Urteil des OLG Hamm vom 25.10.1999

OLG Hamm: eintritt des versicherungsfalles, grobe fahrlässigkeit, überholen, fahrzeug, baustelle, verkehrsunfall, lichthupe, ermittlungsverfahren, anstalten, unfallfolgen

Oberlandesgericht Hamm, 6 U 71/99
Datum:
25.10.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 71/99
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 21 O 55/98
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 15. Januar 1999 verkündete
Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Dort-mund wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer des Klägers: unter 25.000,00 DM.
Entscheidungsgründe
1
I.
2
Für seinen Pkw BMW 525 i Cabrio, der am 20.09.1997 gegen 13:30 Uhr bei einem
Verkehrsunfall auf der BAB A 45, Fahrtrichtung H, in E beschädigt wurde, unterhielt der
Kläger bei der Beklagten eine Kaskoversicherung, aus der er die Beklagte nunmehr auf
Entschädigungsleistung in Anspruch nimmt.
3
Der Kläger hat behauptet, innerhalb des Baustellenbereichs an der Unfallstelle, in dem
die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt war, sei er auf der linken
der beiden Richtungsfahrspuren gefahren, um den ca. 100 m rechts vor ihm befindlichen
Pkw Volvo der Zeugin y überholen. Der Zeuge y2, der mit seinem Pkw Ford zunächst
auf der linken Spur hinter ihm, dem Kläger, gewesen sei, habe ihn rechts überholt und
sei dann wieder nach links hinübergezogen, wobei die linke hintere Seite des Ford
gegen den vorderen rechten Kotflügel des BMW gestoßen sei.
4
Die Beklagte hat ausgeführt, zunächst habe sich der Zeuge y2 auf der linken Spur hinter
dem Volvo befunden. Ebenfalls auf der linken Spur fahrend habe der Beklagte sich mit
hoher Geschwindigkeit von hinten genähert, habe den Ford des Zeugen rechts überholt
und nach erneutem Wechsel auf die linke Spur vor dem Zeugen y2 so stark abgebremst,
5
daß dieser nur durch eine Notbremsung ein Auffahren habe verhindern können, was
den Zeugen y2 veranlaßt habe, auf die rechte Spur zu gehen. Einige Zeit sei der Kläger
dann auf der linken Spur so gefahren, daß der Zeuge y2 nicht wieder nach links habe
hinüberfahren können. Schließlich habe sich der Kläger soweit zurückfallen lassen, daß
der Zeuge y2 vor dem BMW Platz zum Spurwechsel gehabt habe. Als der Zeuge
nunmehr nach links hinüber gesteuert habe, sei der Kläger stark beschleunigend
vorsätzlich gegen die hintere linke Seite des Ford gefahren.
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und Zeugenvernehmung
abgewiesen. Es sei bewiesen, daß sich der Kläger aktiv an einer Fahrzeugdrängelei mit
Unfallfolge auf der Autobahn beteiligt habe. Somit habe der Kläger den Eintritt des
Versicherungsfalles grob fahrlässig herbeigeführt, so daß die Beklagte gem. § 61 VVG
leistungsfrei sei.
6
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages weiter. Er vertritt den Standpunkt, eine
kritische Lage sei ausschließlich dadurch entstanden, daß der Zeuge y2 unmittelbar vor
der Kollision eine Spurwechsel eingeleitet habe.
7
Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.
8
II.
9
Die Berufung ist unbegründet.
10
Ein Zahlungsanspruch gem. §§ 1, 49 VVG, 12 AKB steht dem Kläger gegen die
Beklagte nicht zu, weil die Beklagte gem. § 61 VVG leistungsfrei geworden ist.
11
Es kann dahinstehen, ob der Kläger den Unfall - in der linken Spur fahrend - vorsätzlich
verursacht hat, u.zw. dadurch, daß er seinen Pkw BMW beschleunigte und absichtlich
gegen den Pkw Ford des Zeugen y2 lenkte, als dieser versuchte, zum Überholen des
Pkw Volvo der Zeugin u der rechten zur linken Spur zu wechseln. Denn jedenfalls hat er
den Unfall dadurch grob fahrlässig verursacht, daß er, um den Zeugen y2 ärgern und zu
disziplinieren, versucht hat, den Zeugen y2 durch Beschleunigen seines Kfz am
Überholen des Pkw Volvo zu hindern.
