Urteil des OLG Hamm vom 30.11.2010

OLG Hamm (betrug, fahrer, europäische union, verordnung, durchführung, beschränkung, staatsanwaltschaft, sache, ewg, essen)

Oberlandesgericht Hamm, III-5 RBs 158/10
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-5 RBs 158/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Gelsenkirchen, 19 OWi 90 Js 3064/09 (50/10)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht
Gelsenkirchen zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
2
Der Oberbürgermeister der Stadt H hat mit Bußgeldbescheid vom 26. Oktober 2009
gegen den Betroffenen wegen 36, davon 30 sog. "schweren" Verstößen gegen § 8a
Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 6 Abs. 1, 7, 8 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 561/2006
(Nichteinhaltung der Lenk- und Ruhezeiten) Geldbußen in Höhe von insgesamt
8.010,00 Euro festgesetzt.
3
Auf den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das
Amtsgericht Gelsenkirchen ihn durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässigen
Verstoßes gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 7 VO (EG) Nr. 561/2006 in acht
Fällen, für den Verstoß am 16.07.2009 zu einer Geldbuße von 144 Euro, Verstoß am
17.07.2009 zu einer Geldbuße von 126 Euro, Verstoß am 20.07.2009 zu einer
Geldbuße von 18 Euro, Verstoß am 22.07.2009 zu einer Geldbuße von 54 Euro,
Verstoß am 25.07.2009 zu einer Geldbuße von 18 Euro, Verstoß am 05.08.2009 zu
einer Geldbuße von 36 Euro, Verstoß am 07.08.2009 zu einer Geldbuße von 144 Euro,
Verstoß am 10.08.2009 zu einer Geldbuße von 144 Euro, Verstoß am 10.08.2009 zu
einer Geldbuße von 144 Euro sowie wegen Verstoßes gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG
i.V.m. Art. 6 VO (EG) Nr. 561/2006 in drei Fällen, für den Verstoß am 29.07.2000 zu
einer Geldbuße von 18 Euro, Verstoß am 03.08.2009 zu einer Geldbuße von 378 Euro
und Verstoß am 07.08.2009 zu einer Geldbuße von 9 Euro verurteilt.
4
Es hat u.a. folgende persönliche und tatsächliche Feststellungen getroffen:
5
"I.
6
Der 56 Jahre alte Betroffene verfügt nach eigenen Angaben über ein
Nettoeinkommen von 1.300,00 Euro und hat Schulden in Höhe von
7
20.000,00 Euro.
8
II.
9
Der Betroffene ist Fahrer für die U GmbH.
10
Am 11.08.2009 um 12:07 Uhr führte das Polizeipräsidium H auf der X-Allee/X-
Straße eine Kontrolle durch.
11
Der Betroffene führte zu den folgenden Zeitpunkten einen Sattelzug mit dem
amtlichen Kennzeichen ########## sowie mit dem amtlichen Kennzeichen
########## und ########, wobei sich die Lenk- und Ruhezeiten wie folgt
darstellen:
12
1) Die Tagesruhezeit vom 07.01.2009, 05:39 Uhr bis 08.01.2009, 05:39 Uhr
13
betrug 4 Stunden und 30 Minuten.
14
2) Die Tagesruhezeit vom 08.01.2009, 05:39 Uhr bis 09.01.2009, 05:39 Uhr
15
betrug 4 Stunden und 48 Minuten.
16
3) Die Tageslenkzeit vom 07.01.2009, 05:39 Uhr bis 08.01.2009, 20:16 Uhr
17
betrug 27 Stunden und 32 Minuten.
18
4) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 19.01.2009, 04:55 Uhr bis 19.01.2009,
19
18:50 Uhr betrug 7 Stunden und 39 Minuten.
20
5) Die Tagesruhezeit vom 22.01.2009, 05:25 Uhr bis 22.01.2009, 05:25 Uhr
21
betrug 0 Stunden und 0 Minuten.
