Urteil des OLG Hamm vom 23.06.2005

OLG Hamm: bedingte entlassung, vollstreckungsverfahren, sonderschule, datum, vergewaltigung, pflichtverteidiger

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 267/05
Datum:
23.06.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 267/05
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, StVK D 180/05
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Dem Verurteilten wird Rechtsanwalt F aus E als Pflichtverteidiger
beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die diesbezüglichen
notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Landeskasse
auferlegt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Verurteilte verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren wegen
Vergewaltigung eines Mithäftlings aus einem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 17.
Oktober 2000. Zweidrittel der Strafe waren am 02. November 2004 volllzogen, das
Strafende ist auf den 03. März 2006 notiert. Der Verurteilte hat seine bedingte
Entlassung beantragt. Der ablehnenden Stellungnahme des Leiters der
Justizvollzugsanstalt ist er mit Eingabe vom 28. März 2005 ausführlich
entgegengetreten. Die Strafvollstreckungskammer hat ein psychiatrisches
Sachverständigengutachten eingeholt, das dem Verurteilten eine ungünstige
Gefährlichkeitsprognose stellt. Seinen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers
hat die Kammer durch den angefochtenen Beschluß zurückgewiesen. Hiergegen richtet
sich die Beschwerde des Verurteilten. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das
Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
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Dem Verurteilten war gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen.
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Gemäß dieser Vorschrift bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen
Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und
Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich
ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
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Diese auf das Erkenntnisverfahren bezogene Vorschrift findet im
Vollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., §
140, Rdnr. 33). Dabei ist nicht auf die Schwere oder die Schwierigkeit im
Erkenntnisverfahren, sondern auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den
Verurteilten oder auf besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im
Vollstreckungsverfahren oder auf die Unfähigkeit des Verurteilten zu eigener
sachgerechter Interessenwahrnehmung im Rahmen des jeweiligen
Verfahrensabschnitts abzustellen (Meyer-Goßner, a.a.O.).
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Hier war eine Beiordnung wegen der Schwierigkeit der Sachlage geboten.
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Die Strafvollstreckungskammer hat ein Sachverständigengutachten zur Gefahrprognose
eingeholt. Dies lässt sich in Anbetracht der zu einem früheren Zeipunkt ohne Zuziehung
eines Sachverständigen abgelehnten Reststrafenaussetzung nur damit erklären, dass
die Kammer die Sachlage nunmehr als schwierig einschätzt oder sogar erwägt,
abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt die bedingte Entlassung
anzuordnen. Damit ist eine Schwierigkeit der Sachlage indiziert.
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Der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist allerdings die Rechtsauffassung zu
entnehmen, ungeachtet der Alternativität der Beiordnungsgründe in § 140 Abs. 2 StPO
könne selbst bei gegebener Schwierigkeit der Sachlage eine Beiordnung unterbleiben,
wenn der Verurteilte zu eigener Interessenwahrnehmung fähig sei. Ob diese Auffassung
zutrifft, kann hier offen bleiben. Denn der Verurteilte, der die Sonderschule mit
Abgangszeugnis verlassen und über Jahre Heroin konsumiert hat, ist den
Gesamtumständen nach zu eigener sachgerechter Interessenvertretung nicht in der
Lage. Die von ihm eingereichte Erwiderung auf die ablehnende Stellungnahme der
Justizvollzugsanstalt rechtfertigt keine andere Beurteilung. Abgesehen davon, dass
unsicher ist, inwieweit der Text von ihm selbst verfasst wurde, führt er dort unter
Bezugnahme auf seine Beurteilung durch die Anstaltspsychologin folgendes aus: "Die
Stellungnahme, die mir die Anstaltspsychologin geschrieben hat, da denke ich ist
einiges erfunden und übertrieben, jedoch kann ich mich nicht so recht dagegen wehren"
(Bl. 137 VH). Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Verurteilte
in der Lage ist, das nunmehr vorliegende fachpsychiatrische Gutachten
nachzuvollziehen, es eingehend zu diskutieren und das Votum der Sachverständigen
zu hinterfragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
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