Urteil des OLG Hamm vom 15.10.2003

OLG Hamm (einstweilige verfügung, verfügung, mieter, vermieter, vorvertrag, privatautonomie, wahlrecht, vorläufiger rechtsschutz, mietvertrag, zusage)

Oberlandesgericht Hamm, 30 U 131/03
Datum:
15.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
30. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
30 U 131/03
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, 1 O 20/03
Tenor:
Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das am 30. Mai 2003
verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts
Hagen abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hagen vom 30. Mai 2003
wird aufgehoben. Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlaß der
einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen. Die Verfügungsklägerin
trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Verfügungsklägerin, die sich mit dem Vertrieb von Kfz-Kennzeichen und dem
Zulassungsdienst befaßt, bemüht sich seit Spätsommer 2002 um die Anmietung eines
Ladenlokals im Gebäude S-Straße in I, dessen Eigentümer der Verfügungsbeklagte ist,
um dort im Umfeld des neu gestalteten Rathausbereiches Kfz-Kennzeichen anbieten zu
können. Sie will es dem Verfügungsbeklagten untersagen, Dritten den Besitz an den
Räumen einzuräumen.
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Im September 2002 bot eine vom Verfügungsbeklagten beauftragte Maklerfirma der
Verfügungsklägerin das Ladenlokal zur Miete an; hierzu erklärte der Geschäftsführer der
Verfügungsklägerin seine Zustimmung. In einem Telefonat vom 25.10.2002 erteilte der
Verfügungsbeklagte dem Geschäftsführer der Klägerin die Zusage, im Gebäude S-
Straße in I das komplette Erdgeschoß mit 84 qm für 980,00 € oder hiervon 50 qm für
15,00 €/qm mit Konkurrenzschutz für eine Mietdauer von 10 Jahren anmieten zu
können. Diese mündliche Zusage bestätigte der Verfügungsbeklagte auf ein Schreiben
der Verfügungsklägerin vom 29.10.2002 schriftlich.
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Mit Schreiben vom 22.11.2002 bot die Maklerfirma der Verfügungsklägerin konkret die
Anmietung eines Ladenlokals von 41,69 qm, das nur noch über ein "totes" Schaufenster
zur S-Straße verfügte, an. Hiermit erklärte sich die Verfügungsklägerin mit Schreiben
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vom 29.11.2002 nicht einverstanden. Der Inhalt der weiteren Gespräche der Parteien ist
streitig. Auf Veranlassung der Verfügungsklägerin sprach der Verfügungsbeklagte die
Inhaberin des benachbarten Copyshops, Frau U, darauf an, ob sie bereit sei, verbindlich
zu erklären, auf die Herstellung von Kfz-Kennzeichen bzw. deren Verkauf in ihren
Geschäftsräumen zu verzichten. Dies lehnte diese ab. Auf eine Anfrage der
Verfügungsklägerin vom 22.04.2003 antwortete der Verfügungsbeklagte am nächsten
Tag, die Verfügungsklägerin habe selbst in Anbetracht der Wettbewerbssituation
signalisiert, nicht mehr an einer Anmietung interessiert zu sein. Man habe mit großen
Mühen eine andere Lösung gefunden.
Der Verfügungsbeklagte ist noch im Besitz der Räume. Über deren Vermietung hat er
zwischenzeitlich mit einem Herrn T3 eine Einigung erzielt. Dieser wollte im Gebäude S-
Straße zunächst im Erdgeschoß einen "Telefon-Shop" und im Obergeschoß ein
"Internet-Café" betreiben. Hierzu erteilte der Verfügungsbeklagte seine Zustimmung. Ein
schriftlicher Mietvertrag über die Räume wurde von Herrn T3 bereits vor dem
erstinstanzlichen Urteil unterzeichnet. Der Verfügungsbeklagte hat seine Unterschrift
von einer Genehmigung der Baubehörde und einer Finanzierungszusage seiner Bank
abhängig gemacht, Herrn T3 aber mündlich die feste Zusage erteilt, die Räume
anmieten zu können. Als die zuständige Behörde die Genehmigung für den Betrieb
eines Internet-Cafés im Obergeschoß nicht erteilte, beschloß Herr T3, dort ein
allgemeines Café zu betreiben. Daraufhin erstreckte der Verfügungsbeklagte seine
zuvor mündlich erteilte Zusage auch auf die Anmietung der Räume zu diesem Zweck.
