Urteil des OLG Hamm vom 09.01.2000

OLG Hamm: ablauf der frist, wiedereinsetzung in den vorigen stand, schutzwürdiges interesse, auflage, anfang, strafurteil, anfechtung, form, wahlrecht, trunkenheit

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss1261/00
Datum:
09.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss1261/00
Vorinstanz:
Amtsgericht Lippstadt, 20 Cs 372 Js 554/00-216/00
Tenor:
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlaßt.
Das Rechtsmittel des Angeklagten vom 20. Oktober 2000 ist als
Berufung durchzuführen. Die Akten sind dem dafür zu-ständigen
Landgericht Q vorzulegen.
Das Wiedereinsetzungsgesuch bezüglich der vermeindlichen
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist gegenstands-los.
G r ü n d e:
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Das Amtsgericht Lippstadt hat den Angeklagten wegen
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"fahrlässiger Trunkenheit am Steuer" zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je
40,00 DM verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen
und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf "von 7 Monaten 2
Wochen" keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
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Hiergegen hat der Angeklagte mit am 21. Oktober 2000 bei dem Amtsgericht
Lippstadt eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Oktober 2000
"Rechtsmittel" eingelegt. Daraufhin wurde das Urteil seinem Verteidiger, dessen
Zustellungsvollmacht sich bei den Akten befindet, am 30. Oktober 2000 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Dezember 2000, eingegangen bei dem
Amtsgericht Lippstadt am 6. Dezember 2000, hat der Angeklagte mit näheren
Ausführungen "wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist"
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, das Rechtsmittel als Revision
bezeichnet und eine Revisionsbegründung angebracht.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat mit den Anträgen
vorgelegt,
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dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und
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die Revision des Angeklagten durch Beschluß gemäß § 349 Abs.2 StPO als
unbegründet zu verwerfen.
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Der Angeklagte hat sich zu den Anträgen nicht geäußert.
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Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst, weil das Rechtsmittel des
Angeklagten vom 20. Oktober 2000 als Berufung durchzuführen ist. Deshalb sind
die Akten dem dafür zuständigen Landgericht Q vorzulegen.
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Wird ein erstinstanzliches Strafurteil, gegen das wie hier gemäß §§ 312,335 StPO
sowohl Berufung als auch Revision statthaft ist, ohne nähere Bezeichnung mit
einem "Rechts-
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mittel" angefochten, so kann der Rechtsmittelführer bis zum Ablauf der Frist, die für
eine Revisionsbegründung gelten würde (§ 345 Abs.1 StPO) die endgültige Wahl
seines Rechtsmittels erklären (vergl. Löwe-Rosenberg-Hanack, StPO, 24.
Auflage,§ 335 Rdn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage,§ 335 Rdn. 3
m.w.N.). Erfolgt bei unbestimmter Einlegung keine oder keine rechtzeitige Wahl, so
ist das Rechtsmittel als Berufung zu behandeln (vergl. BGHSt 33, 183, 189
m.w.N.).Da mit Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO die Möglichkeit der
Gestaltung des Rechtsmittels als Revision endgültig untergeht, ist eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insoweit nach der hierzu nahezu einhellig
in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung nicht möglich (vergl.
OLG Hamm, NStZ 1991, 601 m.w.N.; KK-Kuckein, § 335 StPO, Rdnr. 6 m.w.N.;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 8 zu § 335 StPO; Pfeiffer, StPO,
3.Auflage, § 335 Rdn.2 ). Von dieser Auffassung abzugehen besteht kein Anlass.
