Urteil des OLG Hamm vom 30.04.2010
OLG Hamm (zpo, gegenleistung, zug, höhe, vergleich, schuldner, auslegung, vollstreckungsverfahren, inhalt, leistung)
Oberlandesgericht Hamm, 25 W 74/10
Datum:
30.04.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
25 W 74/10
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 43 O 221/07
Schlagworte:
Bestimmtheit des Titels, Bestimmtheit der Zug-um-Zug-Gegenleistung,
Bindung des Vollstreckungsorgans an Vollstreckungsklausel
Normen:
§§ 732, 756, 765, 793 ZPO
Leitsätze:
1.
Ein Titel, in dem die Höhe einer Zahlungsverpflichtung sich aus einem
noch einzuholenden Gutachten ergeben soll, ist inhaltlich unbestimmt
und nicht zur Vollstreckung geeignet. Dies gilt auch dann, wenn die
Höhe der Zug um Zug zu erbringenden Gegenleistung durch Gutachten
ermittelt werden soll.
2.
Die Bestimmtheit eines Titels ist im Verfahren auf Erteilung der
Vollstreckungsklausel zu prüfen. Trotz der Bindung des
Vollstreckungsorgans an eine wirksam erteilte Klausel ist die
Bestimmtheit des Titels aus faktischen Gründen im
Vollstreckungsverfahren erneut zu untersuchen. Dies gilt auch dann,
wenn eine Klauselerinnerung nach § 732 ZPO (zu Unrecht) rechtskräftig
zurückgewiesen worden ist.
3.
Es ist unzulässig, im Vollstreckungsverfahren durch Einholung oder
Verwertung eines Gutachtens die Höhe der zunächst unbestimmten
Leistung zu ermitteln.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des
Landgerichts Essen vom 26.11.2009 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 11.2.2010 abgeändert.
Der Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsgeldes wird
zurückgewiesen.
Die Gläubigerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gegenstandswert: 5.000.- EUR
Gründe
1
I.
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Der Schuldner hat sich durch Prozessvergleich zur Übertragung seines
Geschäftsanteils an der Gläubigerin auf die Geschäftsführerin der Gläubigerin Zug um
Zug gegen Zahlung einer Abfindung verpflichtet, deren Höhe gem. "§ 17 Abs. 1 und 4
des … Gesellschaftvertrages", der dem Vergleich nicht beigefügt wurde, durch ein
einzuholendes Schiedsgutachten ermittelt werden sollte. Wegen der Einzelheiten wird
auf den Prozessvergleich vom 20.3.2008 Bezug genommen.
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Die Gläubigerin hat nach Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs
und Erstattung des Schiedsgutachtens die Festsetzung eines Zwangsgeldes beantragt,
weil der Schuldner seiner Verpflichtung zur Übertragung der Geschäftsanteile nicht
nachgekommen sei. Sie habe ihre Gegenleistung erfüllt; der Wert der Geschäftsanteile
liege unter den Kosten, die sie für das Wertgutachten aufgewandt habe. Daraufhin hat
der Schuldner Klauselerinnerung eingelegt. Diese hat das Landgericht rechtskräftig mit
der Begründung zurückgewiesen, der Vergleich habe einen vollstreckbaren Inhalt.
Soweit die Gegenleistung des Schuldners nicht konkret bestimmt sei, sei eine
Konkretisierung im Rahmen des Verfahrens nach § 888 ZPO zulässig. Sodann hat das
Landgericht durch den nunmehr angefochtenen Beschluss gegen den Schuldner zur
Erfüllung der Verpflichtung, den Gesellschaftsanteil zu übertragen, ein Zwangsgeld in
Höhe von 5.000.- EUR festgesetzt. Die Gläubigerin habe ihre Gegenleistung erbracht.