Dies erfolgte ebenfalls noch vor der erstinstanzlichen Entscheidung.
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Die Verfügungsklägerin hat vorgetragen, der Vereinbarung vom 25./29.10.2002 habe
ein ihr von der Maklergesellschaft übermittelter Plan zugrundegelegen, der eine an sie,
die Verfügungsklägerin, zu vermietende Fläche von 50 qm mit vier Schaufenstern zur S-
Straße hin ausgewiesen habe. Sie habe zu keiner Zeit erklärt, an der Anmietung der
Räume kein Interesse zu haben. Sie habe in einem Telefonat von Dezember 2002
lediglich die Anmietung des kleineren Ladenlokals von 41,69 qm davon abhängig
gemacht, daß eine Erklärung der Frau U vorgelegt würde, wonach diese auf die
Herstellung und den Vertrieb von Kfz-Kennzeichen verzichte. Noch bei einem im Januar
2003 geführten Telefonat habe ihr Geschäftsführer dem Verfügungsbeklagten erklärt, er
könne sich auch mit einer kleineren Schaufensterfläche einverstanden erklären.
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Der Verfügungsbeklagte hat behauptet, der von der Verfügungsklägerin vorgelegte Plan
sei ihm unbekannt. Der Vereinbarung vom 25./29.10.2002 habe ein Plan
zugrundegelegen, nachdem zu dem zur S-Straße hin gelegenen Ladenlokal nur zwei
Schaufenster gehörten. Ferner hat der Verfügungsbeklagte behauptet, der
Geschäftsführer der Klägerin habe bei einem im Dezember 2002 geführten Telefonat
erklärt, er habe an der Anmietung jeglicher Räume kein Interesse, wenn nicht die
Erklärung der Frau U beigebracht würde, daß diese auf die Fertigung und den Verkauf
von Kfz-Schildern verzichte. Nachdem klar gewesen sei, daß Frau U eine solche
Erklärung nicht abgeben würde, hätte sich die Verfügungsklägerin bis Ende April 2002
bei ihm nicht mehr gemeldet.
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Das Landgericht hat den Verfügungsbeklagten auf den Antrag der Verfügungsklägerin
im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es zu unterlassen, den Besitz an dem
im Hause S-Straße in I im Erdgeschoß gelegenen Ladenlokal bis zur rechtskräftigen
Klärung seiner Verpflichtung zum Abschluß eines Mietvertrages mit der
Verfügungsklägerin an Dritte zu überlassen. Zur Begründung hat das Gericht
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ausgeführt, der Verfügungsklägerin stünde ein Anspruch auf Abschluß eines
Mietvertrages aus der Vereinbarung der Parteien vom 25./29.10.2002 über die in dieser
Vereinbarung genannten Räume zu. Hiermit sei ein wirksamer Vorvertrag
zustandegekommen, da das Mietobjekt, die Mietdauer und der Mietzins festgelegt
worden seien. Unschädlich sei, daß offen gewesen sei, ob der Mietvertrag über die
größere oder die kleinere Fläche abgeschlossen werden sollte. Insoweit hätte dem
Verfügungsbeklagten ein Wahlrecht zugestanden. Daß die Verfügungsklägerin
irrtümlich davon ausgegangen sei, die Vereinbarung beziehe sich auf einen ihr
überlassenen Plan mit vier Schaufenstern, sei unschädlich. Der Verfügungsanspruch
sei auch nicht untergegangen. Es sei nicht festzustellen, daß die Verfügungsklägerin
ihre Rechte aus der Vereinbarung aufgegeben habe. Für seine dementsprechende
Behauptung sei der Verfügungsbeklagte beweisfällig geblieben. Nach den Angaben der
Parteien vor der Kammer sei nicht festzustellen, welche der beiden Varianten zum Inhalt
des im Dezember 2002 geführten Telefonates überwiegend wahrscheinlich sei. Ein
Verfügungsgrund bestehe, da eine Gefährdung des Anspruchs aus dem Vorvertrag
