Urteil des OLG Hamm vom 05.09.2001

OLG Hamm: medizinische indikation, unterbrechung der schwangerschaft, gefahr, schwangerschaftsabbruch, spina bifida, behinderung, geburt, behandlungsfehler, eltern, schmerzensgeld

Oberlandesgericht Hamm, 3 U 229/00
Datum:
05.09.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 229/00
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 16 O 146/00
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. September 2000 verkündete
Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung aus dem Urteil gegen
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 10.000,00 DM abwenden,
wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Beide Parteien können die Sicherheitsleistung auch durch die
unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Bundesrepublik
Deutschland als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts
erbringen.
Tatbestand
1
Der Kläger ist der Vater des am 25.06.1998 geborenen Kindes N. Das Kind N wurde
ohne die linke Hand und die Hälfte des linken Unterarmes geboren.
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Die Ehefrau des Klägers suchte den Beklagten am 13.10.1997 erstmalig auf. Der
Beklagte diagnostizierte zu diesem Zeitpunkt eine bestehende Schwangerschaft. In der
Folgezeit fanden weitere Untersuchungen statt, wobei der Beklagte keine
Entwicklungsstörungen des Fötus feststellte.
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Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe bei den Ultraschallaufnahmen in der 15.,
19. und 23. Schwangerschaftswoche sich nicht an die Mutterschaftsrichtlinien gehalten.
Bei der Untersuchung in der 15. Schwangerschaftswoche, zumindest bei der in der 19.
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Schwangerschaftswoche hätte er erkennen können und müssen, daß bei dem Fötus die
linke Hand und der Teil des linken Unterarmes fehlten. Auch sei die Aufklärung über
genetische Defekte und die Möglichkeit einer Amniozentese nicht ausreichend
gewesen. Hätten er und seine Frau von der Mißbildung der Tochter etwas gewußt, hätte
die Ehefrau die Schwangerschaft abgebrochen.
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, daß sowohl ihm als auch der Ehefrau ein
Schmerzensgeldanspruch gegenüber dem Beklagten zustünden. Die Ehefrau müsse
sich nunmehr ihr ganzes Leben lang mit einem behinderten Kind auseinandersetzen,
mit seinen Lebens- und seinen Pflegebedürfnissen, die nun im Vordergrund stünden
und die die Eltern in besonderem Maße belasteten. Damit sei nicht nur die
wirtschaftliche Familienplanung durchkreuzt; es kämen auch erhebliche Mehrkosten auf
die Eltern zu, wodurch die private Lebensplanung durchkreuzt werde. Die
Pflegebedürftigkeit des Kindes werde die gesamte Freizeit der Eltern einschränken, so
daß ein erheblicher Freizeitwert verloren gehe. Diese Situation sei natürlich abzugelten.
Außerdem stünde ihm ein materieller Anspruch auf Ersatz der Kosten zu, die durch
Reisen in die Vereinigten Staaten entstanden seien. Der Kläger hat in diesem
Zusammenhang auf eine handchirurgische Fachklinik in den USA verwiesen, die in der
Lage sei, aus körpereigenem Material den Unterarm samt funktionierender Hand wieder
aufzubauen. Er und seine Ehefrau hätten sich entschlossen, diese Behandlung
wahrzunehmen, um N ein einigermaßen geordnetes Leben zu ermöglichen.
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Die Ehefrau des Klägers hat ihre Ansprüche an diesen abgetreten.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des
Gerichts gestelltes Schmerzensgeld und 4 % Zinsen seit dem 25.06.1998 zu
zahlen.
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2. Den Beklagten zu verurteilen, an ihn 42.089,34 DM und 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen
Schaden zu ersetzen der ihm und seiner Ehefrau C auf Grund des Umstandes
entstanden ist, daß das Kind N am 25.06.1998 ohne die linke Hand und die Hälfte
des linken Unterarmes geboren wurde.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat sämtliche Behandlungsfehler in Abrede gestellt und behauptet, das
Fehlen der linken Hand und des Teiles des linken Unterarmes seien im Ultraschall nicht
erkennbar gewesen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe
keinerlei Ansprüche, weil die Ehefrau des Klägers die Schwangerschaft nicht habe
rechtmäßig abbrechen dürfen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die
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gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich der Kläger mit der Berufung.
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Der Kläger wiederholt und vertieft den erstinstanzlichen Sachvortrag und verweist
nunmehr darauf, daß eine völlige Wiederherstellung der linken Hand nicht möglich sei.
Es könne lediglich erreicht werden, daß N durch das Verpflanzen von Knochen und
Gewebeteilen mit der linken künstlich ausbildeten Hand Greifbewegungen durchführen
könne.
