Urteil des OLG Hamm vom 13.12.2001

OLG Hamm: fahrzeug, konkretisierung, beschränkung, messung, wiedergabe, regen, betrug, witterungsverhältnisse, form, fahrverbot

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss OWi 960/01
13.12.2001
Oberlandesgericht Hamm
3. Senat für Bußgeldsachen
Beschluss
3 Ss OWi 960/01
Amtsgericht Essen, 56 OWi 46 Js 689/01 (184/01)
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der nach
Zeichen 274 zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 300,- DM sowie ein
Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt.
Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befuhr der Betroffene am 07.02.2001 gegen
23.15 Uhr mit seinem PKW die Autobahn A xx in Fahrtrichtung E. Zwischen dem Kilometer
77,5 und 75,5 ist dort die Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h
beschränkt, und zwar für die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr aufgrund
Lärmschutzes. Trotzdem habe der Betroffene diese Distanz über 2 km mit einer
Geschwindigkeit von 127 km/h gefahren. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde im
Wege des Nachfahrens mit einem Polizeifahrzeug gemessen. Das Amtsgericht hat einen
Toleranzwert von 15 % der abgelesenen Geschwindigkeit, die 150 km/h betrug, in Ansatz
gebracht. Der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem hinter ihm
fahrenden Polizeifahrzeug betrug nach den Angaben der als Zeugen vernommenen
Polizeibeamten 100 m und sei über die Messstrecke gleich bzw. annähernd gleich
geblieben. Zur Zeit des Vorfalls war es dunkel, es regnete und das Fahrzeug des
Betroffenen verursachte Wasserverwirbelungen. Der Straßenverlauf beschrieb auf dem
betroffenen Stück der Autobahn zunächst eine leichte Rechtskurve und danach eine lange
Linkskurve. Das Fahrzeug des Betroffenen war nach den zeugenschaftlichen Angaben
beider Polizeibeamten immer klar erkennbar gewesen, da dessen Fahrzeug beleuchtet
gewesen sei.
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Betroffene mit am 21.07.2001
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bei dem Amtsgericht in Essen eingegangenem Schreiben seines Vertei-
digers Rechtsbeschwerde eingelegt, ohne das Rechtsmittel näher zu begründen. Mit
weiterem Schreiben vom 06.09.2001, am selben Tage beim Amtsgericht eingegangen, hat
der Verteidiger die Rechtsbeschwerde mit Ausführungen, die sich gegen die Verhängung
des Fahrverbots und gegen die Bemessung der Geldbuße richten, näher begründet und
abschließend beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und
hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.
1.
Zunächst ist die Rechtsbeschwerde - entgegen offenbar der Ansicht der
Generalstaatsanwaltschaft - hier unbeschränkt eingelegt worden. Allein der Umstand, dass
der Verteidiger mit der Begründung der Rechtsbeschwerde allein Ausführungen gemacht
hat, die sich gegen die verhängten Rechtsfolgen richtet, rechtfertigt hier noch nicht, von
einer nachträglichen Konkretisierung der Rechtsbeschwerde im Sinne einer Beschränkung
auf den Rechtsfolgenausspruch auszugehen. Zwar ist eine solche nachträgliche
Konkretisierung ohne weiteres möglich, wenn das Rechtsmittel zuvor ohne weitere
Ausführungen zum Ziel der Rechtsbeschwerde eingelegt worden war (vgl. BGHSt 38, 4),
auch bedarf die nachträgliche Konkretisierung des Anfechtungsumfangs nicht in jedem Fall
einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung des Rechtsmittelführers (vgl. BGHR StPO
§ 344 Abs. 1 Beschränkung 13). Sie liegt aber insbesondere dann nahe, wenn der
Rechtsmittelführer zuvor bereits geständig gewesen war und auf dieser Grundlage mit der
Begründung seines Rechtsmittels nur noch Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch
macht (so der Fall BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 13). Im vorliegenden Fall hatte
der Betroffene jedoch die ihm zur Last gelegte Tat zumindest teilweise bestritten, indem er
angab, er sei jedenfalls nicht schneller als 120 km/h gefahren, und zwar aufgrund der zur
Tatzeit herrschenden Witterung (starker Regen). Darüber hinaus hat der Verteidiger mit der
Begründung der Rechtsbeschwerde einen umfassenden Aufhebungsantrag und
nicht etwa nur einen Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils im
Rechtsfolgenausspruch gestellt. Bei dieser Sachlage reichen hier die dem Senat zur Ver-
fügung stehenden Anhaltspunkte nicht aus, um im Wege der Auslegung zu dem Ergebnis
zu kommen, dass die Rechtsbeschwerde nur auf den Rechtsfolgenaus-
spruch beschränkt werden sollte.
2.
Auf die unbeschränkt eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen war das
angefochtene Urteil bereits im Schuldspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufzuheben. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind nämlich materiell-rechtlich
unvollständig. Sie ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung, ob der Tatrichter eine
erschöpfende Würdigung des Sachverhalts und rechtsfehlerfreie Erwägungen seiner
Entscheidung zugrunde gelegt hat. Das angefochtene Urteil wird den im Falle der
Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren an die Urteilsgründe zu stellenden
Anforderungen nur insoweit gerecht, als darin die Länge der Messstrecke, der - ungefähre -
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Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und die Höhe des Sicherheitsabschlages
festgestellt worden sind. Dagegen fehlen Feststellungen zu den Orien-
tierungspunkten, die den Polizeibeamten die Schätzung des Abstandes zu dem
vorausfahrenden Fahrzeug des Betroffenen ermöglichten.
