Urteil des OLG Hamm vom 16.01.2006

OLG Hamm: geburt, hebamme, grad des verschuldens, empfehlung, eltern, betreiber, versorgung, anfang, schmerzensgeld, dokumentation

Oberlandesgericht Hamm, 3 U 207/02
Datum:
16.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 207/02
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 441/99
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. August 2002 verkündete
Teil-Versäumnisurteil und Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
Arnsberg in Bezug auf die Beklagte zu 2) und im Kostenpunkt teilweise
abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte zu 2) wird als Gesamtschuldnerin neben dem bereits
verurteilten Beklagten zu 1) verurteilt, an den Kläger ein
Schmerzensgeld in Höhe von 260.000,-- Euro nebst 4 % Zinsen seit
dem 01.07.1997 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldnerin
neben dem verurteilten Beklagten zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger
sämtliche künftigen immateriellen Schäden sowie alle vergangenen und
künftigen materiellen Schäden, die aus der fehlerhaften Behandlung im
Zusammenhang mit der Geburt des Klägers vom 5. Januar 1997
entstanden sind, bzw. entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergegangen sind oder übergehen werden.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen und die
weitergehende Klage gegenüber der Beklagten zu 2) bleibt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Gerichtskosten erster und zweiter Instanz je zu ½,
ferner die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) sowie
6/16 seiner eigenen außergerichtlichen Kosten.
Der Beklagte zu 1) trägt ¼ der Gerichtskosten erster Instanz, seine
eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 1/16 der außergerichtlichen
Kosten des Klägers.
Die Beklagte zu 2) trägt ¼ der Gerichtskosten erster Instanz, ½ der
Gerichtskosten zweiter Instanz sowie die Gerichtskosten des
Revisionsverfahrens. Ferner trägt sie ihre eigenen außergerichtlichen
Kosten und 9/16 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte zu 2) darf die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Der am 05.01.1997 im Geburtshaus T3 geborene Kläger hat ursprünglich die Beklagten
zu 1) bis 4) auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Geburtshilfe in Anspruch
genommen. Der frühere Beklagte zu 1) (nachfolgend Dr. P.) war als Gynäkologe in T3
niedergelassen und betreute die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft. Dr.
P., der schon vor dieser Geburt gelegentlich in Notfällen für das Geburtshaus T3 tätig
geworden war, war auch an der Geburt des Klägers unmittelbar beteiligt. Eine
Versicherung des Geburtshauses für ärztliche Geburtshelfer außerhalb von
Notfalltätigkeiten bestand nicht. Über diesen Umstand wurde nicht mit den Eltern des
Klägers gesprochen. Die Beklagte zu 2) (nachfolgend: die Beklagte), gegen die sich
jetzt nur noch das Verfahren richtet, ist Hebamme und betreibt seit 1994 das
Geburtshaus T3. Der frühere Beklagte zu 3) – der Ehemann der Beklagten und Zeuge
Dr. van E – ist Facharzt für Anästhesiologie und führt den Titel "Dr. in Medizin,
Heilkunde und Geburtshilfe". Er betreibt im gleichen Gebäude mit dem Geburtshaus
eine eigene Praxis sowie ein Zentrum für ambulante Operationen, in dessen Räumen
andere Ärzte aufgrund von Vereinbarungen operative Eingriffe vornehmen können, so
auch der Gynäkologe Dr. P.. Die frühere Beklagte zu 4) war ebenfalls als Hebamme im
Geburtshaus tätig.
3
Nach Feststellung der Schwangerschaft wurde die Mutter des Klägers gynäkologisch
von Dr. P. betreut und war bereits seit Mai 1996 wiederholt im Geburtshaus bei der
Beklagten. Am 26.11.1996 stellte Dr. P. einen Einweisungsschein "zur Verordnung von
Krankenhausbehandlungen" aus, mit dem die Mutter des Klägers sich am selben Tage
in dem Geburtshaus der Beklagten anmeldete und dort die "Anmeldung zur ambulanten
Geburt" unterzeichnete. Darin sind als betreuende Hebamme die Beklagte und als
betreuender Arzt Dr. P. aufgeführt. Daneben ist auch das gewünschte Krankenhaus für
den Fall des Abbruchs der ambulanten Geburt bzw. einer sectio sowie das
Einverständnis enthalten, dass die Kindesmutter bei Bedarf in ein Krankenhaus verlegt
wird und die Entscheidung zur stationären Einweisung von der Hebamme bzw. dem zu
Rate gezogenen Arzt getroffen wird.
4
In dem Prospekt des Geburtshauses der Beklagten, den die Eltern des Klägers
unstreitig von ihr erhalten hatten, heißt es u. a.:
5
"Das Geburtshaus T3 hat einen Weg gefunden, ... technische und menschliche Obhut
miteinander zu verbinden: Schwangere, die eine unkomplizierte Geburt erwarten, haben
alle Freiheiten zur Selbstbestimmung des Geburtsvorganges. Andererseits haben sie
aber auch die Gewißheit, dass alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen für eventuelle
Risikofälle bereit gehalten werden. ...
6
... Auch bei allen Alternativen werden keinesfalls die Sicherheit oder ärztliche Betreuung
außer Acht gelassen: Ein Team von erfahrenen Hebammen ... wird ergänzt durch
ortsansässige und schnell verfügbare Gynäkologen, Anästhesisten und Kinderärzte.
7
Unmittelbare Notfälle (Kaiserschnitt, Nachgeburtsretension, Dammrisse) können in
hauseigenen OP-Räumen behandelt werden."
8
Darüber hinaus ist an anderer Stelle des Prospektes unter der Frage, wer im
Geburtshaus T3 ambulant entbinden kann, noch davon die Rede, dass in bestimmten
Fällen auch bei Steißlagen eine ambulante Geburt erfolgen kann, jedoch nur nach
Absprache "mit einem unserer Gynäkologen".
9
Die Mutter des Klägers kam zunächst am 29.12.1996 nach nächtlichen Wehen zur
Beklagten in das Geburtshaus und wurde von dieser nach einer Untersuchung wieder
nach Hause entlassen. Da der errechnete Geburtstermin bereits überschritten war, war
die Kindesmutter zu jener Zeit regelmäßig in der Praxis bei Dr. yr Untersuchung. Am
05.01.1997 schickte Dr. P. die Mutter des Klägers nach Untersuchung wegen der
bevorstehenden Geburt in das Geburtshaus und kündigte sie dort telefonisch gegenüber
der Beklagten an. Gegen 12.30 Uhr erschienen die Kindeseltern im Geburtshaus. Die
Mutter des Klägers wurde von der Beklagten betreut und untersucht. Bei der
Untersuchung kam es zur Eröffnung der Fruchtblase und zum Abgang von dick grünem
Fruchtwasser, was die Beklagte telefonisch Dr. P. mitteilte. Dieser ordnete an, dass die
Kindesmutter nicht verlegt, sondern ein Wehentropf angelegt werden sollte.
Entsprechend dieser Weisung legte die Beklagte um 14.00 Uhr einen Wehentropf an,
obgleich sie nach ihren eigenen Angaben die Anordnung für nicht in Ordnung und sogar
- richtigerweise - für unsinnig hielt. Aufgrund der eintretenden Reaktion des Kindes
(Dips I) stellte sie den Tropf nach 5 Minuten wieder ab. Dr. P. erschien erst um 15.00 Uhr
im Geburtshaus und ordnete später eine Vakuumextraktion an, an der auch die Beklagte
mitwirkte. Nach einem 65 minütigen vaginal-operativen Geburtsvorgang wurde der
Kläger um 19.10 Uhr geboren und anschließend in eine Kinderklinik verlegt. Der Kläger
zeigte nach der Geburt ein schweres neurologisches Durchgangssyndrom mit
schwerwiegenden Störungen. Er ist körperlich und geistig schwerst behindert.
