Urteil des OLG Hamm vom 20.06.2006

OLG Hamm: verwertung, wirtschaftliches interesse, betriebsleiter, prozessstandschaft, rechtshängigkeit, einziehung, schadenersatz, prokurist, warenlager, abtretung

Oberlandesgericht Hamm, 27 U 22/06
Datum:
20.06.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 22/06
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 3 O 511/03
Leitsätze:
1.
Es begründet ein Auswahl-, Organisations- und
Überwachungsverschulden des Insolvenzverwalters, wenn er als
Bevollmächtigten zur Veräußerung eines Warenlagers den Prokuristen
des Unternehmens einsetzt, das den zu einem bestimmten Stichtag
noch vorhandenen restlichen Warenbestand zu einem Pauschalpreis
erworben hat, ohne streng zu überwachen, dass dieser die Vorgaben
des Verwalters umsetzt und die mit besonderen Aufgaben betrauten
Mitarbeiter bei deren Erledigung nicht behindert.
2.
Ein Mitarbeiter, der in der Zeit der vorgesehenen Verwertung eines
Warenlagers im Wesentlichen seinen Resturlaub abfeiert, ist für die
Verwertung offensichtlich ungeeignet i.S.v. § 60 Abs. 2 InsO.
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 19. Dezember 2005
verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird
zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 120 % des je-weils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe (§ 540 ZPO):
1
A.
2
Der Beklagte ist seit Insolvenzeröffnung am 30. Oktober 2000 Insolvenzverwalter über
das Vermögen der Fa. G GmbH & Co. KG. Die Klägerin hatte der Schuldnerin ab dem 1.
Februar 1999 auf die Dauer von 10 Jahren ein Geschäftsgrundstück zum jährlichen
Mietzins von 770.000 DM netto vermietet. Der Beklagte kündigte dieses Mietverhältnis
zum 30. September 2001. Bis Juni 2001 zahlte der Beklagte die Miete pünktlich. In dem
Rechtsstreit 4 O 283/01 LG Bochum = 30 U 25/02 OLG Hamm klagte die Klägerin
die Monatsmieten für drei Monate von Juli bis September 2001 samt Nebenkosten in
Höhe von insgesamt 121.226,31 EUR ein. Zahlungen hierauf erfolgten nicht; mit
Schreiben vom 12. Oktober 2001 zeigte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit an.
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Die Klägerin nimmt den Beklagten persönlich aus dem Gesichtspunkt der
Insolvenzverwalterhaftung in Anspruch, weil er die Masseunzulänglichkeit verspätet
angezeigt, eine ungesicherte Insolvenzforderung der D-Bank aus Massemitteln
befriedigt, einen überhöhten Erlösanteil aus der Veräußerung des Maschinenparks an
die E-Bank ausgekehrt, das Warenlager (Vorratsvermögen) unwirtschaftlich verwertet,
andere Altmassegläubiger vor ihr, der Klägerin, befriedigt und mutwillig den Rechtsstreit
4 O 283/01 LG Bochum mit der falschen Behauptung einer kapitalersetzenden
Gebrauchsüberlassung geführt habe.
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Außerdem hafte er aus § 61 InsO auf die Erfüllung ihrer Ansprüche, weil er das
Mietverhältnis nicht bei erster Gelegenheit gekündigt habe. Schließlich habe er sich
auch durch Täuschungs- und Benachteiligungshandlungen gegenüber ihr ein
deliktisches Verhalten zuschulden kommen lassen.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, der Beklagte habe die
Insolvenzmasse dadurch pflichtwidrig verkürzt, dass er die C-Bank und die E-Bank
befriedigt habe, ohne dass diesen gegenüber Masseverbindlichkeiten in der
entsprechenden Höhe bestanden hätten. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte sein auf Klageabweisung gerichtetes
Begehren weiter, während die Klägerin das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des
Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Die Feststellungen sind dahin zu ergänzen, dass die Klägerin den Klageanspruch im
Jahre 2002, vor Rechtshängigkeit, an die N AG als Prozessfinanzierer abtrat, wobei ihr
das Recht zur Einziehung der Forderung verblieb.
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Der Beklagte behauptet nunmehr, die Betriebsleiter P und L der Schuldnerin mit der
Verwertung des Warenlagers beauftragt und diese ausreichend überwacht zu haben.
9
B.
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Die zulässige Berufung ist im Ergebnis unbegründet.
11
I.
