Urteil des OLG Hamm vom 14.08.2009

OLG Hamm (abweisung der klage, aufforderung, erwerbstätigkeit, bezug, herabsetzung, einkommen, leistungsfähigkeit, umfang, selbstbehalt, taxifahrer)

Oberlandesgericht Hamm, 13 UF 83/09
Datum:
14.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 UF 83/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Münster, 46 F 354/08
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. März 2009 verkündete
Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Münster abgeändert.
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Münster vom 21. August 2008
wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Ausgenommen hiervon sind die Kosten der Säumnis, die dem Beklagten
zur Last fallen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
GRÜNDE:
1
I
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1.
3
Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren getrennt lebenden Ehemann, auf Zahlung von
Kindesunterhalt für die beiden gemeinsamen Kinder X, geboren am 12. August 1997,
und X1, geboren am 6. November 1999, in Anspruch.
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Wegen des in erster Instanz vorgetragenen Sachverhalts und wegen der in erster
Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des
Familiengerichts (Bl. 152 f GA), § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO. Das Familiengericht hat mit
der aus dem angegriffenen Urteil ersichtlichen Begründung (vgl. i.e. Bl. 153 – 155 GA)
unter Aufhebung des Versäumnisurteils und unter Abweisung der Klage im Übrigen den
Beklagten verurteilt, für jedes der beiden Kinder ab April 2007 einen monatlichen
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Unterhalt in Höhe von jeweils 100,- € zu zahlen.
2.
6
Der Beklagte verfolgt mit der Berufung seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung
weiter. Zur Begründung führt er neben einer pauschalen Bezugnahme auf sein
erstinstanzliches Vorbringen (Bl. 168 GA) im Wesentlichen aus (vgl. i.e. Bl. 166 – 168,
222 - 224 GA):
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Er sei aufgrund mehrerer Bandscheibenvorfälle schwer erkrankt und seit 2007 drei Mal
operiert worden. Er sei arbeitsunfähig, weil er bei jeder Bewegung unter ständigen
Schmerzen leide. Er habe keine Ausbildung und sei mit mittlerweile 43 Jahren nicht
vermittelbar. Mangels Erwerbschancen könne ihm kein fiktives Erwerbseinkommen
zugerechnet werden.
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Eine Reduzierung des Selbstbehalts könne mangels Leistungsfähigkeit seiner
Lebensgefährtin nicht erfolgen, da diese nur eine monatliche Rente von 522,- € erhalte.
Der Hinweis der Klägerin auf angeblich ersparte Wohnkosten sei "schleierhaft". Ihm
stehe lediglich die Regelleistung nach dem SGB II zur Verfügung, die wegen der
Bedarfsgemeinschaft auf 316,- € reduziert worden sei.
9
3.
10
Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des am 12.03.2009 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Münster das Versäumnisurteil vom 21. August 2008 insgesamt aufzuheben und die
Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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4.
15
Die Klägerin nimmt zur Begründung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung
pauschal auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug (Bl. GA) und trägt ansonsten im
Wesentlichen vor (vgl. i.e. Bl. 174 - 176 GA):
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Es werde bestritten, dass dem Beklagten aufgrund seines Gesundheitszustandes eine
Erwerbstätigkeit nicht möglich sei. Das Vorbringen reiche nicht aus. Es könne auch
nicht von dem Fehlen einer reellen Beschäftigungschance ausgegangen werden, weil
er keine Nachweise über Erwerbsbemühungen vorgelegt habe. Es müsse daher bei der
Zurechnung eines fiktiven Einkommens in Höhe von 1.000,- € bleiben.
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Die vom FamG vorgenommene Herabsetzung des Selbstbehalts sei angemessen. Eine
gemeinsame Haushaltsführung führe zu Synergieeffekten. Ausweislich des Bescheides
über Leistungen nach dem SGB II liege allein bei den Wohnkosten eine Ersparnis von
160,- €.
18
5.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages und der Rechtsansichten der
Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die aus dem
Berichterstattervermerk ersichtlichen Angaben im Senatstermin Bezug genommen.
20
II
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Die Berufung des Beklagten hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg und führt zur
Aufhebung des Versäumnisurteils des Familiengerichts vom 21. August 2008 und zur
vollständigen Abweisung der Klage.
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1.
23
Für die Monate von April bis September 2007 besteht kein Anspruch auf
Kindesunterhalt, weil die Voraussetzungen des § 1613 Abs.1 S.1 BGB nicht vorliegen.
24
Das vorgerichtliche Schreiben der früheren Bevollmächtigten der Klägerin vom 20. April
2007 (Bl. 5 – 7 GA) hat den Beklagten nicht in Verzug gesetzt und enthält auch keine
Aufforderung zur Auskunftserteilung im Sinne des § 1613 Abs.1 S.1 BGB.
