Urteil des OLG Hamm vom 11.06.2008

OLG Hamm: erschwerende umstände, körperverletzung, behandlung, trunkenheit, strafmilderung, zwang, ermessen, rüge, schuldfähigkeit, scheidung

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 60/08
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss 60/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Witten, 9 Ls 3 Js 554/06 (AK 120/06)
Tenor:
Die Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
StPO).
Die Kosten des Rechtsmittels fallen dem Angeklagten zur Last (§ 473
Abs. 1 StPO).
G r ü n d e:
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Gegen den Angeklagten ist durch Urteil des Amtsgerichts Witten vom 05. September
2007 wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung eine
Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und acht Monaten verhängt worden.
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Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die - näher begründete - Sachrüge gestützte
(Sprung-)Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
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1.
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Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die
Feststellungen tragen seine Verurteilung wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:
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"Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, dass der Angeklagte sich
anlässlich der versuchten Wegnahme der Bierflasche eines in § 249 Abs. 1 StGB
benannten Nötigungsmittels nicht bedient, insbesondere keine Gewalt gegen eine
Person angewandt haben soll, verkennt sie, dass die durch den Angeklagten
anlässlich des Wegnahmeversuchs gegen den Widerstand des Geschädigten X2
initiierte Rangelei und der damit gegen den Geschädig-ten ausgeübte körperliche
Zwang ausreichend ist, um von der Ausübung von Gewalt gegen eine Person
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ausgehen zu können. Ausreichend ist hier jede auch mittelbar gegen den Körper
gerichtete Gewalt, wenn diese vom Opfer als körperlicher Zwang empfunden
werden, ohne dass die körperlichen Auswir-kungen der Krafteinwirkung für sich
gesehen erheblich sein müssen (Fischer, StGB, 55. Aufl., § 249 Rdnr. 4) oder die
Gewaltanwendung gar so intensiv sein muss, dass zugleich der Tatbestand der
Körperverletzung als erfüllt anzusehen wäre (BGH, Beschluss vom 13.03.2002 – 1
StR 47/02 -, abgedruckt in NStZ 2003, 89).
Auch soweit die Revision geltend macht, dass die durch das Amtsgericht
getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem.
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§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht zu begründen vermögen, greift die Rüge nicht durch.
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Eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung setzt
nicht voraus, dass die Behandlung des Opfers durch den Täter das Leben des
Opfers konkret gefährdet hat. Ausreichend ist vielmehr, dass die Art der
Behandlung nach den Umständen des Einzelfalls generell hierzu geeignet ist
(Fischer, a.a.O., § 224 Rdnr. 12 m.w.N.). In diesem Zusam-menhang kann auch ein
wuchtig gegen den Kopf des Verletzten geführter Kopfstoß lebensgefährlich sein,
insbesondere wenn er so heftig geführt wird, dass es zu einem Schädelbruch oder
zu Gehirnblutungen kommen kann (OLG Düsseldorf, JZ 1995, 908). Zwar hat der
Tatrichter in diesem Fall Feststel-lungen dazu zu treffen, dass der Kopfstoß im
Hinblick auf die Wucht und die genaue Art der eingetretenen Verletzungen von
einer entsprechenden Gefährlichkeit gewesen ist (OLG Hamm, Beschluss vom
18.12.2006 – 3 Ss 549/06). Diesen Anforderungen werden die durch das
Amtsgericht getroffenen Feststellungen, die den Kopfstoß des Angeklagten als mit
der Stirn heftig gegen das Gesicht des Zeugen gestoßen und dessen Nase treffend
beschreiben, noch gerecht. Auch wenn ausweislich der Feststellungen eine Fraktur
des Nasenbeins nicht eintrat und sich die Verletzungsfolgen auf Nasenbluten bei
dem Geschädigten beschränken, ergibt sich aus den ge-troffenen Feststellungen
noch in ausreichender Weise, dass die Behandlung des Geschädigten durch den
Angeklagten generell dazu geeignet war, auch lebensgefährliche Verletzungen bei
dem Geschädigten hervorzurufen. Darauf, dass die konkret eingetretene
Verletzung im Ergebnis nicht lebens-gefährlich war und sich die mit dem Kopfstoß
gegen das Gesicht verbundene Gefahr für den Geschädigten nicht realisiert hat,
kommt es im Ergebnis nicht an (Fischer, a.a.O., m.w.N.). Soweit die Entscheidung
des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.12.2006 – 3 Ss 549/06 – abweichend
hierzu auch darauf abzustellen scheint, dass sich die Gefährlichkeit der Handlung
auch in dem eingetretenen Verletzungserfolg niedergeschlagen haben müsse und
dementsprechend ein Kopfstoß, der die Nase nur im unteren Bereich des
Nasenbeins trifft, den Tatbestand nicht erfüllen soll, wird dies auch in Anbetracht
des Umstandes, dass das Ausmaß der konkreten Verletzungen ungeachtet der
Gefährlichkeit der Handlung an sich in einer Vielzahl der Fälle auch von
Zufälligkeiten bestimmt sein dürfte, dem Normcharakter als Eignungsdelikt
(Fischer, a.a.O., Rdnr. 12) nicht ohne weiteres gerecht.
