
I.
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Der am 04.01.1992 geborene Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts –
Jugendgericht – Lemgo vom 22.06.2007, das in seiner Anwesenheit verkündet worden
ist, wegen Diebstahls mit einem Freizeitarrest belegt. Außerdem wurde ihm auferlegt,
bei Meidung der Verhängung von Jugendarrest 40 Stunden gemeinnützige Arbeit nach
Weisung des für seinen Wohnort zuständigen Jugendamtes zu leisten. Am 26. Juli 2007
verfügte der Rechtspfleger beim Amtsgericht Lemgo, an den die Sache zum Zwecke der
Vollstreckungseinleitung abgegeben worden war, dass sowohl dem Angeklagten als
auch dessen gesetzlichen Vertretern eine beglaubigte Abschrift des vorgenannten
Urteils zugesandt wird. Die gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten des
Angeklagten legten gegen das Urteil mit anwaltlichem Schriftsatz vom 02.08.2007, der
am selben Tag beim Amtsgericht Lemgo einging, Berufung ein und beantragten
gleichzeitig hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine etwaige
Versäumung der Berufungseinlegungsfrist. Zur Begründung trugen sie vor, der
Hauptverhandlungstermin vom 22.06.2007, zu dem sie allerdings nicht förmlich geladen
worden seien, sei ihnen bekannt gewesen. Sie hätten aber aus erzieherischen Gründen
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an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen. Über den Inhalt des Urteils vom
22.06.2007 seien sie nach dem Hauptverhandlungstermin durch ihren Sohn informiert
worden. Kenntnis von Rechtsmittelfristen hätten sie dagegen nicht gehabt,
insbesondere nicht von dem Beginn der Rechtsmittelfrist ab Urteilsverkündung.
Nachdem ihnen das Urteil vom 22.06.2007 am 31.07.2007 zugegangen sei, hätten sie
umgehend dagegen Berufung eingelegt.
Das Landgericht Detmold hat durch Beschluss vom 30.11.2007 den Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als
unzulässig verworfen.
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Hiergegen haben die beiden gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten des
Angeklagten sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Auffassung vertreten, nach
überkommenen und üblichen Grundsätzen beginne die Rechtsmittelfrist für Eltern erst
mit der Bekanntgabe der Entscheidung, die erst mit der Zustellung des schriftlichen
Urteils erfolge.
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II.
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Die sofortigen Beschwerden sind gem. den §§ 322 Abs. 2 StPO, 46 Abs. 3 StPO
zulässig, haben in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht mit dem
angefochtenen Beschluss die Berufungen der Beschwerdeführer gem. § 322 Abs. 1
StPO wegen verspäteter Einlegung des Rechtsmittels als unzulässig verworfen und
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungseinlegungsfrist abgelehnt.
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1.
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Die Berufungen der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom
22.06.2007 sind verspätet eingelegt worden.
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Gem. § 314 Abs. 1 StPO beträgt die Berufungseinlegungsfrist eine Woche seit
Verkündung des Urteils, wenn diese in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden
hat, anderenfalls beginnt sie gem. § 314 Abs. 2 StPO mit der Urteilszustellung. Der
Angeklagte selbst war im vorliegenden Verfahren bei der Urteilsverkündung anwesend,
bezüglich der Beschwerdeführer ist dagegen davon auszugehen, dass diese an der
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Lemgo am 22.06.2007 nicht teilgenommen
haben. Dem steht nicht entgegen, dass in dem Hauptverhandlungsprotokoll vom
22.06.2007 angegeben worden ist, dass die Angeklagten – das Verfahren richtete sich
gegen insgesamt 4 Angeklagte – in Begleitung ihrer Eltern erschienen seien. Denn
abgesehen davon, dass diese Angabe nicht den Anforderungen des § 271 Nr. 4 StPO
genügt, da die Namen der erschienenen Eltern nicht aufgeführt worden sind, erstreckt
sich die Beweiskraft des Protokolls nicht auf die An- bzw. Abwesenheit von Personen,