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a)
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Es handelt es sich nicht um eine verzugsbegründende Mahnung im Sinne des § 286
BGB. Eine Mahnung muss eine eindeutige Aufforderung zur Leistung enthalten (vgl. nur
Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Auflage, § 286 Rn. 17). In dem Schriftsatz vom 20. April
2007 heißt es u.a.: "Des Weiteren sind Sie aufgrund der Trennung nun verpflichtet,
sowohl Kindes- als auch Trennungsunterhalt zu leisten. Frau D hat hier mitgeteilt, dass
Sie derzeit einer geringfügigen Beschäftigung als Taxifahrer nachgehen und im Übrigen
die Familie ergänzend Sozialhilfe erhalten hat. Ihren Kindern gegenüber obliegen Sie
einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit. Ich darf Sie daher bitten, mir nachzuweisen,
dass Sie sich inständig um Arbeit bemühen, um so den Lebensunterhalt für Ihre Kinder
in Zukunft sicherstellen zu können. Ich erwarte insoweit von Ihnen
Erwerbsbemühungen, sodass Sie nicht mehr nur einem 400 €-Job nachgehen, sondern
mehr verdienen". Damit gibt die Klägerin zu erkennen, dass sie über die tatsächliche
Einkommenssituation des Beklagten informiert war, und wusste, dass er tatsächlich
nicht leistungsfähig ist. Die Aufforderung, in Zukunft Erwerbsbemühungen zu entfalten,
ist nicht der konkreten Aufforderung zur Erbringung von Kindesunterhalt gleichzusetzen.
27
b)
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Es handelt sich auch nicht um eine Aufforderung zur Erteilung der Auskunft über
Einkommen bzw. Vermögen im Sinne des § 1613 Abs.1 BGB.
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Vielmehr handelt es sich um einen Hinweis auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit des
§ 1603 BGB verbunden mit der Aufforderung, insoweit entsprechende Bemühungen zu
entfalten und diese zu belegen. Eine solche Aufforderung hat nicht die Wirkung des §
1613 Abs.1 S.1 BGB. Denn die Wirkung der sogenannten Stufenmahnung, die im Jahre
1998 in die Regelung des § 1613 BGB übernommen worden ist, beruht darauf, dass der
Unterhaltsberechtigte ohne die begehrte Auskunft nicht in der Lage ist, einen
Unterhaltsanspruch zu beziffern. Ein Unterhaltsberechtigter, dem lediglich die Kenntnis
über etwaige Erwerbsbemühungen des Unterhaltsverpflichteten fehlt, kann aber seinen
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Unterhaltsanspruch beziffern.
2.
31
Für die Zeit ab Oktober 2007 liegen zwar die Voraussetzungen des § 1613 Abs.1 S.1
BGB aufgrund des vorgerichtlichen Schriftsatzes der jetzigen Prozessbevollmächtigten
vom 5. Oktober 2007 vor.
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Ein Anspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt aus § 1601 BGB scheitert aber an der
fehlenden Leitungsfähigkeit des Beklagten.
33
a)
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Selbst wenn man den Beklagten in gesundheitlicher Hinsicht für uneingeschränkt
erwerbsfähig halten würde (vgl. dazu aber nachfolgend b bb) und wenn man für ihn
wegen Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit als Unterhaltspflichtiger fiktiv ein
Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit ansetzen würde, ist der Beklagte unter
Berücksichtigung des ihm zustehenden notwendigen Selbstbehalts von 900,- €
monatlich nicht leistungsfähig.
35
aa)
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Denn für den Beklagten kann nur ein Erwerbseinkommen angesetzt werden, das für ihn
angesichts seiner Ausbildungs- und Erwerbsbiographie realistisch ist. Es ist nicht
realistisch, für den Beklagten auch bei unterstellten zureichenden Erwerbsbemühungen
ein monatliches Nettoeinkommen von mehr als 900,- € anzunehmen.
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Der Beklagte hat nach dem Hauptschulabschluss keinen Beruf erlernt. Er hat lediglich
Aushilfstätigkeiten im Textilbereich zum Be- und Entladen von Containern ausgeübt und
war als Taxifahrer bzw. LKW-Fahrer tätig. Schon in den letzten Jahren des
Zusammenlebens der Parteien ist er keiner geregelten Erwerbstätigkeit mehr
nachgegangen, sondern war neben dem Bezug von Sozialleistungen lediglich
aushilfsweise als Taxifahrer tätig.