durch die beabsichtigte Überlassung des Mietobjektes an Herrn T3 gegeben sei. Denn
danach sei der Verfügungsbeklagte zur Überlassung des Objektes an die
Verfügungsklägerin nicht mehr in der Lage und sei daher nach § 242 BGB auch zum
Abschluß eines Mietvertrages nicht mehr verpflichtet. Dem Anspruch auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung stehe auch nicht entgegen, daß die Vertragsfreiheit des
Verfügungsbeklagten als Vermieter systemwidrig beeinträchtigt werde. Zwar bestünde
eine entsprechende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur für den Fall der
Doppelvermietung. Das Gericht schließe sich jedoch der Ansicht an, wonach für beide
Mieter die Möglichkeit bestehe, ihre jeweiligen Ansprüche auf Überlassung auch im
Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen. Denn beide Mieter könnten ihre
Ansprüche auch im Hauptsacheverfahren durchsetzen und vollstrecken. Zudem sei die
Privatautonomie des Vermieters, der beide Verträge abgeschlossen habe, nicht
schützenswert.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner Berufung, mit der er
die Aufhebung der erlassenen einstweiligen Verfügung und die Zurückweisung des
Antrags der Verfügungsklägerin begehrt. Er verbleibt bei seinem erstinstanzlichen
Vorbringen und trägt ergänzend wie folgt vor:
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Zwischen den Parteien sei kein Vorvertrag zustandegekommen. Die Parteien hätten
lediglich Absichtserklärungen ohne Rechtsbindungswillen abgegeben. Dies ergebe
sich insbesondere daraus, daß das Mietobjekt nicht bestimmt und auch nicht
bestimmbar gewesen sei. In jedem Fall scheitere die Annahme eines Vorvertrages
daran, daß bei den Erklärungen vom 25./29.10.2003 ein Dissens über die
Räumlichkeiten bestanden habe, da die Parteien von unterschiedlichen Plänen
ausgegangen seien. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehe darüber hinaus
fest, daß die Verfügungsklägerin gegebenenfalls auf mögliche Rechte aus einem
Vorvertrag bei dem Telefonat von Dezember 2002 verzichtet habe. Aus den
feststehenden Umständen ergebe sich, daß seine, des Verfügungsbeklagten,
Darstellung des Inhalts dieses Telefonates überwiegend wahrscheinlich sei, die
Angaben der Verfügungsklägerin hingegen jedweder Plausibilität entbehrten.
Schließlich habe das Landgericht rechtsfehlerhaft verkannt, daß einem Vermieter durch
einstweilige Verfügung nicht untersagt werden könne, ein bereits vermietetes Objekt
erneut zu vermieten und an den Vertragspartner des späteren Vertrages zu übergeben.
Der Vermieter habe das Wahlrecht, zu entscheiden, wem er das Objekt übergeben
wolle; in dieses Wahlrecht dürften die Gerichte nicht eingreifen.
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Die Verfügungsklägerin erklärt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das Urteil
des Landgerichts als richtig und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
12
II.
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Die Berufung des Verfügungsbeklagten ist zulässig und begründet.
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Der Verfügungsklägerin steht ein Anspruch auf Erlaß der beantragten einstweiligen
Verfügung nicht zu, da die begehrte Untersagung einer Besitzüberlassung der
streitgegenständlichen Räume durch den Verfügungsbeklagten an Dritte im Wege der
einstweiligen Verfügung unstatthaft ist.
15
1.
