Urteil des OLG Hamm vom 17.03.2006

OLG Hamm: gutachter, unrichtigkeit, vollstreckung, schiedsgutachten, herausgabe, umlaufvermögen, geschäftsbetrieb, ergänzung, beobachter, anpassung

Oberlandesgericht Hamm, 19 U 119/05
Datum:
17.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 119/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 22 O 38/05
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 30. Juni 2005 verkündete
Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Die Kosten
erster Instanz tragen die Klägerin zu 19/20 und der Beklagte zu 1/20.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen jeweils die Vollstreckung abwenden durch
Sicherheits-leistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betra-ges, wenn nicht die Gegenseite vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e:
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I.
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Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Teilurteils verwiesen, soweit sich aus den nachfolgenden tatsächlichen Feststellungen
nichts Abweichendes ergibt.
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Der Beklagte wiederholt seine Rüge, dass das Schiedsgutachten des Herrn E keine
Grundlage für die Klage abgeben könne, weil es nicht bindend sei, da es nach näherer
Prüfung offenbar unrichtig sei. Der Gutachter sei von falschen Tatsachengrundlagen
ausgegangen und habe den Sachverhalt ohne Beachtung des aus dem Vertrag
hervorgehenden Parteiwillens lückenhaft ermittelt. Der Gutachter habe nicht die
einseitige und bestrittene Darstellung der Klägerin zugrunde legen dürfen, dass die
Bilanzierung der in Rede stehenden Provisionsansprüche durch den Verkäufer in den
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Vorjahren nur vergessen worden sei. Es komme hier nur darauf an, dass in den
Vorjahren tatsächlich so verfahren worden sei, und dies sei nach dem Vertrag
fortzuführen. Dann ergebe sich nicht ein auszugleichender Saldo zugunsten der
Klägerin, sondern umgekehrt. Außerdem sei das Gutachten auch rechtlich unzutreffend,
da die Provisionsforderungen allgemein nicht aktivierungspflichtig seien. Hilfsweise, so
der Beklagte weiter, ergebe sich aus dem Vertrag nur ein Recht, die Unterlagen
zugänglich zu machen, nicht aber, sie herauszugeben.
Seine Widerklage hat der Beklagte im Senatstermin mit Zustimmung der Klägerin
zurückgenommen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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dies hilfsweise mit der Maßgabe, den Beklagten zur Duldung der Einsichtnahme
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in die Geschäftsunterlagen in seinen Geschäftsräumen mit der Möglichkeit,
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Kopien anzufertigen,
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äußerst hilfsweise zur Vorlage von Kopien zu verurteilen.
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Sie hält die Berufung gegen die Verurteilung zur Herausgabe von Unterlagen mangels
Erreichens der Berufungsbeschwer für unzulässig, verteidigt in der Sache das
angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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II.
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1. Die Berufung ist zulässig.
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Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Klägerin die Berufungsbeschwer
überschritten. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den
Senatsbeschluß vom 24.2.2006 (Bl. 194 ff. d.A.) verwiesen.
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2. Die Berufung ist begründet.
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2.1. Die Klage ist insgesamt abzuweisen, ungeachtet dessen, dass bisher nur der auf
Herausgabe der Geschäftsunterlagen gerichtete Antrag zu 1. zur Entscheidung gestellt
war (vgl. Zöller-Greger, 25. A., § 254 ZPO Rz. 9 m.w.N.). Die Klägerin als
Rechtsnachfolgerin des Reisebüroverkäufers kann schon dem Grunde nach keine
Rechte aus den streitigen Provisionen herleiten, die sie anhand der Unterlagen
feststellen will, und hat deshalb auch kein berechtigtes Interesse an der
Zugänglichmachung nach § 2 Abs. 2 S. 2 1. Halbsatz des Vertrages vom 18.2.2002 (Bl.
5 d.A.).
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2.2. Der Klägerin geht es für die Kaufpreisbemessung nach § 3 des Vertrages um die
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Feststellung bisher nicht aktivierter Provisionsforderungen für vermittelte, aber vom
Veranstalter noch nicht abgerechnete Reisen zum Übergabestichtag 31.10.2002. Sie
meint, diese Forderungen müssten aus bilanzrechtlichen Gründen aktiviert werden, mit
der Folge eines Saldoüberschusses des Umlaufvermögens zum Stichtag zu ihren
Gunsten nach § 3 Abs. 2 des Vertrages und einer deshalb vom Beklagten zu zahlenden
Kaufpreiserhöhung. Dem ist nicht beizutreten.