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Unter Berücksichtigung dieser Umstände stünde dem Beklagten realistischerweise
allenfalls eine Tätigkeit in einer Zeitarbeitsfirma offen. Nach den Erfahrungen des
Senats kann ein Ungelernter, der bereits längerer Zeit keiner Erwerbstätigkeit
nachgegangen ist, selbst unter günstigsten Umständen einen Bruttostundenlohn von
maximal 7,50 € erzielen. Bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit mit 173,9 Stunden im
Monat ergibt das zwar einen monatlichen Bruttolohn von 1.304,25 €, was netto bei
Steuerklasse I und 1 Kinderfreibetrag einem Betrag von 961,88 € entspricht. Da jedoch
Zeitarbeitsfirmen – sofern sie heutzutage bei Neueinstellungen überhaupt noch
Vollzeitstellen anbieten - grundsätzlich nicht die volle erbrachte Stundenzahl vergüten,
sondern anteilige Zeitkonten führen, besteht für den Beklagten keine Möglichkeit,
tatsächlich für einen Nettolohn von mehr als 900,- € tätig sein zu können.
39
bb)
40
Mit einem solchen – fiktiven – Einkommen ist der Beklagte nicht leistungsfähig, da ihm
gegenüber seinen minderjährigen Kindern ein notwendiger Selbstbehalt von 900,- €
zusteht. Eine Herabsetzung des Selbstbehalts kommt nicht in Betracht.
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Der Umstand, dass der Beklagte seit August 2008 (vgl. Bl. 42 GA) mit seiner
Lebensgefährtin zusammen lebt, rechtfertigt keine Herabsetzung des Selbstbehalts. Der
Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung im Falle des Zusammenlebens des
Unterhaltspflichtigen mit einem Partner nur dann eine Herabsetzung des Selbstbehalts
vor, wenn und soweit beide Partner ausreichend leistungsfähig sind. Denn nur bei
entsprechender Leistungsfähigkeit kommen im Ergebnis Einspareffekte zustande. Das
ist vorliegend nicht der Fall. Der Beklagte kann nicht mehr verdienen als den
notwendigen Selbstbehalt; seine Lebensgefährtin bezieht eine monatliche Rente von
gut 550,- €. Sie liegt damit noch unter dem Mindestbedarf einer mit dem
Unterhaltspflichtigen verheirateten Person von 560,- € gemäß HLL 21.5.
42
b)
43
Zu einer zumindest geringfügigen Leistungsfähigkeit kann man im vorliegenden Fall
auch dann nicht gelangen, wenn man den Beklagten für verpflichtet erachtet, neben
dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II seine Zuverdienstmöglichkeiten nach §§
11, 30 SGB II durch das Ausüben einer geringfügigen Tätigkeit auszuschöpfen.
44
aa)
45
In den Monaten Oktober bis Dezember 2007 war der Beklagte sogar in erheblich
größerem Umfang als dem eines 400,- € - Jobs erwerbstätig. Er hat aber ausweislich der
vorliegenden Verdienstabrechnungen in dieser Zeit kein Einkommen erzielt, das ihn zur
Erbringung von Kindesunterhaltsleistungen befähigt, sondern durchschnittlich deutlich
weniger als den notwendigen Selbstbehalt.
46
bb)
47
Seit Januar 2008 ist der Beklagte ausweislich der vorliegenden Unterlagen wegen
seiner Rückenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt.
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Er hat sich im Januar 2008 im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts einer
Bandscheibenoperation unterziehen müssen. Im Februar 2009 ist er erneut operiert
worden; anschließend erfolgte eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme bis zum 7.
April 2009; bei der Entlassung dort ging man von einer Arbeitsunfähigkeit für weitere
vier bis sechs Wochen aus (Bl. 202 GA). Für die Monate September 2008 und Januar
2009 liegen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Folgebescheinigungen vor. Soweit
die vorliegenden Unterlagen die Zeit von Februar bis Juli 2008, Oktober und November
2008 sowie ab ca. Anfang Juni 2009 nicht ausdrücklich abdecken, ergeben die
vorliegenden Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. T, dass der Beklagte nicht
arbeitsfähig war und ist, auch nicht in geringfügigem Umfang von wenigen Stunden. Die
ausführliche Stellungnahme vom 22. Juni 2009 (Bl. 192 f GA) ist von der Klägerseite
nicht dezidiert bestritten worden. Das stark leidensbetonte Auftreten des Beklagten im
Senatstermin und seine überaus steifen und eingeschränkten Bewegungen, sowie
seine Sprechweise haben die Richtigkeit der Stellungnahme des behandelnden Arztes
gezeigt; der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es daher nicht.
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3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs.1 S.1, 344 ZPO.
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