Urteil des OLG Hamm vom 23.09.1999

OLG Hamm: zivilrechtliche haftung, betriebsstätte, unternehmen, mitverschulden, unfallversicherung, umkleideraum, firma, wagen, arbeitsunfall, vertreter

Oberlandesgericht Hamm, 6 W 31/99
Datum:
23.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 W 31/99
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 2 O 126/99
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird teilweise abgeändert.
Soweit eine Haftung des Antragsgegners nach einer Quote von 75 % in
Betracht kommt, hat das Landgericht das Prozeßkostenhilfe-Gesuch
unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu
bescheiden.
Im übrigen, d. h. bezüglich einer Anspruchskürzung von 25 % wegen
eigenen Mitverschuldens, verbleibt es bei der angefochtenen
Entscheidung; insoweit wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
G r ü n d e :
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I.
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Der Antragsgegner verrichtete am 22. Juni 1998 als Mitarbeiter der Firma J im
Evangelischen Krankenhaus in M. Zu diesem Zweck hatte er im Boden des
Sockelgeschosses einen ca. 90 X 90 cm großen normalerweise abgedeckten Schacht
geöffnet, der sich unmittelbar vor einer Korridortür befindet. Zur Absicherung hatte er vor
die von der Korridortür abgewandte Seite des Schachtes einen etwa 180 cm hohen und
90 cm breiten Wäschewagen gestellt; weitere Absicherungen oder Warnhinweise waren
nicht vorhanden.
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Zu einem Zeitpunkt, als auch der Beklagte selbst sich nicht im Bereich des Schachtes
aufhielt, wollte die Klägerin, die im Evangelischen Krankenhaus als Putzhilfe angestellt
ist und deren Aufgabe es war, in den oberen Geschossen Putzarbeiten durchzuführen,
den hinter der Korridortür befindlichen Umkleideraum aufsuchen, um sich nach
Beendigung der Arbeit umzuziehen. Sie stürzte, nachdem sie um den Wagen
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herumgegangen war, in den Schacht und erlitt eine komplizierte Sprunggelenksfraktur.
Sie will den Beklagten auf vollen Ersatz ihres Schadens ins Anspruch nehmen und hat
Prozeßkostenhilfe für eine Klage beantragt, mit der sie die Verurteilung des Beklagten
zur Zahlung von mindestens 6.000,00 DM als angemessenes Schmerzensgeld und von
5.610,00 DM nebst Zinsen als Ersatz materiellen Schadens erreichen will sowie die -
streitwertmäßig mit 3.000,00 DM angesetzte - Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet
ist, ihr allen künftigen Schaden aus dem Unfall vorbehaltlich des Anspruchsübergangs
auf Sozialversicherungsträger zu ersetzen. Den Gesamtstreitwert hat sie mit 14.610,00
DM angegeben.
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Der Beklagte hat durch den Betriebshaftpflichtversicherer der Firma J geltend gemacht,
seine Haftung sei gem. § 106 Abs. 3 SGB VII ausgeschlossen, da das Evangelische
Krankenhaus zum Unfallzeitpunkt die gemeinsame Betriebsstätte der Parteien gewesen
sei.
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Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht der Antragstellerin
Prozeßkostenhilfe mit der Begründung verweigert, sie müsse sich ein mit mindestens 50
% zu bewertendes Mitverschulden anrechnen lassen, so daß für die Klage, soweit sie
überhaupt in der Sache Aussicht auf Erfolg habe, die Zuständigkeitsgrenze des
Landgerichts nicht erreicht werde.
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Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde.
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II.
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Die Beschwerde ist überwiegend begründet. Die beabsichtigte Klage hat hinreichende
Aussicht auf Erfolg mit der Einschränkung, daß die Klägerin sich ein mit 25 % zu
bewertendes Mitverschulden anrechnen lassen muß.
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1.
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Für das Klageverfahren ist gem. § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen
Gerichten eröffnet. Zwar handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit unter
Arbeitnehmern. Dafür sind aber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG die Arbeitsgerichte nur
dann zuständig, wenn es um Streitigkeiten aus gemeinsamer Arbeit geht oder aus
unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang
stehen. Die hier allein in Betracht kommende Alternative der Streitigkeit aus einer
unerlaubten Handlung setzt zwar nicht voraus, daß die Parteien beim selben
Arbeitgeber beschäftigt sind (vgl. OLG Karlsruhe - Senat Freiburg - NJW RR 95, 64 m.