Das Schiedsgutachten habe ergeben, dass der Wert des Geschäftsanteils 4.500.- EUR
betrage. Von dieser geschuldeten Gegenleistung seien nach dem Vergleich "i.V.m. § 17
Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages" die höheren Kosten des Schiedsgutachtens
abzuziehen, so dass die Gegenforderung 0,00 EUR betrage. Die Einwendungen des
Schuldners gegen das Schiedsgutachten seien nicht berechtigt.
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Hiergegen hat der Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt, die nach den
Feststellungen des Landgerichts rechtzeitig beim Landgericht eingegangen ist. Das
Landgericht sei nicht berechtigt gewesen, dem Vergleich erst im
Vollstreckungsverfahren die Vollstreckungsfähigkeit zu verleihen. Er wiederholt seine
Einwendungen gegen das Gutachten. Die Gläubigerin verteidigt den angefochtenen
Beschluss.
5
II.
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Die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO ist zulässig, insbesondere nach den
Feststellungen des Landgerichts rechtzeitigt eingelegt worden. Sie hat auch in der
Sache Erfolg. Die Verhängung des Zwangsgeldes gem. § 888 ZPO war schon deshalb
unzulässig, weil der Prozessvergleich hinsichtlich der von der Gläubigerin zu
erbringenden Gegenleistung nicht hinreichend bestimmt ist (1.). Darüber hinaus ist die
Auslegung des Prozessvergleichs, wie sie das Landgericht vorgenommen hat, durch
den Vergleich nicht gedeckt und jedenfalls im Vollstreckungsverfahren nicht zulässig
(2.).
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1.
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Der Vergleich ist hinsichtlich der Gegenleistung, die die Gläubigerin zu erbringen hat,
unbestimmt (1.1.). Das führt dazu, dass das Vollstreckungsorgan nicht vollstrecken
kann, weil es seiner Prüfungspflicht aus den §§ 756, 765 ZPO nicht nachkommen kann
(1.2.). Eine Konkretisierung der unbestimmten Verpflichtung im Vollstreckungsverfahren
ist unzulässig (1.3.). Dass die Klauselerinnerung des Schuldners rechtskräftig
zurückgewiesen worden ist, steht der Entscheidung nicht entgegen (1.4.).
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1.1.
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Die von der Gläubigerin Zug um Zug zu erbringende Leistung ist im Prozessvergleich
nicht bestimmt bezeichnet. Ihre Höhe sollte durch ein noch einzuholendes
Schiedsgutachten erst ermittelt werden. Dies erfüllt das Bestimmtheitsgebot nicht.
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Ein Titel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er
den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht
bezeichnet. Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende Zahlungsanspruch
betragsmäßig festgelegt sein oder sich zumindest aus dem Titel ohne Weiteres
errechnen lassen (BGH NJW 2006, 695, 697 m.w.N.). Notfalls hat das
Vollstreckungsorgan den Inhalt des Titels durch Auslegung festzustellen. Dabei muss
der Titel jedoch aus sich heraus für eine Auslegung genügend bestimmt sein oder
jedenfalls sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit eindeutig festlegen. Es genügt
nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind,
oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden
kann (BGH a.a.O. m.w.N.). Diesen Voraussetzungen ist nicht genügt, wenn die Höhe
eines zu zahlenden Betrages durch ein noch einzuholendes Gutachten ermittelt werden
muss (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2010, 95 f.).
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1.2.
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Nichts anderes gilt dann, wenn im Fall einer Zug um Zug zu erbringenden
Gegenleistung zwar die Verpflichtung des Schuldners, nicht aber die Gegenleistung des
Gläubigers bestimmt bezeichnet ist. Das Vollstreckungsorgan muss in diesem Fall gem.
§ 756 bzw. § 765 ZPO vor der Vollstreckung überprüfen, ob der Gläubiger die ihm
obliegende Leistung erbracht hat oder der Schuldner sich in Annahmeverzug befindet.
