Urteil des OLG Hamm vom 17.12.2009

OLG Hamm (abweisung der klage, einkommen, nebentätigkeit, tätigkeit, höhe, schriftliche prüfung, stundenlohn, einkünfte, unterhalt, umfang)

Oberlandesgericht Hamm, II-3 UF 72/09
Datum:
17.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II-3 UF 72/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Herne-Wanne, 3 F 321/08
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 03.02.2009 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Herne-Wanne wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für die Berufung: 2.455,44 €
Gründe
1
(abgekürzt nach § 540 Abs. 1 ZPO):
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I.
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Die minderjährige Klägerin nimmt ihre Mutter, die Beklagte, auf Unterhalt in Anspruch.
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Die 1995 geborene Klägerin ist das einzige Kind der Beklagten aus deren im Jahre 2003
geschiedener Ehe mit dem Kindesvater. Umgangskontakte zwischen den Parteien bestehen
nicht. Die Klägerin, die seit der Trennung der Eltern im Haushalt ihres Vaters lebt, geht noch
zur Schule. Sie erhält Leistungen nach dem SGB II. Eine Inkassozession liegt vor. Die 1973
geborene Beklagte führte eine nach ihrem Hauptschulabschluss begonnene Lehre im
Lebensmittel-Einzelhandel nicht zu Ende, weil sie die schriftliche Prüfung wiederholt nicht
bestand. Während des ehelichen Zusammenlebens war sie ab 1998 geringfügig als
Packerin bei einer Supermarktkette beschäftigt. Danach war sie für ein Jahr bei der X als
Hilfe in Privathaushalten im Umfang von 30 Wochenstunden tätig. Im Zuge der Trennung
und Scheidung verzog sie im Oktober 2003 nach E. Dort erhielt sie zunächst SGB II-
Leistungen und bezog ab 2005 aus geringfügiger Tätigkeit als Reinigungskraft weitere 160,--
€ monatlich. In der Folgezeit stockte sie ihre Reinigungstätigkeit nach und nach auf. Derzeit
arbeitet sie für zwei Arbeitgeber zu einem Stundenlohn von brutto 8,15 € und erhält
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monatlich insgesamt zwischen 750,--€ und rund 900,--€ netto. Ausweislich ihrer Darstellung
im Schriftsatz vom 03.09.2009 belaufen sich ihre täglichen Arbeitszeiten montags, mittwochs
und freitags auf jeweils 6 Stunden 40 Minuten sowie dienstags und donnerstags auf jeweils
3 Stunden 10 Minuten. Sie lebt eheähnlich mit einem Partner zusammen, der seinerseits
Sozialleistungen bezieht.
Bereits unter dem 12.08.2005 forderte die Klägerin ihre Mutter zur Auskunftserteilung auf. Mit
Schreiben vom 09.06.2008 nahm die Klägerin ihre Mutter neuerlich auf Auskunft und
Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch.
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Die Klägerin hat Unterhalt für die Zeit ab Juni 2008 in Höhe von monatlich 288,--€ und ab
Januar 2009 in Höhe von 295,--€ verlangt.
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Die Beklagte hat sich darauf berufen, nicht leistungsfähig zu sein. Sie habe sich um
Arbeitsstellen bemüht, doch seien ihre Bewerbungen unbeantwortet geblieben oder
abschlägig beschieden worden. Eine weitere Ausdehnung ihrer Tätigkeiten bei den beiden
jetzigen Arbeitgebern sei nicht möglich.
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Das Familiengericht hat der Klage mit Urteil vom 03.02.2009, der Beklagten am 12.03.2009
zugestellt, stattgegeben und ausgeführt, die Beklagte sei in der Lage, den verlangten
Mindestunterhalt zu zahlen, wenn sie einer vollschichtigen Tätigkeit mit einem Stundenlohn
von 8,15 € brutto sowie einer Nebentätigkeit im Umfang von weiteren 165,--€ monatlich
nachgehe.
