Urteil des OLG Hamm vom 24.01.2007

OLG Hamm: fahrverbot, freies ermessen, gefährdung, geschwindigkeitsüberschreitung, höchstgeschwindigkeit, nettoeinkommen, härte, bezahlung, verkehrsmittel, ausnahmecharakter

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 891/06
Datum:
24.01.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 891/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Paderborn, 25 OWi 616/06
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht
Paderborn zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 3
StVO in Verbindung mit § 49 StVO und § 24 StVG" zu einer Geldbuße in Höhe von 100
EUR verurteilt, ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und von der Regelung des §
25 Abs. 2 a StVG Gebrauch gemacht. Dazu hat es folgende tatsächliche Feststellungen
getroffen:
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"Am 27.07.2006 gegen 20.10 Uhr befuhr der Betroffene in C die E-Straße Fahrtrichtung
stadteinwärts mit dem Kraftrad mit dem amtlichen Kennzeichen ##-## ##. Hierbei
überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Mittels Lasermessung
mit dem ordnungsgemäß geeichten Lasermessgerät vom Typ LAVEG, Gerätenummer
##### der Firma Jenaoptik wurde beim Fahrzeug des Betroffenen eine Geschwindigkeit
von 85 km/h bei einer Entfernung von 329 m vom Messpunkt festgestellt, was nach
Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 82 km/h
ergibt."
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Der Betroffene hat die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Abrede gestellt.
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Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht ausgeführt, dass es sich bei
dem Betroffenen um einen ledigen, selbständigen Vermögensberater handelt, der
Kunden in E, L und M betreut und ein monatliches Überbrückungsgeld von 650 EUR
und weitere Einkünfte in Höhe von 500 bis 1.000 EUR netto monatlich bezieht.
Straßenverkehrsrechtliche Vorbelastungen bestehen gegen den Betroffenen nicht.
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Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen das Regelfahrverbot und die
Regelgeldbuße festgesetzt. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene
insbesondere gegen die Festsetzung des Fahrverbots.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
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II.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthafte, rechtzeitig eingelegte sowie form- und
fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat – zumindest vorläufig – teilweise Erfolg.
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1.
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Soweit der Betroffene die formelle Rüge erhoben hat, ist diese allerdings unzulässig,
das sie nicht ausreichend im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet worden ist.
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2.
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Die Sachrüge hat hingegen Erfolg.
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a)
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Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung
wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß
den §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG.
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Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung
genügen den insoweit zu stellenden obergerichtlichen Anforderungen bei
standardisierten Messverfahren (ständige Rechtsprechung aller Oberlandesgerichte,
vgl. schon BayObLG, VRS 74 (1988), 384; bei: Bär, DAR 1987, 314; bei: Rüth, DAR
1986, 238; DAR 1966, 104; OLG Düsseldorf, VRS 81 (1991), 208; 82 (1992), 50; 82
(1992), 382; VM 1992, 36; OLG Frankfurt, NZV 1993, 202; OLG Köln, VRS 67 (1984),
462; 81 (1991), 128; OLG Schleswig, bei: ErnestiLorenzen, SchlHA 1980, 175; OLG
Stuttgart, VRS 66 (1984), 57; 81 (1991), 129 f.; DAR 1993, 72; vgl. grundlegend zu
standardisierten Messverfahren: BGH, NJW 1993, 3081 = BGHSt 39, 291 = NZV 1993,
485 = NStZ 1993, 592 = MDR 1993, 1107). Danach sind mitzuteilen die zulässige
Höchstgeschwindigkeit, die verwendete Meßmethode, die gemessene Geschwindigkeit
und der mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigende Toleranzabzug. Zu
weiteren Ausführungen ist ein Gericht nur dann genötigt, wenn aufgrund des
festgestellten Sachverhalts oder der konkreten Einlassung des Betroffenen
Veranlassung dafür besteht. Das ist vorliegend nicht der Fall.