Diese Prüfung ist ihm nur möglich, wenn die Gegenleistung so bestimmt bezeichnet ist
wie die vom Schuldner zu erbringende Leistung. Die Zug-um-Zug-Einschränkung muss
so im Titel bestimmt sein, dass sie ihrerseits zum Gegenstand einer Leistungsklage
gemacht werden könnte (BGH NJW 1993, 324, 325).
14
1.3.
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Entgegen der Auffassung der Gläubigerin und des Landgerichts ist es nicht zulässig, die
Konkretisierung im Vollstreckungsverfahren oder im Verfahren auf Erteilung der Klausel
herbeizuführen. Die vom Landgericht hierzu herangezogenen Fundstellen betreffen nur
die Frage, ob der Inhalt einer abzugebenden Willenserklärung konkretisiert werden darf.
Dies ist im Wege der Auslegung des Titels zulässig (BGH NJW-RR 1993, 1154 m.w.N.).
Darum geht es im vorliegenden Verfahren aber nicht. Dem Titel kann auch durch
Auslegung nicht entnommen werden, wie hoch die von der Gläubigerin zu erbringende
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Gegenleistung ist.
Unzutreffend ist auch der Hinweis der Gläubigerin auf § 726 Abs. 1 ZPO. Die Vorschrift
betrifft den Fall, dass die Zwangsvollstreckung aus einem Titel (in dem die zu
vollstreckende Forderung bestimmt bezeichnet ist) vom Eintritt einer Bedingung
anhängig ist. Der Bedingungseintritt ist im Verfahren nach § 726 Abs. 1 ZPO zu prüfen;
insoweit kann die Vollstreckungsklausel erteilt werden, wenn der Bedingungseintritt in
gehöriger Form nachgewiesen ist. Dies hat aber mit der bestimmten Bezeichnung der zu
vollstreckenden Forderung nichts zu tun. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der
von der Gläubigerin zitierten Fundstelle (Zöller/Stöber § 726 Rn. 2). Die Gläubigerin
übersieht wahrscheinlich die Angabe am Anfang der Fundstelle: "wenn die
Vollstreckung … abhängig ist … vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung…".
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Soweit in der Literatur vereinzelt vertreten wird, § 726 ZPO diene auch dazu, Lücken
des Titels auszufüllen (MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner, 3. Aufl. 2007, § 726 Rn. 26), folgt
der Senat dem in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung
(Musielak/Lackmann, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 726 Rn. 1 m.w.N.) nicht. Diese Auffassung
verkennt die funktionelle Aufgabenverteilung. Die Schaffung des Titels, der
grundsätzlich vollständig sein muss und nicht lückenhaft sein darf, obliegt allein dem
Prozessgericht im Fall des Urteils bzw. den Prozessparteien im Fall des
Prozessvergleichs. Würde der für die Erteilung der Klausel nach § 726 ZPO zuständige
Rechtspfleger eine Lücke im Urteil schließen, würde er eine dem Richter vorbehaltene
Aufgabe wahrnehmen mit der Folge der Nichtigkeit (§ 8 Abs. 4 S. 1 RPflG). § 726 ZPO
überträgt dem Rechtspfleger die Prüfung des Eintritts einer Bedingung, von der die
Zwangsvollstreckung abhängig ist, und die Erteilung der Vollstreckungsklausel, nicht
aber das Schließen von Lücken im Urteil, die der Richter im Erkenntnisverfahren hätte
vermeiden müssen.
18
1.4.
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Der Berücksichtigung der fehlenden Bestimmtheit des Vergleichs steht nicht entgegen,
dass (zu Unrecht) eine Klauselerinnerung des Schuldners zurückgewiesen worden ist.
Allerdings kann die Vollstreckungsfähigkeit des Titels, hier des Vergleichs, in dem
besonderen Antragsverfahren gem. §§ 732, 795 ZPO überprüft werden. In den in § 768
ZPO genannten Fällen ist auch eine Klage gegen die Vollstreckungsklausel möglich.