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Mit ihrer am 24.03.2009 eingelegten und innerhalb der bis zum 12.06.2009 verlängerten Frist
begründeten Berufung verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage, soweit sie zu einem
monatlichen Unterhalt von mehr als 147,68 € verurteilt worden ist, weiter. Sie meint, das
Familiengericht habe die Anforderungen, die an die Zuschreibung eines fiktiven
Einkommens zu stellen seien, verkannt. Als ungerlernter weiblicher Arbeitskraft sei ihr im
Regelfall ohnehin nur eine Tätigkeit im Gebäudereinigungsbereich möglich. Die Arbeitgeber
stellten, wie Auskünfte der Handwerks- bzw. der Industrie- und Handwerkskammer belegen
mögen, jedoch "so gut wie nie" Vollzeitkräfte ein. Abgesehen davon sei es allenfalls
gerechtfertigt, eine vollschichtige Tätigkeit, die sich auf 172 Stunden im Monat bemesse, mit
einem Stundenlohn von 8,15 € brutto zu unterstellen. Daraus errechne sich ein Brutto-
Einkommen von 1.401,80 €, das einem Netto-Einkommen in Höhe von 1.008,09 €
entspreche. Abzüglich fiktiv anzusetzender berufsbedingter Aufwendungen verblieben
957,68 €. Werde noch der notwendige Selbstbehalt von 900,--€ auf 810,--€ reduziert, dann
stünden für den Kindesunterhalt 147,68 € monatlich zur Verfügung. Die Beklagte meint, eine
Nebentätigkeit sei ihr daneben nicht mehr abzuverlangen, wie sich auch aus der
Rechtsprechung des BGH und des BVerfG ergebe. Die Beklagte beruft sich ferner auf den
Wegfall ihrer gesteigerten Unterhaltspflicht gem. § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB und macht dazu
geltend, der Vater der Klägerin sei ein anderer leistungsfähiger Verwandter im Sinne dieser
Vorschrift.
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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie meint allerdings, das
Familiengericht habe auf Seiten der Beklagten ein zu geringeres erzielbares Einkommen
angesetzt. Unter Berücksichtigung auch der Obliegenheit zur Qualifikation sei von einem
Stundenlohn in Höhe von 10,--€ brutto auszugehen, so dass sich unter Berücksichtigung des
auf 810,--€ reduzierten Selbstbehalts eine Leistungsfähigkeit von rund 320,--€ monatlich
ergebe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt
der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.
Die Parteien sind in der Verhandlung vor dem Senat zu Wort gekommen. Darüber verhält
sich der Berichterstatter-Vermerk vom 26.11.2009.
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II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Beklagte ist der minderjährigen Klägerin gegenüber gem. §§ 1601, 1603 BGB gesteigert
unterhaltspflichtig. Sie schuldet ihr für die Zeit ab Juni 2008 den vom Familiengericht
zugesprochenen Unterhalt in Höhe von 288,--€ monatlich, ab Januar 2009 in Höhe von 295,-
-€ monatlich, entsprechend dem jeweiligen Mindestunterhalt nach § 1612 a Abs. 1 BGB.
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1.
16
Das von der Beklagten erzielte reale Netto-Einkommen, das sich nach den vorgelegten
Lohnabrechnungen auf wechselnde Beträge beläuft (September 2008: rund
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775,--€, Juni 2009: rund 905,--€), liegt im Durchschnitt unterhalb eines Betrages von 900,--€.
Aus diesem tatsächlich erzielten Erwerbseinkommen kann die Beklagte den verlangten
Kindesunterhalt nur insoweit zahlen, als ihr notwendiger Selbstbehalt gewahrt ist. Dieser
Selbstbehalt liegt grundsätzlich bei 900,--€.
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Allerdings ist im vorliegenden Fall eine Herabsetzung des Selbstbehalts jedenfalls in der
von der Beklagten selbst ermittelten Höhe von 90,--€ auf 810,--€ vorzunehmen. Soweit der
Senat in der Verhandlung im Hinblick auf das fehlende Erwerbseinkommen des
Lebensgefährten der Beklagten und dessen Bezug von Leistungen nach dem SGB II zu
erkennen gegeben hat, eine Herabsetzung des Selbstbehalts nicht vornehmen zu wollen, ist
er aufgrund neuer Würdigung des Vorbringens der Beklagten zu einer anderen
Einschätzung gelangt. Zwar bleibt es im Grundsatz dabei, dass eine Kürzung des
Selbstbehalts kaum in Betracht kommen dürfte, wenn der Partner des Unterhaltspflichtigen
selbst nur über das Existenzminimum, namentlich in der Form von Sozialleistungen, verfügt
und wenn und soweit diese Leistungen ihrerseits bereits unter Berücksichtigung der
Ersparnisse aufgrund gemeinsamer Haushaltsführung in einer sogenannten
Bedarfsgemeinschaft ermittelt und reduziert worden sind. Ob letzteres hier der Fall ist, hat
die Beklagte aber nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere ist offen geblieben, ob der
Lebensgefährte auch Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II erhält, die
zugleich die von der Beklagten zu tragenden Wohnkosten senken und dadurch
möglicherweise Anlass zu einer Herabsetzung des notwendigen Selbstbehalts bieten. Bei
dieser Sachlage muss sich die Beklagte jedenfalls an der von ihr selbst vorgenommenen
Kürzung des Selbstbehalts um 90,--€ auf 810,--€, die auch die Klägerin der Höhe nach
akzeptiert, festhalten lassen.
