Urteil des OLG Hamm vom 15.04.1999

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Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 196/99
Datum:
15.04.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 196/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Recklinghausen, 35 OWi 55 Js 1976/98 (226/98)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den
insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens,
an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen "einer fahrlässig begangenen
Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr nach den §§ 3 III, 41 (Z. 274), 49 StVO i.V.m. §
24 StVG" zu einer Geldbuße in Höhe von 200,- DM und außerdem zu einem Fahrverbot
von einem Monat verurteilt worden.
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Nach den tatrichterlichen Feststellungen befuhr der Betroffene am 14. Mai 1998 gegen
11.38 Uhr in I die L 511 mit seinem PKW auf der Richtungsfahrbahn I und überschritt bei
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Kilometer 6,337 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit
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von 70 km/h um 49 km/h, wie die Messung mit dem Radargerät Multanova 6 F ergeben
hatte. Der Einlassung des auch im übrigen geständigen Betroffenen, er habe das Schild,
welches die Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränke, vermutlich deshalb übersehen,
weil er wohl gerade zu sehr auf die in seinem Fahrzeug zuvor in einer Werkstatt
eingebaute neue Kupplung fixiert gewesen sei, ist der Tatrichter offensichtlich gefolgt.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt
und form- und fristgerecht mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet
worden. Die vorgenommene Beschränkung auf das Fahrverbot ist im Hinblick auf die
denkbare Wechselwirkung zwischen der Höhe der Geldbuße und dem Fahrverbot als
Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch anzusehen (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl.,
§ 79 Rdnr. 32 m.w.N.).
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Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch wirksam, weil den
Urteilsgründen hinreichend deutlich entnommen werden kann, daß der Betroffene - zu
Recht - wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
schuldig gesprochen worden ist. Für die Wirksamkeit des Schuldspruchs ist es auch
ohne Bedeutung, ob die Ordnungswidrigkeit innerhalb oder außerhalb einer
geschlossenen Ortschaft begangen worden ist. Dies läßt sich den Urteilsgründen nicht
zweifelsfrei entnehmen, da einerseits die Geschwindigkeitsüberschreitung "in I"
begangen worden sein soll und als verletzte Vorschrift auch § 3 Abs. 3 StVO
herangezogen wird, andererseits jedoch die Regelbuße nach Nr. 5.3.4 der Tabelle 1 a
zu Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV für Verstöße der vorliegenden Art, die
außerhalb geschlossener Ortschaft begangen worden sind, 200,- DM beträgt. Sollte die
Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaft begangen worden
sein, worauf der Zusatz "Rich-
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tungsfahrbahn I" deutet, wäre hier durch ein Vorschriftzeichen (§ 41 StVO) eine
niedrigere Geschwindigkeit als die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit nach §
3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO angeordnet, so daß es sich um ein Gebot handelt, dessen
Mißachtung § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO unterstellt ist, so daß die §§ 3 Abs. 3 Nr. 2 c, 49 Abs.
1 Nr. 3 StVO nicht anwendbar sind (vgl. BayObLG NZV 1999, 50 = DAR 1998, 480).
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Der Rechtsbeschwerde ist ein - jedenfalls vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen.
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Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen zur Art und Weise der
Geschwindigkeitsbeschränkung (z.B. Meßstelle nach einem sogenannten
Geschwindigkeitstrichter mit mehrfacher Wiederholung von Verbotsschildern) und/oder
den Streckenverlauf (Besonderheiten z.B. durch Fahrbahnverengung, Kurven oder
Ähnlichem).
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Da sich der Betroffene jedoch - offenbar unwiderlegt - dahin eingelassen hat, er habe
das Verkehrsschild übersehen, wären derartige Angaben aber notwendig gewesen.
Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 11.
September 1997 - 4 StR 557/96 = BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = NZV 1997, 525)
kommt bei einer im Sinne der Regeltatbestände der Bußgeldkatalogverordnung
"qualifizierten" Überschreitung der durch Zeichen 274 zu § 41 StVO beschränkten
Geschwindigkeit die indizielle Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels für die
Verhängung eines Fahrverbots nur mit Einschränkung zum Tragen. Dem
Kraftfahrzeugführer kann danach das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige
Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene
Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, daß er das die Geschwindigkeit
begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung
beruht ihrerseits auf einer groben Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit. Daher bedarf es,
wenn der Betroffene sich - wie hier - gegenüber dem Vorwurf der
Geschwindigkeitsüberschreitung dahin einläßt, er habe das die Geschwindigkeit
begrenzende Verkehrszeichen übersehen, in der Regel näherer tatrichterlicher
Feststellungen zu den äußeren Umständen der Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein
Fahrverbot ist daher dann nicht zu verhängen, wenn der Fahrzeugführer trotz objektiv
erheblicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die
geschwindigkeitsbeschränkenden Maßnahmen infolge nur einfacher Fahrlässigkeit
nicht wahrgenommen hat (vgl. BGH a.a.O.; Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 1998 in
2 Ss OWi 179/98 =
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VRS 95, 230 = NStZ-RR 1998, 248 = NZV 1998, 334 = DAR 1998, 323 = MDR 1998,
965 und vom 15. Dezember 1997 in 2 Ss OWi 1365/97 = VRS 95, 58 = NZV 1998, 164 =
DAR 1998, 150).
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Darüber hinaus kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, daß sich der
Tatrichter auch der Möglichkeit bewußt war, von der Verhängung des Fahrverbots bei
gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße absehen zu können. Dies
jedenfalls läßt sich der Formulierung "Gründe, die für ein Absehen von dem Fahrverbot
sprechen, sind nicht ersichtlich" schon deshalb nicht entnehmen, weil diese Aussage
unmittelbar damit verknüpft wird, daß der Betroffene insoweit vorgetragen hat, seine
Tochter mache eine Ausbildung in einer Bäckerei in S, wo er sie jeden Tag zur
Arbeitsstätte bringe und wieder abhole. Da der Tatrichter weiterhin ausführt, daß allein
diese Tatsache es nicht rechtfertigen könne, von dem Fahrverbot abzusehen, deuten
diese Formulierungen vielmehr darauf hin, daß ein Absehen von der Verhängung des
Fahrverbots nur unter dem Gesichtspunkt der besonderen Härte für den Betroffenen
geprüft worden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 20. November 1997 in 2 Ss OWi 1307/97 =
VRS 95, 52 = NStZ-RR 1998, 188 = MDR 1998, 404).
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Diese Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im
Rechtsfolgenausspruch.
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In diesem Umfang war das Urteil daher - entsprechend dem Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft - aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht
zurückzuverweisen, zumal hier zu erwarten ist, daß noch Feststellungen getroffen
werden können, die auch angesichts des Umstands, daß der Betroffene bislang im
Straßenverkehr nicht aufgefallen ist, zur Festsetzung sowohl der Regelbuße als auch
eines Fahrverbots führen können.
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