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Die Anfechtung eines amtsgerichtlichen Strafurteils mit einem unbenannten
Rechtsmittel ist ihrem Wesen nach von Anfang an eine Berufung (vergl. BGHSt 33,
183, 189). Denn damit erklärt der Rechtsmittelführer ebenso wie in Fällen einer
sonstigen unscharfen oder mehrdeutigen Willens-
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äußerung, die sich erkennbar gegen den Fortbestand der Entscheidung richtet, die
unbedingte und umfassende Anfechtung des Urteils mit einem Rechtsmittel. Trifft er
danach bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO keine eindeutige und
verbindliche Wahl des Rechtsmittels als der Revision, so ist es in Anwendung der
zu § 300 StPO ent-
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wickelten Auslegungsgrundsätze (vgl. auch § 335 Abs. 3 Satz 1 StPO) als
dasjenige durchzuführen, welches es dem Wesen nach bereits von Anfang an war,
nämlich als Berufung. Denn dieses umfassendere der beiden statthaften
Rechtsmittel gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil ist in der Regel am ehesten
geeignet, eine möglichst wirksame Kontrolle des ange- fochtenen Urteils zu
eröffnen. Es führt nicht nur zu einer rechtlichen Überprüfung des angefochtenen
Urteils und des zugrundeliegenden Verfahrens anhand der im Rahmen einer
Revision erhobenen Rügen, sondern zu einer völligen Neuverhandlung der Sache
mit neuer Feststellung der für erwiesen erachteten Tatsachen, neuer rechtlicher
Würdigung des Sachverhalts und neuer Rechtsfolgenbemessung durch eine
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Strafkammer.
Trifft der Rechtsmittelführer nach Beginn, aber vor dem Ende der Begründungsfrist
für eine Revision die nähere Wahl des Rechtsmittels, so ist diese Prozeßerklärung
wirksam und für ihn bindend (vgl. z.B. LR-Hanack a.a.O, Rdn. 9; KK-Kuckein a.a.O.
Rdn. 5 und Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., Rdn. 3 zu § 335 StPO jeweils
m.w.N.; BGH a.a.O.). Nichts anderes kann aber für den Fall gelten, dass bis zum
Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO eine wirksame Wahlerklärung des
Rechtsmittelführers nicht bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen ist.
Vielmehr muss er sich ebenso wie derjenige, der die Wahl der Revision erklärt hat
und hieran gebunden ist, an dem Rechtsmittel in derjenigen rechtlichen Gestalt
festhalten lassen, die er ihm durch Nichtausübung der wirksamen Revisionswahl
nach ursprünglich unbestimmter Urteilsanfechtung bis zum Ablauf der Frist des §
345 Abs. 1 StPO belassen hat. Mit Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO ohne
eine Bestimmung des Rechtsmittels als Revision geht das Wahlrecht des
Rechtsmittelführers zwischen den beiden gesetzlich statthaften
Anfechtungsmöglichkeiten unter (Löwe-Rosenberg-Hanack a.a.O., Rdn. 14 m.w.N.;
BayObLGSt 1970, 158, 159; OLG Hamm NJW 1956, 1168). Nunmehr muss und
kann dem Verfahren in der Form des Rechtsmittels, als das es anhand der bis
dahin vorliegenden Erklärungen des Rechtsmittelführers zu beurteilen ist, Fortgang
gegeben werden. Demgegenüber besteht für den Rechtsmittelführer über diesen
Zeitpunkt hinaus an einer weiteren Aufrechterhaltung oder Nachholung der
Wahlmöglichkeit zwischen den Rechtsmitteln kein schutzwürdiges Interesse mehr.
Auch der Gedanke der Sicherung und Effektuierung des Wahlrechts (vgl. BGH
a.a.O., S. 188) rechtfertigt es nicht, die eingetretene Bindungswirkung durch die
Eröffnung einer Wahlausübung auch noch nach Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1
StPO bei gleichzeitiger Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
einzuschränken, zumal dem Rechtsmittelführer dadurch, dass seine
Urteilsanfechtung als Berufung durchgeführt wird, der umfassendste mögliche
Rechtsschutz zuteil wird (OLG Hamm, NStZ 1991, 601).
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Das Wiedereinsetzungsgesuch bezüglich der vermeintlichen Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist ist gegenstandslos, da diese Frist vorliegend nicht zu
wahren ist. Das Rechtsmittel der Berufung bedarf keiner Begründung seitens des
Angeklagten.
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