22
6) Die Tageslenkzeit vom 03.02.2009, 05:11 Uhr bis 04.02.2009, 19:04 Uhr
23
betrug 14 Stunden und 31 Minuten.
24
7) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 17.02.2009, 06:57 Uhr bis 17.02.2009,
25
16:54 Uhr betrug 6 Stunden und 49 Minuten.
26
8) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 23.02.2009, 06:29 Uhr bis 23.02.2009,
27
16:46 Uhr betrug 7 Stunden und 26 Minuten.
28
9) Die Tagesruhezeit vom 05.03.2009, 05:56 Uhr bis 06.03.2009, 05:56 Uhr
29
betrug 0 Stunden und 0 Sekunden.
30
10) Die Tageslenkzeit vom 21.04.2009, 07:11 Uhr bis 22.04.2009, 19:97 Uhr
31
betrug 14 Stunden und 11 Minuten.
32
11) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 06.05.2009, 09:08 Uhr bis 06.05.2009,
33
21:19 Uhr betrug 6 Stunden und 53 Minuten.
34
12) Die Tagesruhezeit vom 13.05.2009, 04:26 Uhr bis 14.05.2009, 04:26 Uhr
35
betrug 0 Minuten und 0 Sekunden.
36
13) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 13.05.2009, 12:13 Uhr bis 14.05.2009,
37
12:54 Uhr betrug 9 Stunden und 38 Minuten.
38
14) Die Tagesruhezeit vom 14.05.2009, 04:26 Uhr bis 15.05.2009, 04:26 Uhr
39
betrug 0 Stunden und 0 Minuten.
40
15) Die Tageslenkzeit vom 13.05.2009, 04:26 Uhr bis 15.05.2009, 19:14 Uhr
41
betrug 18 Stunden und 35 Minuten.
42
16) Die Tagesruhezeit vom 25.05.2009, 05:42 Uhr bis 26.05.2009, 05:42 Uhr
43
betrug 0 Stunden und 0 Minuten.
44
17) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 25.05.2009, 18:25 Uhr bis 26.05.2009,
45
14:20 Uhr betrug 7 Stunden und 43 Minuten.
46
18) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 28.05.2009, 05:40 Uhr bis 28.05.2009,
47
14:59 Uhr betrug 6 Stunden und 44 Minuten.
48
19) Die Tagesruhezeit vom 02.06.2009, 00:01 Uhr bis 03.06.2009, 00:01 Uhr
49
betrug 5 Stunden und 12 Minuten.
50
20 )Die Tagesruhezeit vom 03.06.2009, 00:01 Uhr bis 04.06.2009, 00:01 Uhr
51
betrug 0 Stunden und 0 Minuten.
52
21) Die Tagesruhezeit vom 04.06.2009, 00:01 Uhr bis 05.06.2009, 00:01 Uhr
53
betrug 0 Stunden und 0 Minuten.
54
22) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 04.06.2009, 14:09 Uhr bis 05.06.2009,
55
20:25 Uhr betrug 10 Stunden und 12 Minuten.
56
23) Die Tageslenkzeit vom 02.06.2009, 00:01 Uhr bis 05.06.2009, 20:26 Uhr
57
betrug 29 Stunden und 48 Minuten.
58
24) Die Tagesruhezeit vom 05.06.2009, 00:01 Uhr bis 06.06.2009, 00:01 Uhr
59
betrug 3 Stunden und 35 Minuten.
60
25) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 08.06.2009, 05:11 Uhr bis 08.06.2009,
61
18:20 Uhr betrug 6 Stunden und 53 Minuten.
62
26) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 1607.2009, 06:15 Uhr bis 16.07.2009,
63
17:43 Uhr betrug 9 Stunden und 1 Minute.
64
27) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 17.07.2009, 05:00 Uhr bis 17.07.2009,
65
15:46 Uhr betrug 8 Stunden und 19 Minuten.
