Urteil des OLG Hamm vom 10.11.1998

OLG Hamm (kläger, verletzung, unfall, 1995, zpo, körper, kollision, distorsion, luxation, verdacht)

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 132/98
Datum:
10.11.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 132/98
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 15 O 67/96
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 19. März 1998 verkündete
Urteil des der 15. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 21.547,75 DM.
Entscheidungsgründe:
1
(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)
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I.
3
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen eines Unfalls vom 17.08.1995 auf Ersatz seines
materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
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Er hat behauptet, er habe vor einer roten Ampel gestanden, als die Beklagte zu 1) auf
sein stehendes Fahrzeug aufgefahren sei. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich nach vorne
gebeugt, um von der Konsole vor dem Schalthebel eine CD aufzunehmen. Infolge der
Kollision habe er eine Verletzung des Sternoclaviculargelenks und eine HWS-
Distorsion erlitten, wegen der er vier Wochen eine Schanz’sche Krawatte und 14 Tage
einen Gilchrist-Verband habe tragen müssen. Wegen der Einzelheiten verweist er auf
die Feststellungen des Evangelischen Krankenhauses V vom 25.03.1996 und der
berufsgenossenschaftlichen Klinik E2 vom 30.11.1995, auf die Bezug genommen wird.
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Die Beklagten haben bestritten, daß der Kläger bei dem Unfall verletzt worden sei. Sie
haben behauptet, die angeblichen Beschwerden müßten auf anderen Ursachen
beruhen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil sich eine Primärverletzung nicht
feststellen lasse und die Unfallursächlichkeit der Beschwerden unwahrscheinlich sei.
Aufgrund der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, die nach dem zu
Beweiszwecken eingeholten Gutachten des Dipl.-Ing. T feststehe, sei auch keine
unfallkausale Verletzung des Klägers anzunehmen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Klageziel
weiter verfolgt.
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II.
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Die Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die auf §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1, 249 ff. BGB, §§ 7, 18 StVG, §§ 1,
3 PflVG, § 256 ZPO gestützte Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hat nicht
den ihm nach § 286 ZPO obliegenden Beweis geführt, daß er durch das Unfallereignis
vom 17.08.1995 verletzt wurde und seine Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule
und des Schultergelenks auf den Unfall zurückzuführen sind.
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1.
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Es ist nicht zu verkennen, daß nach den Untersuchungen der
berufsgenossenschaftlichen Klinik E2 und des Evangelischen Krankenhauses V der
Verdacht auf eine unfallbedingte Verletzung geäußert wurde, und zwar vor allem auf
eine HWS - Distorsion.
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Äußere Verletzungen sind jedoch zu keiner Zeit festgestellt worden. Auch wenn es
darauf entscheidend nicht ankommt, muß doch zur Überzeugung des Gerichts bewiesen
werden, daß es - auch ohne objektivierbare Substanzverletzungen - zu einer
Körperverletzung gekommen ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster und
zweiter Instanz läßt sich dies jedoch gerade nicht feststellen, weil die kollisionsbedingte
Geschwindigkeitsänderung im Bereich zwischen 2,1 km/h und 5,5 km/h lag und damit
so gering war, daß nach allen einschlägigen Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit
keine Verletzungen eingetreten sind (vgl. BGH NJW 1987, 705; Lemcke in NZV 1996,
337; OLG Hamm in ständiger Rechtsprechung, zuletzt OLG-Report 1998, 313).
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Daß die angeblichen Beschwerden des Klägers andere Ursachen haben können, liegt
im übrigen deshalb nicht fern, weil der Kläger bereits vor dem Unfall Beschwerden an
der Wirbelsäule hatte. Der Senat folgt auch den Sachverständigen Dipl.-Ing. C und Priv.-
Doz. Dr. D, wegen deren Feststellungen im einzelnen auf den Berichterstattervermerk
des Senats vom 10.11.1998 Bezug genommen wird, wonach bei einer
kollisionsbedingten Geschwindigkeit von weniger als 10 km/h eine Verletzung im Sinne
einer HWS-Distorsion in der Regel nicht auftritt und im vorliegenden Fall außerdem
Besonderheiten hinzukommen, die eine Verletzung noch unwahrscheinlicher machen.
Die Geschwindigkeitsdifferenz liegt nämlich hier soweit unter der sog.
