Urteil des OLG Hamm vom 13.03.2017

OLG Hamm (parkplatz, verkehr, widmung, kennzeichnung, fahrspur, einstellplatz, verkehrssicherheit, begriff, bedürfnis, höhe)

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 199/74
Datum:
16.05.1974
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 199/74
Vorinstanz:
Amtsgericht Detmold, 4 a OWi 556/73
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten
verworfen.
Gründe
1
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung
gegen §§ 1, 8 StVO ein Bußgeld in Höhe von 40,- DM festgesetzt.
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Es hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Betroffene beabsichtigte,
am 16. August 1973 gegen 11.55 Uhr auf dem Parkplatz ... in ... seinen Pkw zu parken.
Als er den Parkplatz auf dem zu diesem führenden Zufahrtsweg gerade erreicht hatte,
näherte sich auf dem in diesen einmündenden Abfahrtsweg von rechts ein Pkw. Als
dessen Fahrerin, die nach Parken auf dem Parkplatz diesen verlassen wollte, nach links
in den Zufahrtsweg einbog, kam es zu einem Zusammenstoß beider Kraftwagen. Der
Pkw des Betroffenen stieß mit dem vorderen Aufbau gegen den linken Scheinwerfer des
anderen Pkw's, wodurch nicht unerheblicher Sachschaden entstand.
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Die Rechtsbeschwerde, die mit näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen
Rechts rügt und die der Senat zur Fortbildung des Rechts zugelassen hat, konnte
keinen Erfolg haben. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des
Betroffenen wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung nach §§ 1, 8 StVO. Die Frage -
derentwegen der Senat die Rechtsbeschwerde allein zugelassen hat - ob die
Vorfahrtregel "rechts vor links" auch auf Fahrspuren öffentlicher Parkplätze Anwendung
findet, ist zu bejahen.
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Die Straßenverkehrsordnung wendet sich an den Fahrverkehr außerhalb der
eigentlichen Straßen ausdrücklich in § 10 StVO; die Bestimmung betrifft das Verhalten
beim Ausfahren aus Grundstücken, betrifft also den Übergang von
Verkehrsnebenflächen in den eigentlichen Straßenverkehrsraum, nicht aber das
Verkehrsverhalten auf solchen Nebenflächen selbst. Die Vorfahrtsregeln des § 8 StVO
betreffen Kreuzungen und Einmündungen - im Wortsinne die Schnittflächen mindestens
zweier Fahrbahnen verschiedener sich kreuzender oder aufeinander zulaufender
Straßen (vgl. OLG Hamm vom 18.11.1968 in DAR 69, 279). Der Begriff der Straße setzt
regelmäßig eine besondere öffentliche Widmung voraus. An solcher besonderen
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öffentlichen Widmung mag es bei innerstädtischen, der Allgemeinheit zugänglichen
Parkplätzen häufig fehlen. Das steht nach Auffassung des Senats aber der
unmittelbaren Anwendung der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 StVO auf solchen
Verkehrsnebenflächen nicht entgegen. Auf die äußerlich selten erkennbare öffentliche
Widmung (vgl. Cramer, Straßenverkehrsrecht, Frankfurt 1971, zu § 8 Rz. 35 u. 65 ff,)
kann es nicht entscheidend ankommen für die Frage, ob die Grundregel unmittelbar
oder nur analog anzuwenden ist. Bei den hohen Frequenzen heutigen innerstädtischen
Fahrzeugverkehrs kommt den der Allgemeinheit zugänglichen Parkflächen - ob es sich
dabei um Parkhäuser oder Parkplätze handelt, kann dabei keinen Unterschied machen -
eine solche Bedeutung zu, daß aus Gründen der Verkehrssicherheit gebeten ist, sie als
Verkehrsraum anzusehen, der von den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts umfaßt
wird (vgl. OLG Düsseldorf vom 27. 11. 1969 in VRS 39, 204 m.w.N.). Ihre immer
wichtiger werdende Aufgabe ist es, die Innenstädte vom ruhenden Verkehr zu entlasten,
wenn nicht gar vollends zu befreien. Ist der Kraftfahrer aber zunehmend auf diese
Parkflächen angewiesen, vermehrt sich auch das verkehrssicherheitsbedingte
Bedürfnis, sie den Verhaltensvorschriften des Gesamtverkehrs, und zwar auch über § 1
StVO hinausgehend zu unterwerfen. Aus diesem, den Gegebenheiten des Verkehrs
resultierenden Zwang muß ihre faktische Öffentlichkeit als genügend angesehen
werden; das ist unter anderen Gesichtspunkten von obergerichtlicher Rechtsprechung
seit längerem bejaht worden (BGHSt 16, 7 = VHS 20, 453; im Anschluß an BGHZ vom
2. 4. 1957 in VRS 12, 414; OLH Düsseldorf a.a.O. zur Geltung des § 316 StGB auf
Verkehrswegen eines Parkhauses; KG v. 2. 5. 1968 in VRS 35, 458 bei der - privaten -
Zufahrtsstraße zu einem Industriegelände; vgl. auch zu Bahnhofsvorplätzen OLG Hamm
v. 7. 8. 1973 (Leitsatz in NJW 73, 2117) - 3 Ss 56/73 - in VRS 45, 349). In diesem
Zusammenhang ist unerheblich, ob das Parken für den Kraftfahrer gebührenpflichtig ist,
ob es sich hierbei um eine kommunale Einrichtung oder eine solche privater Art handelt;
entscheidend, ist, daß sie der Allgemeinheit offensteht (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).