16
Zwischen dem Verfügungsbeklagten und Herrn T3 bestand schon bei Erlaß des
erstinstanzlichen Urteils ein wirksamer Vorvertrag über die Anmietung der im
Erdgeschoß und ersten Obergeschoß des Hauses S-Straße in I gelegenen Räume
durch Herrn T3. Es ist unstreitig, daß sich der Verfügungsbeklagte und Herr T3 mündlich
darauf geeinigt haben, daß ein endgültiger Mietvertrag über die Räume, in denen Herr
T3 einen Telefon-Shop und ein Internet-Café betreiben wollte, abgeschlossen werden
sollte, sobald eine Genehmigung der Baubehörde und eine Finanzierungszusage der
Bank vorlag. Ferner ist unstreitig, daß Herr T3 bereits einen entsprechenden
schriftlichen Mietvertrag unterzeichnet und daß der Verfügungsbeklagte ihm die feste
Zusage, die Räume anmieten zu können, erteilt hatte. Schließlich ist es auch nicht im
Streit, daß Herr T3 die Räume im ersten Obergeschoß zum Betrieb eines einfachen
Betriebs nutzen wollte, nachdem die zuständige Behörde die Genehmigung eines
Internet-Cafés versagte, und daß der Verfügungsbeklagte umgehend seine Zusage
auch auf diese Nutzung der Räume erstreckte; eine entsprechende nachvollziehbar und
glaubhafte Erklärung des Verfügungsbeklagten vor dem Senat hat die
Verfügungsklägerin nicht bestritten. Diese Erklärungen der beteiligten Personen
begründen einen wirksamen Vorvertrag zwischen dem Verfügungsbeklagten und Herrn
T3. Dem vom Geschäftsführer der Verfügungsklägerin vor dem Senat gestellten Antrag,
dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, "die Mietvorvereinbarung vorzulegen", war
danach nicht nachzugehen, da es eine von beiden Vertragsparteien unterzeichnete
Mietvorvereinbarung nicht gegeben hat und da die Umstände, die den Abschluß eines
wirksamen Vorvertrages begründeten, in diesem Rechtsstreit unstreitig sind.
17
2.
18
Der sich aus diesem Vorvertrag ergebende Anspruch des Herrn T3 auf Abschluß eines
endgültigen Mietvertrages stand und steht einem Anspruch der Verfügungsklägerin, es
dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, die
streitgegenständlichen Räume an Dritte zu überlassen, entgegen. Dabei kann
dahinstehen, ob zwischen den Parteien dieses Rechtsstreites tatsächlich ebenfalls ein
wirksamer Vorvertrag über die Anmietung der im Erdgeschoß des Hauses S-Straße in I
gelegenen Räume oder Teile von ihnen geschlossen wurde. Den Abschluß eines
endgültigen Mietvertrages enthalten die Erklärungen der Parteien, einschließlich der
vom Verfügungsbeklagten beauftragten Maklerfirma, zweifelsfrei nicht, da es zumindest
an der endgültigen Festlegung des Mietobjektes fehlte. Der mögliche Anspruch auf
Abschluß eines Mietvertrages aus einem Mietvorvertrag begründete aber noch nicht ein
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Recht der Verfügungsklägerin, dem Verfügungsbeklagten die Überlassung der Räume
an Herrn T3 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu untersagen. Dabei kommt
es nicht darauf an, ob zwischen dem Verfügungsbeklagten und Herrn T3 bislang
lediglich ein Vorvertrag geschlossen wurde, oder ob es mittlerweile, wie es der
Verfügungsbeklagte behauptet, zum Abschluß eines endgültigen Mietvertrages
gekommen ist; der von der Verfügungsklägerin beantragten Vorlage eines eventuellen
endgültigen Mietvertrages bedurfte es daher nicht. Denn der Anspruch eines Vormieters
auf Abschluß eines Mietvertrages mit der Folge eines Anspruchs auf Überlassung des
Mietobjektes ist entgegen der Auffassung des Landgerichts gegenüber einem zweiten
Vormieter, der den gleichen Anspruch besitzt, nicht durch einstweilige Verfügung zu
sichern.