12
Auf Grund der Beweisaufnahme steht folgender Sachverhalt fest: Zunächst fuhr der
Zeuge y2 mit seinem Pkw Ford und der Zeugin M2 auf dem Beifahrersitz innerhalb der
Baustelle - die Geschwindigkeit war auf 80 km/h begrenzt - in der linken Spur, er
beabsichtigte, den in der rechten Spur etwas langsamer fahrenden Pkw Volvo der
Zeugin y überholen. Dann näherte sich der mit seinem Pkw BMW in der linken Spur
schneller fahrende Kläger, mit seinem Bruder auf dem Beifahrersitz. Weil y2 trotz
Aufforderung die linke Spur nicht freigab, überholte der Kläger ihn rechts und scherte
dann vor diesem wieder in die linke Spur. Statt nunmehr den Pkw Volvo der Zeugin y
überholen bremste der Kläger sein Fahrzeug ab, offensichtlich , um den Zeugen y2
ärgern und zu disziplinieren. Das veranlaßte diesen, nach rechts in die rechte Spur zu
wechseln. Der Zeuge y2 schloß nunmehr zu dem Pkw des Klägers auf. Weil der Kläger
nunmehr in der linken Spur mit der Geschwindigkeit des in der rechten Spur fahrenden
Pkw Volvo weiterfuhr und den Zeugen y2 auf diese Weise am Überholen des Pkw
Volvo hinderte, drehte dieser das linke Seitenfenster herunter und begann ein
Streitgespräch mit dem Bruder des Klägers. Schließlich beschleunigte y2 sein Fahrzeug
13
und setzte zum Überholen des Pkw Volvo an. Um dieses zu verhindern, beschleunigte
der Kläger. Dabei stieß die rechte vordere Ecke seines Pkw gegen die linke Seite des
Pkw des Zeugen y2. Dadurch gerieten beide Pkw innerhalb der Baustelle nach links
gegen die mittlere Fahrbahnbegrenzung, eine bewegliche Stahlgleitwand, die sich
dadurch verschob, wodurch in den Gegenfahrbahnen ein schwerer Verkehrsunfall
verursacht wurde. Während sich der Pkw Ford des Zeugen y2 nach dem Anstoß gegen
die Stahlgleitwand drehte und in der linken Spur in Gegenrichtung stehen blieb, geriet
der Pkw des Klägers auf die rechte Spur und stieß dort gegen den Pkw Volvo der
Zeugin u.
Dieser Unfallhergang steht fest auf Grund der glaubhaften Bekundungen der Zeugen y2
und M2, er deckt sich zudem weitgehend mit den Schilderungen der Zeugin u und den
Fahrzeugschäden.
14
Zwar hat der Kläger im jetzigen Verfahren behauptet, er sei zunächst links gefahren, um
den Pkw Volvo zu überholen, dann sei der Zeuge y2 mit höherer Geschwindigkeit von
hinten gekommen und habe durch Betätigen der Lichthupe versucht, ihn zum
Ausweichen nach rechts zu bewegen, schließlich habe y2 ihn rechts überholt, beim
wiederausscheren nach links sei der Pkw des y2 dann gegen die vordere linke Ecke
seines Pkw geraten; der Bruder des Klägers hat diese Version bei seiner
erstinstanzlichen Vernehmung als Zeuge bestätigt. Diese Version stimmt aber mit ihren
eigenen Angaben im Ermittlungsverfahren nicht überein. Dort haben beide lediglich
geschildert, sie seien in der linken Spur gewesen, um andere Fahrzeuge zu überholen,
plötzlich sei der in der rechten Spur fahrende Pkw Ford nach links ausgeschert und
habe ihren Pkw dabei berührt. Dort haben beide nichts davon erwähnt, daß der Zeuge
y2nächst links gefahren ist und versucht hat, sie durch Betätigen der Lichthupe zur
Freigabe der linken Spur zu bewegen. Dort haben beide ferner nichts davon erwähnt,
daß der Zeuge y2 sie anschließend rechts überholt hat.