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Soweit ein Rechtsfehler darin gesehen werden könnte, dass das Amtsgericht in
dem Bruch der Bierflasche keine Zäsur gesehen und den Angeklagten wegen
versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat,
würde dies den Angeklagten nicht beschweren."
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2.
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Zum Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils hat die Generalstaats-
anwaltschaft in ihrer Stellungnahme weiter ausgeführt:
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"Auch der Rechtsfolgenausspruch lässt einen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten nicht erkennen.
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Das Amtsgericht hat die erforderlichen Feststellungen zu den persönlichen
Verhältnissen des Angeklagten, insbesondere zu seinen zahlreichen Vor-strafen
getroffen. In diesem Zusammenhang greift die Rüge, die Urteilsgründe verhielten
sich nicht zu dem aktuellen Vollstreckungsstand der bzgl. gegen den Angeklagten
verhängten Geldstrafen, nicht durch. Vielmehr ist auf die Einzelheiten der
Vorstrafen nur einzugehen, soweit dies für die getroffene Entscheidung von
Bedeutung ist (Schönke-Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl. 2006, § 46 Rdnr. 65). Da
eine Gesamtstrafenfähigkeit der nunmehr abzu-urteilenden Tat vom 04.07.2007 mit
den zuvor gegen den Angeklagten ver-hängten Geldstrafen erkennbar nicht
gegeben ist, bedurfte es daher einer näheren Darlegung des
Vollstreckungsstandes in den aufgrund der vorge-nannten Verurteilungen
anhängig gewordenen Strafvoll-streckungsverfahren nicht.
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Das Amtsgericht hat ferner das Vorliegen eines minder schweren Falles gem. §
249 Abs. 2 StGB rechtsfehlerfrei verneint und in nicht zu beanstandender Weise
ausgeführt, dass bereits die zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten sowie die
anlässlich der Tatbegehung durch den Angeklagten begangene gefährliche
Körperverletzung erschwerende Umstände darstellen, die in der
Gesamtbetrachtung einem die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht angezeigt
erscheinen lassenden Überwiegen der strafmildernden Umstände entgegenstehen.
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Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Amtsgericht es bei der Milderung des
Regelstrafrahmens wegen Versuchs gem. der §§ 23 Abs.2, 49 Abs. 1 StGB
belassen und ungeachtet der festgestellten verminderten Steuerungs-möglichkeit
des Angeklagten von einer weiteren Strafmilderung gem. der §§ 21, 49 Abs. 1
StGB keinen Gebrauch gemacht hat.
