Urteil des OLG Hamm vom 28.07.2003

OLG Hamm: fahrzeug, gegenverkehr, abrechnung, reparaturkosten, betriebsgefahr, kreuzung, ersatzbeschaffung, wirtschaftlichkeit, vorrang, kostenvergleich

Oberlandesgericht Hamm, 6 U 84/03
Datum:
28.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 84/03
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 487/02
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das am 13.03.2002 verkündete Urteil der
4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg teilweise abgeändert.
Die Beklagten bleiben verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
7.316,51 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über den
Basiszinssatz nach DÜG seit dem 03.01.2003 zu zahlen, abzüglich am
11.06.2003 gezahlter 955,09 Euro (davon 925,00 Euro auf die
Hauptforderung, der Rest auf die Zinsen).
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 1/11 der Klägerin und 10/11
den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
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1.
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Eine quotenmäßige Kürzung des Schadensersatzanspruchs, welcher der Klägerin
gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG zusteht, ist nicht geboten. Zwar ist
die Betriebsgefahr der beiden zusammengestoßenen Fahrzeuge für den Unfall
ursächlich geworden. Der den Beklagten anzulastende Verursachungsanteil steht
jedoch in einem solchen Maße im Vordergrund, dass der Betriebsgefahr des von der
Klägerin geführten Pkw P B kein anspruchskürzendes Gewicht mehr zukommt.
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Der Beklagte zu 2) musste als Linksabbieger gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO die
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entgegenkommende Klägerin durchfahren lassen. Daran ändert sich nichts dadurch,
dass er das Fahrzeug der Klägerin zunächst nicht sehen konnte, weil es durch den
davor stehenden Paketwagen verdeckt war, der seinerseits als Linksabbieger
verkehrsbedingt angehalten hatte, um Gegenverkehr durchzulassen. Angesichts der aus
den überreichten Lichtbildern erkennbaren Ausgestaltung der Kreuzung musste der
Beklagte zu 2) damit rechnen, dass beim Anfahren des Paketwagens die dahinter
befindlichen Geradeausfahrer, deren Weiterfahrt zunächst blockiert gewesen war,
nunmehr geradeaus durchfahren würden. Das unterscheidet die Verkehrssituation
maßgeblich von derjenigen, welche der von der Berufung herangezogenen
Entscheidung des OLG Celle (NZV 94, 193) zugrunde lag. Denn dort durfte es der
Linksabbieger für durchaus unwahrscheinlich halten, dass er beim Linksabbiegen mit
geradeaus fahrendem Gegenverkehr in Konflikt geraten würde, weil ein aus der
Gegenrichtung kommendes großes Fahrzeug, das sich seinerseits zum Linksabbiegen
eingeordnet hatte, die Kreuzung praktisch dicht gemacht hatte. Hier dagegen konnte der
Beklagte zu 2) in keiner Weise darauf vertrauen, dass er beim Linksabbiegen durch den
Paketwagen abgeschirmt sein würde, zumal dieser inzwischen nicht mehr durch
Gegenverkehr am Weiterfahren gehindert war und sich deswegen in Bewegung setzen
konnte.
Weil der Verkehr auf diese Weise wieder in Fluss geriet, bestand für den Beklagten zu
2) auch nicht die Notwendigkeit, sich langsam in die Gegenfahrbahn vorzutasten. Das
hat er im Übrigen in seiner Schilderung im Senatstermin zufolge auch nicht getan,
sondern lediglich die Fahrt verlangsamt, um dann wieder beschleunigend den
Abbiegevorgang fortzusetzen. Ihm fällt demgemäß ein schuldhafter Verstoß gegen den
Vorrang des geradeaus fahrenden Gegenverkehrs zur Last.
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Der Klägerin kann demgegenüber kein unfallursächliches Verschulden zur Last gelegt
werden. Sie durfte darauf vertrauen, dass eventuelle Linksabbieger aus dem
Gegenverkehr, welche für sie zunächst durch den Paketwagen verdeckt waren, ihren
Vorrang respektieren würden, und sie durfte deswegen geradeaus durchfahren, sobald
der anfahrende Paketwagen für sie die Einfahrt in die Kreuzung frei gab. Es ist nicht
bewiesen und nicht beweisbar, dass sie durch Bremsen oder Ausweichen noch
unfallvermeidend hätte reagieren können, nachdem für sie deutlich wurde, dass der
Beklagte zu 2) ohne Beachtung ihres Vorrangs nach links abbog.