Unter dem von der Klägerin angeführten Gesichtspunkt ist ein Überschuß zu ihren
Gunsten zum Stichtag nicht zu errechnen, weil die Provisionsforderungen im Rahmen
der vertraglichen Kaufpreisbemessung nicht in die Bilanz einzustellen sind. Nach § 3
Abs. 1 steht die Annahme beider Vertragsparteien lt. Satz 1 eines zum Stichtag
ausgeglichenen Verhältnisses zwischen Umlaufvermögen und kurzfristigen
Verbindlichkeiten ausdrücklich unter der weiteren Vorgabe lt. Satz 2, dass der
Geschäftsbetrieb im bisherigen Umfang und ‚in der bislang geübten Art und Weise’
fortgeführt wird; nur soweit unter dieser Stetigkeitsvoraussetzung die Annahme zu § 3
Abs. 1 S. 1 des Vertrages nicht zutreffen sollte, griff erst eine Kaufpreisanpassung nach
Abs. 2. Danach waren die Provisionsansprüche nicht zum Stichtag zu aktivieren, weil
das unstreitig auch in den Vorjahren jeweils zum 31.10. nicht geschehen war, ohne
dass es auf die Gründe hierfür ankommt. Unter Fortführung der bisherigen
Bilanzierungspraxis ergibt sich unstreitig kein Überschuß zugunsten der Klägerin.
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2.3. Aus dem von den Parteien einvernehmlich gemäß der Schiedsgutachtenregelung
nach § 3 Abs. 3 des Vertrages eingeholten Gutachten des Herrn E vom 9.2.2004 (Bl. 14
ff. d.A.) folgt nichts anderes. Zwar kommt der Gutachter zu dem abweichenden Ergebnis,
dass die Provisionsansprüche im Jahresabschluß zum 31.10 2002 dem Grunde nach zu
berücksichtigen seien. Das Schiedsgutachten ist hier aber nicht verbindlich.
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Außer Streit und unproblematisch ist die Wirksamkeit der
Schiedsgutachtenvereinbarung an sich, auch soweit damit dem Gutachter die
Feststellung der Tatsachen, Auslegung und Ergänzung des Vertragswillens der
Parteien sowie die Klärung rechtlicher Vorfragen übertragen waren (vgl. Palandt-
Grüneberg, 65. A., § 317 BGB Rz. 5 f. m.w.N.). Das Gutachten ist aber analog § 319
BGB wegen offenbarer Unrichtigkeit nicht verbindlich. Die für die offenbare Unrichtigkeit
schon im angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegebene Voraussetzung, dass sich
die Unrichtigkeit dem sachkundigen und unbefangenen Beobachter, wenn auch
möglicherweise erst nach gründlicher Prüfung, aufdrängt, liegt entgegen der Ansicht des
Landgerichts vor.
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Der Gutachter hatte den Stand der von ihm festzulegenden Jahresabschlußpositionen
nach dem Parteiwillen und damit nach der Vorgabe der Stetigkeitsklausel gemäß § 3
Abs. 1 S. 2 des Vertrages, wie oben unter 2.2. dargelegt, zu beurteilen. Das hat er nicht
getan. Er hat ausweislich S. 4 f. des Gutachtens (Bl. 20 f. d.A.) die Stetigkeitsklausel
zwar ebenso wahrgenommen, wie die im Vorjahr unterbliebene Bilanzierung der
fraglichen Provisionen. Die Bedeutung dessen hat er im folgenden jedoch verkannt und
ist zu einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab nach allgemeinen
Bilanzierungsgrundsätzen gelangt, indem er ohne jede weitere Prüfung die einseitige
Mitteilung des Steuerberaters der Klägerin zur Grundlage des Gutachtens machte, dass
die Bilanzierung vom Verkäufer nur vergessen worden sei. Durch das Schreiben des
Gutachters vom 11.3.2004 (Bl. 96 d.A.) wird das nochmals offenbar. Es liegt aber klar
auf der Hand, dass für die Frage, ob der Kaufpreis anzupassen ist, nicht allgemeine
Bilanzierungsgrundsätze, sondern der dem Vertrag zu entnehmende Parteiwille
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maßgeblich sind/ist und dass eine Anpassung des Kaufpreises nicht nach Maßstäben
erfolgen kann, die bei der Ermittlung des Preises nicht zu Grunde gelegt worden sind.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711
BGB.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO
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nicht vorliegen.
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