15
Der Senat hat keinen Zweifel daran, daß der Kläger und sein Bruder dieses schon
damals angegeben hätten, wenn es so geschehen wäre, zumal die Zeugen y2 und M2
ihre Version schon gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten geschildert hatten. Der
Senat ist davon überzeugt, daß der Kläger und sein Bruder sich diese Version erst
nachträglich ausgedacht haben. Denn ihre ursprünglichen Angaben gegenüber der
Polizei ließen sich auch nicht mit den Angaben der Zeugin u vereinbaren. Diese hat
sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im jetzigen Verfahren angegeben, die beiden
nachfolgenden Fahrzeuge hätten sich "zunächst mehrfach überholt", sie habe den
Eindruck gehabt, daß die Fahrer "sich gegenseitig ärgern" würden. Dann habe der
rechts fahrende Ford plötzlich beschleunigt und sie zu überholen versucht, dabei sei es
dann zu dem Unfall gekommen. Ihre Darstellung läßt sich allein mit derjenigen der
Zeugen y2 und M2 vereinbaren, dagegen weder mit der ersten noch mit der zweiten
Version des Klägers und seines Bruders. Insbesondere ergibt sich auch aus den
angaben der Zeugin u, daß sowohl der BMW als auch der Ford innerhalb der Baustelle
längere Zeit hinter ihrem Volvo geblieben sind und keinerlei Anstalten gemacht haben,
sie zu überholen. Die Angaben des Klägers und seines Bruders, sei seien links
gefahren, um den Volvo zu überholen, sind also auch deshalb falsch; tatsächlich haben
sie sich auch nach den Angaben dieser Zeugin längere Zeit hinter ihrem Fahrzeug
aufgehalten, um sich eine Fehde mit dem Zeugen y2 liefern.
16
Zwar mag auch der Zeuge y2 grob fahrlässig gehandelt haben, als er schließlich
versuchte, sich durch Beschleunigen und durch ein riskantes Überholmanöver aus
17
dieser Einzwängung zu befreien. Jedenfalls aber hat der Kläger jetzt durch grobe
Fahrlässigkeit den Unfall herbeigeführt. Denn als der Zeuge y2 sein Fahrzeug
beschleunigte, wußte der Kläger, was nunmehr bevorstand. Während er auf Grund
seines bisherigen Verhaltens nunmehr allen Anlaß hatte, dem Zeugen y2 durch
Gaswegnehmen das Überholen des Volvo zu ermöglichen, hat er stattdessen
beschleunigt, zwar möglicherweise nicht, um jetzt einen Unfall zu provozieren, nach der
Überzeugung des Senats aber jedenfalls deshalb, um das Überholmanöver zu
verhindern. Daß der Kläger nunmehr sein Kfz beschleunigt hat, folgt allein schon
daraus, daß sein Kfz nach dem Erstkontakt mit der mittleren Fahrbahnbegrenzung nach
rechts hinüber geschleudert und dort gegen den Volvo geraten ist, obwohl der Kläger
zunächst über einen längeren Zeitraum nicht schneller als der Volvo gefahren war.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unter
Berücksichtigung sämtlicher Umstände in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das
unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGH,
VersR 92, 1087 = r+s 92, 279). Hier hat der Kläger - offenbar deshalb, weil er sich über
den Zeugen y2 geärgert hatte - unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO durch
rücksichtsloses und verkehrsrowdyhaftes Verhalten innerhalb einer BAB-Baustelle
einen Verkehrsunfall verursacht, in den vier Fahrzeuge verwickelt wurden und bei dem
wie durch ein Wunder - ein Fahrzeug hat sich mehrfach überschlagen - kein größerer
Personenschaden entstanden ist. Für derartige Unfallfolgen braucht der
Kaskoversicherer gem. § 61 VVG nicht aufzukommen.
18
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
19
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 546 ZPO.
20