Urteil des OLG Hamm vom 24.03.2009

OLG Hamm: geschwindigkeitsüberschreitung, beweiswürdigung, fahrverbot, höchstgeschwindigkeit, bindungswirkung, könig, betrug, datum

Oberlandesgericht Hamm, 3 SsOWi 844/08
Datum:
24.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 SsOWi 844/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 10 OWi 589/08
Schlagworte:
Vorbelastung, Tatbestandskennziffer
Normen:
StVG § 25 Abs. 1, BKatV § 4 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
Zur Bedeutung der Tatbestandskennziffern bei der Feststellung von
straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht C
zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der
Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt und gegen ihn ein
Fahrverbot von 1 Monat unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" verhängt. Nach den
Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene mit seinem PKW am 16.10.2007
die B66/M-Straße in C stadteinwärts. In Höhe der M-Straße wurde mittels des
stationären Geschwindigkeitsmessgerätes
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Truvelo M42 eine Geschwindigkeit von 105 km/h gemessen, von dem das Amtsgericht
einen Toleranzabzug von 4 km/h vorgenommen hat. Die zulässige
Höchstgeschwindigkeit betrug an der besagten Stelle 70 km/h.
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Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsbeschwerde wurde unbeschränkt erhoben
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und ist nicht (hinreichend deutlich) durch den Schriftsatz vom 17.03.2009 beschränkt
worden.
II.
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1.
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Die zulässig erhobene und begründete Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge
teilweise Erfolg.
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Die Feststellungen im angefochtenen Urteil tragen weder die Verdoppelung der in der
BKatV, Anhang zu Nr. 11 der Anlage, Tabelle 1 c Nr. 11.3.6., für
Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften
vorgesehenen Regelgeldbuße von 75 Euro, noch die Verhängung eines Fahrverbots
nach § 25 Abs. 1 StVG i. V. m. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV.
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a) Die Verdoppelung der Regelgeldbuße wird lediglich mit den "zahlreichen
einschlägigen Voreintragungen" des Betroffenen begründet. Aus den
Urteilsfeststellungen lässt sich nur entnehmen, dass für den Betroffenen insgesamt 6
Voreintragungen im Verkehrszentralregister verzeichnet sind. Welcher Art und Schwere
die zu Grunde liegenden Verstöße waren, ergibt sich daraus nicht. Feststellungen
hierzu sind aber erforderlich, um zu dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der
rechtlichen Fehlerfreiheit der Verdoppelung des Regelsatzes zu ermöglichen.
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b) Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich letztlich auch nicht zweifelsfrei die
Voraussetzungen der erforderlichen Vorbelastung i. S. v. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV.
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Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich zwar noch hinreichend
entnehmen, dass der datumsmäßig in den Feststellungen nicht näher bezeichnete
Beschluss des Amtsgerichts O, das wegen fahrlässiger
Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften gegen den
Betroffenen eine Geldbuße von 200 Euro verhängt hat, offenbar der (nach dem
erkennenden Gericht) nicht näher bezeichnete Beschluss vom 24.07.2007, rechtskräftig
seit dem 10.08.2007, ist,
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in dem wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung vom 46 km/h eine Geldbuße
verhängt wurde.
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Die diesen Feststellungen zu Grunde liegende Beweiswürdigung begegnet jedoch
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt
einer eingeschränkten Prüfung des Revisionsgerichts. Es darf die Beweiswürdigung nur
auf Rechtsfehler überprüfen. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung insbesondere,
wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denk- und
Erfahrungssätze verstößt (BGH NStZ 1983, 277, 278; OLG Hamm Beschl. v. 27.01.2009
– 3 Ss 567/08; OLG Hamm Beschl. v. 06.12.2007 - 3 Ss 492/07; OLG Hamm Beschl. v.
29.08.2001 - 2 Ss 488/01).
