Urteil des OLG Hamm vom 19.11.1998

OLG Hamm (grobe fahrlässigkeit, treu und glauben, cmr, fahrer, fahrlässigkeit, italien, zeuge, lastzug, ladung, 1995)

Oberlandesgericht Hamm, 18 U 133/96
Datum:
19.11.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 U 133/96
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 6 O 115/95
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. Mai 1996 verkündete Urteil
der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Detmold wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 28.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht
die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Sicherheitsleistungen können durch selbstschuldnerische
unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-
rechtlichen Sparkasse erbracht werden.
Das Urteil beschwert die Klägerin in Höhe von 252.399,48 DM.
Tatbestand:
1
Die Klägerin betätigt sich als Spediteurin. Die Beklagte betreibt ein Frachtunternehmen.
Im Jahre 1992 erhielt die Beklagte von der Klägerin mehrfach Aufträge zum Transport
von Waren von Deutschland nach Italien und umgekehrt. U. a. war die Beklagte
beauftragt, im Juli 1992 einen Gütertransport von dem Außenlager der Klägerin in L
nach B in der Nähe von N bei N2 durchzuführen, wobei die Sendung in N2 zu verzollen
sein sollte. Am 10. Juli 1992 übernahm der Ehemann der Beklagten, der Zeuge I, die
Sendung in L mit dem Lastzug der Beklagten mit dem polizeilichen Kennzeichen
######### (Motorwagen) und ######### (Anhänger). Der von der Klägerin
ausgestellte Frachtbrief wurde vom Frachtführer nicht unterschrieben. Der Zeuge I fuhr
den Lastzug dann ohne Beifahrer nach N2 und stellte ihn in der Via M unbeaufsichtigt
ab. Als er zurückkehrte, war der Lastzug samt Ladung verschwunden. Er wurde später
ohne die Ladung in N wieder aufgefunden. Die Klägerin reklamierte den Schadensfall
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mit Schreiben vom 11.09.192 gegenüber der Beklagten. Mit Schreiben vom 26.10.1994
meldete sich die Firma K KG bei der Beklagten und reklamierte den Schadensfall
erneut. Mit Anwaltschreiben vom 18.01.1993 an die Firma K KG ließ die Beklagte die
Reklamtion zurückweisen.
Mit der am 13.07.1995 eingereichten und am 30.08.1995 zugestellten Klage hat die
Klägerin von der Beklagten Schadensersatz verlangt. Sie hat gemeint, hinsichtlich des
Schadensfalles treffe die Beklagte und ihren Ehemann der Vorwurf grober
Fahrlässigkeit. Sie hat behauptet, die dem Zeugen I übergebene Ladung habe aus 249
Kartons mit Elektronikteilen im Werte von 242.399,48 DM bestanden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 252.399,48 DM nebst 5 % Zinsen seit dem
02.10.1992 zu zahlen.
5
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat gemeint, der Vorwurf grober Fahrlässigkeit sei nicht begründet. Dazu hat sie
behauptet, daß ihr Unternehmen so organisiert gewesen sei, daß sie nur den im Juli
1992 gestohlenen Lastzug besessen habe. Sie selbst sei nicht in ihrem eigenen
Unternehmen, sondern als Beschäftigungstherapeutin im M tätig gewesen. Ihr
Ehemann, der Zeuge I3, habe ihr Unternehmen für sie allein geführt und sei auch der
einzige Fahrer gewesen. Das alles sei der Klägerin seit Beginn der
Geschäftsverbindung der Parteien zueinander Anfang 1992 bekannt gewesen. Im
übrigen hat sie gemeint, daß die Klägerin sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und
Glauben nicht auf grobe Fahrlässigkeit berufen könne, und hat dazu behauptet, daß sie
im Anschluß an den Schadensfall für die Klägerin bis Ende 1992 noch zahlreiche
weitere Transporte nach Italien durchgeführt habe.
8
Die Beklagte hat weiter behauptet:
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Ihr Ehemann sei am 13.07.1992 etwa gegen 21.30 Uhr in N2 am Zollhof eingetroffen.