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Auch die Überzeugung der Täterschaft des Betroffenen hat das Amtsgericht
rechtsfehlerfrei aus dem Beweisergebnis hergeleitet. Der Betroffene hat zudem auch
weder die Geschwindigkeitsüberschreitung an sich noch deren Höhe bestritten (OLG
Hamm, NZV 1999, 391).
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Die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Schuldspruchs ist daher zu verwerfen.
20
b)
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Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch einen Rechtsfehler
erkennen, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit und zur
Zurückverweisung führt. Die vom Amtsgericht dazu bislang getroffenen Feststellungen
sind nämlich lückenhaft und rechtfertigen (noch) nicht die Anordnung des verhängten
Fahrverbots.
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Das Amtsgericht hat die Verhängung des Fahrverbotes gegen den Betroffenen, der
formell als selbständiger Vermögensberater tätig ist, jedoch eher als angestellter
Außendienstmitarbeiter anzusehen ist, bislang wie folgt begründet:
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"Umstände, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, sind nicht gegeben.
Es liegen weder besondere Tatumstände noch eine außergewöhnliche Härte vor, die
dem Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbotes treffen würden. Eine solche
außergewöhnliche Härte liegt nicht bereits dann vor, wenn mit der Sanktion eines
Fahrverbotes berufliche und/oder wirtschaftliche Nachteile für den jeweils Betroffenen
verbunden sind. Solche Nachteile sind häufig die zwangsläufige Folge eines
Fahrverbotes und deshalb zur Begründung einer Ausnahme grundsätzlich nicht
ausreichend. Infolge eines Fahrverbotes muss vielmehr die konkrete Gefahr eines
Arbeitsplatz- oder Existenzverlustes drohen, der durch zumutbare Vorkehrungen nicht
abgewendet werden kann. Tatsachen, die zu einem Existenz- oder Berufsverlust bei
dem Betroffen führen könnten, sind jedoch von ihm zur Überzeugung des Gerichts
weder dargelegt noch aus den Umständen ersichtlich.
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Nach eigenen Angaben verfügte er über ein monatliches Nettoeinkommen von
mindestens 1.150,-- €. Dem Betroffenen ist es angesichts dieser Vermögensverhältnisse
zuzumuten das Fahrverbot jedenfalls teilweise während eines Urlaubs zu verbüßen und
im übrigen für die Dauer eines Fahrverbotes einen Fahrer bzw. zumindest einen
Aushilfsfahrer einzustellen. Es ist gerichtsbekannt, dass von den Arbeitsämtern
regelmäßig Aushilfsfahrer vermittelt werden. Darüber hinaus besteht für die Betroffenen
die Möglichkeit für die Dauer eines Fahrverbotes einen gewerblichen Fahrer
einzustellen. Dass die Bezahlung eines solchen nicht möglich ist bzw. die
Beschäftigung eines Aushilfsfahrers ausgeschlossen wäre, ist von dem Betroffenen
weder vorgetragen noch ist dies angesichts seiner Tätigkeit und seines Gehaltes
vorstellbar. Die hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten sind dem Betroffenen
durchaus zuzumuten. Auch besteht für den Betroffenen die Möglichkeit sich öffentlicher
Verkehrsmittel zu bedienen. Die von ihm angeführten Städte, in denen er Kunden
aufsucht, wie beispielsweise E, L und M sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu
erreichen. Soweit der Betroffene im Termin eine Bescheinigung der E2 vorgelegt hat, ist
darauf hinzuweisen, dass er nach eigenen Angaben selbständig ist. Er mag daher einen
Kundenstamm aufbauen, der losgelöst von dem der Deutschen Vermögensberatung
ist."
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Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO). Sie ermöglichen es dem Senat nicht
zu überprüfen, ob die vom Amtsgericht getroffene Fahrverbotsentscheidung zutreffend
ist oder nicht. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der
konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und dem gemäß von der Verhängung
eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den
Tatrichter (vgl. BGH, NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein
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rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von
Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem
Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und
von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und
unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in
gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar
insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls
oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der
Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist
(OLG Hamm, JMBl 1996, 246; zuletzt in VA 2004, 173). Zwar ist die Entscheidung des
Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren
hinzunehmen (OLG Hamm, DAR 1996, 68; VRS 92, 40, jeweils m.w.N.). Der Tatrichter
muss jedoch – nach ebenfalls übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte
und, wie auch der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. OLG Hamm, VRS 95,
138), - für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung
geben.
Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Amtsgericht teilt lediglich
mit, dass eine drohende Gefährdung der beruflichen Existenz nicht festgestellt werden
konnte. Es ist zwar in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der
Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten
Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen hat. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein
Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur
erhebliche Härten, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust
einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (OLG Hamm, VRS 90, 210; DAR
1996, 325; NZV 1995, 366). Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend nicht
mit derartig schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, lässt sich den
amtsgerichtlichen Feststellungen gerade nicht entnehmen. Es wird lediglich eine
"drohende Gefährdung der beruflichen Existenz" verneint, ohne näher darzulegen, worin
diese Gefährdung ggf. besteht bzw. bestehen könnte. Dass die Zumutbarkeit der
Anstellung eines gewerblichen Kraftfahrers während der Fahrverbotszeit für den
Betroffenen dürfte eher unverhältnismäßig sein, wenn sein monatliches
Nettoeinkommen nur etwa 1.150 EUR beträgt.
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Soweit das Amtsgericht die "Gefährdung der beruflichen Existenz" offenbar auch mit
dem Hinweis auf § 25 Abs. 2 a StVG verneinen will, sind auch insoweit nicht
ausreichende Feststellungen getroffen worden. Zwar hat der Senat in der
Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass ein Absehen vom Fahrverbot dann
nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene einen ggf. drohenden Arbeitsplatzverlust
mit zumutbaren Mitteln abwenden kann. Das ist z.B. dann bejaht worden, wenn er die
Möglichkeit hat, während der Vollstreckung des Fahrverbots Urlaub zu nehmen (vgl.
OLG Hamm NZV 1996, 118, 119), wobei die Vorschrift des § 25 a StVG von erheblicher
Bedeutung ist. Allerdings kann der Betroffene, worauf der Senat bereits ebenfalls
hingewiesen hat, nur dann auf die Möglichkeit des Urlaubs verwiesen werden kann,
wenn feststeht, dass er tatsächlich noch über einen ausreichend langen Jahresurlaub
verfügt, den er innerhalb der Frist des § 25 a Abs. 2 StVG auch "an einem Stück"
abwickeln kann (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 313). Das lässt sich dem angefochtenen
Urteil nicht entnehmen. Es spricht nur pauschal von einem Teil des Jahresurlaubs, der
in Anspruch genommen werden kann.
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III.
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes zusätzlich hin, dass von
einem Fahrverbot dann abgesehen werden kann, wenn feststeht, dass die mit dem
Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße
erreicht werden kann und ein Fahrverbot nicht erforderlich ist, um ich zu
verkehrsgerechtem Verhalten anzuhalten. Zwar wird von den Oberlandesgerichten
angesichts der erheblich gewachsenen Verkehrsdichte und des Umstandes, dass es
sich bei den Katalogtaten um besonders schwere Verstöße handelt, die Erforderlichkeit
des Fahrverbots in der Regel zwar meist nicht verneint. Zumindest der normale
Durchschnittsverdiener mit entsprechenden Unterhaltspflichten dürfte durch die
Ausschöpfung der Höchstsätze für Bußgelder §§ 17 Abs. 1 und 2 OWiG (1.000 EUR bei
Vorsatz, 500 EUR bei Fahrlässigkeit) mehr als in der Vergangenheit auch ohne
Fahrverbot von der erneuten Begehung vergleichbarer Verstöße abzuhalten sein (OLG
Hamm, VRS 108, 444, 447; NZV 2001, 436; so auch Deutscher NZV 1999, 113).
30
IV.
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Nach allem sind damit weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen, so dass das
angefochtene Urteil – wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße –
im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist, das auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
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