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Auch damit besteht auf der Grundlage der tatsächlichen Einkünfte der Beklagten nur eine
eingeschränkte Leistungsfähigkeit zur Zahlung des Kindesunterhalts.
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2.
21
Die Beklagte kann sich jedoch ihrer Tochter gegenüber nicht darauf berufen,
leistungsunfähig bzw. nur teilweise leistungsfähig zu sein, zumal sie noch nicht einmal die
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Regelarbeitszeit von gegenwärtig noch 40 Wochenstunden ausschöpft. Ihr ist vielmehr ein
bereinigtes (Gesamt-)Einkommen von zumindest 1.188,--€ bis Dezember 2008 bzw. von
zumindest 1.195,--€ ab Januar 2009 fiktiv zuzurechnen, das sie befähigt, den verlangten und
zugesprochenen Unterhalt zu zahlen.
Reichen die tatsächlich vorhandenen Einkünfte des Unterhaltsschuldners nicht aus, um den
Mindestunterhalt für ein minderjähriges oder privilegiert volljähriges Kind zu zahlen, dann
trifft ihn eine gesteigerte Verpflichtung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft. Es gilt der
Grundsatz, dass sich seine Leistungsfähigkeit nicht nur anhand seiner tatsächlichen,
sondern auch der fiktiv erzielbaren Einkünfte bestimmt, wenn er eine ihm mögliche und
zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte.
Die Anrechnung fiktiver Einkünfte muss aber stets die Grenze des Zumutbaren beachten.
Voraussetzung der Zurechnung fiktiver Einkünfte ist ferner, dass der Unterhaltspflichtige die
ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder
nicht ausreichend unternommen hat und dass bei genügenden Bemühungen eine reale
Beschäftigungschance bestanden hätte (zuletzt BGH Urt. vom 3.12.2008 - Az. XII ZR 182/06
- Rn. 20f.). Diese Voraussetzungen für die Berücksichtigung fiktiven Einkommens auf Seiten
der Beklagten liegen vor:
23
2.1
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Zum einen hat die Beklagte keine konkreten Bemühungen um besser dotierte Stellen bzw.
um eine Ausweitung ihrer Tätigkeit dargelegt. Auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil
wird verwiesen.
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Das Unterlassen dieser Bemühungen wäre allerdings dann für einen gewissen Zeitraum
unbeachtlich, wenn der Beklagten im Anschluss an das Auskunftsbegehren der Klägerin
vom 08.06.2008 ohnehin eine gewisse "Karenzzeit" einzuräumen wäre, binnen derer noch
keine besser bezahlte Stelle fingiert werden kann, weil eine solche erfahrungsgemäß nicht
sogleich, sondern auch bei Entfaltung der erforderlichen Bewerbungsbemühungen erst nach
einer bestimmten Zeit zur Verfügung steht. Die Berücksichtigung einer solchen Karenzzeit
kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige nicht sofort mit seiner
Inanspruchnahme rechnen muss, etwa weil es spontan zur Trennung kommt oder weil ein
unterhaltsberechtigtes Kind kurzfristig in den Haushalt des anderen Elternteils wechselt.
Eine solche Situation besteht hier indes nicht, denn die Beklagte wurde bereits im Jahr 2005
über die Bedürftigkeit ihrer Tochter informiert. Dass im Hinblick auf ihr Schreiben vom
19.08.2005 zunächst seitens der Klägerin selbst möglicherweise nichts mehr unternommen
wurde, begründete kein schützenswertes Vertrauen der Beklagten darauf, auch weiterhin
nicht auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr musste sie jederzeit, auch
im Frühsommer 2008, mit einer Inanspruchnahme auf den Mindestunterhalt rechnen.