Da der Zollhof jedoch mit Fahrzeugen vollgestellt und im übrigen bereits auch
geschlossen gewesen sei, habe ihr Ehemann den Lastzug etwa 150 m bis 200 m
entfernt auf einem Seitenstreifen der vielbefahrenen Via M abgestellt, die vorhandene
Dieselwegfahrsperre des Zugfahrzeuges eingeschaltet und das Fahrzeug verschlossen.
Er habe sich dann in ein nahegelegenes Restaurant begeben, weil er dringend eine
Toilette habe aufsuchen müssen. Insgesamt sei der Lastzug etwa 1/4 Stunde
unbewacht gewesen und in dieser Zeit gestohlen worden. Sie hat gemeint, daß sie
deshalb - wenn überhaupt - nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit treffe, weshalb der
Schadensersatzanspruch der Klägerin verjährt sei. Sie hat ferner gemeint, daß die
Klägerin zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nicht berechtigt sei, weil
sie selbst keinen Schaden erlitten habe.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen I.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom
18.04.1996 (Bl. 171 ff Gerichtsakten) verwiesen.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, der Schadensersatzanspuch sei verjährt. Zwar sei die
Besetzung eines Lkw mit nur einem Fahrer bei einem Transport nach Italien grob
fahrlässig. Hierauf könne sich die Klägerin aber gemäß § 242 BGB nicht berufen, weil
sie die Organisationsstruktur der Beklagten gekannt habe und dennoch ihr weiterhin
Transportaufträge für Fahrten nach Italien auch in der Folgezeit erteilt habe, ohne eine
Abänderung zu verlangen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der
Einzelheiten der rechtlichen Begründung des Landgerichts wird auf den Tatbestand und
die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 30. Mai 1996 (Bl. 253 ff
Gerichtsakten) verwiesen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht eingereichte und begründete Berufung
der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt sowie
klageerweiternd hilfsweise Freistellung verlangt. Zur Begründung ihrer Berufung ergänzt
und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Inhalt der Berufungsbegründung vom 28.10.1996 (Bl. 282 ff Gerichsakten) sowie auf den
Inhalt der Schriftsätze vom 07.04.1997 (Bl. 349 ff Gerichtsakten), vom 29.04.1997 (Bl.
356 Gerichtsakten) vom 15.08.1997 (Bl. 361 ff Gerichtsakten) vom 21.08.1997 (Bl. 365 f
Gerichtsakten) vom 03.09.1997 (Bl. 368 Gerichtsakten) vom 12.12.1997 (Bl. 399 f
Gerichtsakten) vom 19.01.1998 (Bl. 408 f Gerichtsakten) vom 23.01.1998 (Bl. 413 f
Gerichtsakten) sowie vom 09.09.1998 (Bl. 439 Gerichtsakten) verwiesen.
14
Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie
252.399,48 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 03.10.1992 zu zahlen;
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hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verflichtet ist, die Klägerin von den mit
dem vorliegenden Transport in Zusammenhang stehenden
Schadensersatzansprüchen der Firma U freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt dem angefochtenen Urteil unter näherer Darlegung bei. Wegen der Einzelheiten
des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der
Berufungserwiderung vom 15.01.1997 (Bl. 301 ff Gerichtsakten) sowie auf den Inhalt der
Schriftsätze vom 06.08.1997 (Bl. 357 ff Gerichtsakten) vom 02.09.1997 (Bl. 367
Gerichtsakten), vom 30.10.1997 (Bl. 391 Gerichtsakten) vom 07.01.1998 (Bl. 404
Gerichtsakten) vom 15.01.1998 (Bl. 406 f Gerichtsakten) vom 22.01.1998 (Bl. 410
Gerichtsakten) und vom 13.02.1998 (Bl. 427 f Gerichtsakten) verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen I, I2, C und
C2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Berichterstattervermerke
vom 24.09.1997 (Bl. 377 ff Gerichtsakten) und vom 26.01.1998 (Bl. 429 ff Gerichtsakten)
verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerin ist hinsichtlich des Haupt- und des Hilfsantrages
unbegründet.