66
28) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 20.07.2009, 10:55 Uhr bis 20.07.2009,
67
16:50 Uhr betrug 5 Stunden und 16 Minuten.
68
29) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 22.07.2009, 07:53 Uhr bis 22.07.2009,
69
16:11 Uhr betrug 6 Stunden und 10 Minuten.
70
30) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 25.07.2009, 06:05 Uhr bis 25.07.2009,
71
12:41 Uhr betrug 5 Stunden und 12 Minuten.
72
31) Die Tageslenkzeit betrug vom 29.07.2009, 04:44 Uhr bis 29.07.2009,
73
18:04 Uhr 9 Stunden und 58 Minuten.
74
32) Die Tageslenkzeit vom 03.08.2009, 05:00 Uhr bis 04.08.2009, 17:32 Uhr
75
betrug 20 Stunden und 25 Minuten.
76
33) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 05.08.2009, 05:03 Uhr bis 05.08.2009,
77
13:23 Uhr betrug 5 Stunden und 45 Minuten.
78
34) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 07.08.2009, 05:02 Uhr bis 07.08.2009,
79
15:50 Uhr betrug 8 Stunden und 48 Minuten.
80
35) Die Tageslenkzeit vom 07.08.2009, 05:02 Uhr bis 07.08.2009, 17:56 Uhr
81
betrug 9 Stunden und 52 Minuten.
82
36) Die ununterbrochene Lenkzeit vom 10.08.2009, 06:06 Uhr bis 10.08.2009,
83
15:54 Uhr betrug 8 Stunden und 43 Minuten."
84
Zur rechtlichen Würdigung und zum Rechtsfolgenausspruch ist Folgendes ausgeführt:
85
"III.
86
Das Gericht hat nur die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt berücksichtigt.
Gemäß Vorbemerkung (14) der VO (EG) Nr. 561/2006 sollten die zuständigen
Behörden, um eine wirksame Durchsetzung zu gewährleisten, bei
Straßenkontrollen nach einer Übergangszeit in der Lage sein, die
ordnungsgemäße Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten des laufenden Tages und
der vorausgehenden 28 Tage zu kontrollieren. Der Kontrollzeitraum beschränkt
sich demnach allein auf die 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt. Dass der
87
Kontrollzeitraum über die 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt hinaus erweitert
werden kann, ergibt sich aus der Verordnung nicht.
88
Gemäß Art. 7 VO (EG) Nr. 561/2006 hat ein Fahrer nach einer Lenkdauer von
viereinhalb Stunden eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von
89
wenigstens 45 Minuten einzulegen, sofern er keine Ruhezeit einlegt. Diese
Unterbrechung kann durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten, gefolgt
von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten, ersetzt werden, die in die
Lenkzeit so einzufügen sind, dass die Bestimmungen des
90
Absatzes 1 eingehalten werden.
91
Der Betroffene hat, indem er am 16.07.2009 den Sattelzug 9 Stunden und
92
1 Minute ununterbrochen führte, fahrlässig gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m.
Art. 7 VO (EG) Nr. 561/2009 verstoßen. Ferner hat der Betroffene
93
indem er am 17.07.2009 den Sattelzug 8 Stunden und 19 Minuten, am 20.07.2009
5 Stunden und 16 Minuten, am 22.07.2009 6 Stunden und
94
10 Minuten und am 25.07.2009 5 Stunden und 12 Minuten ununterbrochen führte,
fahrlässig gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art 7 VO (EG)
95
Nr. 561/2006 verstoßen, denn gemäß Art. 7 VO (EG) Nr. 561 /2006 war der
Betroffene verpflichtet, nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden eine
Fahrtunterbrechung von 45 Minuten bzw. eine Fahrunterbrechung von
96
15 Minuten und eine weitere von 30 Minuten einzulegen.
97
Gemäß Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 561/2006 darf die tägliche Lenkzeit
98
9 Stunden nicht überschreiten. Die tägliche Lenkzeit darf jedoch höchstens
zweimal in der Woche auf höchstens 10 Stunden verlängert werden.