10
Wegen der Einzelheiten der Einträge in der ausschließlich von der Beklagten geführten
Dokumentation zum Geburtsverlauf (Hülle Bl. 218) wird auf die Seiten 4 und 5 des
Senatsurteils vom 18.06.2003 (Bl. 764 R, 765) Bezug genommen. In der mündlichen
Verhandlung vor dem Landgericht Arnsberg haben die Parteien den dokumentierten
Geburtsverlauf unstreitig gestellt.
11
Die Eintragungen im Geburtenbuch sowie die Eintragungen zur Geburt im Mutterpaß
stammen von der Beklagten, die anschließend unter dem 08.01.1997 eine
Geburtspauschale gegenüber der Mutter des Klägers in Rechnung stellte (vgl. Bl. 450
12
GA) sowie eine Abrechnung des Geburtshauses an die BEK T3 vom 06.01.1997 fertigte
(Bl. 379 bis 381 in Sonderband II), u. a. mit der Position Geburt im K’Haus nebst
Wochenendzuschlag. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts sowie der
Senatsentscheidung vom 18.06.2003 Bezug genommen.
Der Kläger, der seine Schädigung auch der Beklagten anlastet, verlangt von dieser als
Gesamtschuldnerin mit Dr. P. die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes
sowie die Feststellung ihrer gesamtschuldnerischen Ersatzpflicht.
13
Das Landgericht hat der gegenüber dem früheren Beklagten zu 1) nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen auf Feststellung zur Insolvenztabelle
umgestellten Klage durch inzwischen rechtskräftiges Teilversäumnisurteil vom
15.08.2002 unter Bemessung des Schmerzensgeldes auf 260.000,-- Euro nebst Zinsen
stattgegeben, jedoch die Klage gegen die übrigen Beklagten abgewiesen.
14
Die gegen die Beklagten zu 2) und 3) – die Eheleute van E – gerichtete Berufung hat
der Senat nach Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. W mit Urteil vom 18.06.2003
zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der
Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 25.11.2003 die Revision hinsichtlich der
Beklagten zu 2) zugelassen und durch das Urteil vom 07.12.2004 (Aktenzeichen VI ZR
212/03) das Senatsurteil vom 18.06.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
über die Klage gegen die Beklagte zu 2) zum Nachteil des Klägers entschieden worden
ist.
15
Der Kläger verfolgt gegenüber der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung seines
bisherigen Sachvortrages – insbesondere zur Haftung als Betreiberin des
Geburtshauses – sein Rechtsmittel weiter. Im Hinblick auf die Entscheidung des
Bundesgerichtshofes macht er geltend, dass nach dem gesamten Ablauf ein Vertrag mit
der Beklagten über eine umfassende Geburtsleitung zustande gekommen sei. Aus
diesem Vertrag sei sie auch zur Aufklärung über die fehlende Haftpflichtversicherung
des Dr. P. verpflichtet gewesen, da ihr dieser Umstand positiv bekannt gewesen sei.
Ferner ist er der Ansicht, dass die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses sowie als
Hebamme auch deliktisch für den eingetretenen Schaden verantwortlich sei.
16
Der Kläger beantragt,
17
unter entsprechender Abänderung des Teilversäumnisurteils und Urteils des
Landgerichts Arnsberg vom 15. August 2002
18
1.
19
die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner mit dem durch das Teilversäumnisurteil
vom 15. August 2002 bereits verurteilten Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn aus
der grob fehlerhaften Behandlung vom 5. Januar 1997 ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des
Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 255.646,-- Euro nebst 8 % Zinsen seit
dem 1. Juli 1997,
20
2.
21
festzustellen, dass die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldnerin neben dem bereits
verurteilten Beklagten zu 1) verpflichtet ist, ihm sämtliche künftigen immateriellen
Schäden sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm aus
der grob fehlerhaften Behandlung vom 5. Januar 1997 entstanden sind, bzw.
entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen
werden.
22
Die Beklagte beantragt,
23
die Berufung zurückzuweisen.
24
Die Beklagte wendet sich weiterhin gegen jegliche Haftung und vertritt die Auffassung,
dass die Ausführungen des Bundesgerichtshofes den hier maßgeblichen Sachverhalt
nicht treffen würden.
25
Es sei hier an sich gar keine normale Entbindung im Geburtshaus anzunehmen.
Vielmehr habe ein einmaliger Fall insofern vorgelegen, als von Anfang an nur eine
Geburt unter Leitung und alleiniger Verantwortung von Dr. P. geplant gewesen sei, wie
sich schon aus der eigenen Darstellung des Geburtsverlaufs durch den Kindesvater
(vgl. Anlage K 5 zur Klageschrift, Bl. 45 GA) ergebe. Die Kindesmutter habe stets die
Entbindung durch Dr. P. gewollt und sich auch dementsprechend geäußert. Sie – die
Beklagte – habe zusammen mit ihrem Ehemann auch mit Dr. Q über die Entbindung
gesprochen, die dieser in ihren Räumlichkeiten machen wollte. Da er keine Belegbetten
hatte, habe sie - so meint die Beklagte - lediglich ihre Räumlichkeiten und ihre
Einrichtung an Dr. P. für die Durchführung der Geburt überlassen. Der frühere Beklagte
zu 1) habe mithin bei seiner Tätigkeit keine vertraglichen Pflichten der Beklagten
gegenüber der Kindesmutter erfüllt. Vielmehr sei Dr. P. allein für die Kindeseltern direkt
tätig geworden. Sie habe lediglich im Rahmen von Anweisungen des Dr. P. an der
Geburtsvorbereitung und Durchführung mitgewirkt; sämtliche medizinischen Leistungen
aber seien - vergleichbar der Situation in einem Belegkrankenhaus - durch die Eltern
allein von Dr. P. erwartet und von diesem geschuldet worden. Schon durch die
Anmeldung habe die Kindesmutter die Entscheidung über eine eventuelle Verlegung
ausschließlich auf Dr. P. als den Geburtsarzt übertragen.
26
Im übrigen hafte sie auch deshalb nicht für die operative Geburt, da diese nicht mehr im
Geburtshaus selbst stattgefunden habe, sondern in den OP-Räumen ihres Ehemannes,
die Dr. P. auch selber aufgrund von entsprechenden Vereinbarungen nutzen durfte. Ihre
Kompetenz sei nicht mehr gegeben gewesen und sie habe trotz von Anfang an
bestehender Bedenken weder als Betreiberin noch als Hebamme gegen die
Geburtsleitung von Dr. P. aktiv vorgehen müssen. Auch habe sie bei Beginn der
verhängnisvollen Vakuum-Extraktion keine Kenntnis vom Höhenstand des Klägers
gehabt.
27
Schließlich rügt die Beklagte die fehlende Kausalität des Geschehens im Geburtshaus
für die eingetretenen Gesundheitsschäden des Klägers.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages wird auf die in der Berufungs- und
Revisionsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
29
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 30.05.2005 (Bl. 791 d.A.) ein weiteres schriftliches
30
Sachverständigengutachten von Prof. Dr. W eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf
das Gutachten vom 05.09.2005 Bezug genommen. Ferner hat der Senat den
Sachverständigen im Termin ergänzend angehört, den Ehemann der Beklagten – den
frühreren Beklagten zu 3) – als Zeugen vernommen sowie erneut die Beklagte und die
Kindeseltern angehört. Auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom
21.11.2005 wird insoweit Bezug genommen.
II.
31
Die Berufung des Klägers gegenüber der Beklagten ist begründet.
32
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld
aus den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a. F. sowie im Rahmen des Feststellungsausspruches
einen Anspruch auf materiellen Schadensersatz auch aus der schuldhaften Verletzung
des zwischen seiner Mutter und der Beklagten bestehenden Behandlungsvertrages, in
dessen Schutzbereich er einbezogen ist.