deren Anwesenheit das Gesetz nicht zwingend vorschreibt (vgl. BGH NStZ 1999, 426),
was auf die Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter des Angeklagten zutrifft,
so dass die Klärung der Frage, ob die Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung
teilgenommen haben, dem Freibeweis zugänglich ist (vgl. BGH a.a.O.). Der damals in
der Hauptverhandlung den Vorsitz führenden Amtsrichter konnte sich nach seiner
Stellungnahme vom 13.09.2007 nur noch daran erinnern, dass zahlreiche Eltern im
Zuschauerraum anwesend waren, eine Zuordnung zu den jeweiligen Angeklagten war
ihm jedoch nicht mehr möglich. Die damals an der Hauptverhandlung mitwirkende
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Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hatte nach dem Inhalt ihrer Stellungnahme vom
14.09.2007 ebenfalls keine konkrete Erinnerung an eine Anwesenheit der Eltern des
Angeklagten Q in der Hauptverhandlung, sondern konnte sich nur daran erinnern, dass
zahlreiche Eltern anwesend gewesen seien und damals nicht näher nachgefragt
worden sei, welche Eltern zu welchen Angeklagten gehörten. Die Sitzungsniederschrift
vom 22.06.2007 enthält schließlich keine sonstigen Eintragungen, die für eine
Anwesenheit der Eltern des Angeklagten sprechen könnten oder den Rückschluss
darauf zuließen. Angesichts dessen sieht der Senat keinen begründeten Anlass, die
Glaubhaftigkeit der Angaben der beiden Beschwerdeführer, sie hätten an der
Hauptverhandlung am 22.06.2007 nicht teilgenommen, in Zweifel zu ziehen. Die
demgemäss zugrunde zu legende Abwesenheit der gesetzlichen Vertreter des
Angeklagten in der Hauptverhandlung hat aber entgegen der in der
Beschwerdebegründung vertretenen Ansicht nicht zur Folge, dass die Frist zur
Einlegung der Berufung für die Erziehungsberechtigten des Angeklagten erst mit der
Zustellung des angefochtenen Urteils bei diesen begann. Vielmehr kann der gesetzliche
Vertreter eines Beschuldigten gem. § 298 Abs. 1 StPO nur binnen der für den
Beschuldigten laufenden Frist selbständig von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch
machen. Da der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 22.06.2007 anwesend war,
endete für ihn die einwöchige Berufungseinlegungsfrist am 29.06.2007. Innerhalb dieser
Frist hätten auch die beiden Beschwerdeführer Berufung einlegen müssen. Tatsächlich
sind ihre Rechtsmittel aber verspätet, nämlich erst am 02.08.2007 beim Amtsgericht
Lemgo eingegangen.
II.
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Das Landgericht hat auch zu Recht die hilfsweise gestellten Anträge auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungseinlegungsfrist zurückgewiesen.
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Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. den §§ 44, 45 StPO
setzt voraus, dass dem Antragsteller hinsichtlich der Fristversäumung kein Verschulden
vorzuwerfen ist. Dies trifft im vorliegenden Verfahren aber nicht zu. Die
Beschwerdeführer waren zu dem Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Lemgo
am 22.06.2007 gem. § 50 Abs. 2 S. 2 JGG i. V. m. § 48 StPO durch einfachen Brief
geladen worden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer bedurfte es zur
Wirksamkeit dieser Ladung nicht ihrer förmlichen Zustellung. Auf jeden Fall hatten die
Beschwerdeführer nach ihren eigenen Angaben von dem Hauptverhandlungstermin
Kenntnis, so dass feststeht, dass sie zu diesem hätten erscheinen können. Sie wurden
darüber hinaus ihrem Vortrag zufolge durch den Angeklagten, ihren Sohn, über die
ergangene Entscheidung informiert. Wenn sie gegen diese Entscheidung Rechtsmittel
einlegen wollten, aber – wie sie geltend machen – keine Kenntnis von den zu
beachtenden Rechtsmittelfristen hatten, hätten sie zur Vermeidung von
Rechtsnachteilen sich umgehend bei Gericht nach diesen Fristen erkundigen oder
diesbezüglich sonstigen Rechtsrat einholen müssen. Dass die Beschwerdeführer
derartige Maßnahmen nicht ergriffen haben, ist ihnen als eigenes Verschulden
anzurechnen, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen steht.