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Die Beweiswürdigung ist hier lückenhaft, weil sie keine geschlossene Darstellung der
für § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV relevanten Vorverurteilung beinhaltet und letztlich nur auf
Mutmaßungen beruht. Das amtsgerichtliche Urteil, das alleinige
Entscheidungsgrundlage des Rechtsbeschwerdegerichts im Rahmen der Sachrüge ist,
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lässt noch den Schluss zu, dass es sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts O um
einen Beschluss nach § 72 Abs. 6 OWiG handelt, welcher keine Gründe enthält. Im
angefochtenen Urteil heißt es nämlich insoweit: "Der rechtskräftige Beschluss des
Amtsgerichts O geht eindeutig von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 41-50
km/h aus, was sich sowohl aus der Höhe der verhängten Geldbuße als auch aus der
angegebenen Tatbestandskennziffer ergibt. Zugunsten des Betroffenen ist in diesem
Verfahren, auf seine Anregung hin, von einem Fahrverbot gegen die Verdoppelung der
Geldbuße abgesehen worden". Das Amtsgericht teilt aber im angefochtenen Urteil
bereits nicht mit, worauf diese letztgenannte Feststellung beruht. Als wahr unterstellt hat
es lediglich, dass das Amtsgericht O den Einwänden des Betroffenen nicht
nachgegangen ist. Die Wahrunterstellung bezieht sich nach der Formulierung auf S. 4
UA nur hierauf. Daher kann der Rückschluss im angefochtenen Urteil von der Höhe der
vom Amtsgericht O verhängten Geldbuße auf die Höhe der
Geschwindigkeitsüberschreitung vom Rechtsbeschwerdegericht nicht nachvollzogen
werden. Denn auch die dortige Geldbuße kann ggf. eine deutliche Erhöhung eines
Regelsatzes darstellen und gibt daher keinen Aufschluss über die Höhe der früheren
Geschwindigkeitsüberschreitung.
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Die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ergibt sich auch nicht aus der
Tatbestandskennziffer im Beschluss des Amtsgerichts O. Abgesehen davon, dass diese
schon nicht im angefochtenen Urteil mitgeteilt wird, also der Senat auch nicht
überprüfen kann, ob das Amtsgericht von der Tatbestandskennziffer auf den richtigen
Verkehrsverstoß geschlossen hat, handelt es sich bei den bundeseinheitlichen
Tatbestandskatalog für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, wie er vom
Kraftfahrbundesamt herausgegeben wird, und dem die Tatbestandskennziffern
entnommen werden, lediglich um eine verwaltungsinterne Richtlinie, die keine
Bindungswirkung für das Gericht entfaltet (OLG Hamm Beschl. v. 23.01.2007 – 2 SsOWi
896/06 – juris; OLG Jena Beschl. v. 23.05.2006 – 1 Ss 54/06 – juris; vgl. auch OLG
Düsseldorf v. 15.06.2000 – 2a SsOWi 129/00 - juris; König in: Hentschel/u.a.
Straßenverkehrsrecht 40. Aufl. § 24 StVG Rdn. 64). Die Angabe der Kennziffer dient
lediglich Eintragungszwecken in das Verkehrszentralregister (vgl. OLG Hamm Beschl. v.
01.12.2005 – 2 SsOWi 811/05 – juris). Maßgeblich für die Feststellung, weswegen die
Verurteilung erfolgte, ist indes die gesamte Entscheidung, insbesondere der Tenor, nicht
nur die (ohnehin nicht konstitutive) Angabe der Kennziffer, der allenfalls eine
Indizwirkung zukommt.
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2.
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Die weitergehende Rechtsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet im Sinne von
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§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des Schuldspruchs auf die
Sachrüge hin hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Soweit in
der Rechtsbeschwerdebegründung eine Verfahrensrüge zu erblicken ist, ist diese nicht
den Begründungsanforderungen nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO
genügend ausgeführt. Im übrigen betrifft die dortige Beanstandung allein den
Rechtsfolgenausspruch, der aber schon auf die Sachrüge hin aufzuheben war, so dass
es insoweit keiner näheren Erörterung mehr bedarf.
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3.
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Eine eigene Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 79 Abs. 6 OWiG
schied mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen im angefochtenen Urteil aus.
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