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2.2
27
Zum anderen bestanden in der hier interessierenden Zeit ab Juni 2008 auch für die Beklagte
reale Chancen auf eine vollschichtige, auf der Basis eines Stundenlohns von 8,50 € mit
zumindest 1.478,15 € brutto monatlich bezahlte Erwerbstätigkeit.
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Von einer realen Chance in diesem Sinn ist auszugehen, wenn die Aussichten auf einen
solchen Arbeitsplatz nicht völlig irreal oder nur theoretischer Art sind, wobei jeder ernsthafte
Zweifel daran, ob bei sachgerechten Bemühungen eine nicht ganz von der Hand zu
weisende Beschäftigungschance bestanden hätte und besteht, zu Lasten des
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Arbeitspflichtigen geht (Wendl/Staudigl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 1 Rn. 529).
Die Bejahung einer realen Chance im vorgenannten Sinn setzt allerdings zweierlei voraus:
Einerseits muss es überhaupt entsprechende Arbeitsplätze in gewisser Anzahl und mit der
üblichen Fluktuation geben, andererseits dürfen in der Person des Unterhaltspflichtigen
keine spezifischen Umstände vorliegen, die ihm den Zugang zu einem solchen Arbeitsplatz
wesentlich erschweren.
30
2.2.1
31
Was die Existenz von Arbeitsplätzen auch für ungelernte bzw. angelernte Frauen im Alter
der Beklagten angeht, so teilt der Senat die Auffassung der Berufungsklägerin nicht, wonach
solche Beschäftigungsmöglichkeiten praktisch nur im Reinigungsgewerbe zu einem
Stundenlohn von 8,15 € brutto, und hier auch nur teilschichtig, zu finden seien. Es gibt
keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass wegen hoher Arbeitslosigkeit, mangelnder
Ausbildung oder sonstiger ungünstiger Bedingungen von vornherein keine oder nur
teilschichtige Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen (ähnlich OLG Saarbrücken, Beschl.
vom 7.10.2009 - Az. 9 WF 113/09). Werden seitens des Unterhaltspflichtigen keine
konkreten, vom Umfang und vom Inhalt her ausreichende Bemühungen um einen
vollschichtigen Arbeitsplatz dargelegt, so kann auch aufgrund von Tarifverträgen auf die
Existenz solcher seinem Ausbildungsstand entsprechender vollschichtiger Arbeitsplätze -
und deren regelmäßige Neubesetzung infolge der üblichen Fluktuation - geschlossen
werden. Denn aus den Tarifverträgen ist zu folgern, dass es eine Mehrzahl solcher
Arbeitsplätze in der jeweiligen Tarifgruppe gibt, anderenfalls sie dort nicht erwähnt worden
wären. Dabei ist allerdings zugleich zu berücksichtigen, dass Arbeitsplätze mit
entsprechenden Anforderungen auch in nicht tarifgebundenen Bereichen bestehen können,
wenngleich deren Vergütung von den tariflichen Verhältnissen mitbestimmt zu werden pflegt.
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Unbeschadet des Umstandes, dass die Beklagte sogar gehalten ist, sich bundesweit um
eine Erwerbstätigkeit zu bemühen, weil sie ansonsten keine familiären Pflichten hat und ein
Umgang mit der Klägerin nicht stattfindet, ergibt sich bereits aus einer Reihe von
Tarifverträgen für Nordrhein-Westfalen, dass ein Brutto-Einkommen von 1.478,15 € auf der
Basis eines Stundenlohns von 8,50 € und einer 40-Stunden-Woche (173,9 Stunden
monatlich) als für eine ungelernte Frau erreichbar anzusehen ist. Beispielhaft sind folgende
Tarifdaten aus dem Tarifarchiv der Y bzw. aus dem tarifregister.nrw des Ministeriums für
Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zu nennen:
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Tätigkeit
Branche
Tarif-
gruppe
Tätigkeit
Arbeits-
zeit
tarifliche
Grundvergütung
Monat
Wagenwäscher/
-in
Kfz-Gewerbe NRW 1 (uG) ungelernte,
einfache
Hilfstätigkeiten
36,5
(Woche)
1.556 € (ab
04/07)
Bügler/-in
Textilrein.-gewerbe
West
III
u.a. Kontrolle
nach der
Bügelei
38,5
(Woche)
1.548 € (ab
04/09)
Verkaufshilfen
Einzelhandel NRW I (uG)
ohne
37,5
1.235 € - 1.577 €
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abgeschl.
kaufm. Ausb.
