Urteil des OLG Hamm vom 05.08.1999

OLG Hamm: wichtiger grund, haftbefehl, schöffengericht, untersuchungshaft, vollzug, fortdauer, haftprüfung, haftgrund, stadt, versäumnis

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 5 BL 121/99
05.08.1999
Oberlandesgericht Hamm
5. Strafsenat
Beschluss
5 BL 121/99
Landgericht Dortmund, 14 (II) D 5/93
Der Haftbefehl des Amtsgerichts - Schöffengericht - Dortmund vom 30.
Dezember 1992 - 71 Ls 14 Js 1579/92
(71-257-92) wird aufgehoben.
G r ü n d e :
I.
Nach seiner vorläufigen Festnahme am 11. Juli 1992 befand sich der Angeklagte aufgrund
des Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 12. Juli 1992 - 79 Gs 2316/92 - seit
demselben Tage in Untersuchungshaft. Dieser Haftbefehl ist am 30. Dezember 1992 vom
Amtsgericht - Schöffengericht - Dortmund - 71 Ls 14 Js 1579/92 (71-257-92) - neu gefaßt
und erweitert worden. Mit diesem Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, in E in
der Zeit von Februar 1991 bis zum 10. Juli 1992 gewerbsmäßig und fortgesetzt mit
Betäubungsmitteln ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in nicht geringer Menge
Handel getrieben zu haben.
Der Angeklagte soll in der Zeit von Februar 1991 bis Juni/Juli 1991 täglich im Schnitt 30 g
Heroingemisch an den gesondert Verfolgten B C und in der Zeit von Mitte Dezember 1991
bis Ende Januar 1992 5 x jeweils 5 g Heroingemisch an den gesondert Verfolgten B P
verkauft haben. Im Februar 1992 soll P weitere 15 g Heroingemisch von dem Angeklagten
erhalten haben, um dieses für ihn zu verkaufen. Zudem soll der Angeklagte im Juni 1992 5
g Heroingemisch sowie am 10. Juli 1992 9,8 g Heroingemisch an P abgegeben haben.
Durch den wiederholten Verkauf von Heroingemisch habe sich der Angeklagte eine
fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschafft.
Unter dem 26. November 1992 wurde gegen den Angeklagten Anklage wegen
gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bei dem
Amtsgericht - Schöffengericht - in E erhoben. Der Vorsitzende des Schöffengerichts
beraum-
te nach Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluß vom 15. Dezember 1992
Hauptverhandlungstermin auf den 22. und 29. Dezember 1992 an. Im
Hauptverhandlungstermin vom 22. Dezember 1992 wurde ohne Verhandlung zur Sache
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die Hauptverhandlung ausgesetzt, weil die Ladungsfrist nicht eingehalten worden war.
Ebenfalls am 22. Dezember 1992 - außerhalb der Hauptverhandlung - beantragte die
Staatsanwaltschaft Dortmund die Verweisung des Verfahrens an die große Strafkammer
des Landgerichts Dortmund. Mit Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 30. Dezember
1992 wurde das Verfahren dem Landgericht Dortmund zur Übernahme vorgelegt. Mit
weiterem Beschluß vom
30. Dezember 1992 wurde - wie dargelegt - der Haftbefehl vom
12. Juli 1992 erweitert und der Anklage vom 26. November 1992 angepaßt sowie dem
Angeklagten verkündet.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund setzte der Vorsitzende des Schöffengerichts
Dortmund mit Beschluß vom 5. Januar 1993 den Haftbefehl vom 30. Dezember 1992 außer
Vollzug.
Mit Beschluß vom 25. Mai 1993 wurde das Verfahren von der II. Strafkammer des
Landgerichts Dortmund übernommen. Hauptverhandlungstermin wurde auf den 5. und 8.
Oktober 1993 anberaumt. Im Hauptverhandlungstermin am 5. Oktober 1993 erschien der
Angeklagte trotz unter seiner bisherigen Anschrift erfolgter Ladung nicht. Der Haftbefehl
vom 30. Dezember 1992 wurde sodann von der Kammer wieder in Vollzug gesetzt.
Darüber hinaus faßte die Kammer folgenden Beschluß:
"Es ist jetzt ferner der Haftgrund des § 230 Abs. 2 StPO gegeben, weil der Angeklagte
trotz ordnungsgemäßer Ladung zum heutigen Hauptverhandlungstermin unentschuldigt
nicht erschienen ist."