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Die Milderung des Strafrahmens steht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21
StGB in pflichtgemäßem Ermessen des Tatrichters und ist keinesfalls obligatorisch
(Fischer, a.a.O., § 21, Rdnr. 18 und 20). Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller
schuldrelevanten Umstände vorzunehmen, wobei die Versagung einer
Strafmilderung insbesondere dann in Betracht kommt, wenn der Täter die
Begehung von Straftaten in einem selbst zu verantwortenden (Alkohol-)-Rausch
vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können (Fischer, a.a.O., Rdnr. 25
m.w.N.), wobei die jüngste Rechtsprechung hierüber hinausgehend die Versagung
der Strafrahmenverschiebung bei einer selbst zu verantwortenden Trunkenheit des
Täters unanhängig von auf die Begehung von Straftaten bezogenen Erfahrungen
des Täters für zulässig erachtet, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände der
Vorhersehbarkeit der Begehung von Straftaten entgegen stünden (BGH NStZ
2003, 480; BGH NJW 2004, 3350; BGH StV 2006, 465).
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Auch die sonstigen Strafzumessungserwägungen sind nicht zu beanstanden.
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Gleiches gilt für die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht eine Strafaussetzung
zur Bewährung abgelehnt hat."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum
Gegenstand seiner Entscheidung.
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Insbesondere hat das Amtsgericht vorliegend zu Recht bei dem Angeklagten keine
Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
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Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs.1 StGB ent-scheidet
der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auf Grund einer
Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände. Beruht die erhebliche Ver-
minderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der
Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich auf Grund der persön-lichen
oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten
vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat
der Tatrichter in wertender Betrachtung zu bestimmen. Seine Ent-scheidung unterliegt
nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung und ist regelmäßig
hinzunehmen, sofern die dafür wesentlichen tatsächlichen Grundlagen hinreichend
ermittelt und bei der Wertung ausreichend berücksichtigt worden sind.
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An die Überzeugungsbildung des Tatrichters dürfen dabei aber keine übertrieben hohen
Anforderungen gestellt werden, da die verheerenden Wirkungen übermäßigen
Alkoholgebrauchs allgemein bekannt sind.
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In diesem Zusammenhang muss es auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob die
Trunkenheit als solche vorwerfbar ist oder nicht, da auch letzterenfalls andere
schulderhöhende Momente die Versagung der Strafmilderung rechtfertigen können. Im
Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Um-stände ist
es deshalb nicht ohne weiteres ausgeschlossen, auch einem alkohol-abhängigen Täter
zwar nicht die Alkoholisierung als solche, aber – bei insoweit noch vorhandener
Hemmungsfähigkeit – als schulderhöhend vorzuwerfen, dass er sich bewusst in eine
gewaltträchtige Situation begeben hat, obwohl er wusste oder wissen musste, dass er
sich dort infolge seiner Beherrschung durch den Alkohol nur eingeschränkt werde
steuern können. Je eher ein alkoholabhängiger Täter von den infolge seines Zustands
von ihm ausgehenden Gefahren für andere weiß – etwa aufgrund früherer unter
Alkoholeinfluss begangener Straftaten – und je schwerwiegender die Straftaten sind, mit
deren Begehung er rechnet oder rechnen muss, desto weniger wird eine Strafmilderung
in Betracht kommen, wenn er sich dessen ungeachtet in eine gewaltträchtige Situation
begeben hat und ihm dies vorzuwerfen ist (vgl. hierzu BGH, BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 29).
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Der Angeklagte bezeichnet sich vorliegend selbst als Alkoholiker. Er ist mehrfach
vorbestraft, darunter auch einschlägig wegen schweren Raubes. Das Landgericht
Bochum hatte ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und außerdem die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Am Tattag war der Angeklagte
wiederum stark alkoholisiert; die ihm um 19.20 Uhr (Tatzeit war 17.40 Uhr) entnommene
Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,85 %o zur Zeit der Blutentnahme.
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Die Trunkenheit des Angeklagten war keineswegs unverschuldet. Zudem ist ihm - wie
die einschlägigen Vorstrafen belegen - hinreichend bekannt, dass er unter
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Alkoholeinfluss zu Gewalttätigkeiten neigt. Trotz dieses Bewusstseins hat er sich auf
dem Bahnsteig an eine Gruppe junger Männer gewandt, die alkoholische Getränke mit
sich führte und es kam zu der dem Angeklagten vorzuwerfenden Rangelei um eine
Flasche Bier. Bei einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände ist es nach
alledem nicht zu beanstanden, dass der Tatrichter vorliegend eine
Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verneint hat.