33
1.
34
Vertragliche Ansprüche:
35
Aus dem zwischen seiner Mutter und der Beklagten zustande gekommenen
Behandlungsvertrag, aus dem die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses eine
umfassende Betreuung und Versorgung bei der Geburt vom 05.01.1997 schuldete,
stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Vertragsverletzung
zu.
36
a)
37
Es ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass überhaupt ein Vertrag zwischen der
Mutter des Klägers als Patientin und der Beklagten abgeschlossen worden ist, da
anderenfalls selbst aus Sicht der Beklagten schon die erfolgte Abrechnung nicht
verständlich wäre. Im Streit steht hingegen der Inhalt der geschlossenen Vereinbarung
und der Umfang der daraus resultierenden Pflichten der Beklagten, speziell in Bezug
auf ihre Eigenschaft als Betreiberin der Einrichtung. Soweit die Beklagte hierzu geltend
macht, dass aufgrund der von Anfang an von den Kindeseltern gewünschten Leitung
und Durchführung der Geburt durch Dr. P. mit der Anmeldung vom 26.11.1996 kein
normaler Geburtshausvertrag mit den anhand der Prospektangaben konkretisierbaren
Verpflichtungen gegeben, sondern ein atypischer und einmaliger Sonderfall
anzunehmen sei, bei dem neben der Stellung sächlicher Mittel nur Hilfsdienste als
Hebamme für Dr. P. bei der Geburt geleistet werden sollten, vermag der Senat dieser
Auffassung nicht zu folgen. Der vorliegende Sachverhalt ist ebenfalls nicht dem Fall
eines Belegkrankenhauses vergleichbar, so dass nicht davon ausgegangen werden
kann, die Beklagte habe nicht die Organisation und Koordination ärztlicher Leistungen
geschuldet und Dr. P. sei in keiner Weise für sie tätig geworden.
38
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und unter Würdigung aller Umstände
ist bei interessengerechter Auslegung vielmehr festzustellen, dass zwischen der
Kindesmutter und der Beklagten ein Geburtshausvertrag über eine vollständige und
umfassende Versorgung der werdenden Mutter entsprechend den Angaben im Prospekt
zustande gekommen ist.
39
Die Beklagte und die Kindesmutter haben bei der Anmeldung vom 26.11.1996 einen
uneingeschränkten Geburtshausvertrag abgeschlossen, da nach den eigenen Angaben
der Beklagten im Senatstermin weder bei dieser Gelegenheit noch zu einem anderen
Zeitpunkt anderweitige Abreden mit der Kindesmutter getroffen wurden. Nach den
Angaben der Beklagten ist am Anfang des Kontaktes nur allgemein über die Geburt und
die von den Kindeseltern gewünschte Begleitung durch Dr. P. gesprochen worden, nicht
aber etwa darüber, dass die Beklagte bei der Geburt im Geburtshaus keine
Kompetenzen haben oder sonstige Abweichungen vom Prospekt gelten sollten. Die
Beklagte hat auch den Kindeseltern nicht mitgeteilt, dass Dr. P. nicht über ihr
Geburtshaus versichert war.
40
Bei dieser Sachlage bestand für die Kindesmutter keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der
Behandlungsvertrag nicht mit einem den Prospektangaben entsprechenden Inhalt
zustande kommen sollte. Die von ihr gewünschte Begleitung und Beteiligung von Dr. P.
am Geburtsverlauf gab aus ihrer Sicht keinen Grund, dass sich an den vertraglichen
Beziehungen zur Beklagten etwas änderte. Der Wunsch der Kindesmutter war der
Beklagten lange bekannt, ohne dass dies Anlaß zu irgendwelchen Zusatzabreden oder
Hinweisen gegeben hätte. Außerdem war in dem Prospekt selbst unter dem
Gesichtspunkt der Sicherheit von einer Ergänzung durch Ärzte die Rede. Dr. P. wurde
als betreuender Arzt ausdrücklich im Anmeldeformular eingetragen. Ob und welche
Abreden in diesem Zusammenhang zwischen der Beklagten und Dr. P. getroffen
wurden, ist demgegenüber unerheblich, da dies allein deren internes Verhältnis betraf,
nicht aber die Vertragsbeziehung der Beklagten zur Kindesmutter.
41
Aufgrund der oben wiedergegebenen Passagen des Geburtshausprospektes konnte die
Kindesmutter bei Unterzeichnung der Anmeldung davon ausgehen, dass die Beklagte
als Betreiberin der Einrichtung die volle organisatorische Verantwortlichkeit für alle im
Rahmen der Geburtshilfe erforderlichen medizinischen Maßnahmen einschließlich des
ärztlichen Beistandes sowie einer ggfls. notwendigen Verlegung der Patientin und/oder
des Kindes in eine Klinik übernahm.
42
Nach den Angaben im Prospekt, die eine umfassende Betreuung und Versorgung
ähnlich einer Krankenhausaufnahme ankündigten, konnte die Klägerin mangels
einschränkender Angaben erwarten, die Beklagte treffe die hierfür erforderlichen
organisatorischen Maßnahmen und werde insbesondere die erforderlichen Räume,
Instrumente und Apparate vorhalten sowie das benötigte Personal bereitstellen und
koordinieren.
43
Die sehr auf Sicherheit bedachten Kindeseltern, die speziell wegen ihrer zuvor im
Zusammenhang mit einer Fehlgeburt gemachten Erfahrungen auf eine stets erreichbare
und für alle Eventualitäten zuständige Versorgung Wert legten, haben aufgrund des
Vorhandenseins eines ständigen Ansprechpartners das Geburtshaus ausgewählt, da –
wie der Kindesvater erläutert hat – nach den Angaben der Beklagten auch noch ihr
Ehemann als Arzt zur Verfügung stand und auch sonst immer ein Arzt erreichbar wäre.
Gerade die Gewährung dieser umfassenden Geburtsbetreuung war auf Seiten der
Kindesmutter für den Vertragsschluß mit der Beklagten von maßgeblicher Bedeutung.
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Wie bei der Aufnahme in einer Geburtsklinik wurde von der Beklagten als Betreiberin
und Trägerin der Einrichtung eine vollständige Betreuung bei der Geburt unter Einsatz
der notwendigen personellen und sachlichen Mittel geschuldet. Die Beklagte hatte
45
umfassende eigene Pflichten zur organisatorischen Abwicklung und Sicherstellung der
Geburt, wobei es völlig unerheblich war, ob es sich – entsprechend dem Prospekt – um
hauseigene OP-Räume handelte oder sie nur ein Nutzungsrecht hatte. Auch ein
daneben ggfls. bestehendes Nutzungsrecht von Dr. P. gegenüber dem früheren
Beklagten zu 3) hinsichtlich der OP-Räume ist im Verhältnis der Kindesmutter zur
Beklagten unerheblich. Im Verhältnis zur Kindesmutter war die Beklagte ähnlich einem
Krankenhausträger zur umfassenden Gewährleistung der Entbindung in sächlicher
Hinsicht sowie in medizinisch-ärztlicher und sonstiger personeller Hinsicht verpflichtet.
Diese Bewertung der Vertragsbeziehung wird letztlich auch durch die faktische Tätigkeit
der Beklagten am 29.12.1996 sowie 05.01.1997 bestätigt. Am 29.12.1996 hat sie ohne
Rücksprache mit Dr. P. die Entscheidung getroffen, die Mutter des Klägers nach der
Untersuchung wieder nach Hause zu entlassen. Auch am 05.01.1997 ist sie aktiv tätig
geworden. Sie hat die Kindesmutter nach deren Eintreffen nicht nur untersucht und
dabei die Fruchtblase eröffnet, sondern nach Anlage des Wehentropfes eigenständig
über dessen Entfernung entschieden. Darüber hinaus hat allein sie eine Dokumentation
über den Geburtsverlauf geführt und die Eintragungen im Geburtenbuch und im
Mutterpaß vorgenommen. Letztlich hat die Beklagte – nach ihren eigenen Angaben im
Senatstermin – erst im Geburtsverlauf geäußert, dass dies jetzt nicht mehr ihre Geburt
sei und sie die Verantwortung ablehne, nachdem es nicht zu der von ihr gewünschten
Verlegung der Kindesmutter in ein Krankenhaus gekommen war.