Am 2. Juli 1999 ist der Angeklagte erneut verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt C
verbracht worden, von wo aus er nach E verschubt werden soll. Die Strafkammer des
Landgerichts Dortmund hat die weitere Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die
Vorlage der Akten zur Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO an das Oberlandesgericht
veranlaßt.
II.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 30. Dezember 1992 war aufzuheben.
Der Angeklagte ist zwar aus den in dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 26. November 1992 dargelegten
Gründen der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Es besteht gegen ihn der
Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Angesichts der erheblichen
Freiheitsstrafe, die der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung zu erwarten hat, erscheint
der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig.
Der Haftbefehl war jedoch gemäß § 121 Abs. 1 StPO aufzuheben, da kein wichtiger Grund
vorliegt, der hinsichtlich des Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs
Monate hinaus rechtfertigt. Die Sache ist von der Staatsanwaltschaft Dortmund und dem
Amtsgericht Dortmund im Jahre 1992 nämlich nicht mit der in Haftsachen gebotenen
besonderen Beschleunigung gefördert worden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft durch Zeugenvernehmungen waren bereits Ende
Juli 1992 abgeschlossen. Es stand dann zwar noch das Untersuchungsergebnis des
Chemischen und Lebensmitteluntersuchungsamtes der Stadt E aus, welches jedoch unter
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dem 04.09.1992 gefertigt wurde und spätestens eine Woche später, somit am 11.
September 1992, bei den Ermittlungsbehörden eingegangen sein dürfte. Daß das
Untersuchungsergebnis zunächst ausschließlich zu dem Verfahren gegen den anderweitig
Verfolgten Öztürk gelangt ist, ist ein Versäumnis der Ermittlungsbehörden, welches nicht zu
Lasten des Angeklagten gehen kann. Somit bestand in der 2. Septemberhälfte 1992
Anklagereife. Daß sich unter dem 10.09.1992 ein neuer Verteidiger des Angeklagten
gemeldet und um Akteneinsicht gebeten hatte, stand dem Abschluß der Ermittlungen nicht
entgegen. Die Anklage ist jedoch erst ca. 2 Monate später, nämlich unter dem 26.11.1992,
erhoben worden. Für diese Verzögerung gab es keinen wichtigen Grund i.S.v. § 121 Abs. 1
StPO. Es handelte sich um eine einfache und leicht überschaubare Sache, die kurzfristig
hätte abgeschlossen werden können.
Eine weitere nicht unbeachtliche und vermeidbare Verzögerung ist dadurch eingetreten,
daß die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage zum Schöffengericht Dortmund erhoben und
das Schöffengericht die Sache gem. § 270 StPO erst nach dem Hauptverhandlungstermin
vom 22. Dezember 1992 an das Landgericht Dortmund verwiesen hat. Wenn die
Staatsanwaltschaft Dortmund - wie ihr Verweisungsantrag vom 22. Dezember 1992 bei
zum Nachteil des Angeklagten unveränderter Sachlage ausweist - der Auffassung war, die
Strafgewalt des Amtsgerichts reiche im vorliegenden Fall nicht aus, hätte sie von
vornherein Anklage zum Landgericht erheben müssen. Das Schöffengericht hätte seine
Entscheidung, die Sache an das Landgericht abzugeben, nicht erst nach mehrwöchiger
Verzögerung nach dem Hauptverhandlungstermin vom 22. Dezember 1992, sondern
bereits unmittelbar nach Eingang der Anklage gem. § 209 Abs. 2 StPO im
Zwischenverfahren treffen müssen (vgl. OLG Frankfurt, StV 1994, 328).
Mit Blick auf die bei der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Sachbehandlung
eingetretenen Verzögerungen, die sich auch zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt haben,
liegt kein wichtiger Grund vor, der die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate
hinaus rechtfertigt. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 30. Dezember 1992 war
daher aufzuheben.
Gleichwohl ist der Angeklagte nicht aus der Haft zu entlassen. Mit Beschluß vom 5. Oktober
1993 hat die Strafkammer des Landgerichts Dortmund einen neuen, selbständigen, auf §
230 Abs. 2 StPO gestützten Haftbefehl erlassen. Der Bestand dieses Haftbefehls bleibt von
der Haftprüfung durch das Oberlandesgericht nach §§ 121, 122 StPO unberührt. Über die
von dem Verteidiger des Angeklagten eingelegte Beschwerde gegen den gemäß § 230
Abs. 2 StPO erlassenen Haftbefehl hat zunächst die Strafkammer des Landgerichts
Dortmund zu entscheiden.