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Die einfache Betriebsgefahr des geradeaus fahrenden Fahrzeugs der Klägerin bietet in
dieser Situation keinen hinreichenden Anlass für eine quotenmäßige
Anspruchskürzung. Bei Kollision mit geradeaus fahrendem Gegenverkehr wird in der
Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO
Rdn. 55) regelmäßig eine Alleinhaftung des Linksabbiegers angenommen. Der
Umstand, dass das Fahrzeug der Klägerin für den Beklagten zu 2) zunächst verdeckt
war, ist kein ausreichender Grund, um im vorliegenden Fall hiervon abzuweichen, weil
der Beklagte zu 2) ohne weiteres mit entgegenkommenden Geradeausfahrern rechnen
musste. Es bleibt daher auch hier bei der Alleinhaftung der Beklagten.
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2.
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Erfolg hat die Berufung dagegen mit dem Einwand, dass hier nicht auf der Basis der
Reparaturkosten abgerechnet werden kann.
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In der Rechtsprechung ist seit langem der Grundsatz anerkannt, dass die prinzipielle
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Möglichkeit der Abrechnung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten den Geschädigten
nicht von der Verpflichtung befreit, unter mehreren vom Erfolg her gleichwertigen Mitteln
der Schadensbeseitigung das am wenigsten Aufwändige auszuwählen (vgl. BGH NJW
85, 2469). Grundsätzlich kann zwar der Geschädigte zwischen Reparatur und
Ersatzbeschaffung wählen. Abrechnung auf Reparaturkostenbasis ist ihm jedoch
versagt, wenn eine Reparatur unwirtschaftlich wäre. Zwar wird es in gewissen Grenzen
hingenommen, dass die Kosten der Reparatur den Aufwand der Ersatzbeschaffung
überschreiten, weil der Wunsch des Geschädigten, sein vertrautes Fahrzeug zu
behalten, schutzwürdig ist. Das gilt aber nur, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug
behält und die Reparatur auch ausführen lässt (vgl. BGH, a.a.O.). Für die Fälle, in denen
der Geschädigte sein Fahrzeug nicht reparieren lässt, sondern es unrepariert in Zahlung
gibt, hat der BGH auch in der Folgezeit an dem Postulat strenger Wirtschaftlichkeit
festgehalten (vgl. die zusammenfassende Darstellung bei von Gerlach, DAR 93, 202,
203), und hat es auch in seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung (VI ZR 393/02
vom 29.04.2003 – r + s 03, 303 = NJW 03, 2085) nicht aufgegeben. Er hat dort lediglich
die Grenzen, in denen bei tatsächlich durchgeführter Reparatur und Weiternutzung des
Fahrzeugs durch den Geschädigten eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis
hingenommen wird, selbst wenn sie teurer ist als die Abrechnung auf der Basis der
Wiederbeschaffungskosten, recht weit gezogen (kritisch dazu Lemcke, r + s 03, 304).
Darum geht es hier aber nicht. Da die Klägerin ein eventuelles Interesse an der
Weiternutzung des bisherigen Fahrzeugs nicht durch tatsächliche Reparatur und
Weiternutzung dokumentiert hat, sondern den Schaden im Wege der Ersatzbeschaffung
behoben hat, hat sie sich bei der Abrech-nung in den Grenzen der Wirtschaftlichkeit zu
halten und kann keine fiktiven Repa-raturkosten geltend machen, weil diese teurer
wären als die Kosten der Ersatz-beschaffung, wie sich aus folgendem Kostenvergleich
ergibt:
Für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs
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hätten brutto 13.200,00 Euro
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bezahlt werden müssen. Der Restwert betrug – wie jetzt
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unstreitig ist – brutto 4.200,00 Euro.
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Für die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs
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hätte die Klägerin also weitere brutto 9.000,00 Euro
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aufwenden müssen.
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Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass für die Vergleichsbetrachtung nach wie
vor auf die Bruttowerte abzustellen ist (vgl. Lemcke, r + s 02, 265, 266), auch wenn
entsprechend der gesetzlichen Neuregelung in § 249 BGB nur die Nettoreparaturkosten
geltend gemacht werden.
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Das Landgericht, welches einen Fahrzeugschaden
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(Reparaturkosten netto) von 9.691,34 Euro
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zugrunde gelegt hat, hat der Klägerin 691,34 Euro
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zuviel zugesprochen, denn es hätte nur der Wieder-
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beschaffungsaufwand von 9.000,00 Euro
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zugrunde gelegt werden dürfen.
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Der insgesamt zugesprochene Betrag von 8.007,85 Euro
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ist also um diese 691,34 Euro
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auf 7.316,51 Euro
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zu reduzieren.
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Hierauf war entsprechend der von der Beklagten zu 3) getroffenen
Verrechnungsbestimmung die nach Abschluss der ersten Instanz geleistete Zahlung zu
verrechnen. Die Erledigungserklärung, welche von der Klägerseite in der
Berufungserwiderung im Hinblick auf den nach Abschluss der ersten Instanz gezahlten
Betrag angesprochen worden ist, war gegenstandslos, da insoweit das angefochtene
Urteil nicht angegriffen worden ist und dieser Betrag somit auch zu keinem Zeitpunkt
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war.
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3.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 100, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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