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Der Klägerin steht der mit Klage und Berufung verfolgte Wertersatzanspruch weder aus
Artikel 17 Abs. 1 CMR noch aus dem Gesichtspunkt außervertraglicher
Anspruchsgrundlagen, etwa aus § 831 BGB zu. Im Streitfall ist die CMR anzuwenden.
Denn es geht um Ersatzansprüche der Klägerin auf Grund eines entgeltlichen
Gütertransportes mit Lastkraftwagen von Deutschland nach Italien. Beide Staaten sind
Mitgliedstaaten der CMR. Die Ansprüche der Klägerin sind nach allen in Betracht zu
ziehenden Anspruchsgrundlagen gemäß Artikel 32 Abs. 1 Satz 1 CMR verjährt; gemäß
Artikel 28 Abs. 1 CMR greift die Verjährungseinrede der Beklagten auch gegenüber
etwaigen außervertraglichen Ansprüchen durch.
24
1.
25
Die von der Beklagten gegen die Zulässigkeit der Klage erhobenen Einwände sind
allerdings unbegründet. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht der Einwand
anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen. Nach Artikel 31 Abs. 2 CMR hätte das
Landgericht Detmold nur dann nicht angerufen werden können, wenn derselbe
Anspruch schon in Italien rechtshängig gemacht worden wäre. Das ist indes nicht der
Fall. Denn anderweitige Rechtshängigkeit würde voraussetzen, daß der Streit zwischen
denselben Parteien anhängig wäre (vgl. Koller, Transportrecht, 3. Auflage Artikel 31
CMR Rdnr. 8). Unstreitig ist die Beklagte an dem Rechtsstreit in Italien nicht beteiligt.
Vielmehr soll dieser Rechtsstreit zwischen einer Firma U und der Klägerin anhängig
sein.
26
Der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit ist auch nicht nach Artikel 21 EuGÜV
begründet. Wenn man diese Vorschrift für anwendbar hält, so liegen jedenfalls ihre
Voraussetzungen nicht vor. Denn anderweitige Rechtshängigkeit würde nach dem
Gesetzeswortlaut voraussetzen, daß der Streit zwischen denselben Parteien anhängig
ist, was - wie ausgeführt - indes nicht der Fall ist.
27
Schließlich war der Senat auch nicht gezwungen, den Rechtsstreit nach Artikel 22
EuGÜV auszusetzen. Denn eine Aussetzung würde voraussetzen, daß beide Klagen in
erster Instanz anhängig sind. Das ist in Bezug auf den vorliegenden Rechtsstreit aber
nicht der Fall.
28
2.
29
Die Klage ist indes unbegründet; den mit ihr verfolgten Ansprüchen steht die Einrede
der Verjährung gemäß Artikel 32 CMR, § 222 BGB entgegen.
30
a)
31
Die Verjährungsfrist beträgt gemäß Artikel 32 Abs. 1 Satz 1 CMR ein Jahr; die
Voraussetzungen von Artikel 32 Abs. 1 Satz 2 CMR, wonach bei einem dem Vorsatz
gleichstehenden Verschulden eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, sind nicht
erfüllt.
32
aa)
33
Die Beweislast für die Voraussetzungen der Geltung der dreijährigen Verjährungsfrist
gemäß Artikel 32 Abs. 1 Satz 2 CMR liegt bei der Klägerin als Gläubigerin (vgl. Koller
a.a.O. Artikel 32 CMR Rdnr. 23). Dem entspricht es, daß im Transportrecht allgemein die
Voraussetzungen für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vom Gläubiger bewiesen
werden müssen (vgl. BGH NJW 1995, S. 1490 ff; BGH NJW 1995, S. 3117 ff).
34
bb)
35
Gesichtspunkte dafür, daß die Beklagte oder der von ihr als Fahrer eingesetzte Zeuge I,
dessen Verschulden sich die Beklagte gemäß Artikel 3 CMR zurechnen lassen müßte,
vorsätzlich die Entwendung der Ladung verschuldet hätte, hat die Klägerin nicht
vorgetragen.