99
Der Betroffene hat in 3 Fällen fahrlässig gegen Art. 6 Abs. 1 VO (EG)
100
Nr. 561/2006 verstoßen, denn er hat am 29.07.2009 das Fahrzeug 9 Stunden und
58 Minuten gelenkt und damit die Lenkzeit um 58 Minuten überschritten. Ferner hat
er in der Zeit vom 03.08.2009 bis zum 04.08.2009 die Lenkzeit um 10 Stunden und
25 Minuten überschritten. Schließlich hat er am 07.08.2009 die Lenkzeit um 52
Minuten überschritten.
101
Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse
des Betroffenen berücksichtigt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG), die immer dann in
Betracht zu ziehen sind, wenn es sich um eine nicht geringfügige
Ordnungswidrigkeit handelt, die bei einer Ahndung mit einer Geldbuße von
102
mehr als 250,00 Euro vorliegt. Der Betroffene hat ein Nettoeinkommen von 1.30,00
Euro und hat Schulden in Höhe von 20.000,00 Euro. Angesichts dessen erschien
die Minderung der einzelnen Geldbußen um jeweils
103
40 Prozent als angemessen, insbesondere im Hinblick darauf, dass
Zahlungserleichterungen zur Begründung einer gemessen an der
Leistungsfähigkeit des Betroffenen übermäßigen Bußgeldhöhe herangezogen
werden können."
104
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Essen mit ihrer Rechtsbe-
schwerde.
105
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Essen mit
ergänzenden Ausführungen beigetreten.
106
II.
107
Das Rechtsmittel ist als Rechtsbeschwerde statthaft.
108
Die Verstöße sind als eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO anzusehen, so
dass die in der Summe verhängten Bußgelder mit 1.233,00 Euro die Rechtsbe-
schwerdegrenze gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG überschreiten (vgl. hierzu OLG
Frankfurt, NStZ-RR 2010, 355 ff.).
109
Die somit zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist auch in der Sache
begründet. Die auf die erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebotene
Überprüfung des Urteils deckt Rechtsfehler auf. Die Tatrichterin hat zu Unrecht lediglich
die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt berücksichtigt.
110
Die Staatsanwaltschaft Essen hat ihre Rechtsbeschwerde wie folgt begründet:
111
"Das Amtsgericht hat zu Unrecht nur die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt
112
bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt.
Die Stadt H hatte in dem Bußgeldbescheid einen Zeitraum
113
vom 07.01.2009 bis zum 10.08.2009 festgelegt und eine Geldbuße von 8.010,00
Euro verhängt.
114
Das Amtsgericht ist nunmehr der Auffassung, dass nur die letzten 28 Tage vor dem
Kontrollzeitpunkt am 12.08.2009 zu berücksichtigen seien.
115
Eine derartige Einschränkung sieht das Gesetz nicht vor.