46
Die Angaben im Schreiben der Frau I vom 03.03.2000 (Bl. 248 GA), auf dessen
Richtigkeit sich beide Parteien berufen, stehen der Annahme einer umfassenden
Verpflichtung der Beklagten ebenso wenig entgegen wie die von der Beklagten
vorgetragenen Äußerungen der Kindesmutter über die von Anfang an geplante Leitung
der Geburt durch Dr. P. gegenüber Dritten. Dr. P. war nach den nachvollziehbaren
Angaben der Kindeseltern aus Sicherheitsgründen von Anfang an durchaus in die
Geburtsbegleitung und Geburtsdurchführung einbezogen und sollte als zusätzlicher
Faktor neben dem Geburtshaus – zur Verfügung stehen. Es war jedoch zwischen der
Kindesmutter und der Beklagten nicht vereinbart, dass dadurch die eigene
Leistungspflicht des Geburtshauses entsprechend den Prospektangaben teilweise
entfallen sollte. Nach den eigenen Bekundungen der Beklagten ist weder bei der
Anmeldung noch sonst über derartige Beschränkungen gesprochen worden. Aus der
maßgeblichen Sicht der Kindesmutter konnte und durfte diese die abgeschlossene
Vereinbarung über die ambulante Geburt im Haus der Beklagten dahin verstehen, dass
die Beklagte eine umfassende Betreuung und Versorgung bei der Geburt schuldete. Die
daneben ggfls. bestehenden Abreden und Verpflichtungen im Verhältnis der
Kindesmutter zu Dr. P. führen zu keiner anderen Bewertung, da diese Verpflichtungen
allenfalls im Sinne eines neben der Rechtsbeziehung zum Träger der
Geburtseinrichtung bestehenden Arztzusatzvertrages aufzufassen sind.
47
Aus dem überlassenen Prospekt kam ebenfalls nicht zum Ausdruck, dass im
Geburtshaus die Organisation und Erbringung der ärztlichen Leistungen in einer einem
Belegkrankenhaus vergleichbaren Weise von den sonstigen Leistungen abgetrennt sein
und ausschließlich in den Verantwortungsbereich des hinzuzuziehenden Arztes fallen
sollten. Dies ist nach dem Geburtshausprospekt ersichtlich nicht gewollt und vorliegend
nicht als Ausnahmeregelung verabredet worden, weder ausdrücklich noch konkludent.
48
Ob die Beklagte eventuell aufgrund der von ihr vorgebrachten Unterredungen im
Sommer 1996 mit Dr. P. ihre Verpflichtungen als organisatorisch verantwortliche
49
Trägerin des Geburtshauses neben ihrer Stellung als Hebamme bei der konkreten
Geburt verkannt hat, ist für den Inhalt des Vertrages der Kindesmutter ohne Belang. Für
eine möglicherweise darauf beruhende Fehleinschätzung ihrer Verpflichtung kann sie
keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen. Auch und gerade dann, wenn
dies für sie "der einzige derartige Fall im Geburtshaus mit Begleitung durch einen Arzt
war", hätte sie den Eltern klar machen müssen, dass sie damit (angeblich) die
Vorstellung verband, ihre als Betreiberin des Hauses grundsätzlich selbständige und
von den Weisungen zugezogener Ärzte unabhängige Stellung entgegen der durch den
Prospekt und andere Umstände begründeten Erwartung aufgegeben zu haben.
b)
50
Im Rahmen dieses umfassenden Behandlungsvertrages zwischen dem Geburtshaus
der Beklagten und der Kindesmutter muß sich die Beklagte das Verhalten von Dr. P.
nach § 278 BGB zurechnen lassen. Dr. P. war nach den tatsächlichen Gegebenheiten
und mit Willen der Beklagten im Rahmen der ihr obliegenden Geburtsdurchführung tätig.
Die Beklagte hat ihm die medizinische Leitung und Durchführung der Geburt in ihrem
Haus überlassen und ihm – trotz der jetzt von ihr geltend gemachten Vorbehalte – sogar
assistiert. Daher sind der Beklagten die groben Behandlungsfehler von Dr. P. nach §
278 BGB zuzurechnen. Dieser hat – wie im laufenden Verfahren aufgrund der
eindeutigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. W und der
privaten Sachverständigen bereits festgestellt worden ist – ab seinem Tätigwerden mit
der telefonischen Anordnung des Wehentropfes nahezu alles falsch gemacht. Die
festgestellte grob fehlerhafte Geburtsleitung und die völlig unverständliche
Vakuumextraktion von Dr. P. stehen auch zwischen den Parteien außer Streit.
51
Die eigenen vertraglichen Beziehungen der Kindesmutter zu Dr. P. als dem
betreuenden Gynäkologen stehen dem nicht entgegen, wie der Bundesgerichtshof in
der Entscheidung vom 07.12.2004 ausgeführt hat. Ebensowenig steht die
grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Arzt und Hebamme im Rahmen einer
konkreten Geburt der daneben bestehenden umfassenden vertraglichen
Organisationspflicht der Beklagten aus ihrer weiteren Funktion als Trägerin der
Einrichtung entgegen. Der Bundesgerichtshof hat dargetan, dass die Beklagte innerhalb
ihrer Organisationspflichten eine selbständige und von den Weisungen zugezogener
Ärzte unabhängige Stellung hat, für die sie allein verantwortlich ist, und zwar
unabhängig von der beschränkten Verantwortlichkeit als Hebamme im Rahmen der
konkreten Geburtsdurchführung ab Übernahme der Behandlung durch den
weisungsbefugten Arzt. Dies wird auch daraus deutlich, dass anstelle der Beklagten
etwa die frühere Beklagte zu 4) als Hebamme die Geburt des Klägers hätte mit betreuen
können. Bei einer solchen Gestaltung wäre die eigenständige Verantwortung der
Beklagten als Betreiberin des Geburtshauses ebenfalls nicht zu verneinen. Für die
interessengerechte Beurteilung ist es danach geboten, die Beklagte fiktiv in zwei
getrennte und unabhängige Personen aufzuspalten, da die Patientinnen aus der
Doppelstellung der Beklagten keine Benachteiligungen erleiden dürfen.
52
Aufgrund der Zurechnung des groben Fehlverhaltens von Dr. P. haftet die Beklagte dem
Kläger auf Ersatz des materiellen Schadens, da der Kläger nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei einer Schädigung in der Geburt ebenso
wie bei einer Verletzung im Mutterleib in den Schutzumfang des Behandlungsvertrages
einbezogen ist.
53
2.
54
Haftung der Beklagten wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht
55
Eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung einer vertraglichen Hinweis- oder
Aufklärungspflicht in Bezug auf das Nichtbestehen einer Haftpflichtversicherung von
Dr. P. , die ggfls. auch den Ersatz immateriellen Schadens unter dem Gesichtspunkt des
Ausfallschadens umfassen könnte, ist nach Auffassung des Senates nicht begründet.