a)
20
Für den Fall der Doppelvermietung ist es in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob
ein Mieter seinen Anspruch auf Besitzüberlassung gegenüber dem zweiten Mieter durch
einstweilige Verfügung sichern kann. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (NJW-RR
1991, 137) hat dies ohne Problematisierung und Begründung bejaht; dem folgen Teile
der Literatur (Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearbeitung 2003, § 536 Rn. 48;
Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 938 Rn. 12; Kluth/Grün, NZM 2002, 473;
Derleder/Pellegrino, NZM 1998, 557; Wichert, ZMR 1997, 16) mit unterschiedlichen
Begründungen. Demgegenüber haben die Oberlandesgerichte Frankfurt (NJW-RR
1997, 77), Brandenburg (MDR 1998, 98) und Schleswig (MDR 2000, 1428) bei dieser
Konstellation den Erlaß einer einstweiligen Verfügung als nicht zulässig abgelehnt
(ebenso Ehlert, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2003, vor § 535 Rn. 10; Eisenschmid,
in: Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Aufl. 2003, § 536 Rn. 250 f., 274; Palandt/Weidenkaff,
BGB, 62. Aufl. 2003, § 536 Rn. 30; Ulrici, ZMR 2002, 881; Schuschke/Walker,
Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl. 1999, Vorbemerkung zu § 935
Rn. 40 a.E.).
21
Der Senat ist mit der neuen Rechtsprechung der Obergerichte und der sie
unterstützenden Literaturmeinungen der Auffassung, daß eine einstweilige Verfügung
zur Sicherung des Überlassungsanspruchs eines Mieters gegenüber den Rechten eines
anderen Mieters als Sicherungsmittel nicht statthaft und ihr Erlaß daher unzulässig ist.
Hierfür sprechen entscheidend zwei Gründe:
22
aa)
23
Der Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung steht der Schutz der Privatautonomie des
Schuldners entgegen. Es ist Sache des Vermieters, als Schuldner zu bestimmen,
welchen der beiden Überlassungsansprüche er erfüllt und an welchen Mieter er
Schadensersatz leistet. Denn der Vermieter, der einen Mietvertrag abschließt, begibt
sich noch nicht seines durch die Vertragsfreiheit geschützten Rechtes, an einen Dritten
erneut zu vermieten. Bis zur Zwangsvollstreckung bleibt ihm das Wahlrecht, zu
bestimmen, welchen Vertrag er erfüllen will; dieses Wahlrecht ist als Ausfluß der
Vertragsfreiheit schützenswert. In dieses Recht darf nicht durch eine einstweilige
Verfügung dergestalt eingegriffen werden, daß der Schuldner gezwungen würde, an
den Gläubiger zu leisten, der als erster eine einstweilige Verfügung erwirkt und vollzieht
(ebenso OLG Frankfurt, OLG Brandenburg, OLG Schleswig, Eisenschmid, in:
Schmidt/Futterer, jeweils a.a.O.).
24
Der gegenteiligen Auffassung, der Vermieter und seine Privatautonomie seien nicht
schützenswert, da er sich selbst durch den ersten Vertragsschluß gebunden habe,
hierdurch seine Privatautonomie eingeschränkt habe und später vertragsbrüchig
geworden sei (Kluth/Grün, a.a.O.; Ulrici, a.a.O., S. 882; Wichert, a.a.O., S. 17), vermag
der Senat nicht zu folgen. Es steht außer Frage, daß beim Abschluß zweier Mietverträge
diese gleichermaßen wirksam sind und daß die Verträge gleichberechtigt
nebeneinander stehen. Es gilt gerade nicht der Grundsatz der Priorität des
Vertragsschlusses (anders wohl Derleder/Pelegrino, a.a.O.). Der Vermieter hat sich
durch den ersten Vertragsschluß nicht in der Weise gebunden, daß sein Recht und
seine Möglichkeit, weitere, gleichermaßen wirksame Verträge abzuschließen und diese
zu erfüllen, eingeschränkt ist. Schützenswert ist auch in dieser Situation nicht der
Vermieter, sondern seine Privatautonomie. Diese gilt auch und gerade in der
sogenannten Zwickmühle, und zwar bis zur Grenze des kollusiven oder sonstwie
sittenwidrigen Verhaltens, für das hier jedweder Anhaltspunkt fehlt.
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Unzutreffend ist nach Auffassung des Senates auch das Argument des Landgerichts, es
sei unumstritten, daß beide Mieter ihre Ansprüche jedenfalls im Hauptsacheverfahren
durchsetzen und vollstrecken könnten; es gelte mithin ein Wettbewerb der Gläubiger.