116
Das Amtsgericht Gelsenkirchen will die Einschränkung der Vorbemerkung (14) der
VO (EG) NR.561/2006 entnehmen. Bei dieser Vorbemerkung handelt es sich
jedoch nicht um eine Ahndungsnorm. Die Ahndung bestimmt allein § 8 a Abs. 1
und 2 FPersG und zwar ohne die Bestimmung eines Ahndungszeitraumes. Die
einzige Beschränkung der Ahndung ist die Verjährungszeit von
117
2 Jahren. Doch macht eine solche keinen Sinn, wenn ohnehin nur ein Zeitraum von
28 Tagen geahndet werden könnte.
118
Eine Beschränkung der Ahndung auf die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt
ist auch nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar. Letztlich dienen
die Lenk- und Kontrollzeiten der Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit durch
Vermeidung von Übermüdungen. Solche gilt es auch über einen Zeitraum von 28
Tagen vor dem Kontrollzeitpunkt hinaus zu ahnden. Aufgrund neuerer Technik
werden nunmehr vermehrt digitale Fahrtenschreiber eingesetzt, die auch größere
Datenmengen enthalten. Durch die europäische Union wurde in dem Anhang 1 b
der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 auch nur ein Mindestdatensatz)jedoch kein
Höchstdatensatz bestimmt. Ferner regelt Artikel 4 der Richtlinie 2006/22 EG
grundsätzlich die Art und Weise der Durchführung von Straßenkontrollen, nennt
jedoch keinen höchstzulässigen Ahnungszeitraum, so dass davon auszugehen ist,
dass ein solcher gerade nicht besteht.
119
Ferner haben die Aufsichtsbehörden nach dem Fahrpersonal und
Güterkraftverkehrsrecht alle umfassende Prüfungsrechte, so dass es unsinnig
erscheint, Behörden mit derartigen Rechten auszustatten, wenn ohnehin nur ein
Ahnungszeitraum von 28 Tagen bestünde.
120
Ein Argument dahingehend, dass bei Nichtbegrenzung des Ahndungszeitraumes
auf 28 Tage eine unangemessene Behandlung des Betroffenen, der über digitale
Datenerfassung verfügt, erfolgen würde, ist nicht sachgerecht. Schließlich sieht die
Richtlinie 2006/22/EG die Einteilung der Zuwiderhandlungen nach den Lenk- und
Ruhevorschriften in geringfügige, schwerwiegende und sehr schwerwiegende
Verkehrsverstöße vor, so dass eine Begrenzung auf diese Weise erfolgen kann.
121
Ferner sind gem. § 10 Abs. 2 a FPersG die für die Durchführung von
Bußgeldverfahren zuständigen Behörden den Genehmigungsbehörden gegenüber
verpflichtet Zuwiderhandlungen mitzuteilen, die Anlass geben an der
Zuverlässigkeit des Unternehmers bzw. der zu Führen der Geschäfte bestellten
Personen zu zweifeln. Dieser Verpflichtung können die Behörden nur dann
122
gewissenhaft und differenziert genug nachkommen, wenn die Kontrolle nicht auf 28
Tage beschränkt ist."
Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und zum Gegenstand
seiner Entscheidung.
123
In § 1 der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonal-
verordnung – FPersV) ist bestimmt, dass Fahrer von bestimmten Fahrzeugen die Lenk-
und Ruhezeiten im Straßenverkehr nach Maßgabe der Verordnung (EG)
124
Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur
Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der
Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur
Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. EU Nr. L 102 S.1)
einzuhalten haben. Er hat alle Eintragungen jeweils unverzüglich zu Beginn und am
Ende der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten vorzunehmen. Die
Aufzeichnungen der laufenden Woche und der der laufenden Woche vorausge-
gangenen 15 Kalendertage sind vom Fahrer mitzuführen und den zuständigen
Personen auf Verlangen zur Prüfung auszuhändigen; ab dem 01. Januar 2008 umfasst
dieser Zeitraum den laufenden Tag und die vorausgegangenen
125
28 Kalendertage (§ 1 Abs. 6 S. 3 u. 4 FPerV). Gemäß § 1 Abs. 6 S.6 FPerV hat der
Fahrer dem Unternehmer alle Aufzeichnungen unverzüglich nach Ablauf der
Mitführungspflicht auszuhändigen. Dieser hat die Aufzeichnungen sodann u.a. ein Jahr
lang nach Aushändigung durch den Fahrer in chronologischer Reihenfolge und in
lesbarer Form außerhalb des Fahrzeugs aufzubewahren und den zuständigen
Personen auf Verlangen vorzulegen.
126
Danach ist der Fahrer eines der in Rede stehenden Fahrzeuge seit dem
127
01. Januar 2008 verpflichtet, die Aufzeichnungen über die Lenk-und Ruhezeiten
lediglich 28 +1 Tage mit sich zu führen. Dadurch sollen die zuständigen Behörden bei
Straßen-kontrollen in der Lage sein, die ordnungsgemäße Einhaltung der Lenk- und
Ruhezeiten des laufenden Tages und der vorausgehenden 28 Tage zu kontrollieren.