Die Messung des Fahrzeugs des Betroffenen erfolgte hier zur Nachtzeit, darüber hinaus bei
Regen, der so stark war, dass er Wasserverwirbelungen durch das gemessene Fahrzeug
verursachte, und schließlich im Bereich einer Autobahnkurve, die zunächst nach rechts und
dann nach links gezogen war. Unter diesen Umständen durfte sich das Amtsgericht nicht
mit der Wiedergabe des in Abzug gebrachten Toleranzwertes sowie der Länge der
Messstrecke und des Messabstandes in Verbindung mit der Feststellung, das Fahrzeug
des Betroffenen sei beleuchtet und "immer klar erkennbar" gewesen, begnügen.
Anders als Geschwindigkeitsmessungen, die mit amtlich zugelassenen techni-
schen Geräten in einem weithin standardisierten Verfahren gewonnen werden (BGH NJW
1993, 3082), müssen bei einer Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit einem
Polizeifahrzeug die Urteilsfeststellungen dem Rechtsmittelgericht nämlich
eine Überprüfung der Zuverlässigkeit und damit der Verwertbarkeit der erfolgten Messung
ermöglichen. Denn bei dieser Messmethode kommt es nicht nur auf die Funktionsfähigkeit
und richtige Handhabung eines technischen Gerätes an. Erfolgt die
Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren und Tachometervergleich zur Nachtzeit, ist
neben den allgemeinen Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung für die
Verwertbarkeit solcher Geschwindigkeitsmessungen (vgl. insoweit Jagusch/Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 62) zusätzlich zu berücksichtigen, dass
durch die dann herrschenden Beleuchtungsverhältnisse in der Regel die Überprüfung, ob
ein gleichbleibender Abstand zum vorausfahren-
den Fahrzeug eingehalten wird, erheblich erschwert ist (Senatsbeschluss vom 27.02.2001 -
3 Ss OWi 1209/00 OLG Hamm -; Senatsbeschluss vom 03.02.1998
- 3 Ss OWi 69/98 -; Senatsbeschluss vom 20.02.1996 - 3 Ss OWi 49/96 -; OLG Hamm VRS
96, 458, 459; OLG Hamm DAR 1998, 75, 76; OLG Hamm MDR 1998, 155, 156; OLG
Düsseldorf NZV 1999, 138, 139). Bei einer solchen Fallgestaltung sind daher in der Regel
besondere Feststellungen zu den Beleuchtungsverhält-
nissen und den Orientierungspunkten für die Schätzung des Abstandes zu dem
vorausfahrenden Fahrzeug erforderlich (vgl. zunächst die vorstehenden Nachweise,
zudem: OLG Hamm, 4. Senat für Bußgeldsachen, Beschlüsse vom 06.05.1999
- 4 Ss OWi 465/99 -; vom 12.10.1999 - 4 Ss OWi 610/99 - und vom 11.07.2000
- 4 Ss OWi 676/00 -). Diese Gesichtspunkte greifen hier umso mehr ein, als über die
herrschende Dunkelheit hinaus durch die Witterungsverhältnisse und durch die kurvige
Straßenführung die Sicht der messenden Polizeibeamten auf das vorausfahrende
Fahrzeug des Betroffenen für die zuverlässige Schätzung des Messabstandes durch die
Polizeibeamten zusätzlich erschwert war.
Das angefochtene Urteil enthält jedoch keinerlei Feststellungen zu den
Orientierungspunkten, die die Polizeibeamten für die Abstandsmessung herangezogen
hatten. Insoweit wäre zumindest die Feststellung erforderlich gewesen, dass sich die
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Beamten etwa an den Leitpfosten an der rechten Seite - oder an der linken Seite - der BAB
orientiert hätten (vgl. Senat, Beschluss vom 27.02.2001 - 3 Ss OWi 1209/00 OLG Hamm -;
OLG Hamm (2. Senat), VRS 96, 458, 459 und MDR 1998, 155, 156 sowie DAR 1998, 75,
76).
Der Senat weist darauf hin, dass das angefochtene Urteil auch insoweit an einem
Rechtsfehler leidet, als zu den näheren Umständen der Messung über die Wieder-
gabe der Zeugenaussagen der beiden Messbeamten hinaus keine selbständigen
Feststellungen durch das Amtsgericht getroffen worden sind. Festgestellt hatte das
Amtsgericht lediglich die Länge der Messstrecke, die dort herrschende Geschwin-
digkeitsbeschränkung, die Messdistanz und die abgelesene Geschwindigkeit. Der
Messabstand und der Umstand, dass dieser Abstand gleichblieb (Zeuge X oder
"annähernd konstant" blieb (Zeuge G, werden in dem angefochtenen Urteil dagegen nur im
Rahmen der Wiedergabe der Aussagen dieser beiden Zeugen mit-
geteilt, ohne insoweit ausdrücklich eigene Feststellungen zu treffen. Dies ist hier
insbesondere hinsichtlich der unterschiedlichen Angaben der Zeugen zur Konstanz des
Messabstandes zu beanstanden. Das Amtsgericht hätte sich im Wege der Be-
weiswürdigung darüber klar werden und entsprechende Feststellungen dazu treffen
müssen, ob der Messabstand konstant blieb oder aber nur annähernd konstant blieb und
welche Abweichungen im letzteren Fall feststellbar waren, insbesondere, ob sie darin
bestanden, dass sich der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug des Be-
troffenen vergrößerte.