36
cc)
37
Die Beklagte und der Zeuge I haben die Entwendung der Ladung auch nicht grob
fahrlässig verschuldet. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon aus, daß grobe Fahrlässigkeit ein den
Vorsatz gleichzustellendes Verschulden im Sinne des Artikel 32 Abs. 1 Satz 2, Artikel
29 CMR ist (vgl. u.a. zuletzt BGH NJW-RR 1998, S. 34 ff, 35). Grobe Fahrlässigkeit liegt
vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt
und unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte (vgl.
BGH a.a.O. S. 35, 36). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme läßt sich nicht
feststellen, daß die Beklagte (1) oder der Zeuge I (2) die Entwendung der Ladung grob
fahrlässig verschuldet hätten.
38
(1)
39
Die Beklagte selbst trifft ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden nicht. Allein der
Umstand, daß der Lkw nur mit einem Fahrer besetzt wurde, rechtfertigt die Annahme
grober Fahrlässigkeit jedenfalls im Streitfall nicht. Zwar gilt Oberitalien im
Verkehrsgewerbe allgemein als besonders diebstahlsgefährdetes Gebiet. Der Senat hat
deshalb erwogen, ob grobe Fahrlässigkeit nicht schon deshalb zu bejahen ist, weil die
Beklagte nur einen Fahrer eingesetzt hat. Die Frage, ob grundsätzlich zwei Fahrer bei
Fahrten nach Oberitalien einzusetzen sind, kann indes im Streitfall im Ergebnis auf sich
beruhen. Denn die Annahme grober Fahrlässigkeit insofern ist im Streitfall schon
deshalb nicht gerechtfertigt, weil den maßgeblichen Mitarbeitern der Klägerin bekannt
war, daß der Lkw der Beklagten üblicherweise auch bei Fahrten nach Oberitalien nur
mit einem Fahrer besetzt worden ist. Das steht auf Grund der Aussage des Zeugen I zur
Überzeugung des Senats fest. Die Aussage des Zeugen I hierzu ist deswegen
glaubhaft, weil sie sich insofern im Kern mit den Aussagen der als Zeugen
vernommenen Mitarbeiter der Klägerin, der Zeugen I2 und C, deckt. Der Zeuge I2 hat
nämlich bekundet, daß er gewußt habe, daß der Zeuge I des öfteren allein auch nach
Italien fuhr. In ähnlicher Weise hat sich der Zeuge C geäußert. Nach seiner Aussage
habe I zwar nicht direkt gesagt, daß er allein fahre, er, der Zeuge C, habe sich das aber
gedacht.
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Angesichts dieses Kenntnisstandes von der Organisationsstruktur der Beklagten kann
grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden. Die Klägerin ist nach eigener
Darstellung ein größeres Speditionsunternehmen. Es ist deshalb anzunehmen, daß ihre
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Mitarbeiter mit den Gefahren des Warenverkehrs nach Italien vertraut waren oder
zumindest vertraut sein mußten. Wenn sie dann selbst davon ausgingen, daß der Fahrer
des Frachtunternehmens allein nach Italien fuhr und diese Transportweise nicht
beanstandeten, ist die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß sich auch der Beklagten nicht
aufdrängen mußte, daß zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit zwei Fahrer
hätten eingesetzt werden müssen. Denn wenn die Beklagte sah, daß ihre sachkundige
Auftraggeberin keinen Anstoß daran nahm, daß bei den Transporten nach Italien von ihr
nur ein Fahrer eingesetzt wurde, so läßt sich nicht feststellen, daß sie subjektiv davon
ausgehen mußte, die Besetzung des Lastzugs mit zwei Fahrern sei im Interesse ihrer
Auftraggeberin dringend geboten und sie verletze grob elementare Sorgfaltspflichten,
wenn sie den Lastzug ihrer Auftraggeberin bekannt ohne Beifahrer nach Italien fahren
ließ. Im übrigen dürfte die Klägerin auch nach Treu und Glauben (§ 242 BFB) gehindert
sein, der Beklagten insoweit grobes Organisationsverschulden vorzuwerfen, wenn sie
ihr in Kenntnis (und mit stillschweigender Billigung) des Umstandes, daß die Beklagte
nur einen Fahrer einzusetzen pflegte, Frachtaufträge für Italien-Transporte erteilte (vgl.
zum Problem der Kenntnis des Absenders von der Organisation des Betriebes des
Frachtführers BGH WM 1998, 2068).