Macht der Schuldner von diesen Rechtsbehelfen keinen Gebrauch, so wird dadurch ein
nicht vollstreckungsfähiger Vergleich nicht zu einem vollstreckbaren Titel (BGH NJW
1995, 1162 m.w.N.). Ein Prozessvergleich, der in Wirklichkeit keinen vollstreckbaren
Inhalt hat, ist - jedenfalls in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht - wirkungslos (BGH NJW
1995, 1162 m.w.N. zur vollstreckbaren Urkunde). Dass die Frage des vollstreckbaren
Inhalts des Titels vom Vollstreckungsorgan trotz dessen Bindung an eine wirksam
erteilte Vollstreckungsklausel (s. Musielak/Lackmann vor § 704 Rn. 24, § 724 Rn. 2)
erneut zu überprüfen ist (Musielak/Lackmann § 724 Rn. 2 m.w.N.), hat faktische Gründe.
Ist der Titel inhaltlich unbestimmt, kann das Vollstreckungsorgan nicht vollstrecken, weil
es nicht wissen kann, was zu vollstrecken ist; ist die Zug um Zug zu erbringende
Gegenleistung nicht bestimmt genug bezeichnet, kann das Vollstreckungsorgan nicht
überprüfen, ob die Gegenleistung (vollständig) erbracht ist oder Annahmeverzug
vorliegt, weil es nicht wissen kann, worin die Gegenleistung (zumindest hier der Höhe
nach) besteht.
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Ob anders zu entscheiden wäre, wenn in der Vollstreckungsklausel die Höhe der
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Gegenleistung genannt wäre, kann dahinstehen, weil der Betrag weder von der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch vom Landgericht bei der Entscheidung über
die Klauselerinnerung der Vollstreckungsklausel hinzugefügt worden ist.
2.
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Darüber hinaus ist die Auslegung des Prozessvergleichs, wie sie das Landgericht
vorgenommen hat, durch den Vergleich nicht gedeckt und jedenfalls im
Vollstreckungsverfahren nicht zulässig.
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Das Landgericht hat angenommen, die Gegenleistung betrage der Höhe nach 0,00
EUR, weil von dem vom Sachverständigen ermittelten Anteilswert die Kosten des
Sachverständigengutachtens abzuziehen seien. Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob der
Vergleich hergibt, dass die Kosten des Gutachtens vom Anteilswert abgezogen werden
dürfen. Das könnte sich allenfalls aus § 17 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages ergeben,
der vom Vergleich aber nicht in Bezug genommen worden ist (vielmehr nur Abs. 1, 4).
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Ob man im Wege der Auslegung des Vergleichs zu einem anderen Ergebnis kommen
kann, kann dahin stehen. Entscheidend hierfür könnte nur der Gesellschaftsvertrag sein.
Nur aus diesem geht hervor, dass Gutachtenkosten zu Lasten der Abfindung gehen.
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Vollstreckungsrechtlich ist es jedenfalls unzulässig, zum Inhalt der Verpflichtung auf
dem Titel nicht beigefügte Unterlagen (hier den Gesellschaftsvertrag) zu verweisen. Nur
auf offenkundige, insbesondere aus dem Bundesgesetzblatt oder dem Grundbuch
ersichtliche Umstände darf Bezug genommen werden (ständige Rechtsprechung des
BGH, zuletzt Beschluss vom 11.2.2010, VII ZB 102/08, m.w.N.). Das Landgericht hat
aber nur aus dem dem Vergleich nicht beigefügten Gesellschaftsvertrag entnommen,
dass die Gutachtenkosten abzuziehen sind, und ist damit davon ausgegangen, dass
sich die Höhe des Gegenanspruchs aus dem Prozessvergleich in Verbindung mit (dem
Gutachten und) dem Gesellschaftsvertrag ergibt.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891 S. 3, 91 ZPO. Die Wertfestsetzung für das
Beschwerdeverfahren beruht auf der vom Schuldner angegriffenen Festsetzung eines
Zwangsgeldes von 5.000.- EUR.
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