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Der Kläger beantragt,
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abändernd
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des
Senats gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 25.06.1998 zu
zahlen;
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2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 42.089,34 DM nebst 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen;
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3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen
Schaden zu ersetzen, der ihm und seiner Ehefrau C auf Grund des Umstandes
entsteht, daß das Kind N am 25.06.1998 ohne die linke Hand und die Hälfte des
linken Unterarmes geboren wurde.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
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Der Beklagte wiederholt und vertieft ebenfalls den erstinstanzlichen Sachvortrag.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens,
Feststellung sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus eigenem
oder abgetretenem Recht nicht zu.
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Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Erwägungen
des Landgerichts wird Bezug genommen. Das Vorbringen der Berufung rechtfertigt
keine andere Bewertung.
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1.
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Der Arzt kann bei einer bestehenden Schwangerschaft für falsche oder unvollständige
Auskunft über die zur Früherkennung von Schädigungen des Kindes im Mutterleib durch
angeborene Beeinträchtigungen gebotenen Maßnahmen haften, sofern dadurch ein
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zulässiger (rechtmäßiger) Schwangerschaftsabbruch vereitelt wird. Auch die
medizinisch nicht erforderte Verzögerung der Diagnostik mit der Folge, daß ein
Schwangerschaftsabbruch aus zeitlichen Gründen nicht mehr durchgeführt werden
kann, kann ein die Haftung des Arztes begründender Behandlungsfehler sein (BGH
NJW 1989 S. 186; vgl. Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht, 4 Aufl. 2001 m. w. N.).
Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 (BVerfGE 88 S.
203) hat der Bundesgerichtshof seine einschlägige Rechtsprechung überprüft und diese
jedenfalls für die Fälle einer aus ärztlichem Verschulden mißlungenen Sterilisation
sowie eines verhinderten oder fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs bei
gesetzlich anerkannter embryopathischer oder kriminologischer Indikation aufrecht
erhalten (BGHZ 124 S. 128; vgl. auch BGH NJW 2000 S. 1782, 1783). Diese
Rechtsprechung ist zu § 218 a StGB in der Fassung vor Inkrafttreten des Schwangeren-
und Familienhilfe-Änderungsgesetzes vom 21.08.1995 (BGBl. I S. 1050) ergangen.
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Soweit der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts nachfolgend die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs gebilligt hat, bezieht sich dieser Beschluß nicht auf die
Rechtsprechung zu einem aus ärztlichem Verschulden fehlgeschlagenen
Schwangerschaftsabbruch. Insoweit ist die Rechtslage verfassungsrechtlich noch nicht
abschließend geklärt (BVerfG NJW 1998 S. 519; vgl. auch Steffen/Dressler,
Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999 Rn 269, 270). Auf diesem Hintergrund folgt der Senat
dem Bundesgerichtshof dahingehend, daß jedenfalls grundsätzlich der
Behandlungsfehler des die Schwangere betreuenden Gynäkologen dessen Haftung
auslösen kann, wenn dadurch ein rechtmäßiger und indizierter
Schwangerschaftsabbruch unterbleibt.
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b.
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Gem. § 218 a Abs. 1 StGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfe-
Änderungsgesetzes vom 21.08.1995 ist der Tatbestand nicht verwirklicht, wenn die
Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt, dem Arzt eine Bescheinigung
nach § 219 Abs. 2 S. 2 StGB nachweist und seit der Empfängnis nicht mehr als 12
Wochen vergangen sind. Nach Abs. 2 dieser Norm ist der mit Einwilligung der
Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch nicht
rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der
gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher
Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf eine
andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
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Zur Überzeugung des Senats ist eine eventuelle Haftung des Beklagten ausschließlich
an diesen Bestimmungen zu messen. § 218 a Abs. 3 StGB setzt eine Straftat gegen die
sexuelle Selbstbestimmung der Frau voraus, die hier nicht vorliegt. § 218 a Abs. 4 StGB
stellt lediglich einen persönlichen Strafausschließungsgrund zugunsten der
Schwangeren dar. Vom Schutzbereich des Behandlungsvertrages erfaßt sind indes
allenfalls die Schäden, die bei sachgerechter Behandlung und Aufklärung und einer
sodann rechtmäßig vorgenommenen Unterbrechung der Schwangerschaft nicht
entstanden wären (vgl. BGHZ 124 S. 128). Die lediglich straflosen
Schwangerschaftsunterbrechungen haben außer Betracht zu bleiben. Es ist nicht
Aufgabe des Arztes und des zivilrechtlichen Behandlungsvertrages, der Schwangeren
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die Basis für eine rechtswidrige, wenn ggf. für die Schwangere selbst auch straflose
Abtreibung zu schaffen.
c.