56
Wirtschaftliche Beratungspflichten werden vorwiegend im Zusammenhang mit der Frage
erörtert, ob der Arzt über versicherungsrechtliche Kostenerstattungsfragen beraten muß
(vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, Seite 73 ff.; Geiß/ Greiner,
Arzthaftpflichtrecht, Rdn. 95 f.). Darüber hinausgehend wird aber auch die Frage
diskutiert, ob der Arzt den Patienten über finanzielle Aspekte aufzuklären hat, die sich
für den Patienten aus der Behandlung ergeben, obgleich der Behandlungsvertrag
erstrangig auf eine fachgerechte Behandlung gerichtet sein wird (Müller, Macht und
Grenzen ärztlichen Handelns, VersR 2004, 257, 264) und wirtschaftliche
Beratungspflichten nicht überspannt werden dürfen, da der Arzt – ebenso wie eine
Hebamme – nicht Sachwalter fremder Vermögensinteressen ist (Wussow, Umfang und
Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht, VersR 2002, 1337, 1340). In besonderen
Konstellationen wird eine wirtschaftliche Hinweispflicht von der obergerichtlichen
Rechtsprechung für möglich gehalten, etwa beim gespaltenen Krankenhausvertrag
dann, wenn die vom Patienten in der Regel insgesamt vom Krankenhaus erwarteten
Leistungen abweichend geregelt werden sollen (vgl. BGH NJW 1993, 779, 780; NJW
1995, 1611, 1613). Derartige Fallgestaltungen unterscheiden sich jedoch von der
vorliegenden Konstellation deutlich und sind nach Ansicht des Senats nicht
vergleichbar.
57
Möglicherweise dann, wenn die Beklagte hier aufgrund einer eigenständigen
Entscheidung und Auswahl einen geburtsbegleitenden Arzt ohne Versicherungsschutz
beigezogen hätte, könnte eine entsprechende Hinweispflicht evtl. naheliegend
erscheinen. Vorliegend war aber Dr. P. der betreuende Gynäkologe der Kindesmutter
und sie kam am 05.01.1997 von ihm in das Geburtshaus. Es war auch von vornherein
klar, dass er jedenfalls bei Schwierigkeiten und Problemen zu der Geburt hinzugerufen
werden sollte und generell die Geburt des Klägers ärztlich begleiten sollte. Unter diesen
besonderen Umständen wäre die Auferlegung einer Verpflichtung der Beklagten zur
wirtschaftlichen Beratung und Aufklärung über Versicherungsverhältnisse zu
weitgehend, zumal die Beklagte ohnehin für Dr. P. im Rahmen seiner ärztlichen
Tätigkeit im Geburtshaus nach § 278 BGB einzustehen hat.
58
3.
59
Deliktische Haftung der Beklagten
60
Die Beklagte haftet als Betreiberin des Geburtshauses wegen eines
Organisationsverschuldens auch nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 847 BGB a. F. auf
Ersatz der materiellen und auch immateriellen Schäden.
61
a)
62
Aus ihrer Stellung als verantwortliche Betreiberin des Geburtshauses oblagen der
63
Beklagten – wie jedem Träger einer Geburtsklinik – im Rahmen des Geburtsverlaufes
Organisations- und Schutzpflichten gegenüber der Mutter des Klägers und dem
ungeborenen Kind. Sie war aufgrund der ihr obliegenden Verantwortung für einen
fachgerechten und sicheren Ablauf der Geburtshilfe verpflichtet, die weitere Behandlung
und Versorgung der Kindesmutter in ihrem Geburtshaus abzubrechen und diese in das
vorher abgesprochene Krankenhaus oder eine sonstige Klinik zu verlegen, wenn
begründete Zweifel an einem fachgerechten Ablauf aufkamen und die Sorge um Wohl
und Wehe von Mutter/Kind ein Handeln im Sinne einer Verlegung nahe legten.
Eine solche Handlungspflicht zum Einschreiten und zur Verlegung, zumindest aber zu
einer dringenden Empfehlung dieses Vorgehens gegenüber der Kindesmutter, bestand
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung zur
Überzeugung des Senats bereits vor dem Erscheinen von Dr. P. im Geburtshaus. Nach
dem Auftreten des dick grünen Fruchtwassers, der zutreffend als völlig fehlerhaft und
"unsinnig" erkannten Anordnung des Wehentropfes und dessen alsbaldiger Abstellung
und schließlich der Verweigerung einer Verlegung durch Dr. P. hat die Beklagte nach
ihren eigenen Angaben die Geburt fortan nicht mehr als "ihre Geburt" betrachtet und
jede eigene Verantwortung als Hebamme abgelehnt. In Kenntnis dieser Situation hätte
ein verantwortlicher Betreiber eines Geburtshauses unverzüglich reagieren, die
Fortsetzung der Geburt beenden und für eine Verlegung der Mutter Sorge tragen
müssen. Dieser Organisationspflicht hat die Beklagte zuwider gehandelt.
64
b)
65
Die zum Einschreiten verpflichtende Situation für die Beklagte ergab sich daraus, dass
bei ihr nach den eingetretenen Umständen begründete Zweifel an einer weiterhin
fachgerechten Geburtsabwicklung aufkommen und Sorgen für das Wohl und Wehe ihrer
Patientin entstehen mussten.
66
Schon das Auftreten von grünem Fruchtwasser hatte nach den allgemeinen Regeln des
Geburtshauses grundsätzlich zur Folge, dass eine Verlegung der Gebärenden in ein
Krankenhaus erfolgte. Dies hat die Beklagte mehrfach selbst angegeben. Auch ihr
Ehemann war ersichtlich für eine solche Verlegung. Nach dem Protokoll des
Landgerichts hat er die Beklagte befragt, ob sie die Mutter des Klägers nicht verlegen
wolle. Im Senatstermin hat er angegeben, er habe im Hinblick auf die allgemeine Regel
bei grünem Fruchtwasser seine Frau gefragt, ob diese Geburt weiterhin überhaupt im
Geburtshaus fortzusetzen sei.
67
Die Beklagte wollte ebenfalls eine den Regeln ihres Geburtshauses entsprechende
Verlegung. Hierfür spielt es keine maßgebliche Rolle, dass aus sachverständiger
ärztlicher Sicht der Abgang von dick grünem Fruchtwasser zwar als Alarmzeichen mit
entsprechender Beobachtungspflicht gilt, nicht aber in jedem Fall als ein Notfall, der
schon deshalb eine Verlegung dringend erforderlich machte.
68
Die selbst aufgestellten Regeln des Geburtshauses tragen der Situation Rechnung,
insbesondere in Abwesenheit eines Arztes den zum Wohle des Patienten sichereren
Weg einzuschlagen, zumal die weitere Entwicklung nach Auftreten solcher Signale
keineswegs immer vorhersehbar und beherrschbar ist.
69
Eine solche Situation lag hier vergleichbar vor, da trotz der beabsichtigten
Geburtsbegleitung durch Dr. P. dieser jedenfalls nicht anwesend und der Zeitpunkt
70
seiner wenn auch in Aussicht gestellten - Ankunft nicht bekannt war. Verschärft wurde
hier die Situation noch dadurch, dass Dr. P. in Abwesenheit eine schon nach damaliger
richtiger Einschätzung der Beklagten unsinnige und wie sich folgerichtig zeigte
gefahrenträchtige Anordnung zur Anlage eines Wehentropfes gab. Die nunmehr
auftretenden DIP I waren für die Beklagte nicht nur Grund, die Anordnung schon nach
wenigen Minuten aus eigener Entscheidung zu revidieren, sondern nach ihren Angaben
im Termin vom 05.05.2003 ebenfalls normalerweise Anlass zur Verlegung.
Die Beklagte, die nach ihren Angaben schon vor dem Termin vom 05.01.1997
Bedenken und ein schlechtes Gefühl bei der Sache hatte, da es für sie mangels
Informationen einige Unwägbarkeiten gab, war nunmehr als die für die Geburt
zuständige Hebamme hinsichtlich des weiteren Geburtsablaufes völlig anderer Ansicht
als der die Kindesmutter betreuende Gynäkologe, der entsprechend ihrer Kenntnis nach
dem Willen der Mutter des Klägers grundsätzlich die Geburt begleiten sollte. Nach
Aussage des Zeugen van E war seine Ehefrau über diese Diskrepanz mit Dr. P.
hinsichtlich des weiteren Geburtsablaufes deutlich aufgeregt und aufgebracht. Gerade
dies hatte zur Folge, dass die Beklagte zu dieser Zeit die Geburt nicht mehr als die ihre
ansah und die weitere Verantwortung ablehnte, obgleich Dr. P. sich zu diesem Zeitpunkt
noch nicht im Geburtshaus befand.