Allerdings mußte sich der Beklagten als gewerblicher Frachtführerin grundsätzlich
aufdrängen, daß für Transporte nach Oberitalien wegen der erhöhten
Diebstahlsgefährdung besondere Vorkehrungen zu treffen waren. So mußte sie - wenn
wie hier der Lkw nur mit einem Fahrer besetzt wurde - dem Fahrer eine exakte
Transportroute mit bewachten Parkplätzen, an denen Fahrtunterbrechungen ohne
besondere Gefährdung durch Diebstahl möglich waren, vorgeben und Weisungen
erteilen, welcher geeignete Ersatzparkplatz notfalls - etwa wenn einer der nach der
Transportplanung anzufahrenden Parkplätze überfüllt war oder sich wegen
Zwischenfällen auf den Transport zum Beispiel wegen Verkehrsstaus oder wegen
verweigerter oder verzögerter Abfertigung an der Grenze Besonderheiten ergaben -
angefahren werden konnte.
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Trotz dieser weit gesteckten Verpflichtungen der Beklagten als gewerblichen
Transportunternehmerin kann von einem grob fahrlässigen Verschulden der Beklagten
für den Schadensfall nicht ausgegangen werden. Denn nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß nicht das Fehlen oder die
Mangelhaftigkeit von Weisungen für den Schadensfall ursächlich waren. Nach der
glaubhaften Aussage des Zeugen I steht vielmehr fest, daß nicht die Unkenntnis von
geeigneten Parkmöglichkeiten, sondern die plötzliche Konfrontation mit dem Drang, die
Toilette aufzusuchen, dazu geführt hat, daß der Lkw für kurze Zeit unbewacht blieb.
Zwar wird man den gewerblichen Frachtführer für grundsätzlich verpflichtet halten
müssen, auch derartige unvermeidbare Irritationen in die ihm obliegende Planung des
Transportablaufes einzubeziehen. Gleichwohl kann bei dieser Sachlage nicht
angenommen werden, daß die Beklagte die Verpflichtung zur Einbeziehung auch
derartiger Risiken in den Transportablauf grob fahrlässig verletzt hätte. Derartige
Irritationen führen erfahrungsgemäß nur zu kurzen nicht zu verhindernden
Unterbrechungen des Transportes, bei denen der nur mit einem Fahrer besetzte Lkw
regelmäßig nur für kurze Zeit unbewacht bleiben muß und wird. So ist auch im Streitfall
der Lkw nach der glaubhaften Aussage des Zeugen I für lediglich höchstens 20 Minuten
unbewacht abgestellt worden. Derartigen kurzfristige Lücken in der Bewachung kann
damit begegnet werden, daß das Fahrzeug mit einer Wegfahrsperre ausgerüstet wird.
Jedenfalls wäre bei Ausrüstung mit einer Wegfahrsperre die Verletzung der Pflicht, auch
kurzfristige Unterbrechungen in die Planung des Transportablaufes einzubeziehen,
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nicht grob fahrlässig. Hier war der Lkw nach der glaubhaften Aussage des Zeugen I mit
einer "Dieselsperre" ausgerüstet. Daß diese im Streitfall für die Diebe unschwer zu
überwinden war, mußte die Beklagte vor dem Schadensfall nicht wissen; jedenfalls ist
dafür nichts dargelegt.
Im übrigen spricht auch hier gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit der Umstand,
daß auch die Mitarbeiter der Klägerin davon ausgehen mußten, daß es bei der
Besetzung eines Lkws mit nur einem Fahrer zu kurzfristigen Unterbrechungen kommen
mußte, bei denen das Transportfahrzeug für kurze Zeit unbewacht blieb.