(Woche) (ab 05/08)
Packer/-in
Einzelhandel NRW II b
(uG)
Tätigkeiten
ohne
handwerkl.
Vor- oder
Ausbildung,
die aber
körperl.
schweres
Arbeiten
erfordert
37,5
(Woche)
1.841 € (ab
05/08)
Servicepersonal Systemgastronomie
West
2/3
Tätigkeiten
nach
Anlernzeit; in
den ersten 12
Monaten (2)
bzw. nach 12
Monaten (3)
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(Woche)
1.229 € / 1.308,--
€ (ab 12/07)
Wäscher/-in,
Zimmerfrau
Hotel- und
Gaststättengewerbe
169
(Monat)
1.357 €
Arbeiter/-in
Brot- und
Backwarenindustrie
ungelernte
Arbeitskraft
nach 6 Mon.
Betriebszuge-
hörigkeit
38
11,70 €
Stundenlohn (ab
11/09)
Das hier nach Auffassung des Senats zugrunde zu legende Brutto-Einkommen von 1.478,15
€ liegt im mittleren Bereich der tariflichen "Bandbreite" für Ungelernte.
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Die weitere Frage, ob der Beklagten nicht noch ein höheres Einkommen etwa im oberen
Bereich der vorgenannten Tariflöhne zuzuschreiben ist, weil auch dessen Erzielung noch
nicht als unrealistisch anzusehen ist, bedarf keiner Beantwortung, weil ihr, wie noch
auszuführen ist, jedenfalls eine Nebentätigkeit anzusinnen ist.
36
2.2.2
37
Spezifische Umstände in der Person der Beklagten, die ihren Zugang zu einem solchen
Arbeitsplatz erschweren, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Zunächst sind keinerlei
gesundheitliche Einschränkungen vorgebracht worden. Überdies verfügt die Beklagte in der
Gruppe der Ungelernten über eine durchaus akzeptable Erwerbsbiografie (abgeschlossene
Schulausbildung; mittlerweile jahrelange Tätigkeit als mehrfach übernommene
Reinigungskraft). Darüber hinaus lebt sie, ungeachtet ihrer Obliegenheit zu überregionaler
Mobilität, im Bereich eines Ballungsgebietes, das alle Arten der für sie in Frage kommenden
Arbeitsplätze in erreichbarer Entfernung bietet.
38
2.2.3
39
Bei einem Brutto-Einkommen von 1.478,15 € verblieben der Beklagten bei einer
Veranlagung in Steuerklasse I/0,5 in 2008 rund 1.054,--€ netto. Abzusetzen sind die fiktiven
Fahrtkosten, die entsprechend der Düsseldorfer Tabelle (Anmerkungen Zif. 3.) auf 5 % des
Netto-Einkommens zu bemessen sind. Es ergibt sich ein bereinigtes Einkommen von
1.001,30 €. Sie wäre damit in der Lage, unter Berücksichtigung des auf 810,--€
herabgesetzten Selbstbehalts zumindest 191,30 € Kindesunterhalt zu zahlen.
40
2.3
41
Darüber hinaus ist der Beklagten jedoch eine Nebentätigkeit zuzumuten, wie das
Familiengericht zu Recht annimmt. Mit einer solchen Nebentätigkeit im Umfang von maximal
4 Stunden in der Woche ist die Beklagte in der Lage, ein weiteres Einkommen von
zumindest rund 140,--€ monatlich zu erzielen, so dass sie den vollen Mindestunterhalt
zahlen kann.
42
Die Grundsätze des BGH (Urteil vom 3.12.2008 - Az. XII ZR 182/06 - Rn. 22f.) stehen der
Anrechnung fiktiver Einkünfte aus einer Nebentätigkeit nicht entgegen.
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Zu beachten sind zunächst die sog. objektiven Grenzen einer Nebentätigkeit. Danach darf
sich keine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von mehr als 48 Stunden ergeben, wie dies
aus § 3 ArbZG folgt, der die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit auf 8 Stunden
beschränkt. Das ist nicht der Fall, wenn die Beklagte neben einem vollschichtigen
Arbeitsplatz weitere 4 Stunden in der Woche arbeitet, weil sie dann auf eine
Wochenarbeitszeit von 44 Stunden kommt.