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Die Möglichkeit, die bestehende Schwangerschaft zu unterbrechen, setzt nach § 218 a
Abs. 1 StGB n.F. keine Indikation voraus, sondern ist über die Klauseln gem. Ziff. 1 und
2 nur an die Zeitbestimmung von 12 Wochen gebunden. Ungeachtet dieser
Differenzierung gegenüber Abs. 2 sieht der erkennende Senat eine Haftung des
behandelnden Frauenarztes nur dann vom Schutzbereich des Arztvertrages umfaßt,
wenn eine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch besteht, die vorliegend nur aus
Abs. 2 des § 218 a StGB n.F. folgen kann. Das gilt unter Berücksichtigung der eher
restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch des
Bundesgerichtshofs zur medizinischen (bzw. früher zur embryopathischen) Indikation
jedenfalls dann, wenn der Gynäkologe die Patientin nach Eintritt der Schwangerschaft
bis zur Geburt betreut bzw. betreuen soll und diese Schwangerschaft auch gewollt ist.
Nach Auffassung des Senats obliegt es nicht dem Arzt, die Schwangere in diesen
Fällen überhaupt auf die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Sinne des §
218 a Abs. 1 StGB innerhalb von 12 Wochen hinzuweisen, sondern die Schwangere
unter Berücksichtigung der bestehenden Mutterschaftsrichtlinien und den
Anforderungen an die jeweilige pränatale Diagnostik bis zur Geburt des gewünschten
(gesunden) Kindes ärztlich zu begleiten. Insbesondere die bestehende pränatale
Diagnostik ist denn auch nicht darauf gerichtet, jeden denkbaren kindlichen Schaden
auszuschließen, sondern möglichst frühzeitig Schwerstschäden wie z.B. Herzfehler,
spina bifida, Mongolismus oder aber schwerste Dysmelien im Sinne der früheren
eugenischen Indikation zu erkennen. Liegt hier ein Versäumnis vor und hätte die
sachgerechte Behandlung zu einer Indikation gem. § 218 a Abs. 2 StGB geführt, ist es
berechtigt, den Arzt mit den haftungsrechtlichen Folgen zu belasten.
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Anders dürfte die Sachlage dann zu bewerten sein, wenn der Arztvertrag bei Vorliegen
der Voraussetzungen gem. § 218 a Abs. 1 StGB n.F. gerade auf den Abbruch der
(ungewollten) Schwangerschaft gerichtet ist und dieser aus Gründen, die der Arzt zu
vertreten hat, fehlschlägt bzw. unterbleibt. In diesem Fall ist die Verhinderung der
Austragung des Kindes finales Ziel des Behandlungsvertrages. Die Indikation spielt
gem. Abs. 2 in diesem Fall für die Bewertung keine Rolle. Dieser Fall ist vorliegend
allerdings nicht gegeben.
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2. Nach vorstehenden Maßstäben scheidet die Haftung des Beklagten schon deshalb
aus, weil jedenfalls keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch bestand.
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Zur Überzeugung des Senats liegt die medizinische Indikation gem. § 218 a Abs. 2
StGB nicht vor. Ausnahmsweise sieht sich der Senat in der Lage, auch ohne
sachverständige Beratung abschließend zu entscheiden, weil die Umstände im
mütterlichen Bereich ausreichend klar vorgetragen wurden und eine ärztliche
Begutachtung, die der Wortlaut des Gesetzes ins Auge faßt, keinen zusätzlichen
Informationsgewinn verspricht. Auch die kindliche gesundheitliche Situation ist soweit
geklärt, daß es letztlich nur noch um die juristische Wertung geht, ob die
Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sind.