Für den einstweiligen Rechtsschutz müsse dasselbe gelten. Hierbei wird übersehen,
daß durch eine einstweilige Verfügung in das Wahlrecht des Schuldners, anders als bei
einer Entscheidung im Erkenntnisverfahren, durch staatliche Zwangsmittel eingegriffen
wird. Im Erkenntnisverfahren wird lediglich der dem einen Mieter selbstverständlich
zustehende Überlassungsanspruch ausgeurteilt, ohne daß dies Einfluß auf den
gleichermaßen bestehenden Überlassungsanspruch des anderen Mieters hätte; das
Wahlrecht des Schuldners, bis zur Durchführung der Zwangsvollstreckung selbst zu
entscheiden, gegenüber welchem der Mieter er den Vertrag erfüllen und an welchen
Mieter er Schadensersatz leisten will, bleibt hierdurch unberührt. Im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes würde hingegen die Erfüllung des anderen
Überlassungsanspruchs mit einem staatlichen Verbot belegt, das zudem mit staatlichen
Zwangsmitteln bewehrt wäre. Der Vermieter sähe sich für den Fall, daß er gegenüber
dem Mieter, der die einstweilige Verfügung nicht erwirkt hat, erfüllen wollte, der Gefahr
erheblicher staatlicher Zwangsmittel, insbesondere der Verhängung von nicht
unerheblichen Ordnungsgeldern, ausgesetzt. Dies würde seine Wahlfreiheit in einem
gegen den Grundsatz der Privatautonomie verstoßenden Maße einschränken.
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bb)
27
Zu einer anderen Bewertung führt auch nicht die in Rechtsprechung und Literatur ganz
überwiegend angenommene Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung im Fall des
Doppelverkaufs. Denn für diese Konstellation bestehen gesetzliche Kollisionsnormen,
die die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Privatautonomie des Schuldners im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes begründen; solche Kollisionsnormen fehlen im Fall der
Doppelvermietung. Beim Doppelverkauf eines Grundstücks ist der Gläubiger kraft
ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in §§ 883, 885 BGB in der Lage, die
Entscheidungsfreiheit des Schuldners, an wen er leisten will, durch einstweilige
Verfügung einzuschränken. Die Rechtsschutzmöglichkeit des Gläubigers reicht kraft
Gesetzes weiter als die Privatautonomie des Schuldners. Der Verschaffungsanspruch
des Schuldners kann wirksam gegenüber jedem weiteren Gläubiger durch Vormerkung
gesichert werden. Es gilt aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Normierung das
Prioritätsprinzip, das heißt, maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entstehung der Vormerkung
(vgl. Palandt/Bassenge, a.a.O., § 883 Rn. 20). Im Fall des Doppelverkaufs einer
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beweglichen Sache ist zwar die Frage, ob eine einstweilige Verfügung zur Sicherung
des Verschaffungsanspruchs erwirkt werden kann, oder ob dem die
Entscheidungsfreiheit des Schuldners entgegensteht, nicht materiell-rechtlich geregelt.
Wenn aber eine einstweilige Verfügung erlassen und vollzogen wird, ist der
Erschaffungsanspruch über §§ 135 Abs. 1 S. 1, 136 BGB materiell-rechtlich gesichert.
Es ist anerkannt, daß die einstweilige Verfügung zu den Anwendungsfällen des § 136
BGB zählt. In diesem Anwendungsbereich gilt aber das Prioritätsprinzip, so daß
maßgeblich die Vollziehung der einstweiligen Verfügung mit Zwangsmittelandrohung ist
(vgl. Musielak/Huber, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 936 Rn. 5).
Eine derartige gesetzliche Regelung besteht aber für den Fall einer Doppelvermietung
nicht. Zum einen fehlt eine den § 883 BGB vergleichbare Norm; die Frage, ob die
Entscheidungsfreiheit des Schuldners dem Erlaß einer einstweiligen Verfügung
entgegensteht, ist materiell-rechtlich nicht ausdrücklich gelöst. Es fehlt zum anderen
aber auch eine den §§ 135, 136 BGB entsprechende Norm. Die Regelung ist nicht
unmittelbar anwendbar, da die Besitzüberlassung einen Realakt und keine Verfügung
darstellt. Aber auch eine entsprechende Anwendung der §§ 135, 136 BGB kommt nach
Auffassung des Senates nicht in Betracht (ebenso Kluth/Grün, a.a.O., S. 476; Ulrici,
a.a.O., S. 883; anderer Ansicht Wichert, a.a.O., S. 18). Einer solchen Analogie steht
entgegen, daß sie nicht nur in einer Auswechselung des Tatbestandes bestünde,
sondern daß auch die gesetzlich geregelte Rechtsfolge geändert würde. An die Stelle
der relativen Unwirksamkeit einer Verfügung trete nämlich die relativ unwirksame
Besitzübertragung. Eine solche Konstruktion findet aber im BGB keine Stütze und ist
auch denkgesetzlich problematisch.