w. N.). Sind sie - wie hier - bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt, so besteht aber
der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis nicht schon dann, wenn sich
die Arbeitsbereiche der Parteien nur zufällig oder äußerlich berühren und dabei einer
vom anderen geschädigt wird (vgl. OLG Oldenburg MDR 99, 239). Es wird vielmehr eine
innere Beziehung zu dem Arbeitsverhältnis der Parteien gefordert (vgl. BGH MDR 58,
331), wie sie bei einem Zusammenwirken besteht. Daran fehlt es hier. Die
Arbeitsbereiche der Parteien haben sich nur zufällig berührt. In solchen Fällen wird der
gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG geforderte Zusammenhang nicht schon dadurch
hergestellt, daß ein Arbeitnehmer durch seine Arbeit die allgemeine
Verkehrssicherungspflicht verletzt und dabei einen anderen Arbeitnehmer verletzt hat,
der nicht für den selben Arbeitgeber tätig ist. In Ermangelung eines irgendwie gearteten
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Zusammenwirkens reicht es hier auch nicht aus, daß die Tätigkeit beider Parteien
letztlich dem Funktionieren des Krankenhausbetriebes dienen sollte.
2.
13
Innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist gem. §§ 73 Abs. 1, 21 Nr. 1 GVG das
Landgericht zuständig, denn trotz des Mitverschuldens der Klägerin bietet die Klage in
einem solchen Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg, daß der Streitwert die
landgerichtliche Zuständigkeitsgrenze von 10.000,00 DM überschreitet.
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Zwar hätte die Antragstellerin im eigenen Interesse darauf acht geben müssen, wohin
sie ihre Füße setzte. Gesteigerte Aufmerksamkeit war geboten, weil es wohl nicht der
Regelfall gewesen sein dürfte, daß mitten vor der zum Umkleideraum führenden
Korridortür ein Wäschewagen stand. Der schuldhafte Verursachungsbeitrag der
Antragstellerin wiegt aber nicht so schwer wie derjenige des Antragsgegners. Er hat die
erste und wesentliche Ursache für den Sturz der Antragstellerin gesetzt. Zwar sollten
eilige und unaufmerksame Personen vor einem Sturz in den geöffneten Schacht
offenbar durch den Wäschewagen geschützt werden, und dieser erfüllte diesen Zweck
insofern, als er den direkten Weg geradeaus über den Schacht zu der unmittelbar
dahinter befindlichen Korridortür versperrte. Gleichzeitig verdeckte er aber auch wegen
seiner Höhe die Sicht auf den geöffneten Schacht, so daß letztlich die Sturzgefahr, vor
der er eigentlich schützen sollte, für die Personen vergrößert wurde, die zum Passieren
der Korridortür um den Wagen herumgingen und dann mit Blick auf die Tür seitlich in
den Schacht fallen konnten. Es hätte dem Antragsgegner einleuchten müssen, daß sich
seine ohnehin unzureichende Sicherungsmaßnahme eher noch kontraproduktiv
auswirken konnte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es dem Senat
sachgerecht, das anspruchskürzende Mitverschulden der Antragstellerin mit 25 %
anzusetzen. Ausgehend von einem Gesamtstreitwert von 14.610,00 DM für den Fall der
uneingeschränkten Haftung ergibt sich bei einer Haftungsquote des Antragsgegners von
75 % ein Streitwert oberhalb der landgerichtlichen Zuständigkeitsgrenze.
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3.
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Die Frage, ob Schadensersatzansprüche der Antragstellerin gegen den Antragsgegner
gem. § 106 Abs. 3 SGB VII gesperrt sind, hängt von der Auslegung dieser am 1. Januar
1997 in Kraft getretenen Vorschrift ab.
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Durch die gesetzliche Neuregelung sind die bisher in §§ 636 ff. RVO enthaltenen
Regelungen über die Haftungsersetzung in das SGB VII übernommen, gleichzeitig aber
auch inhaltlich mit teilweise erheblichen Auswirkungen geändert worden, und zwar
überwiegend zu Lasten der Verletzten und Sozialversicherer und zugunsten der
Schädiger und demgemäß auch der Haftpflichtversicherer. Zwar ist die Grundstruktur
der Regelungen über die Haftungsersetzung unverändert geblieben: Ist jemand für
einen anderen tätig geworden und dabei entweder von diesem oder von einem
Mitbeschäftigten verletzt worden, kann er, wenn er bei dieser Tätigkeit gesetzlich
unfallversichert gewesen ist, den Schädiger nicht zusätzlich zivilrechtlich auf Ersatz
seiner Personenschäden in Anspruch nehmen; er ist insoweit auf Leistungen aus der
gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt. Die zivilrechtliche Haftung ist insoweit
ausgeschlossen; der Schädiger ist von der Haftung freigestellt (vgl. Lemcke ZAP, Fach
2, 199 ff).