Hierauf kann jedoch keine Beschränkung der Auswertung der Fahrerkarte auf 28 + 1
Tage gestützt werden. Es ist insoweit lediglich die "Mitführungspflicht" geregelt, nicht
hingegen eine zeitliche Beschränkung, für welchen Zeitraum eventuelle Verstöße
gegen die Lenk- und Ruhezeiten geahndet werden dürfen. Welche Zuwiderhand-lungen
letztendlich verfolgt werden sollen, liegt vielmehr allein im pflichtgemäßen Ermessen
der zuständigen Behörden.
128
Dass dieser "Mitführzeitraum" von 28 und 1 Tagen nicht zugleich identisch ist mit dem
"Ahndungszeitraum", zeigt sich auch darin, dass § 10 Abs. 2a FPersG die zur
Durchführung von Bußgeldverfahren zuständigen Behörden verpflichtet, den nach
129
§ 3 Abs. 7 GüKG bzw. § 11 Abs. 1 PBefG zuständigen Genehmigungsbehörden
Zuwiderhandlungen mitzuteilen, die Anlass geben, an der Zuverlässigkeit des
Unternehmers bzw. der zur Führung der Geschäfte bestellten Person zu zweifeln.
Dieser Verpflichtung können die Verfolgungsbehörden nach § 9 FPersG nur dann in
ausreichendem Maß nachkommen, wenn sie nicht nur die letzten 28 Tage vor dem
Kontrolldatum berücksichtigen dürfen.
130
Die Sache war daher an das Amtsgericht Gelsenkirchen zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.
131
Der Senat gibt zu bedenken, dass auch eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht
kommt. Das Amtsgericht ist vorliegend lediglich von einem fahrlässigen Verstoß
ausgegangen. Art. 6 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 561/2006 statuiert die Pflicht des Fahrers,
alle Lenk- und Ruhezeiten täglich festzuhalten. In der Regel wird man davon ausgehen
können, dass die Lenk- und Ruhezeitverstöße durch den Fahrer vorsätzlich begangen
werden, weil er nämlich entweder durch das eingesetzte technische Kontrollgerät über
die Verstöße informiert wird oder ihm die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten
gleichgültig ist, was aber zumindest bedingten Vorsatz begründet.
132
Da die in dem Buß- und Verwarnungsgeldkatalog angegebenen Regelsätze bei
vorsätzlicher Begehungsweise in der Regel verdoppelt werden, können nicht selten
Bußgelder entstehen, die leicht den Monatsverdienst des Fahrers übersteigen. Auch
wenn das Gefährdungspotential übermüdeter Fahrer von Lkws im Straßenverkehr
erheblich ist, muss jedoch das Sanktionsgefüge zum Einen innerhalb der Norm, aber
auch im Ganzen, im Blick behalten werden. Vorliegend handelt es sich (nur) um
Ordnungswidrigkeiten, die bei Anwendung des Buß- und Verwarnungsgeldkatalogs
Bußgelder ergeben, die Geldstrafen übersteigen, die für wesentlich gefährlichere
Verkehrsstraftaten wie z.B. Trunkenheit im Verkehr verhängt werden. Darüber hinaus ist
zu berücksichtigen, dass sich die Zielsetzung in Art. 1 der VO (EG) Nr. 561/2006 in
erster Linie auf den Unternehmer bezieht, und der Fahrer über die "Verbesserung der
Arbeitsbedingungen im Straßenverkehrsgewerbe" in den Schutzbereich der VO
einbezogen ist. Dies muss auch bei der Bemessung der einzelnen Bußgelder,
insbesondere im Vergleich zum Unternehmer, Berücksichtigung finden.
133