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Aufgrund des Fehlens anderweitiger gesetzlicher Regelungen hat es aber bei dem
Vorrang der Privatautonomie des Schuldners zu verbleiben.
30
cc)
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Das Fehlen einschlägiger Kollisionsnormen steht der Zulässigkeit der einstweiligen
Verfügung zur Sicherung des Anspruchs auf Besitzüberlassung im Fall der
Doppelvermietung aber auch aus einem anderen Grund entgegen. Da §§ 135, 136 BGB
nicht entsprechend anwendbar sind, läßt sich der Anspruch des Mieters auf
Gebrauchsüberlassung mittels der einstweiligen Verfügung im Ergebnis nicht wirksam
schützen; denn eine verbotswidrige Gebrauchsüberlassung an einen anderen Mieter
wäre mangels gesetzlicher Einschränkungen materiell-rechtlich in jedem Fall
uneingeschränkt wirksam. Mithin ist die einstweilige Verfügung im Ergebnis als
Sicherungszweck untauglich.
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Zudem ist der Kollisionsfall zweier widersprechender einstweiliger Verfügungen nicht
gelöst und nicht lösbar. Es kann nicht auf die Reihenfolge des Vollzuges der
einstweiligen Verfügung abgestellt werden. Der Prioritätsgrundsatz greift nicht ein, weil
den §§ 883 Abs. 2, 135, 136 BGB entsprechende materiell-rechtliche Kollisionsnormen
fehlen. Es bliebe eine Pattsituation, die die Gefahr bürge, daß der Vermieter unter
Umständen über mehrere Jahre wegen der gerichtlichen Verbote an keine Partei leisten
könnte.
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b)
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Ist aber schon der Anspruch des Mieters auf Besitzüberlassung gegenüber dem gleich
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gerichteten Anspruch eines anderen Mieters nicht durch einstweilige Verfügung zu
sichern, gilt dies erst recht für den Anspruch auf Abschluß eines Mietvertrages im
Konkurrenzverhältnis zweier Vormieter. Die Rechtsposition des Vormieters ist
gegenüber der des Mieters deutlich schwächer; sie gewährt ihm gegenüber dem
Vermieter sicher keine weitergehenden Rechte. Die die Unstatthaftigkeit der
einstweiligen Verfügung tragenden Gründe gelten hingegen im Konkurrenzverhältnis
zweier Vormieter gleichermaßen. Das Wahlrecht des Vermieters, mit wem er zur
Überlassung des Mietobjektes einen endgültigen Vertrag abschließt, würde durch die
einstweilige Verfügung deutlich eingeschränkt, da ihm die Erfüllung eines Vertrages mit
dem Konkurrenten bei Einhaltung des gerichtlichen Verbotes unmöglich würde. Hinzu
kommt, daß sich der Vermieter durch einen Vorvertrag deutlich geringer bindet als durch
einen endgültigen Mietvertrag; durch ein im Wege einstweiliger Verfügung
ausgesprochenes Überlassungsverbot würde mithin seine Privatautonomie
weitergehend eingeschränkt. Schließlich besteht auch das Problem konkurrierender
Überlassungsverbote in gleicher Weise wie im Fall der Doppelvermietung.
Da die Verfügungsklägerin danach mit der beantragten einstweiligen Verfügung ein
unstatthaftes Sicherungsmittel begehrt, ist ihr Antrag auf Erlaß der einstweiligen
Verfügung unbegründet. Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das
zusprechende erstinstanzliche Urteil ist mithin begründet.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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