71
Der Sachverständige Prof. Dr. W, der nach seinen Ausführungen im schriftlichen
Gutachten deutliche Probleme mit der Doppelfunktion der Beklagten als Hebamme und
Betreiberin und der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Pflichtenkreise hatte und
der auch im Termin vom 21.11.2005 zunächst allein auf das Verhalten der Beklagten als
Hebamme abstellen wollte, hat auf eindringliche Nachfrage ebenfalls eingeräumt, dass
er als Betreiber des Geburtshauses bei diesem Szenario auch begründete Sorge gehabt
hätte, dass hier etwas passieren konnte. Es habe Anhaltspunkte gegeben, sich um das
Wohl und Wehe des Kindes zu sorgen. Nach seiner Ansicht hätte ein
Geburtshausbetreiber den Verlauf aber gleichwohl nicht stoppen müssen, weil die
Hebamme ihre Tätigkeit ja schließlich fortgesetzt habe, weil in medizinischer Hinsicht
grünes Fruchtwasser noch kein so wesentlicher Faktor sei und weil auch das CTG nicht
katastrophal gewesen wäre. Letztlich hielt der Gutachter die Entscheidung, ob die
Verlegungsgründe für eine Betreiberin eines Geburtshauses hinreichend waren, aber
mit Professor P ebenfalls für eine Rechtsfrage. Allerdings wäre es auch nach seiner
Auffassung sehr ratsam gewesen, wenn in jener Situation jedenfalls die
Verlegungsfrage mit den Eltern des Klägers intensiv erörtert worden wäre. Eine solche
Erörterung hielt der im Ausgangspunkt skeptische Sachverständige für erforderlich.
72
Der Senat vermag die Ansicht des Sachverständigen, wonach man als Betreiber die
Sache noch hätte weiter laufen lassen können, nicht zu teilen. Aufgrund der
eingetretenen Umstände bestand zu jenem Zeitpunkt um etwa 14.00 Uhr/ 14.05 Uhr für
einen verantwortlichen Betreiber der Einrichtung eine Verpflichtung zum Handeln, und
zwar grundsätzlich in Form der Verlegung der Kindesmutter in ein Krankenhaus.
Zumindest hätte den Kindeseltern aber unter deutlicher und offener Darstellung der
maßgeblichen Umstände in Bezug auf das grüne Fruchtwasser und die allgemeine
Verlegungsregel sowie der Einschätzung zu dem Wehentropf und der divergierenden
Ansichten zwischen der betroffenen Hebamme und Dr. P. nachdrücklich eine Verlegung
empfohlen werden müssen.
73
Für den Verantwortlichen der Einrichtung musste sich begründeter Zweifel an einem
fachgerechten weiteren Ablauf des Geburtsvorgangs angesichts der planlosen Reaktion
74
auf das grüne Fruchtwasser und der fehlerhaften Anordnung eines Wehentropfs bei
Abwesenheit des Arztes aufdrängen, zumal - wie erwähnt - nicht vorhersehbar war,
wann Dr. P. überhaupt im Geburtshaus erscheinen würde. Angesichts der Distanzierung
der Hebamme von der Geburt musste ein sorgfältiger und um das Wohl und Wehe der
Patientin und des ungeborenen Kindes besorgter Betreiber einer Geburtseinrichtung
zugleich in Rechnung stellen, dass die Hebamme eventuell aufgrund der eingetretenen
Einstellung den fachlich gebotenen Standard unterschreiten könnte.
Wie begründet auch diese Befürchtung gewesen wäre, hat der weitere Verlauf hier
gezeigt. Denn die Hebamme hat von der Vornahme eigener Untersuchungen im
weiteren Geburtsverlauf völlig abgesehen und sich ohne jegliche Information und
obwohl der ganze Ablauf nicht ihrer Vorstellung entsprach den Anordnungen des Dr. P.
unterstellt. Der Sachverständige hat zwar das Verhalten der Hebamme in der
vorliegenden Situation mit der Begründung als verständlich ansehen wollen, dass sie
sich dem weisungsberechtigten Arzt unterstellt und bereits schon vorher die Geburt als
ihre eigene abgelehnt habe. Er hat jedoch zugleich deutlich gemacht, dass das
Unterlassen eigener Untersuchungen durch die Hebamme einen objektiven Verstoß
gegen den guten Standard darstellen würde.
75
Dem Senat leuchtet nicht ein, dass die unterbliebene Reaktion eines
Geburtshausbetreibers auf die von seiner Hebamme zu Recht geäußerten Bedenken an
der Fortsetzung des Geburtsvorgangs u.a. deshalb vertretbar sein soll, weil die
Hebamme ihre Tätigkeit ja fortsetzt, gleichzeitig aber erbost jede innere Verantwortung
ablehnt und deshalb in der Folge nicht überraschend durch das Unterlassen auch
eigener Untersuchungen objektiv gegen den guten Standard verstößt.
76
Der Organisationsverantwortliche eines Geburtshauses hätte deshalb hier mit dem
Kenntnisstand der Beklagten die bestehenden Gefahren für einen ordnungsgemäßen
und möglichst gefahrlosen Ablauf erkennen und wegen der erheblichen Risiken bei
Fehlern im Geburtsverlauf einschreiten müssen.
77
c)
78
Diese Pflicht zum Einschreiten bereits vor Eintreffen von Dr. P. hat die Beklagte
vorwerfbar verletzt.
79
Sie kann sich nicht darauf berufen, dass sie - angeblich - mit dem Kindesvater über eine
Verlegung gesprochen hätte und dieser einer Verlegung unter Hinweis auf das
Vertrauen zu Dr. P. verweigert habe. Eine derartige Empfehlung an die Kindesmutter
haben weder die Beklagte noch deren Ehemann oder die frühere Beklagte zu 4) bei
ihren Anhörungen angegeben. Es ging stets allein um die Angaben des Kindesvaters,
wobei weder der Ehemann der Beklagten noch die Beklagte zu 4) bei einem derartigen
Gespräch mit dem Kindesvater unmittelbar zugegen waren.
80
Der jedenfalls notwendigen Verlegungsempfehlung dürfte bereits der Umstand
entgegenstehen, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten eine solche
Empfehlung unstreitig nicht an die Kindesmutter selbst erteilt worden ist, obwohl diese
ohne weiteres erreichbar und ansprechbar war.
81
Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben, da auch nicht festgestellt werden kann,
dass überhaupt eine derartige Empfehlung an den Kindesvater erteilt worden ist und –
82
sollte eine Verlegung tatsächlich angesprochen worden sein – diese Empfehlung den
inhaltlich notwendigen Anforderungen entsprach. Die Beklagte hat nämlich zugleich
angegeben, dass sie die Anordnung des Wehentropfes und dessen Abnahme nach
wenigen Minuten nicht mit den Eltern des Klägers besprochen habe, weil sie sich nicht
in das Verhältnis zwischen Arzt und Patientin habe einmischen wollen. Es ist aber
äußerst fraglich, ob ohne Angabe dieser Umstände überhaupt eine sachlich
ausreichende Empfehlung möglich war.