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Die Klägerin ist berechtigt, den Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten im
eigenen Namen geltend zu machen. Zwar trat sie den Anspruch vor Rechtshängigkeit
an die N AG ab, jedoch ermächtigte die Zessionarin die Klägerin zur Einziehung der
Forderung sowie zur gerichtlichen Geltendmachung im Wege der Prozessstandschaft,
wie sich aus dem Bestätigungsschreiben vom 31. Mai 2005 (GA 950) ergibt. Das für die
gewillkürte Prozessstandschaft erforderliche schutzwürdige rechtliche Interesse ergibt
sich daraus, dass die Abtretung lediglich der Sicherheit der den Prozess finanzierenden
Zessionarin dient, die Klägerin dadurch aber nicht ihr ursprüngliches wirtschaftliches
Interesse an der Durchsetzung des Anspruchs verloren hat. Berechtigte Interessen des
Beklagten werden durch die Prozessführung im Wege der Prozessstandschaft nicht
verletzt.
13
II.
14
1.
15
Der Beklagte ist der Klägerin zum Schadenersatz gemäß § 60 InsO verpflichtet.
Er verletzte seine insolvenzspezifischen Pflichten, die auch der Klägerin als
Massegläubigerin gegenüber bestanden, jedenfalls dadurch, dass er die
Masseverwertung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften
Geschäftsleiters durchführte, indem er das Warenlager lediglich zum Preis von 200.000
DM (§ 3 des Vertrages vom 31.05.2001, GA 198, 199 f.) sowie mündlich ergänzend
vereinbarter 170.000 DM veräußerte, während es in Wahrheit zum Stichtag 1. Juli 2001
einen Wert von mindestens 1.406.403,39 DM hatte. Durch die Diskrepanz von
mindestens 1.036.403,39 DM (= 529.904,64 EUR) zwischen Warenwert und Erlös
wurde die Insolvenzmasse verkürzt, was zwischen den Parteiein nicht im Streit steht.
Dabei ist ihm nicht die Kaufpreisbildung als solche vorzuwerfen, sondern das
Versäumnis, die Warenvorräte bis zum Stichtag weitgehend abzubauen – wie es der
vereinbarte Kaufpreis voraussetzte – damit der Käufer nur einen entsprechend
reduzierten Bestand erhielt.
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Die Verkürzung der Insolvenzmasse ist vom Beklagten verschuldet. Denn er setzte mit
Herrn I einen Bevollmächtigten ein, der als Prokurist des Nachfolgeunternehmens,
welches den verbleibenden Warenbestand zu dem genannten Pauschalpreis
übernahm, genau das gegenteilige wirtschaftliche Interesse verfolgen musste als die
Fertigstellung und Auslieferung des Warenbestandes zum Vorteil der Insolvenzmasse
effektiv zu betreiben. Indem der Beklagte es unterließ, Herrn I zur Durchführung der
Verwertung konkret anzuweisen, und ihn insoweit auch nicht überwachte, verletzte er
seine Organisations- und Überwachungspflichten bezüglich der Fertigstellung der
ordnungsgemäßen Verwertung des Warenlagers.
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Die vom Beklagten reklamierte Entlastung nach § 60 Abs. 2 InsO greift – was den
Prokuristen I betrifft – schon deshalb nicht, weil dieser weder ein früherer Angestellter
der Schuldnerin noch im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeiten eingesetzt war; darüber
hinaus hat der Beklagte auch nicht dargelegt, ihn ausreichend überwacht zu haben.
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Soweit der Beklagte in der Berufungsinstanz nunmehr behauptet, die Betriebsleiter der
Insolvenzschuldnerin, die Herren L und P, mit der Verwertung verantwortlich betraut zu
haben, und dieses Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO wegen unterlassener
richterlicher Hinweise in erster Instanz noch zulässig wäre, ist sein Verschulden
gleichwohl nicht ausgeräumt. Unklar bleibt bereits, wie die neue Darstellung mit seinem
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früheren Vorbringen im Verfahren 4 O 377/03 LG Bochum überein zu bringen ist, in dem
der Beklagte Herrn I mit der Behauptung, dieser sei für die Verwertung verantwortlich
gewesen, auf Schadenersatz verklagte. Aber selbst wenn man unter Zurückstellung
dieses Bedenkens die verantwortliche Beauftragung der Betriebsleiter L und P als
richtig unterstellt, entschuldigt dies den Beklagten schon nach seiner eigenen
Darstellung nicht.
Zunächst besteht ein gravierendes Auswahlverschulden bezüglich des Mitarbeiters P.
Denn dass dieser in der Zeit, wo die Verwertung stattzufinden hatte, im Wesentlichen
seinen Resturlaub abfeierte, machte ihn für diese Aufgabe in dieser Situation
"offensichtlich ungeeignet" im Sinne des § 60 Abs. 2 InsO. Über den Resturlaub des
ausscheidenden Mitarbeiters P hätte sich der Beklagte im Vorfeld informieren und für
die verantwortliche Beauftragung eines anderen Mitarbeiters sorgen müssen.
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Ein Organisationsverschulden liegt darin, dass der Beklagte es bei der Einteilung des
Mitarbeiters L unterließ, dessen Verwendung für die Verwertung nicht nur diesem selbst
gegenüber anzuordnen, sondern auch durch eine klare Weisung gegenüber I
sicherzustellen, dass dieser ihn nicht zu anderen Arbeiten heranzog.