44
Darüber hinaus ist bei der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit auf die spezifische Lebens-
und Arbeitssituation des Pflichtigen einerseits und die Bedarfslage des Berechtigten
andererseits abzustellen. Auch dies hindert die Zurechnung einer Nebentätigkeit nicht.
Wenngleich durchaus gewisse Fahrtzeiten auf Seiten der Beklagten für die Erreichung eines
fiktiven vollschichtigen Arbeitsplatzes in Rechnung zu stellen sind, ist die Aufnahme einer
Nebentätigkeit - etwa abends oder samstags - angesichts des hier in Rede stehenden
Mindestunterhalts für ein Kind, das sich selbst nicht ernähren kann, durchaus zumutbar.
Dabei ist es auch von Bedeutung, dass die Beklagte keine weiteren Kinder zu betreuen hat
und ein Umgang mit ihrer Tochter ebenfalls nicht stattfindet.
45
Schließlich ist davon auszugehen, dass reale Beschäftigungschancen für bestimmte
Nebentätigkeiten existieren und ihrer Aufnahme keine rechtlichen Hindernisse
entgegenstehen. Der Senat legt zugrunde, dass die Beklagte im Rahmen einer
geringfügigen Tätigkeit namentlich abends oder samstags Reinigungstätigkeiten,
beispielsweise in Apotheken oder Arztpraxen, aber auch in Privathaushalten übernehmen
kann. Auch hier ist - entsprechend den üblichen Sätzen für Haushaltshilfen - zumindest ein
Stundenlohn von 8,50 € in der Stunde anzusetzen, von dem aufgrund der
sozialversicherungsrechtlichen Regelungen und der Pauschalversteuerung keine Abzüge
anfallen (wird neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung eine (einzige)
geringfügige Nebenbeschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ausgeübt, so bleibt
diese anrechnungsfrei, wenn die 400,--€-Grenze nicht überschritten ist; s. z.B. Schmidt,
EStG, 28. Aufl., § 40 a Rn. 2; s.a. Stollfuß, Gesamtabzug 2009, Abschn. G Rn. 54, Abschn. C
Rn. 163; anders möglicherweise BVerfG, Beschl. vom 16.4.2008 - Az. 1 BvR 2253/07). Bei
einer Arbeitszeit von 4 Stunden wöchentlich oder rund 26 Stunden monatlich ergibt sich ein
Verdienst von ca. 148,--€ monatlich, so dass bereinigt rund 140,--€ verbleiben.
46
Dass rechtliche Hindernisse der Aufnahme einer Nebentätigkeit im vorgenannten Umfang
und zum Zweck der Deckung des Mindestunterhalts eines Kindes entgegenstehen, kann
nicht unterstellt werden. Die Auffassung der Beklagten, es sei davon auszugehen, dass ihr
bei Fiktion eines vollschichtigen Arbeitsverhältnisses eine Nebentätigkeit seitens des
Arbeitgebers nicht gestattet werde, stellt eine bloße Vermutung dar. Zwar ist ihr darin zu
folgen, dass es einem Unterhaltspflichtigen im Einzelfall unzumutbar sein kann, seinen -
vollschichtigen - Arbeitsplatz durch die Verletzung eines Nebentätigkeitsverbots oder durch
das Erstreiten einer Erlaubnis zu gefährden. Doch kann derzeit weder davon ausgegangen
werden, dass die Beklagte nur einen Arbeitsvertrag mit Nebentätigkeitsverbot erhalten hätte
noch dass sich der Arbeitgeber im Falle der Vereinbarung eines solchen Verbots der
ausnahmsweisen Erteilung der Genehmigung widersetzt hätte.
47
3.
48
Die Beklagte kann sich schließlich nicht darauf berufen, ihre - gesteigerte - Unterhaltspflicht
entfalle gem. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB, weil der Vater der Klägerin als anderer
leistungsfähiger Verwandter heranzuziehen sei. Es fehlt bereits am erforderlichen konkreten
Sachvortrag zur Leistungsfähigkeit des Kindesvaters. Angesichts des bekannten SGB II-
Bezugs der Klägerin und der vorgelegten Inkassozession sind auch keinerlei Anhaltspunkte
dafür ersichtlich, dass der Vater der Klägerin im Zeitraum ab Juni 2008 ein höheres
Einkommen als die Beklagte erzielt hat.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
50