Erfolgversprechend herabgesetzt werden kann die Diebstahlsgefahr angesichts solcher
menschlichen Zwänge, die zu kurzfristigen Unterbrechungen des Transportes führen,
allein dadurch, daß der Lkw mit zwei Fahrern besetzt wird. Daß im Streitfall indes nur
ein Fahrer eingesetzt war, begründet - wie ausgeführt - nicht den Vorwurf grober
Fahrlässigkeit.
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(2)
45
Auch ein grob fahrlässiges Verhalten des Fahrers I selbst, das der Beklagten gemäß
Artikel 3 CMR zuzurechnen wäre, läßt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
nicht feststellen. Das Verlassen des Lkws für die Dauer von maximal 20 Minuten mag
zwar fahrlässig gewesen sein. Angesichts der besonderen prekären Situation, in der
sich der Fahrer I befand, nachdem er den Zollhof nicht hatte anfahren können, ist aber
jedenfalls die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht gerechtfertigt. Angesichts des
Umstandes, daß das Fahrzeug mit eine Dieselsperre ausgerüstet war und die
Funktionstüchtigkeit der Dieselsperre zuvor überprüft worden war, wie der Zeuge I
glaubhaft bestätigt hat, mußte sich nicht aufdrängen, daß der Lkw in der nach der
glaubhaften Aussage des Zeugen I viel befahren "Via M" bei einer so kurzen
Fahrtunterbrechung entwendet werden konnte. Allenfalls handelt es sich um ein
Augenblicksversagen des Zeugen I, bei welchem jedenfalls die subjektiven
Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit nicht gegeben wären (vgl. BGH NJW 1992, S.
2418).
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b)
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Die damit gemäß Artikel 32 Abs. 1 Satz 1 CMR geltende Verjährungsfrist von einem
Jahr begann gemäß Artikel 32 Abs. 1 b CMR mit dem 60. Tag nach der Übernahme des
Gutes durch den Frachtführer, also am 08.09.1992. Durch das Reklamationsschreiben
vom 11.09.1992 wurde der Lauf der Verjährungsfrist zwar gemäß Artikel 32 Abs. 2 Satz
1 CMR gehemmt. Die Hemmung endete aber mit Zugang des Anwaltsschreibens vom
18.01.1993 (in Ablichtung Bl. 118 ff Gerichtsakten), durch das die Reklamation
zurückgewiesen wurde. Zwar erfolgte diese Zurückweisung nicht gegenüber der
Klägerin selbst, sondern gegenüber deren Versicherungsmakler. Dieser ist aber selbst
mit Schreiben vom 26.10.1992 (in Ablichtung Bl. 122 Gerichtsakten) als Vertreter der
Klägerin im Zusammenhang mit der Reklamation in Erscheinung getreten. Die Beklagte
selbst ist dem nicht entgegengetreten, indem sie der Klägerin mitgeteilt hat, daß diese
allein ihr Ansprechpartner sei. Es muß dann aber für eine Zurückweisung der
Reklamation im Sinne von Artikel 32 Abs. 2 CMR ausreichen, wenn die Zurückweisung
gegenüber dem Vertreter erfolgt. Daß dem Zurückweisungsschreiben Belege nicht
beigefügt waren, ist für die Frage der Beendigung der Verjährungshemmung ohne
Bedeutung, weil den Reklamationen der Klägerin nicht zu entnehmen ist, daß sie der
Beklagten bei der Reklamation irgendwelche Originale zur Verfügung gestellt hat, die
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mit dem Zurückweisungsschreiben zurückzusenden waren.
Da die Hemmung spätestens im Januar 1993 endete, lief die einjährige Verjährungsfrist
spätestens im Januar 1994 ab, so daß sie durch die Zustellung der am 13.07.1995
eingereichten Klage am 30.08.1995 nicht mehr unterbrochen werden konnte (Artikel 32
Abs. 3 CMR, § 209 BGB).
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Die Berufung ist nach alledem auch hinsichtlich des Hilfsantrages mit der Kostenfolge
aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung für die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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