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Bezüglich beider Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin besteht weiterhin ein
gravierendes Überwachungsverschulden, indem der Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt
mit konkreten Fakten darüber berichten ließ, mit welchem Erfolg und ob überhaupt diese
die Verwertung betrieben. Dass es dem Beklagten bis zuletzt entging, dass der mit der
Verwertung beauftragte Mitarbeiter P ab Anfang Juni 2001 Resturlaub hatte, ist
ausreichender Beleg dafür, dass diesem gegenüber überhaupt keine Überwachung
stattfand. Damit hat der Beklagte die ihm nach § 60 Abs. 2 InsO verbleibende
Überwachungspflicht verletzt.
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Wenn der Beklagte meint, von den Mitarbeitern "hintergangen" worden zu sein,
untermauert dies gerade sein Auswahlverschulden, insbesondere hinsichtlich des
Betriebsleiters I, der als Prokurist des Nachfolgeunternehmens naheliegender Weise
andere wirtschaftliche Interessen als er, der Insolvenzverwalter, verfolgte und aus
diesem Grunde den Mitarbeiter L von der Verwertung abgezogen haben soll. Wer trotz
des latenten Interessenskonfliktes dem Vertreter des Nachfolgeunternehmens
umfassende Vollmacht erteilt, muss besonders streng überwachen, dass seine
Vorgaben umgesetzt und die mit besonderen Aufgaben betrauten Mitarbeiter bei deren
Erledigung nicht behindert werden.
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Dass es im Übrigen – wie auch hier – zwischen den Mitarbeitern eines
Schuldnerunternehmens und dem Insolvenzverwalter zu Animositäten kommen kann,
gehört zum normalen Geschäft des Insolvenzverwalters, was seine
Überwachungspflicht für sensible Bereiche gerade begründet. Er muss geeignete
Vorkehrungen treffen, um von den Mitarbeitern nicht so hintergangen zu werden, wie er
es hier für sich entschuldigend reklamiert. Es hätte dafür genügt, sich den
Zwischenstand der Verwertung gelegentlich durch belastbare Sachstandsmitteilungen
berichten und ggf. belegen zu lassen. Stattdessen hat der Beklagte nicht ein einziges
wirkliches Faktum abgefragt, sondern schlicht darauf vertraut, dass die Beschäftigten
des Unternehmens bei Schwierigkeiten mit der Verwertung von sich aus auf ihn
zukämen. Das genügt den Anforderungen des § 60 Abs. 2 InsO an die Überwachung
ihrer Tätigkeit nicht ansatzweise.
24
2.
25
Wäre die Insolvenzmasse um 529.904,64 EUR reicher, weil der Beklagte den
Warenbestand zu dem von ihm selbst als angemessen angesehenen Wert verkauft
hätte, und wären der Insolvenzmasse überdies die Kosten der erfolglos geführten
Prozesse gegen die Fa. G GmbH & Co. KG sowie gegen deren Prokuristen I erspart
geblieben sowie weiterhin die Kosten der (im übrigen unzutreffenden) gutachterlichen
Stellungnahme des Rechtsanwalts O betreffend die Haftung des Beklagten, dann wären
alle Massegläubiger und auch die Klägerin mit ihren Masseforderungen vollständig
bedient worden.
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Unter diesen Voraussetzungen kann der eingetretene Schaden nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 159, 104, 111 f.) als Einzelschaden
geltend gemacht werden. Der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters in
entsprechender Anwendung des § 92 Satz 2 InsO, wie sie von Teilen der
Literaturmeinung gefordert wird (z.B. Uhlenbruck, InsO, § 92 Rdnr. 22), bedarf es nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier nicht. Denn es geht hier um Vorgänge
vor Anzeigen der Masseunzulänglichkeit unter dem 12.10.2001.
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3.
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Als Schaden hat der Beklagte die gegenüber der Masse nicht realisierbaren
Forderungen der Klägerin zu ersetzen. Hierzu gehören – neben den titulierten
Forderungen – auch die geltend gemachten Zinsen sowie die durch
Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bochum vom 24.02.2004 – 4 O 283/01 –
aus dem Kostenfestsetzungsverfahren herausgenommenen
Prozesskostenerstattungsansprüche, da diese ohne die Pflichtverletzung des Beklagten
ebenfalls aus der Masse hätten bedient werden können.
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Der noch bestehende Anspruch der Klägerin gegen die Masse mindert den Schaden
nicht, da Masseunzulänglichkeit angezeigt und eine Zahlung nicht absehbar ist (vgl.
BGH, NJW 2004, 3334). Der Beklagte kann daher lediglich die Abtretung des
Anspruchs an ihn verlangen, soweit er die Klägerin befriedigt (Bank, NZI 2005, 478,
482).
30
II.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
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