Harmlosigkeitsgrenze, so daß selbst zu der noch unbedenklichen
Differenzgeschwindigkeit von 10 km/h ein qualitativer Unterschied besteht. Die
Krafteinwirkung auf den Körper steigt nämlich mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Bei
nur 5 km/h beträgt demzufolge die einwirkende Kraft nur 1/4 der Kraft, die bei einer
Geschwindigkeitsdifferenz (Beschleunigung) von 10 km/h entsteht. Hinzukommt, daß im
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Toleranzbereich von 2,1 km/h bis 5,5 km/h alle in diesen Rahmen fallenden
Geschwindigkeitsdifferenzen gleiche Wahrscheinlichkeit haben.
Daß der Kläger sich zum Zeitpunkt der Kollision mit seinem Oberkörper nach vorne
gebeugt haben will, kann diese Beurteilung der Sachverständige nicht in Zweifel
ziehen, sondern stützt deren Würdigung, daß eine kollisionsbedingte Verletzung des
Klägers extrem unwahrscheinlich, wenn nicht gar ausgeschlossen ist. Der
Sachverständige Dipl.-Ing. C hat dazu überzeugend ausgeführt, daß durch
entsprechende unfalldynamische Versuche der Frage nachgegangen wurde, zu
welchen Krafteinwirkungen es auf die Person des Fahrers im Falle einer Heckkollision
kommt und wie diese dynamisch abläuft. Dabei konnte die gesicherte Erkenntnis
gewonnen werden, daß die auf den Körper wirkenden Beschleunigungskräfte vom
Rumpf her nach oben über den Rücken auf der Lehne durch Abrollen weitestgehend
aufgefangen werden. Für den vorliegenden Fall hat der Sachverständige Dipl.-Ing. C
festgestellt, daß bei der in Rede stehenden kollisionsbedingten
Geschwindigkeitsänderung noch nicht einmal damit zu rechnen ist, daß der Kopf nach
hinten geschleudert worden sei, weil bereits der Körper die Energie vollständig habe
auffangen können.
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Der medizinische Sachverständige Dr. D hat dieses Ergebnis im vollem Umfange
bestätigt. Er konnte ebensowenig wie der Sachverständige Dipl.-Ing. C die
Beschwerden des Klägers im HWS-Bereich dem Unfallereignis zuordnen.
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2.
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Der Kläger konnte auch nicht beweisen, daß seine angeblichen Beschwerden im
Bereich des Sternoclavichlargelenks auf dem Unfall beruhen. Äußere Verletzungen sind
hierzu ebenfalls nicht festgestellt worden. Im Evangelischen Krankenhaus V ist, wie
dem Bericht vom 11.12.1995 zu entnehmen ist, lediglich der Verdacht auf eine
abgelaufene Luxation des Sternoclaviculargelenks mit spontaner Reposition geäußert
worden.
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Zu der Frage, ob eine solche Luxation des SC-Gelenks durch den Unfall verursacht
worden sein kann und ob die früher und auch jetzt noch geklagten Beschwerden des
Klägers in diesem Bereich auf den Unfall zurückgeführt werden können, hat der Senat
ergänzend den Sachverständigen Dr. med. D gehört. Der Sachverständige hat diese
Beschwerden dem Unfallereignis nicht zuordnen können. Er hat dazu unter
anschaulicher Demonstration erläutert, daß es für die Verletzung dieses, durch einen
straffen Bandapparat gehaltenen Gelenks einer massiven Krafteinwirkung bedarf, um
eine Luxation (Ausrenkung) oder eine Subluxa-
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tion auslösen zu können. Er hat weiter dargelegt, daß diese massive Kraft seitlich auf
das im oberen Brustbereich liegende Gelenk einwirken muß, und daß es nach dem
Verlauf des Unfalls zu solchen Krafteinwirkungen nicht gekommen sein kann.
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Nach der Intensität des Kollisionsimpulses und nach der Impulsrichtung ist daher eine
irgendwie geartete Verletzung dieses Gelenks durch den Unfall nicht verursacht
worden.
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Nach allem läßt sich eine durch die Kollision vom 17.08.1995 verursachte
Körperverletzung des Klägers nicht feststellen. Die Berufung des Klägers mußte daher
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mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO zurückgewiesen
werden.