Dies kann jedoch ebenfalls letztlich offen bleiben, da es schon nicht bewiesen worden
ist, dass die Beklagte überhaupt mit dem Kindesvater über eine gebotene Verlegung
und ihre entsprechende Empfehlung gesprochen hat. Der Zeuge van E konnte aus
eigener Kenntnis nicht bestätigen, dass die Beklagte hierüber mit dem Kindesvater
gesprochen hat, erst recht nicht, dass dies in der gebotenen Form und mit dem
erforderlichen Inhalt geschehen wäre. Der Zeuge van E hat sein Wissen lediglich aus
Gesprächen mit seiner Ehefrau.
83
Beide Kindeseltern haben aber stets bestritten, dass mit ihnen über die Frage der
Verlegung in ein Krankenhaus überhaupt gesprochen worden wäre. Eine
Dokumentation einer solchen Verlegungsempfehlung ist nicht erfolgt, obgleich die
Beklagte andererseits ihre Informationen an Dr. P. und dessen Weisungen dokumentiert
hat. Dieser Gesichtspunkt spricht indiziell gegen das Vorliegen einer solchen
Verlegungsempfehlung. Nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. W, wonach
es sich bei der Verweigerung einer Verlegung um einen medizinisch relevanten
Vorgang handelt, den er auch bereits im Jahre 1997 zumindest in einem Arztbrief
festgestellt hätte, hält der Senat eine Dokumentationspflicht des Betreibers eines
Geburtshauses für gegeben, wenn die Patientin oder auch deren Ehemann den
ernsthaften Rat zur Verlegung in ein Krankenhaus ablehnen, da es sich insofern um ein
wesentliches und wichtiges Element der Behandlung handelt (vgl. auch OLG Bamberg
VersR 2005, 1292, 1293; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rdn. 458).
84
Der Senat ist nach Anhörung der Kindeseltern davon überzeugt, dass sie einer
hinreichend begründeten Verlegungsempfehlung der Beklagten auch gefolgt wären und
die Mutter des Klägers in ein Krankenhaus verlegt worden wäre. Ein solches Verhalten
der Kindeseltern ist nach den gesamten Umständen plausibel und glaubhaft. Die Eltern
des Klägers, die nach ihren gesamten Angaben sehr stark auf die Sicherheit im
Geburtsverlauf bedacht waren, hätten bei der gebotenen Information über das
Fruchtwasser, den Wehentropf und die unterschiedlichen Einstellungen von Hebamme
und Arzt hinlänglich Grund für eine Verlegung gehabt, da die von ihnen gesuchte
Sicherheit in einer derartigen Situation nachhaltig gefährdet war. Es war zumal Dr. P.
bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht im Geburtshaus erschienen war – völlig unklar,
wie sich das Geschehen weiter entwickeln würde. Es ist daher ohne weiteres
nachvollziehbar, wenn die Kindesmutter angibt, dass sie wohl den Ehemann der
Beklagten noch nach seiner Meinung gefragt hätte und dann voraussichtlich mit einer
Verlegung einverstanden gewesen wäre, wenn Dr. van E entsprechend den Regeln des
Hauses ebenfalls zur Verlegung geraten hätte, wovon ausgegangen werden kann. Auch
die Angabe des Kindesvaters ist stimmig und plausibel, zumal er ohnehin eine gewisse
Skepsis hegte.
85
d)
86
Die Verletzung der Organisationspflicht durch die Beklagte als Betreiberin des
87
Geburtshauses ist auch ursächlich für den beim Kläger eingetretenen schweren
Gesundheitsschaden. Ohne die schuldhafte Verletzung ihrer Organisationspflichten
wäre es nicht zu der grob falschen Vakuumextraktion des Klägers durch Dr. P.
gekommen, da davon ausgegangen werden kann, dass die Kindesmutter zuvor in ein
anderes Krankenhaus verlegt und dort entbunden worden wäre.
Aufgrund der Ausführungen im schriftlichen Gutachten von Prof. Dr. L vom 29.03.2002
(Bl. 486, 504 ff. GA) sowie den Angaben von Prof. Dr. W im Senatstermin vom
21.11.2005 steht aber mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die
Gesundheitsschädigung des Klägers damit vermieden worden wäre, da die schwere
Schädigung seiner Gesundheit allein Folge der grob fehlerhaften und katastrophalen
Durchführung der Vakuumextraktion durch Dr. P. ist. Der dem Senat als äußerst
kompetent bekannte Sachverständige Prof. Dr. L hat eine präpartale Schädigung
definitiv ausgeschlossen und ausgeführt, dass aus neuropädiatrischer Sicht überhaupt
kein Zweifel bestehe, dass das schwere psycho-neurologische Residialsyndrom des
Klägers nur durch eine schwere Asphyxie unmittelbar vor oder während der Geburt
ausgelöst wurde. Nach Prof. Dr. W war noch um ca. 18.00 Uhr nach den vorhandenen
Werten eine Geburt mit einem guten Ergebnis und Apgar-Werten von 3 x 10 möglich, da
die Schädigung des Klägers ausschließlich Folge der grob fehlerhaften
Vakuumextraktion sei.
88
Die Beklagte ist wegen dieser unerlaubten Handlung zum Schadensersatz und auch zur
Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet.
89
Der weitere Geburtsverlauf führt zu keiner anderen Beurteilung, da auch die weiteren
Geschehnisse begründete Zweifel an einem fachgerechten Ablauf rechtfertigen. Die
Unklarheit über den erneuten Lauf des Wehentropfes um etwa 14.35 Uhr gemäß CTG
und den darauf befindlichen Eintragungen geben nach Prof. Dr. W weiterhin Anlaß zur
Sorge, wenngleich keine Verschärfung der Situation eingetreten ist. Die spätere Lücke
in den CTG-Aufzeichnungen zwischen 15.35 Uhr und 17.20 Uhr, die der
Sachverständige als schweren ärztlichen Fehler bezeichnet hat, den die Hebamme
zumindest erkennen konnte sowie die völlig unzureichenden Kenntnisse der Hebamme
über den Höhenstand des Kindes vor Beginn der Vakuumextraktion ließen einen
ordnungsgemäßen Geburtsverlauf auch weiterhin zumindest zweifelhaft erscheinen.
Hinzu kam die Einstellung der Beklagten, die nach ihrer Angabe keine
Vakuumextraktion oben im Geburtshaus wollte und weiterhin für eine Verlegung war.
Nach allen Umständen hätte der Betreiber des Geburtshauses auch während des
weiteren Geschehensverlaufes Anlaß gehabt, eine Verlegung der Kindesmutter
vorzunehmen oder sie ihr nachdrücklich zu empfehlen.
90
4.
91
Deliktische Haftung der Beklagten aus § 831 BGB sowie aus ihrer Funktion als
Hebamme
92
a)
93
§ 831 BGB
94
Eine deliktische Haftung der Beklagten als Trägerin des Geburtshauses für das grob
fehlerhafte Verhalten von Dr. P. ergibt sich nach Ansicht des Senates nicht aus § 831
95
BGB (vgl. dazu Gehrlein, Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom
07.12.2004 in ZMGR 2005, 77 f. sowie allgemein in VersR 2004, 1488, 1490, der eine
Haftung der Betreiberin des Geburtshauses aus diesem rechtlichen Aspekt für
begründet ansieht, da auf das Merkmal der Weisungsgebundenheit in diesen Fällen bei
Einschaltung eines Arztes verzichtet werden könne). Ein Verzicht auf das Merkmal der
Weisungsgebundenheit im Sinne einer gewissen Abhängigkeit des
Verrichtungsgehilfen vom Geschäftsherrn entspricht nicht der üblichen Auslegung des
§ 831 BGB. Die dafür angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des
OLG Saarbrücken betrifft jeweils Fälle von Urlaubsvertretungen, wobei der
Bundesgerichtshof in der Entscheidung NJW 1956, 1834, 1835 ausdrücklich ausführt,
dass der Vertreter bei dieser Vertretertätigkeit regelmäßig eine Stellung einnimmt, bei
der ihm der auftraggebende Arzt als Geschäftsherr gegenüber steht, nach dessen
Wünschen er sich im allgemeinen zu richten hat. Damit ist jedoch gerade eine Art
Weisungsgebundenheit gegeben, während ansonsten eine deliktische Haftung der
Klinik für den hinzugezogenen Arzt nach § 831 BGB unter Hinweis auf die fehlende
Weisungsabhängigkeit des Arztes im Allgemeinen abgelehnt wird (vgl. OLG
Brandenburg NJW-RR 2003, 1383, 1385; Steffen/Dressler, a.a.O., Rdn. 91, 93; Frahm/
Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rdn. 59, 60).