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Für den vorliegenden Fall kann aber die neue Regelung bedeutsam sein. Während
nach altem Recht lediglich Ersatzansprüche eines Versicherten gegen einen in
demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen gesperrt waren, wenn dieser durch eine
betriebliche Tätigkeit einen Arbeitsunfall verursacht hatte, kommt nach neuem Recht die
Haftungsfreistellung schon dann in Betracht, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen
vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten
(zu den übrigen hier nicht bedeutsamen Änderungen vgl. die Gegenüberstellung bei
Lemcke a.a.O., S. 207).
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Die Tragweite dieser Neuregelung ist streitig und in der Rechtsprechung bisher nicht
hinreichend geklärt. Die Streitfragen werden zumeist anhand von Baustellenunfällen
diskutiert, wobei unterschiedliche Anforderungen bezüglich der Frage gestellt werden,
inwieweit die Arbeitsbereiche der Beteiligten miteinander verknüpft sein müssen.
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Teilweise wird die Auffassung vertreten, daß bei derartigen Baustellenunfällen
ausnahmslos die Haftungsersetzung eingreift. Eine gemeinsame Betriebsstätte soll
danach bereits gegeben sein, wenn verschiedene Unternehmen dort auftragsgemäß
Leistungen zu erbringen haben; auf ein gemeinsames Tätigwerden soll es nicht
ankommen, sondern nur auf ein gegenständliches, räumliches und zeitliches
Überschneiden der Tätigkeitsbereiche (vgl. Kater in: Kater/Leube, Gesetzliche
Unfallversicherung SGB VII, 1997, § 106 Rz 16 ff.; Stern-Krieger/Arnau, VersR 97, 410
ff., Geigel/Kolb, 22. Aufl., Kapitel 31 Rz 84; ähnlich Jahnke,
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r+s 99, 353, so auch OLG Karlsruhe, r+s 99, 373 und 375; OLG Saarbrücken, r+s 99,
374). Für diese Auffassung kann sprechen, daß der Gesetzgeber mit der Neuregelung
anscheinend einen erweiterten Schutz der Arbeitnehmer vor Inanspruchnahme durch
andere Arbeitnehmer intendiert hat, mit denen sie auf Baustellen oder Einrichtungen
zusammenkommen, in denen sich die Tätigkeitsbereiche in ähnlicher Weise
überschneiden. Dieses Schutzbedürfnis tritt dann besonders hervor, wenn etwa der
Arbeitgeber eines kleinen Betriebes keine oder keine ausreichende
Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat, was der Arbeitnehmer nur in
seltenen Fällen hinreichend übersehen kann. Von den Vertretern dieser Auffassung
wird der Wegfall der Haftpflichtansprüche einschließlich der Schmerzensgeldansprüche
des Verletzten hingenommen, weil er gesetzlichen Unfallversicherungsschutz genießt.
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Vertreter der engeren Auffassung bezweifeln wegen der versteckten Stellung der
Neuregelung und wegen des Fehlens von Hinweisen in der amtlichen Begründung, daß
der Gesetzgeber die Rechte des Falles derart weitgehend einschränken wollte (vgl.
Otto, NZV 96, 473, 477; Greger, StVG, 3. Aufl., Anhang II Rz 26). Sie legen die
Neuregelung als Aufnahmevorschrift eng aus und fordern, daß sich die Unternehmen
nicht nur zufällig auf der Betriebsstätte begegnen dürfen; es wird gefordert, daß die
Unternehmen einen gemeinsamen Zweck verfolgen und nur deshalb auf der
gemeinsamen Betriebsstätte tätig werden (vgl. Maschmann, SGB 98, 54 ff.; Waltermann,
NJW 97, 3401 ff.; Lemcke, ZAP, Fach 2, S. 199 ff.; derselbe, r+s 99, 376; Baethge, NZA
99, 73 ff; so auch OLG Braunschweig, Urteil vom 8.7.99 - 2 U 192/98).
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Das Prozeßkostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen
vorweg abschließend zu entscheiden (vgl. OLG Dresden, ZIP 99, 889; Zöller/Philippi,
ZPO, 21. Aufl., 1999, § 114 Rz 21). Schon deshalb kann der beabsichtigten Klage die
Erfolgsaussicht nicht im Hinblick auf eine mögliche Haftungsprivilegierung des
Beklagten gem. § 106 Abs. 3 SGB VII verneint werden.
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4.
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Das Landgericht hat sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit der Bedürftigkeit
der Klägerin als weiterer Voraussetzung für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht
befaßt. Diese Überprüfung wird im Rahmen der erneuten Bescheidung des
Prozeßkostenhilfe-Antrags nachzuholen sein.
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5.
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Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1952 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 2 GKG; § 118
Abs. 1 S. 4 ZPO.
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