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Eine andere Beurteilung ist hier auch nicht deshalb geboten, weil den
Beschwerdeführern das angefochtene Urteil nicht vor Ablauf der
Berufungseinlegungsfrist zugestellt und ihnen auch keine Rechtsmittelbelehrung erteilt
worden ist (so aber BayObLG NJW 1954, 1378).
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In § 67 Abs. 2 JGG ist zwar bestimmt, dass dann, wenn eine Mitteilung an den
Beschuldigten vorgeschrieben ist, die entsprechende Mitteilung an den
Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden soll. Aus
dieser Vorschrift ergibt sich aber keine Rechtspflicht des Gerichts, den
Erziehungsberechtigten bzw. den gesetzlichen Vertretern ein ergangenes Urteil nebst
Rechtsmittelbelehrung gerade mit Rücksicht auf eine etwaige Anfechtung des Urteils so
rechtzeitig zuzustellen, dass die Erziehungsberechtigten bzw. die gesetzlichen Vertreter
dagegen noch fristgerecht Rechtsmittel einlegen können, wobei zusätzlich zu beachten
ist, dass eine Zustellung des mit Gründen versehenen schriftlichen Urteil innerhalb der
seit der Verkündung laufenden einwöchigen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nur
in Ausnahmefällen möglich sein wird, da sowohl die Anfertigung des Urteils als auch
dessen kanzleimäßige Bearbeitung regelmäßig einen größeren Zeitraum beanspruchen
(vgl. BGH NJW 1962, 2262). Die vom Gesetzgeber bewusst in die Soll-Form gefasste
Mitteilungspflicht nach § 67 Abs. 2 JGG beruht vielmehr in erster Linie auf dem im
Jugendstrafrecht im Vordergrund stehenden Erziehungsgedanken. Sie hat mit der
Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung nicht ohne weiteres etwas zu tun. Dies zeigt sich
gerade für den Regelfall, dass das in Abwesenheit des geladenen
Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters verkündete Urteil diesem erst nach
Ablauf der Rechtsmittelfrist mit einer schriftlichen Begründung zugestellt werden kann.
Hier wäre die Hinzufügung einer Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a StPO geradezu
sinnlos geworden und würde nur dazu anreizen, wegen angeblich verspäteter
Urteilszustellung unbegründete Gesuche um Wiedereinsetzung anzubringen (vgl. BGH
a.a.O.).
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Schließlich lässt sich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Erfolg auch nicht
damit begründen, dass zwar in der Regel das vollständige Urteil nebst einer
Rechtsmittelbelehrung nicht innerhalb der ab Verkündung des Urteils laufenden
Rechtsmitteleinlegungsfrist zugestellt werden kann, es aber zeitlich möglich wäre, eine
auf das Rechtsmittel zielende bloße Mitteilung des Urteilsausspruches nebst
Rechtsmittelbelehrung den Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter
zuzustellen. Denn auch für eine solche Verpflichtung ergibt sich im Gesetz keine Stütze.
Dieses hat nämlich die Rechtsmittelbefugnis gerade deshalb immer wieder mit der
Kenntnis der – sei es mündlich, sei es schriftllich – begründeten Entscheidung
verknüpft, weil es die willkürliche Einlegung von Rechtsmitteln ohne Kenntnis der
Gründe verhindern will. Dass gerade in Jugendsachen andere Maßstäbe gelten sollen,
ist insofern nicht einzusehen (vgl. BGH a.a.O.; a. A. OLG Stuttgart NJW 1960, 2353).
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Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der
oben zitierten Entscheidung an. Die Zurückweisung der Wiedereinsetzungsgesuche der
Beschwerdeführer ist daher zu Recht erfolgt.
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III.
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Die Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels gem. § 473 Abs. 1
StPO zu tragen. Allerdings haften gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte nur
mit dem ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögen des Angeklagten (vgl. Meyer-
Goßner, StPO, 50. Aufl., § 473 Rdnr. 8 m. w. N.).
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