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Soweit es um die mütterlichen Belange geht, die nach § 218 a Abs. 2 StGB n.F. in den
Vordergrund gestellt worden sind, folgt schon aus dem eigenen Sachvortrag des
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Klägers, daß ein Abbruch der Schwangerschaft keinesfalls angezeigt war, um eine
Gefahr für das Leben der Ehefrau des Klägers abzuwenden. Auch die Gefahr einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung deren körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustandes ist nicht erkennbar. Während der Schwangerschaft, worauf die
Vorschrift primär abstellt, war das offenbar nicht der Fall. Hierzu verhält sich der
Sachvortrag des Klägers nicht. Aber auch bezogen auf die Zeit nach der Geburt ist eine
solche Gefahr nicht erkennbar. Selbst unter Beachtung des Grundsatzes, daß die
Grenzen des für die Schwangere bzw. der Mutter Zumutbaren nicht zu weit zu ziehen
sind, vielmehr auf deren Belange und deren Sicht Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BGH
NJW 1984 S. 658, 600) vermag der Senat keinerlei Gefahr für deren körperlichen und
seelischen Gesundheitszustand zu erkennen. Die eigentliche körperliche Betreuung
des Kleinstkindes ist durch die Behinderung sicherlich erschwert, aber nicht in
unzumutbarer Weise. Auch nach einem gewissen Heranwachsen des Kindes ist eine
Unterstützung in größerem Umfang als bei einem in jeder Hinsicht gesunden Kind
erforderlich. Aber auch das erscheint nicht unzumutbar. Bekannterweise lernen
behinderte Kinder mit ihrer Behinderung umzugehen und diese zumindest in einem
gewissen Umfang zu kompensieren. Bedeutender scheinen dem Senat die psychischen
Faktoren zu sein, nämlich für die Mutter, mit der Behinderung umzugehen und zu
erkennen, daß ihr Kind im bestimmten Umfang in eine ihm nicht immer freundschaftlich
gesinnte Umwelt hineinwächst und Nachteile hinzunehmen haben wird. Aber auch das
bewirkt angesichts des konkreten Behinderungsgrades der Tochter N in Form des
Verlusts einer Hand und eines Teils des Unterarms nicht die vom Gesetz geforderte
Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen
Gesundheitszustandes. So hat denn auch der Kläger in erster Instanz vordergründig auf
die mit der Pflegebedürftigkeit verbundene Freizeiteinschränkung sowie auf die
materiellen Auswirkungen als auf die vom Gesetz geforderte Gefahr für die Mutter
abgestellt (Bl. 15, 49, 59 ff.).
Keine andere Bewertung ergibt sich, würde man die frühere embryopathische Indikation
in die medizinische Indikation des § 218 a Abs. 2 StGB mit einbeziehen. Wieweit dies
nach der aktuellen Fassung der Norm überhaupt noch möglich ist, braucht vorliegend
nicht entschieden zu werden (vgl. dazu BT-Drucksache 13/1850 S. 25 f.; Tröndle NJW
1995 S. 3009; Schumann/Schmidt-Rela, MedR 1998 S. 497; Beckmann, MedR 1998 S.
155; zweifelnd wohl Geiß Greiner, a.a.O. Rz. 174).
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Für Fälle der sog. embryopathischen (eugenischen) Indikation zu § 218 a StGB alter
Fassung hat der Bundesgerichtsgehof den Standpunkt vertreten, daß es auf eine ex-
post-Betrachtung ankomme. Ein ersatzfähiger Unterhaltsschaden bestehe in diesen
Fällen nur dann, wenn sich die Gefahr, der mit der pränatalen Untersuchung und der im
Anschluß daran gesetzlich zugelassenen Schwangerschaftsunterbrechung begegnet
werden sollte, auch tatsächlich verwirklicht habe. Nur eine nicht behebbare Schädigung
des Kindes bei seiner Geburt könne überhaupt zu einer Ersatzpflicht des Arztes führen,
der seine Beratungspflichten verletzt habe. Diese Schädigung müsse darüber hinaus so
schwer sein, daß sie – aus nachträglicher Sicht – den Abbruch der Schwangerschaft
erlaubt hätte (BGH NJW 1984 S. 658. 660).
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Wollte man im Rahmen der medizinischen Indikation die embryopathische Indikation
berücksichtigen, müßte jedenfalls diese ex-post-Betrachtung erfolgen.
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Nach dieser Maßgabe erreicht die konkret bekannte und sachverständigenseits nicht
weiter aufklärbare Behinderung des Kindes schon
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keinen solchen Schweregrad, daß über den embryopathischen Aspekt die medizinische
Indikation bejaht werden könnte. Die Parteien haben sich umfänglich mit dem Grad der
Behinderung auseinandergesetzt, der erreicht sein muß, um von einer ausreichend
schweren Behinderung ausgehen zu können. Soweit es um das Fehlen von
Extremitäten geht, mag dies im Hinblick auf die sog. Conterganschäden gerechtfertigt
sein, wenn ganze Gliedmaßen fehlen, was keiner abschließenden Bewertung bedarf.
Bei einem Fehlen von Teilen von Gliedmaßen wie vorliegend das Fehlen der Hand und
des Unterarms ist der erforderliche Schweregrad keinesfalls erreicht. Soweit in der
früheren strafrechtlichen Literatur recht weitgehend Mißbildungen von Gliedmaßen und
Verkrüppelungen die embryopathische Indikation begründen sollten (vgl. etwa Eser in
Schönke/Schröder, 24. Aufl. 1991 § 218 a Rz 22), vermag der Senat dem im Hinblick auf
die Neufassung des Gesetzes nicht zu folgen.
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3.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als DM 60.000,-.
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