Da im Verhältnis der Beklagten zu Dr. P. gerade kein solches Weisungsverhältnis
gegeben war, sondern sie Dr. P. allenfalls durch ihr Hausrecht hätte reglementieren
können, ist die Regelung des § 831 BGB hier nach Ansicht des Senates nicht
einschlägig.
96
b)
97
Haftung der Beklagten als Hebamme
98
Eine eigenständie Schadensersatzpflicht der Beklagten aus ihrer Hebammentätigkeit in
der konkreten Geburt des Klägers ist auch nach der erneuten Beweisaufnahme
weiterhin fraglich. Der Senat hat diese Frage vor dem Hintergrund des schriftlichen
Gutachtens von Prof. Dr. W vom 05.09.2005 zu den einzelnen Phasen und Abschnitten
des Geburtsverlaufs nochmals mit dem Sachverständigen im Termin erörtert. Bereits im
schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, dass der Beklagten als
Hebamme nicht der Vorwurf eines Behandlungsfehlers zu machen sei. Diese Wertung
hat der Sachverständige im Termin bekräftigt. Die Beklagte habe sich zwar nicht
besonders mutig verhalten, jedoch die von ihr lediglich zu fordernde Einrede gegen das
Vorgehen von Dr. P. geltend gemacht und sich im übrigen innerhalb der konkreten
Behandlung der übergeordneten Stellung und den Weisungen des Arztes unterworfen.
Der Sachverständige hielt es sogar im konkreten Fall - wie oben bereits ausgeführt -
nicht für vorwerfbar fehlerhaft, dass sich die Beklagte nicht vor der Vakuumextraktion
über den Höhenstand des Kindes informiert oder die Mutter des Klägers untersucht hat,
obgleich an sich eigene Untersuchungen dem guten Standard einer Hebammentätigkeit
entsprechen. Die Beklagte hat sich hier in ihrer Eigenschaft als Hebamme folgerichtig
dem Handeln des Arztes unterstellt und brauchte jedenfalls nicht davon auszugehen,
dass ein ärztlicher Geburtshelfer bei einem solchen Höhenstand wie hier eine
Vakuumextraktion durchführen würde.
99
Für den Zeitpunkt nach dem zweiten Abreißen der Saugglocke, für den nunmehr auch
der Gutachter einen grundsätzlichen Anlaß zum Einschreiten der Hebamme annehmen
würde, hielt er eine Remonstrationsverpflichtung aus faktischen Gründen für nicht mehr
100
möglich, da die Hebamme in diesem Zeitpunkt keine vernünftige Alternative für das Kind
zur Verfügung hatte und aus ihrer Sicht eine Änderung der vaginalen Geburt nicht mehr
anzunehmen war, so dass ein Einschreiten zu jenem Zeitpunkt ebenfalls nicht mehr
verlangt werden könnte.
Ob nicht trotz dieser Bewertung des Sachverständigen ein vorwerfbarer
Behandlungsfehler der Beklagten als Hebamme anzunehmen ist, da es möglicherweise
auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Kompetenzverteilung zwischen Arzt
und Hebamme nach Übernahme der Behandlung durch den Arzt und auch unter
Berücksichtigung grundsätzlicher Befreiung der Hebamme von einer eigenen
Verantwortung nicht ausreicht, sich einem Behandlungsmanagement wie dem des Dr. y
unterstellen, bis ein Einschreiten wegen des fortgeschrittenen Geburtsstadiums nicht
mehr ohne eventuelle Verstärkung der Gefahrenlage möglich ist, kann letztlich
dahingestellt bleiben, da die Beklagte bereits als Betreiberin des Geburtshauses
gegenüber dem Kläger haftbar ist.
101
Offen bleiben kann im Ergebnis deshalb auch, ob sich etwa bei Anwendung der
Grundsätze über das Unterlassen eigener Befunderhebung durch die Hebamme
gegebenenfalls ein haftungsbegründender Kausalverlauf ergeben könnte.
102
5.
103
Haftungsumfang
104
Neben dem Feststellungsausspruch, der sowohl hinsichtlich der materiellen wie auch
der künftigen – derzeit nicht vorhersehbaren – immateriellen Schäden gerechtfertigt ist,
schuldet die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben dem insolventen Dr. P. die Zahlung
eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Verzugszinsen seit dem 01.07.1997, da
der Anspruch auf Schmerzensgeld unter Fristsetzung zum 30.06.1997 geltend gemacht
worden ist.
105
Unter Abwägung aller zumessungsrelevanten Aspekte und unter Berücksichtigung der
in den letzten Jahren in ähnlichen und vergleichbar gelagerten Fällen in der
Rechtsprechung zuerkannten Schmerzensgeldbeträge hält der Senat in
Übereinstimmung mit dem Landgericht Arnsberg bezüglich Dr. P. im
Teilversäumnisurteil vom 15.08.2002 einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von
260.000,-- Euro für angemessen und ausreichend.
106
Maßgeblich für die Bemessung der nach § 847 BGB a. F. zu gewährenden billigen
Entschädigung sind die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden,
dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den
Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Alle diese Umstände sind in
eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen und in eine angemessene Beziehung zur
Entschädigung zu setzen (BGH VersR 1998, 1034, 1035). Dabei soll das
Schmerzensgeld in erster Linie einen Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung
darstellen, daneben auch der Genugtuung des Geschädigten für erlittenes Unrecht
dienen.
107
Der Kläger hat durch den grob fehlerhaften Geburtsverlauf ein schweres psycho-
neurologisches Residualsyndrom aufgrund einer sehr schweren hypoxisch-
ischämischen Enzephalopathie Grad III mit Atemstörungen, Musekeltonusanomalien
108
und weiteren Einschränkungen erlitten. Er ist schwer körperlich und geistig behindert
und rund um die Uhr auf Betreuung und Zuwendung angewiesen. Eine eigenständige
Nahrungsaufnahme ist nicht möglich. Nachts muß der Kläger umgelagert werden und
benötigt ein Überwachungsgerät. Er ist körperlich zu fast keinerlei Aktivitäten in der
Lage und auf den Rollstuhl angewiesen. Im Alter von fast 9 Jahren wiegt der Kläger
lediglich 16 kg und leidet unter seiner starken Lungenschädigung. Eine Kommunikation
ist nur sehr eingeschränkt gegeben. Der Besuch einer Schule für geistig behinderte
Kinder ist nur mit Hilfe möglich.
Die Höhe des dem Kläger zuzuerkennenden Zinsanspruches ist jedoch beschränkt auf
4 % p. a., da ein Anlagezins in der geltend gemachten Höhe seit vielen Jahren nicht
mehr realistisch ist. Der weitergehende Zinsanspruch war danach zurückzuweisen.
109
III.
110
Der Schriftsatz der Beklagten vom 24.11.2005 gab zu einer abweichenden
Entscheidung keine Veranlassung. Er fasst im Wesentlichen die Auffassung der
Beklagten nochmals zusammen und enthält - ebensowenig wie die vorangegangenen
Schriftsätze des Klägers vom 15. und 18./21.11.2005 - keinen
entscheidungserheblichen neuen Tatsachenvortrag.
111
IV.
112
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 92, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711
ZPO.
113
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.
114