Zum Begriff der Straße gehört - zumindest im innerstädtischen Bereich - ferner, daß es
sich um eine Wegeführung handelt, die durch ihre technische Konstruktion und
Beschaffenheit geeignet ist, Fahrverkehr aufzunehmen und unmißverständlich zu leiten.
An besonders ausgebauten oder markierten Wegführungen in diesem technischen
Sinne fehlt es wiederum nicht selten bei innerstädtischen, der Allgemeinheit
zugänglichen Parkplätzen. Soll die Regel "rechts vor links" auf einem Parkplatz gelten,
so werden - entsprechend der Bezogenheit von § 8 Abs. 1 StVO auf Kreuzungen und
Einmündungen im oben erörterten Sinne jedoch bestimmte Mindestanforderungen im
Hinblick auf das Vorhandensein von Fahrspuren zu stellen sein. Fahrspuren auf
Parkplätzen (ebenso wie in Parkhäuser und Tiefgaragen) haben den Sinn, den ein- und
abfließenden Verkehr einerseits vom ruhenden Verkehr auf den Einstellplätzen zu
trennen, beide Verkehrsarten leicht und übersichtlich zu ordnen; andererseits dienen sie
dazu, daranliegende Einstellplätze schnell erreichen und verlassen zu können. Im
besonderen hierdurch werden öffentliche Parkflächen ihrer besonderen
Verkehrsbedeutung, innerstädtische Straßen zu entlasten, gerecht. Nach Auffassung
des Senats macht dabei keinen Unterschied, ob die Kennzeichnung der verschiedenen
Funktionsflächen - nämlich Wege und Einstellplätze - durch Farblinien, Pflasterstreifen,
unterschiedliche Oberflächengestaltung, durch Kettenführung, Pflanzstreifen oder
ähnliche Mittel vorgenommen ist. Wesentlich ist nur, daß die Kennzeichnung eine
unmißverständliche Wegeführung, gleich der Fahrbahn einer Straße, ergibt. Den
Gründen des angefochtenen Urteils kann entnommen werden, daß der hier in Frage
stehende Parkplatz solcherlei Kennzeichnung aufweist.
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Überschneiden sich solche Fahrspuren, entsteht eine kreuzungsgleiche Lage. Je nach
Besetzung der Parkflächen oder nach der technischen Ausgestaltung der
Gesamtanlage kann der Einblick in die kreuzende oder einmündende Fahrspur von
einer anderen für den Kraftfahrer schwierig sein. Bei solcher Lage es dabei bewenden
zu lassen, daß einander "begegnende" Kraftfahrer sich verständigen (vgl. Jagusch, 20.
Aufl. zu § 8 StVO, Rz. 32) erscheint unzureichend. Nach Ansicht des Senats ist es ein
unabweisbares Bedürfnis der Verkehrssicherheit, die Grundregel "rechts vor links"
eingreifen zu lassen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich bereits stark in
Bewußtsein und Fahrverkehrsgewohnheit der Bevölkerung eingeprägt hat (vgl. Cramer
a.a.O. zu § 8 Rz. 65). Zwar wird man davon ausgehen können, daß auf solchen
Fahrspuren nicht besonders schnell gefahren wird; dennoch bringt die spezielle
Verkehrssituation mit sich, daß die Aufmerksamkeit des Kraftfahrers von der Suche nach
einem freien und geeigneten Einstellplatz gefangengenommen sein kann. Gerade dies
nötigt aber dazu, ihm lediglich die Beachtung der eingeschliffenen Grundregel
abzuverlangen. - Daß sich dies nur auf kreuzende Fahrspuren beziehen, nicht aber im
Verhältnis der Fahrspur zu einem Einstellplatz und umgekehrt gelten kann, sei nur zur
Klarstellung erwähnt; derjenige, der einen Einstellplatz auf die Fahrspur hin verlassen,
die Situation ruhenden Verkehrs aufgeben will, hat bei solcher Lage dem fahrenden
Verkehr auf dessen Spuren besondere Sorgfalt zuzuwenden, ihm Vorrang zu gewähren,
auch dann, wenn dies der Grundregel des § 8 Abs. 1 StVO nicht entspricht. -
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Mit dieser hier vertretenen Ansicht weicht der Senat auch richt von der Entscheidung
des OLG Stuttgart vom 17. 4. 1973 - 1 Ss 201/73 - in VRS 45, 313 ab, die hervorhebt,
daß "die unmittelbare und entsprechende Anwendung der Vorfahrtsregel "rechts vor
links" dem fließenden Verkehr" auf markierten Fahrspuren größerer Plätze dienlich sei.
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Da auch die Höhe des Bußgeldausspruches keinen Bedenken unterliegt, war die
Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 StPO, § 46 OWiG zu verwerfen.
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